960. Sitzung des Bundesrates am 22. September 2017
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Kulturfragen empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat pflichtet der Kommission bei, dass eine hochwertige Bildung nicht nur für wirtschaftliche Prosperität und Beschäftigungsfähigkeit, sondern auch für stabile Gesellschaften das Fundament darstellt. Er begrüßt, dass die Bedeutung der Schulbildung in der Mitteilung zutreffend erkannt wurde.
- 2. Die Kommission konstatiert in ihrer Mitteilung, die aktuelle Situation in Europa zeige, dass es keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit gebe. Sie führt gleich im Anschluss aus, dass in der EU eine große Vielfalt an Schulen und Bildungssystemen herrsche. Der Bundesrat betont, dass die Verschiedenheit der Bildungssysteme in den Mitgliedstaaten der EU als Ausdruck der kulturellen Vielfalt in Europa einen besonderen Wert darstellt. Dies spiegelt sich auch in den in Artikel 165 AEUV festgelegten Kompetenzgrenzen wider, wonach die EU lediglich die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie die Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt. Der Bundesrat lehnt vor diesem Hintergrund sowohl eine negative Bewertung dieser Vielfalt als auch Vereinheitlichungsbestrebungen ab. Er betont, dass die Situation in den verschiedenen Mitgliedstaaten zum Beispiel mit Blick auf finanzielle Ausstattung, Bevölkerungsstruktur und -anteil mit Migrationshintergrund nur bedingt vergleichbar ist.
- 3. Die Kommission beschreibt das Europäische Semester als eine zentrale Triebkraft für Reformen, insbesondere durch die bildungsbezogenen länderspezifischen Empfehlungen. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an die Grenzen, die der Kompetenzrahmen der Europäischen Verträge auch für die Anwendung der offenen Methode der Koordinierung auf dem Gebiet der Bildung zieht, etwa bei der Bewertung der bildungspolitischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten (vergleiche bereits die Stellungnahme des Bundesrates vom 13. Februar 2009, BR-Drucksache 026/09(B) , Ziffer 9). Der Bundesrat erneuert in diesem Zusammenhang seine grundsätzliche Ablehnung einer Überwachungskompetenz oder der Vorgabe von Leitlinien durch die EU im Bildungsbereich (vergleiche Stellungnahme des Bundesrates vom 25. November 2005, BR-Drucksache 714/05(B) , Ziffer 3, und vom 13. Juni 2008, BR-Drucksache 249/08(B) , Ziffer 5).
- 4. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission, die Zusammenarbeit zwischen Schulen stärken zu wollen, indem der Zugang zu Schulpartnerschaften und Mobilität im Schulbereich im Rahmen des Programms "Erasmus+" erleichtert wird. Der Bundesrat hat wiederholt eine Erleichterung der Bedingungen für Schulen gefordert und auf die übermäßigen administrativen Lasten hingewiesen (so unter anderem in seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2016, BR-Drucksache 510/15(B) , Ziffer 22). Er fordert daher die Kommission auf, die zugesagten Erleichterungen baldmöglichst zu präzisieren und Verbesserungen zügig umzusetzen. Er bedauert, dass die bisherigen Vorgaben der Kommission zu einem nachhaltigen Rückgang der Antragszahlen im Schulbereich geführt haben (siehe auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 14. Oktober 2016, BR-Drucksache 335/16(B) , Ziffer 3), den aufzufangen langfristige Motivationsarbeit und enorme Anstrengungen erforderlich macht.
- 5. Der Bundesrat wiederholt seine Forderung, dass sich die Kommission in ihren Mitteilungen belastbar und nachvollziehbar zur geplanten Finanzierung angekündigter Aktivitäten äußert (so schon in der Stellungnahme des Bundesrates vom 8. Juli 2016, BR-Drucksache 196/16(B) , Ziffer 5, und in der Stellungnahme vom 23. September 2016, BR-Drucksache 315/16(B) , Ziffer 29). Er lehnt einen pauschalen Rückgriff auf das Programm "Erasmus+" für die Finanzierung politischer Prioritäten der Kommission ab und betont abermals, dass der Hauptzweck des Programms "Erasmus+" in der Mobilitätsförderung liegen sollte (vergleiche bereits in der Stellungnahme des Bundesrates vom 23. September 2016, BR-Drucksache 315/16(B) , Ziffer 29).
- 6. Da die Kommission im Schlusskapitel der Mitteilung die Frage nach einer ehrgeizigeren Benchmark beim frühzeitigen Schulabgang aufwirft, bekräftigt der Bundesrat seine Ablehnung genuiner Benchmarks auf EU-Ebene (vergleiche zuletzt die Stellungnahme des Bundesrates vom 13. Februar 2009, BR-Drucksache 026/09(B) , Ziffer 10, und die Stellungnahme des Bundesrates vom 13. Juni 2008, BR-Drucksache 249/08(B) ). Er weist darauf hin, dass die Schlussfolgerungen des Rates vom 5. Mai 2003 über europäische Durchschnittsbezugswerte für allgemeine und berufliche Bildung (Benchmarks) (vergleiche Abl. C 134 vom 7. Juni 2003, Seiten 3 und 4) keine Festlegung einzelstaatlicher Ziele enthalten und keine Entscheidungen vorgeben, die von den jeweiligen Regierungen der Mitgliedstaaten getroffen werden müssten (vergleiche zuletzt die Stellungnahme des Bundesrates vom 13. Februar 2009, BR-Drucksache 026/09(B) , Ziffer 10).
- 7. Angesichts der Aussage in der Mitteilung, Synergien mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weiterentwickeln zu wollen, betont der Bundesrat, dass das Prinzip der "Ownership of data" zwingend einzuhalten ist. Er lehnt ab, dass landesspezifische Daten ohne konkreten Auftrag und vorherige Zustimmung sowie Information von Dritten an Dritte weitergegeben oder neu aggregiert werden. Der Bundesrat erinnert daran, dass bei Verhandlungen von nicht bindenden Vereinbarungen (Letter of Intent oder Memorandum of Understanding) zwischen der EU und internationalen Organisationen eine vorherige Autorisierung des Rates vorliegen muss. Er verweist diesbezüglich auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 28. Juli 2016, C-660/13). Hiernach kann die bloße Tatsache, dass die Kommission über die Befugnis zur Vertretung der EU nach außen verfügt, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung auch bei nicht bindenden Vereinbarungen nicht verdrängen, geht damit doch implizit eine Bewertung der Interessen der EU im Rahmen der Beziehungen mit Dritten einher. Auch bleibt offen, wie die in der Mitteilung angekündigte Zusammenarbeit mit der OECD ausgestaltet sein soll, insbesondere wenn eine "effizientere gemeinsame Datenerhebung zu Lehrkräften und Schulleitungen durch Eurydice und die OECD" angesprochen wird.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die in der Mitteilung aufgeführten Maßnahmen allesamt den Kern mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten, so zum Beispiel Bildungsausgaben, Lehrerbildung, Schul-Governance und Qualitätssicherung, berühren, und fordert die Einhaltung der Kompetenzgrenzen der EU im Bildungsbereich. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf den Bericht über "die Wirksamkeit und Effizienz der Ausgaben für die schulische Bildung", der auf laufenden Arbeiten mit der OECD aufbauen soll und "zur Entwicklung politischer Leitlinien für Investitionen in die schulische Bildung im Rahmen einer Partnerschaft mit interessierten Mitgliedstaaten und Interessenträgern führen [könnte]".
- 9. Die Kommission geht zudem davon aus, dass eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bildung und Wirtschaft die Faktenlage verbessern und zu einem Konsens führen kann, was mit Investitionen in die Bildung erreicht werden kann. Der Bundesrat weist darauf hin, dass es bei Investitionen in die Bildung nicht nur um rein ökonomische Erträge geht und manche in pädagogischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht sinnvolle Investitionen gerade nicht wirtschaftlich messbar sind. Eine Bewertung von Bildungsausgaben allein aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Perspektive ist unzureichend und wird dem Eigenwert von Bildung nicht gerecht. Die Qualität von Bildungsausgaben stellt einen vielschichtigen Fragenkomplex dar, der sich simplen Lösungs- und Bewertungsansätzen entzieht (vergleiche bereits die Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Oktober 2015, BR-Drucksache 386/15(B) , Ziffer 9 und die Stellungnahme des Bundesrates vom 6. Februar 2015, BR-Drucksache 583/14(B) , Ziffer 10).
- 10. Der Bundesrat konstatiert, dass einige der in der Mitteilung angekündigten Maßnahmen vage bleiben, und hinterfragt ihren Mehrwert. Dem Bundesrat erschließt sich zum Beispiel nicht, warum die Kommission eine politische Beratung zur Berufslaufbahn und zur beruflichen Weiterentwicklung von Lehrkräften und Schulleitern anbieten möchte und wie diese ausgestaltet sein sollte. Er ist der Auffassung, dass dies aufgrund der Kompetenzverteilung im Bildungsbereich und der Unterschiede in den Mitgliedstaaten besser auf nationaler und regionaler Ebene geleistet werden kann. Auch der Mehrwert der Entwicklung von "Online-Communities" und "Ressourcen" für den Schuldienst erschließt sich angesichts der zum Teil erheblich unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Mitgliedstaaten nicht.
- 11. Der Bundesrat bewertet eine bessere Vernetzung von Lehrkräften positiv und spricht sich für die Förderung von Begegnung und Austausch in diesem Bereich aus. Auch die digitale Vernetzung kann hierzu einen Beitrag leisten, kann die persönliche Begegnung jedoch keinesfalls ersetzen. Der Bundesrat plädiert zudem dafür, dass Instrumente auf EU-Ebene kritisch auf ihren Mehrwert geprüft werden sollten. So ist zum Beispiel die Aussage, dass eine Etablierung von eTwinning in allen Schulen Europas dazu beitragen könnte, die digitale Kompetenz zu erhöhen und Klassenräume zu öffnen, aus Sicht des Bundesrates zu pauschal und sie wird nicht mit Nachweisen hinterlegt.
- 12. Gemäß der Mitteilung beabsichtigt die Kommission, die Schulbildung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT-Bereichen) durch "Erasmus+" zu unterstützen und so nicht nur gute Praxis zu fördern, sondern auch Kooperationen zwischen Hochschulen, Forschung, Unternehmen und Schulen auf EU-Ebene zu entwickeln sowie geschlechtsspezifische Unterschiede und Stereotypen in MINT-Fächern nachhaltig einzudämmen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Kooperationen sinnvoller nach einem Bottom-Up-Ansatz regional organisiert werden sollten, um im Schulalltag tatsächlich eine Rolle spielen zu können.
- 13. Der Bundesrat stellt fest, dass der Schwerpunkt der vorgeschlagenen Maßnahmen innerstaatlich in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder auf dem Gebiet der schulischen Bildung (einschließlich der Lehrerausbildung und der Organisationshoheit für das Bildungssystem) fällt. Die in der Mitteilung in Aussicht gestellte Behandlung der Themen wie die Entwicklung besserer und inklusiverer Schulen, die Unterstützung von Lehrkräften und Schulleitungen, um ausgezeichneten Unterricht und eine exzellente Bildung zu gewährleisten, und die Governance der schulischen Bildungssysteme, um leistungsfähiger, gerechter und effizienter zu werden, obliegt ausschließlich den Ländern. Er weist darauf hin, dass die Stellungnahme des Bundesrates gemäß § 5 Absatz 2 EUZBLG von der Bundesregierung maßgeblich zu berücksichtigen ist und die Verhandlungsführung gemäß § 6 Absatz 2 EUZBLG bei den Ländern liegt.
- 14. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
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- 15. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik und der Ausschuss für Frauen und Jugend empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.