Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die erfolgreiche Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien am 25. April 2005 in Luxemburg als Grundlage für den Abschluss der fünften Erweiterungsrunde der EU.
- 2. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der Beitrittsvertrag den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum 1. Januar 2007 vorsieht und keine Möglichkeiten enthält, die Aufnahme dieser Staaten spätestens bis zum 1. Januar 2008 auch bei unzureichendem Vorbereitungsstand zu verschieben. Der Bundesrat fordert, dass bei künftigen Erweiterungen die umfassende Beitrittsreife vor der Festlegung eines konkreten Beitrittszeitpunkts gegeben sein muss.
- 3. Der Bundesrat würdigt die Fortschritte Rumäniens und Bulgariens im Rahmen des Transformationsprozesses, der mit großen politischen, sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen verbunden ist.
- 4. Der Bundesrat begrüßt jedoch auch die klare und kritische Bewertung des Vorbereitungsstands in einigen wichtigen Bereichen durch die Kommission. Eine strenge Kontrolle der Einhaltung der Beitrittskriterien ist von herausragender Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Union nach innen wie nach außen sowie für die Akzeptanz der Erweiterung in der Bevölkerung.
- 5. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass nach den Monitoringberichten der Kommission zum Stand der Vorbereitung von Rumänien und Bulgarien auf die EU-Mitgliedschaft vom 16. Mai 2006 trotz vieler Fortschritte noch erhebliche Defizite in einigen Bereichen bestehen. Die Kommission stellt fest, dass diese Probleme gelöst werden müssen, wenn diese Staaten wie geplant zum 1. Januar 2007 beitreten sollen. Nach den Angaben der Kommission betreffen die Defizite insbesondere die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Wirksamkeit der Justiz sowie den Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption. Weiterhin bestehen erhebliche Defizite bei der Vorbereitung der Landwirtschaftsverwaltung und der Verwaltung der EU-Mittel. Angesichts von Anzahl und Qualität der Defizite sollte in jedem Fall aber die Anwendung der in der Beitrittsakte vorgesehenen Schutzklauseln für die Bereiche Binnenmarkt sowie Justiz und Inneres durch die Kommission vorbereitet werden.
- 6. Die Kommission macht in ihrem Bericht keinen Vorschlag zur möglichen Verschiebung des Beitrittstermins um maximal ein Jahr auf den 1. Januar 2008. Der Bundesrat wird daher erst im Lichte der von der Kommission für spätestens Anfang Oktober angekündigten weiteren Monitoring-Berichte und Empfehlungen abschließend über die Zustimmung zum Entwurf des Ratifikationsgesetzes entscheiden.
- 7. Der Bundesrat hat bereits bei der letzten Erweiterungsrunde 2004 darauf hingewiesen, dass eine erweiterte EU dringend einer Reform der Institutionen bedarf (vgl. BR-Drucksache 300/03(B) ). Mit dem anstehenden Beitritt Rumäniens und Bulgariens bedarf es umso mehr neuer Impulse zur Wiederbelebung des Verfassungsprozesses, um die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der EU abzusichern. Dies gilt umso mehr, als im Zusammenhang mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien nach dem Protokoll zum Vertrag von Nizza zur Erweiterung der EU die Zahl der Kommissare ohnehin neu festgelegt werden muss.
- 8. Vor dem Hintergrund einer verbreiteten kritischen Stimmung gegenüber der EU fordert der Bundesrat, dass im Hinblick auf weitere Erweiterungsrunden verstärkt über die Grenzen Europas debattiert werden muss. Angesichts des anstehenden Abschlusses der fünften Erweiterungsrunde fordert der Bundesrat dringend eine Verständigung über die weitere Erweiterungspolitik und -strategie der EU. Künftige Erweiterungen müssen strikt vom Kriterium der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit der EU abhängig gemacht werden.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass das Gesetz seiner Zustimmung mit zwei Dritteln seiner Stimmen gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Artikel 79 Abs. 2 GG bedarf.
Begründung
Gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 GG ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Stimmen erforderlich, wenn durch Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare Regelungen das GG seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen und Ergänzungen ermöglicht werden.
Der Beitrittsvertrag regelt erstmalig verbindlich für Rumänien und Bulgarien die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament, ihre Stimmenzahl im Rat sowie das künftig geltende Quorum für Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit (Beitrittsakte zur Änderung der Rechtslage bis zum In-Kraft-Treten des Vertrags über eine Verfassung für Europa: Zweiter Teil "Anpassungen der Verträge", Titel I "Institutionelle Bestimmungen" sowie für die Übergangszeit bis zum Beginn der Wahlperiode 2009 bis 2014 für die Sitzverteilung im Europäischen Parlament Artikel 24; Beitrittsprotokoll zur Änderung der Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Vertrags über eine Verfassung für Europa: Vierter Teil "Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer", Titel II "Institutionelle Bestimmungen"). Insbesondere der geltende EGV wird durch diese Regelungen des Beitrittsvertrags entsprechend angepasst. Die Mitgliedstaaten hatten sich bei der Regierungskonferenz von Nizza zwar im Hinblick auf die Erweiterung der EU auf 27 Mitglieder politisch in einer Erklärung auf eine Neuverteilung der Sitze im Europäischen Parlament, im Wirtschafts- und Sozialausschuss und im Ausschuss der Regionen sowie auf eine neue Stimmengewichtung im Rat geeinigt (Erklärung Nr. 20).
Erst durch den Beitrittsvertrag werden jedoch endgültig und rechtlich verbindlich die institutionellen Bestimmungen geändert und damit der Kreis der Befugten, die übertragene Hoheitsrechte ausüben, geändert. Zudem wird auch die Höchstzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments gegenüber den Festlegungen des EGV sowie des Vertrags über eine Verfassung Europas für die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien erhöht.
Durch den Beitritt verschieben sich im Ergebnis Stellung und Gewicht der Bundesrepublik Deutschland im institutionellen Gefüge der EU. Das relative Stimmengewicht Deutschlands insbesondere im Rat und damit die Möglichkeiten seiner Einflussnahme bei der Ausübung der auf die EU übertragenen Hoheitsrechte verändern sich. Dies stellt eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU dar, durch die das GG seinem Inhalt nach geändert bzw. ergänzt wird. Somit ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Stimmen erforderlich.