A. Problem und Ziel
- Mit dem Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen vom 26. September 1991 (Überstellungsausführungsgesetz - ÜAG, BGBl. I S. 1954) ist auf die nach § 71 Absatz 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) zwingend vorgeschriebene gerichtliche Prüfung der Zulässigkeit über die weitere Vollstreckung im Ausland verzichtet worden, da nach dem Übereinkommen eine Überstellung nur mit ausdrücklicher Zustimmung der verurteilten Person erfolgen kann.
- Da jedoch das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen vom 18. Dezember 1997 unter anderem im Falle einer bestandkräftigen Ausweisungsverfügung eine Überstellung auch gegen den Willen der verurteilten Person ermöglicht (Artikel 3 des Zusatzprotokolls), ist eine Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes mit der Folge der Wiedereinführung der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung unerlässlich. Diese soll - durch Änderung des § 71 Abs. 4 IRG - sowohl in den durch das Zusatzprotokoll erfassten Fällen als auch im sonstigen Anwendungsbereich des § 71 IRG zukünftig durch das zuständige Oberlandesgericht getroffen werden.
B. Lösung
- Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes zwecks Wiedereinführung der gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung bei der Anwendung von Fällen nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls bei gleichzeitiger Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit auf die Oberlandesgerichte durch eine Änderung des § 71 Abs. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
C. Alternativen
- Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
- 1. Haushaltsaufgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine.
- 2. Vollzugsaufwand
Keiner.
E. Sonstige Kosten
- Für die sozialen Sicherungssysteme und die Wirtschaft, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, entstehen keine Kosten. Auswirkungen auf die Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 26. Mai 2006
Die Bundeskanzlerin
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen
Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes
Das Überstellungsausführungsgesetz vom 26. September 1991 (BGBl. I S. 1954, 1992 I S. 232, 1994 I S. 1425) wird wie folgt geändert:
- 1. Die Überschrift wird wie folgt gefasst: "Gesetz zur Ausführung des Übereinkommens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen, des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 und des Schengener Durchführungsübereinkommens (Überstellungsausführungsgesetz - ÜAG)"
- 2. Die §§ 1 und 2 werden durch folgende §§ 1 bis 3 ersetzt:
§ 1
Dieses Gesetz gilt für Vollstreckungsersuchen nach dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. 1991 II S. 1007) (Übereinkommen), nach dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. 2002 II S. 2886) (Zusatzprotokoll) und nach dem Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990 (BGBl. 1993 II S. 1010).
§ 2
(1) Bei Vollstreckungsersuchen nach dem Übereinkommen, nach Artikel 2 des Zusatzprotokolls und nach den Artikeln 68 und 69 des Schengener Durchführungsübereinkommens ist § 71 Abs. 3 und 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht anzuwenden.
(2) Bei Vollstreckungsersuchen nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls ist § 71 Abs. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen anzuwenden.
§ 3
(1) Die Zustimmung nach Artikel 7 Abs. 1 des Übereinkommens ist nach Belehrung zu Protokoll eines Richters zu erklären. Das Einverständnis kann nicht widerrufen werden.
(2) Absatz 1 ist auf Vollstreckungsersuchen nach den Artikeln 2 und 3 des Zusatzprotokolls und nach den Artikeln 68 und 69 des Schengener Durchführungsübereinkommens nicht anzuwenden."
- 3. Die bisherigen §§ 3 bis 15 werden §§ 4 bis 16.
- 4. Im neuen § 7 Abs. 2 werden in Satz 1 die Angabe "§ 10" durch die Angabe "§ 11" und in Satz 2 die Angabe "§ 4" durch die Angabe "§ 5" ersetzt.
- 5. Im neuen § 9 werden in Absatz 2 Satz 2 die Angabe "§ 7" durch die Angabe "§ 8" und in Absatz 4 Satz 3 die Angabe "§ 5" durch die Angabe "§ 6" ersetzt.
- 6. Im neuen § 12 Abs. 1 wird die Angabe "§ 4" durch die Angabe "§ 5" ersetzt.
- 7. Im neuen § 14 werden in Absatz 1 die Angabe "§ 6" durch die Angabe "§ 7" und in Absatz 2 Satz 1 die Angabe "§ 4" durch die Angabe "§ 5" ersetzt.
Artikel 2
Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
§ 71 Abs. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. I S. 1537), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Juli 2005 (BGBl. I S. 2189) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
- 1. In Satz 2 wird das Wort "Landgericht" durch das Wort "Oberlandesgericht" ersetzt.
- 2. In Satz 4 wird vor der Angabe "§ 30 Abs. 2 Satz 2 und 4, Abs. 3" die Angabe "§ 13 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2," angefügt, nach der Angabe "§ 31 Abs. 1 und 4," die Angabe "§ 33," eingefügt, die Angabe "§ 50 Satz 2" gestrichen und die Angabe "§§ 53, 55 Abs. 2" durch die Angabe "§ 53" ersetzt.
Artikel 3
Inkrafttreten
(1) Dieses Gesetz tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen nach seinem Artikel 4 in Kraft tritt.
(2) Der Tag, an dem dieses Gesetz in Kraft tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen.
Begründung
Zu Artikel 1
Im Gegensatz zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 verzichtet das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 in bestimmten Fällen auf das Erfordernis der Zustimmung der verurteilten Person zur Strafverbüßung im Heimatland.
Dem trägt - neben einer durch § 1 vorab vorgenommenen Klarstellung des auch für das Zusatzprotokoll und das Schengener Durchführungsübereinkommen geltenden Anwendungsbereiches des Überstellungsausführungsgesetzes [ÜAG (BGBl. 1991 I S. 1954)] - die Neufassung von § 2 ÜAG Rechnung, indem in Absatz 1 geregelt wird, dass auf Vollstreckungsersuchen nach dem Übereinkommen von 1983 - wie schon nach der bisherigen Fassung des § 1 ÜAG - § 71 Abs. 3 und 4 IRG keine Anwendung findet. Gleiches gilt für Fluchtfälle nach Artikel 2 des Zusatzprotokolls und den Artikeln 68 und 69 des Schengener Durchführungsübereinkommens.
§ 2 Absatz 2 stellt dagegen - aus einem Rückschluss zu Absatz 1 folgend letztlich deklaratorisch - klar, dass bei Vollstreckungsersuchen nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls die Notwendigkeit einer gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung besteht.
Angesichts der erheblichen Tragweite, die der Entscheidung über die Vollstreckung einer Sanktion im Ausland für den Verurteilten zukommt, macht § 71 Absatz 4 Satz 1 IRG das Ersuchen um Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion davon abhängig, dass die Zulässigkeit der Vollstreckung im Ausland von einem Gericht festgestellt worden ist. Das ÜAG sieht in seinem bisherigen § 1 (künftig § 2 Abs. 1) jedoch vor, dass § 71 Abs. 3 und 4 IRG für die vom Übereinkommen erfassten Fälle keine Anwendung findet. Während die Festlegung, dass Absatz 3 keine Anwendung findet, im Hinblick auf den Inhalt des Übereinkommens und § 1 Abs. 3 IRG (Vorrang völkerrechtlicher Regelungen vor den Vorschriften des IRG) nur deklaratorischen Charakter hat, ist die Nichtanwendbarkeit des Absatzes 4 konstitutiver Art.
In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu:
- "Mit Rücksicht auf die nach dem Übereinkommen zwingend vorgeschriebene Zustimmung des Verurteilten zu seiner Überstellung und im Hinblick darauf, daß die Vollstreckungshilfe auf der Grundlage vertraglicher Beziehungen zu einem überschaubaren Kreis potentieller Vollstreckungsstaaten erfolgt, ist ein durchgreifender Grund für die Beibehaltung einer gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung (§ 71 Absatz 4 IRG) durch den Urteilsstaat bei ausgehenden Ersuchen nach dem Übereinkommen nicht ersichtlich. Durch ihren Wegfall wird eine im Interesse des Verurteilten liegende erheblich schnellere Durchführung der Überstellung erreicht; der Verwaltungsaufwand in dem ersuchenden Staat wird zugleich verringert" (BT-Drs. 012/195, S. 6).
Da das Zusatzprotokoll jedoch bei Verurteilten, die der Ausweisung oder Abschiebung unterliegen (Artikel 3 des Zusatzprotokolls), auf ihre Zustimmung verzichtet, gelten die Erwägungen zur fehlenden Notwendigkeit einer gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung in diesen Fällen nicht. Nach der Systematik des IRG muss bei wesentlichen Eingriffen in die Rechte von Betroffenen eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung von Amts wegen vorgesehen werden, sofern die Betroffenen dem Eingriff nicht zustimmen. Dies gilt für die Vollstreckungshilfe im vertragslosen Bereich nach § 71 Abs. 4 IRG. Entsprechend ist es geboten, für die Fälle nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls wieder eine gerichtliche Zulässigkeitsprüfung gemäß § 71 Abs. 4 IRG vorzusehen.
Die Anwendung der Regelung des § 71 Abs. 4 IRG auf Fälle nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls vermeidet eine Zersplitterung des Rechtsschutzes bei Verfahren der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit. Eine Überprüfung von Amts wegen in allen Fällen trägt dem Umstand Rechnung, dass sich im Hinblick auf die häufig schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Fragen eine gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit der Vollstreckungshilfe bewährt hat.
Bei dieser gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung wird namentlich geprüft, ob bei Abwägung aller persönlichen Umstände eine Überstellung gegen den Willen der verurteilten Person in Betracht kommt ob angesichts der Vollzugs- und Vollstreckungspraxis im Vollstreckungsstaat eine Überstellung überhaupt zulässig ist und ob ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die verurteilte Person im Falle ihrer Überstellung politisch verfolgt wird (vgl. dazu § 6 Abs. 2 IRG). Daneben sind die übergeordneten Wertungen des § 73 IRG (Ordre Public) zu achten. Die Entscheidung soll durch ein Oberlandesgericht getroffen werden (vgl. dazu nachfolgend Artikel 2).
Hingegen bedarf es bei den von Artikel 2 des Zusatzprotokolls erfassten Fällen der Flucht in einen anderen Vertragsstaat - ebenso wie bei den für die Schengenstaaten durch die Artikel 68 und 69 des Schengener Durchführungsübereinkommens geregelten und insoweit gleich gelagerten Fluchtfällen - keiner gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung gemäß § 71 Abs. 4 IRG. Hat sich der Verurteilte der Vollstreckung der freiheitsentziehenden Sanktion in Deutschland durch Flucht entzogen, so ist im Vergleich zu den durch Artikel 3 des Zusatzprotokolls geregelten Ausweisungs-/Abschiebefällen das Rechtsschutzbedürfnis des Verurteilten von geringerer Ausprägung. Da sich der Verfolgte bewusst in eine fremde Rechtsordnung begeben hat, scheidet ein schützenswertes Interesse beispielsweise an der Prüfung der Frage, ob er im ersuchten Staat politisch verfolgt wird (§ 71 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 6 Abs. 2 IRG), aus. Bei der Beurteilung des Rechtsschutzinteresses ist ferner zu berücksichtigen, dass im Falle der Flucht des Verurteilten der ersuchte Staat die volle Souveränität über den Verfolgten besitzt. Er kann seitens des ersuchenden Staates beispielsweise nicht daran gehindert werden, den Flüchtigen entgegen Artikel 3 Abs. 4 des Zusatzprotokolls unter Spezialitätsverstoß wegen anderweitiger Straftaten zu verfolgen.
Zu Artikel 2
§ 71 Abs. 4 IRG sieht in seiner derzeitigen Fassung die Zulässigkeitsprüfung durch ein Landgericht vor. Es erscheint jedoch geboten, die Entscheidung nach § 71 Abs. 4 IRG künftig den Oberlandesgerichten zuzuweisen. Hierdurch wird zum einen ein Gleichklang mit den von der Interessenlage der Betroffenen vergleichbaren Auslieferungsfällen geschaffen und die insoweit bestehende besondere Sachkunde der Oberlandesgerichte nutzbar gemacht.
Zum anderen wird das Überstellungsverfahren durch den mit der Zuweisung zu einem Oberlandesgericht verbundenen Wegfall des Instanzenzuges gestrafft. Die Landgerichte verfügen nach der bisherigen Rechtslage über keine besondere Erfahrung bei der Entscheidung von Fällen, in denen Verfolgte gegen ihren Willen an ausländische Justizbehörden überantwortet werden sollen. Weist man aus den vorbenannten Gründen Überstellungen nach dem Zusatzprotokoll künftig den Oberlandesgerichten zu, bietet es sich zwecks Vermeidung einer Zuständigkeitsspaltung bei Überstellungen auf vertragsloser Grundlage an, die Zuständigkeit nach § 71 Abs. 4 IRG insgesamt und nicht nur für die Fälle des Zusatzprotokolls auf die Oberlandesgerichte zu übertragen. Dies wird durch die Änderung der Sätze 2 und 4 des § 71 Abs. 4 IRG sichergestellt.
Zu Artikel 3
Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes und enthält die übliche Inkrafttretensregelung.