Der Bundesrat hat in seiner 858. Sitzung am 15. Mai 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Anliegen des Vorschlags, dem illegalen Menschenhandel eine entschlossene Reaktion entgegenzusetzen.
Der Bundesrat begrüßt daher die Bemühungen der Kommission, ein integriertes ganzheitliches Vorgehen bei der Bekämpfung des Menschenhandels vorzusehen.
- 2. Er ist der Auffassung, dass es sich beim Menschenhandel - gerade wegen den damit regelmäßig einhergehenden massiven Menschenrechtsverletzungen und den offenkundigen Bezügen zur organisierten Kriminalität - um eine besonders schwere Form der Kriminalität handelt, die es wirksam und nachdrücklich zu bekämpfen gilt. Deshalb begrüßt er das Ziel des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses, die Strafverfolgung im Bereich des Menschenhandels zu verbessern, weiteren Menschenhandel möglichst zu verhüten, die Opfer des Menschenhandels weitest möglich zu schützen und ein wirksames Kontrollsystem zu schaffen.
- 3. Zu einzelnen Regelungen des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses weist der Bundesrat allerdings auf Folgendes hin:
- 4. Im deutschen Recht gibt es hinsichtlich der aufgrund des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses zu sanktionierenden Verhaltensweisen bereits ein ausgewogenes, an der Schwere der jeweiligen Rechtsgutverletzung orientiertes System von Strafrahmen. Durch die Verpflichtung zur undifferenzierten Übernahme von im Mindestmaß bestimmten Höchststrafen bestünde die Gefahr, dass die Kohärenz dieser Systematik empfindlich gestört würde, zumal das deutsche Strafrecht Höchststrafen von sechs oder zwölf Jahren bislang nicht kennt.
- 5. Das deutsche Strafrecht ist, was den Regelungsbereich des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses angeht, bereits sehr weitgehend auch auf extraterritoriale Sachverhalte anwendbar. So sind der Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft sowie die Förderung des Menschenhandels nach dem Weltrechtsprinzip in Deutschland verfolgbar.
- 6. Nicht nachgewiesen ist bislang ein Bedürfnis für die Begründung einer hierüber hinausgehenden Verfolgungszuständigkeit des Mitgliedstaats, in dem der Täter allein seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, wenn dieser in einem anderen Staat eine entsprechende Straftat begangen haben soll. Gleiches gilt für die Anknüpfung der Verfolgungszuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Tatopfers.
- 7. Die Stärkung der Rechte der Opfer von Menschenhandel ist zu begrüßen. Allerdings ist dies kein absolutes Ziel. Es wird begrenzt unter anderem durch die nach rechtsstaatlichen Grundsätzen einem Tatverdächtigen zustehenden Rechte und durch den staatlichen Anspruch an der Verfolgung und Aufklärung von - auch von einem Opfer begangenen - Straftaten. Mithin darf nicht allein die behauptete Opfereigenschaft zwangsläufig zu einem Freibrief für begangene Straftaten führen. Die privilegierungswürdige Opfereigenschaft ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls durch das Tatgericht festzustellen, das im Weiteren darüber zu entscheiden hat, ob die Opfereigenschaft eine Strafbefreiung oder etwa nur eine Strafmilderung rechtfertigt. War das Opfer etwa nur einem geringen psychischen Druck seitens des Täters ausgesetzt, liegt eine Strafbefreiung ebenso fern wie in dem Fall, in dem das Opfer eines Menschenhändlers selbst eine schwere Straftat begangen hat.
- 8. Es erscheint daher geboten, die Voraussetzungen, unter denen eine Privilegierung des Opfers erfolgen kann oder zu erfolgen hat, zu konkretisieren, zumal in den Erwägungsgründen Beispielfälle für die Privilegierung aufgeführt sind.
- 9. Auch ist die Möglichkeit einer absoluten Verheimlichung der Identität eines Opfers vor einem Tatverdächtigen als Maßnahme des Zeugenschutzes nicht als Regelfall, sondern lediglich als an enge Kriterien gebundene Ausnahmeregelung denkbar.