Der Bundesrat hat in seiner 827. Sitzung am 3. November 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass der dreizehnte Rechtsetzungsbericht der Kommission in einen allgemein gehaltenen und nur einen Überblick gebenden Bericht sowie in ein ausführliches "Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen" aufgeteilt ist. In diesem nur in englischer Sprache vorgelegten "Arbeitspapier" befinden sich zahlreiche substantielle Aussagen zur Verbesserung der Rechtsetzung. Damit kommt diesem Papier, unabhängig von seiner durch die Kommission verliehenen Bezeichnung, Bedeutung zu. Der Bundesrat wendet sich dabei mit Nachdruck gegen auch in anderen Bereichen festzustellende Bestrebungen der Kommission, ihre Verpflichtung, sämtliche Dokumente und Anhänge der EU in die deutsche Sprache zu übersetzen durch eine Klassifizierung als "Arbeitspapier" zu umgehen. Der Bundesrat sieht darin eine Beeinträchtigung der politischen Diskussion zu den Vorhaben und fordert die Bundesregierung daher auf, gegenüber der Kommission auf die Einhaltung ihrer rechtlichen Verpflichtungen zur gleichberechtigten Verwendung aller Amtssprachen zu beharren. Sollte die Kommission diesen nicht nachkommen, so ist gegebenenfalls der Rat mit dieser Frage zu befassen. Die deutsche Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 kann hierfür den geeigneten Rahmen bieten.
- 2. Unabhängig davon begrüßt der Bundesrat, dass die Kommission den Arbeiten zur Verbesserung der Qualität der EU-Rechtsetzung im Jahr 2005 besondere Priorität eingeräumt hat. Damit besteht die Chance, den Rechtsrahmen der EU an die Herausforderungen des globalen Wettbewerbs um das beste Umfeld insbesondere für Unternehmen anzupassen.
- 3. Der Bundesrat misst dabei der Verbesserung der Folgenabschätzung bei neuen EU-Rechtsakten, der systematischen Durchforstung und Vereinfachung des EU-Rechts sowie der Überprüfung von Vorhaben, die sich im Rechtsetzungsverfahren befinden eine besondere Bedeutung bei. Ziel muss es sein, unnötige Bürokratie abzubauen und unnötige neue Bürokratie bereits frühzeitig zu verhindern. Der Bundesrat bekräftigt dabei seine früheren Ausführungen zu der Initiative für eine Bessere Rechtsetzung auf EU-Ebene (Stellungnahme vom 8. Juli 2005, BR-Drucksache 286/05(B) und Stellungnahme vom 10. März 2006, BR-Drucksache 817/05(B) ). Der Bundesrat ruft die Bundesregierung dazu auf, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dafür zu nutzen gezielt Bürokratiekosten für Unternehmen aber auch öffentliche Verwaltungen zu senken.
- 4. Der Bundesrat unterstützt insbesondere das von der Kommission im Oktober 2005 gestartete Programm zur Aktualisierung und Vereinfachung des EU-Rechtsbestands. Der Bundesrat sieht allerdings mit Sorge, dass die Kommission mit der Vorlage der angekündigten Vorschläge hinterherhinkt und die ursprünglich festgelegten Ziele der Reduzierung des gemeinschaftlichen Rechtsbestands bei weitem noch nicht erreicht sind. Er ermutigt die Kommission daher, die Arbeiten an konkreten Vereinfachungsdossiers verstärkt voranzutreiben und sich dabei auf spürbare Entlastungen für die kleineren und mittleren Unternehmen zu konzentrieren. Dies kann neue Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung eröffnen. Der Bundesrat verweist insbesondere auf die mit seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2005 (BR-Drucksache 286/05(B) ) aufgelisteten Vorschläge zur Rechtsvereinfachung und lädt die Kommission dazu ein, bei der angekündigten Fortschreibung des Vereinfachungsprogramms die bisher noch unberücksichtigten Vorschläge der Länder aufzugreifen.
- 5. Der Bundesrat misst der von der Kommission eingerichteten Gruppe hochrangiger nationaler Rechtsetzungssachverständiger für eine bessere Rechtsetzung eine wesentliche Bedeutung bei. Er unterstreicht erneut die Notwendigkeit, dass die Länder, die für den Vollzug von Gesetzen in Deutschland zuständig sind mit einem Vertreter an den Sitzungen dieses Gremiums teilnehmen sollten und erinnert an sein bereits in den Stellungnahmen vom 8. Juli 2005 (BR-Drucksache 286/05(B) ) und vom 10. März 2006 (BR-Drucksache 817/05 (PDF) (Beschuss)) vorgebrachtes Anliegen. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Bundesregierung zwei deutsche Vertreter in diese Expertengruppe entsandt hat. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zukünftig einen dieser Sitze für einen Ländervertreter vorzusehen.
- 6. Der Bundesrat anerkennt die signifikante Erhöhung der Anzahl der Folgenabschätzungen und das Bemühen der Kommission, ihre Qualität zu verbessern. Der Bundesrat begrüßt insbesondere die Bemühungen um eine einheitliche Methode zur Messung der durch Rechtsvorschriften bedingten Verwaltungskosten als Voraussetzung für die EU-weite verbindliche Festlegung von Zielen für die Reduzierung von Verwaltungskosten.
- 7. Der Bundesrat befürwortet in diesem Zusammenhang die Überarbeitung der Leitlinien für die Durchführung von Folgenabschätzungen und mit ihr die stärkere Berücksichtigung der Auswirkungen neuer Rechtsvorschriften auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Die Kommission wird dazu aufgerufen, der Prüfung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ebenfalls breiteren Raum einzuräumen und sich bei ihren Folgenabschätzungen noch mehr als bisher auf objektiv nachvollziehbare Daten und Fakten zu konzentrieren. Das Ergebnis der Prüfung sollte in die Begründungen der Rechtsetzungsvorschläge mit einer nachvollziehbaren und angemessenen Darstellung aufgenommen werden. Eine solche effektive Gesetzesfolgenabschätzung wäre auch eine notwendige und sinnvolle Ergänzung zu dem bereits im Vertrag über eine Verfassung für Europa vorgesehenen "Subsidiaritäts-Frühwarnsystem". Detaillierte Angaben über die zu erwartenden Vor- und Nachteile einer geplanten Regelung stellen eine wesentliche Unterstützung für die nationalen Parlamente bei ihrer Prüfung dar, ob ein Rechtsetzungsvorschlag im Einklang mit dem Subsidiaritäts- und das Verhältnismäßigkeitsprinzip steht. Der Bundesrat unterstreicht die Forderung aus seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2005 (BR-Drucksache 286/05(B) ), dass die für den Gesetzesvollzug zuständigen Länder über den Bundesrat auch direkt von der Kommission an der Gesetzesfolgenabschätzung von geplanten EU-Maßnahmen beteiligt werden.
- 8. Der Bundesrat bedauert erneut, dass die Kommission in ihrem Rechtsetzungsbericht 2005 keine nähere Konkretisierung der in Artikel 5 Abs. 2 EGV festgelegten Kriterien für die Prüfung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips aufstellt. Es ist in diesem Zusammenhang völlig unverständlich, dass die Kommission zwar die Notwendigkeit erkennt, ein gemeinsames Verständnis des Begriffs "Subsidiaritätsprinzip" zu entwickeln, sie sich jedoch kontinuierlich weigert, einen einheitlichen Prüfbogen für eine angemessene Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung auszuarbeiten und konsequent anzuwenden. Ohne dieses vom Bundesrat immer wieder angemahnte "Prüfraster" ist der substanzielle Gehalt der Subsidiaritätsprüfung nicht zu erkennen und es bleibt unklar, in welcher Weise die Kommission dem Subsidiaritätsgedanken gerecht geworden ist. Die immer wiederkehrenden Formulierungen zur Subsidiaritätsprüfung können hierfür keinen Ersatz bieten.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass der EuGH bislang keine EU-Maßnahme wegen Verletzung des Subsidiaritätsgrundsatzes aufgehoben hat. Eine effektivere Anwendung des Subsidiaritätsprinzips anhand einer verstärkten Orientierung an standardisierten und objektiven Kriterien könnte auch die gerichtliche Überprüfbarkeit eines Rechtsaktes am Maßstab des Subsidiaritätsgrundsatzes erleichtern. Solange der EuGH seine gerichtliche Kontrolle nur auf Evidenzfälle beschränkt und damit de facto die gerichtliche Überprüfbarkeit des Grundsatzes stark verengt, besteht die Gefahr, dass Anreize zur Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes gering bleiben werden.
- 10. Der Bundesrat bedauert, dass mit dem negativen Ausgang der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden die Einführung der im Vertrag über eine Verfassung für Europa vorgesehenen neuen Verfahrensrechte für die nationalen Parlamente in Form der Subsidiaritätsrüge und Subsidiaritätsklage auf unbestimmte Zeit verzögert wurde. Der Bundesrat setzt sich jedoch unabhängig vom weiteren Schicksal des Verfassungsvertrages für eine Einführung des dort vorgesehenen Subsidiaritätsfrühwarnsystems ein. Die in der Zwischenzeit von der Kommission praktizierte direkte Zuleitung aller neuen Vorschläge und Konsultationspapiere an die nationalen Parlamente ist als erster Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen; dies kann jedoch nicht die im Verfassungsvertrag vorgesehenen Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips ersetzen.
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme der Kommission.