Der Bundesrat hat in seiner 836. Sitzung am 21. September 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat anerkennt grundsätzlich die Bemühungen der EU, die Asylsysteme in den Mitgliedstaaten, soweit dies nach Abschluss der "ersten Phase" des Haager Programms geboten ist, weiter zu harmonisieren, eine einheitlichere Anwendung von Asylrechtsnormen zu fördern und Mechanismen für die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen innerhalb der EU einzuführen.
- 2. Der Bundesrat weist allerdings zugleich darauf hin, dass in Deutschland bereits seit langem ein den rechtsstaatlichen und praxisbezogenen Anforderungen Rechnung tragendes Asylverfahren verwirklicht ist. Dies gilt insbesondere für das System sicherer Staaten (sichere Drittstaaten, sichere Herkunftsstaaten) sowie die hierauf beruhenden Verfahrensregelungen.
- 3. Der Bundesrat ist zudem besorgt, dass angesichts des ehrgeizigen Zeitplans für den Abschluss der 2. Phase der Asylrechtsharmonisierung bis 2010 und der Tatsache, dass bislang keine fundierte Bewertung der Asylrechtsnormen aus der ersten Phase möglich ist, übereilte EU-Rechtsetzungsverfahren folgen könnten. Zugleich weist der im Grünbuch konstatierte weitergehende Harmonisierungsbedarf wohl tendenziell in Richtung Erhöhung der Standards sowie der Verfahrens- und Schutzrechte.
- 4. Bei der unbeschadet dessen anerkennenswerten Förderung einer einheitlicheren Anwendung von Asylrechtsnormen ist ein neuer Aufbau von Bürokratie zu vermeiden. Es sollten nach Möglichkeit vor allem bestehende Einrichtungen als Plattform genutzt werden. Daher wird auch die Neuschaffung einer europäischen Unterstützungsagentur, insbesondere ihre etwaige Ausstattung mit Kontrollfunktionen gegenüber den Mitgliedstaaten, abgelehnt. Asylverfahren müssen auch weiterhin in nationaler Verantwortung betrieben werden.
- 5. Das System der sozialen Versorgung von Personen, die im Bundesgebiet keinen verfestigten Aufenthaltsstatus haben, durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) hat sich bewährt. Art und Umfang der Versorgung sind angemessen und ausreichend. Den Bedürfnissen möglicherweise besonders schutzbedürftiger Personengruppen kann und wird durch Sonderregelungen, eigene Programme oder individuelle Hilfen Rechnung getragen. Eine Ausweitung oder Änderung des Leistungssystems ist daher nicht erforderlich und nicht angezeigt. Insbesondere ist eine Angleichung der Gesundheitsversorgung im Hinblick auf das völlig unterschiedliche Niveau in den 27 Mitgliedstaaten kaum vorstellbar.
- 6. Die Entscheidung über Art und Maß des Arbeitsmarktzugangs für Drittstaatsangehörige ohne verfestigten Aufenthaltsstatus fällt ausschließlich in den nationalen Kompetenzbereich. Den unterschiedlichen Gegebenheiten der nationalen Arbeitsmärkte ist Rechnung zu tragen. Ein erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt trägt die Gefahr einer unerwünschten Anreizwirkung und einer faktischen Aufenthaltsverfestigung von Personenkreisen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsstatus in sich.
- 7. Die weitergehenden Planungen, Asylsuchenden (über den Schulbesuch von Kindern hinaus) speziellen Zugang zu Integrationsmechanismen zu gewähren, werden abgelehnt, da dies zu einer unerwünschten faktischen Aufenthaltsverfestigung führen und die Bemühungen um Rückführungsmaßnahmen konterkarieren würde.
- 8. Der Bundesrat ist im Übrigen der Auffassung, dass hinsichtlich der Frage eines einheitlichen unionsweit gültigen Rechtsstatus von bereits als schutzbedürftig Anerkannten an der Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und lediglich subsidiär Schutzberechtigten festgehalten werden muss, insbesondere im Hinblick auf die oftmals unterschiedliche Zeitdauer des Schutzbedürfnisses. In jedem Fall abzulehnen wäre die Erstreckung der sich aus dem Flüchtlings oder langjährigen Aufenthaltsberechtigtenstatus ergebenden Rechte auch auf Ausländer, die lediglich geduldet sind: Im Ergebnis würden damit jegliche Duldungsgründe einer Flüchtlingsanerkennung gleichgestellt und die Systematik der nationalen Aufenthaltstitel ausgehebelt.
- 9. Der Bundesrat ist - in Übereinstimmung mit dem Bewertungsbericht der Kommission vom 6. Juni 2007 - ferner der Auffassung, dass sich das so genannte Dublin-System zur Bestimmung des für Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaats grundsätzlich bewährt und auch zum Rückgang der Asylbewerberzahlen in Deutschland beigetragen hat. Die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren muss deshalb auch weiterhin bei dem Mitgliedstaat liegen der Anlass für den Aufenthalt in der EU gegeben hat (z.B. Visumerteilung, Zulassung des illegalen Überschreitens der Außengrenze).
Soweit sich künftig im Rahmen von Asylverfahren und der Flüchtlingsaufnahme nachhaltige ungleiche Belastungen zwischen den Mitgliedstaaten ergeben, bedarf nicht das Dublin-Verfahren der Ergänzung, sondern haben die Instrumentarien der einschlägigen EU-Hilfsfonds zur Anwendung zu kommen.
Daher sind - im Sinne einer Zuwanderungssteuerung in grundsätzlich nationaler Verantwortung - auch verpflichtende Programme zur Wiederansiedlung von Flüchtlingen in EU-Mitgliedstaaten abzulehnen.
- 10. Der Bundesrat weist darauf hin, dass zugunsten einer gerechten Flüchtlingspolitik auch Gedanken zu Verfahrensweisen entwickelt werden müssen, die sich an das Scheitern von Flüchtlingsbegehren und die Revision von Entscheidungen bei nachgewiesenem Vortäuschen falscher Tatsachen anschließen. Den Folgen der Ablehnung von Anträgen und des ungesetzlichen oder betrügerischen Verhaltens von Flüchtlingen wird im Grünbuch zu wenig Beachtung geschenkt. Es sind auch keine Zusammenhänge zum Rückführungsbereich hergestellt worden.
Die Kommission sollte diese Themen nicht isoliert betrachten, sondern in die Diskussion um die Vereinheitlichung des Asylrechts einbringen.