Der Bundesrat hat in seiner 814. Sitzung am 23. September 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Initiative der Kommission zur Kenntnis, die Umsetzung des europäischen Pakts für die Jugend zu konkretisieren, der von den Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat in Brüssel am 22. und 23. März 2005 als eines der Instrumente zur Verwirklichung der Lissabonner Ziele angenommen wurde. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass der demografische Wandel zu den politischen Herausforderungen der kommenden Jahre gehört (siehe auch die Stellungnahme des Bundesrates zum Grünbuch "Angesichts des demografischen Wandels - eine neue Solidarität zwischen den Generationen", BR-Drucksache 213/05(B) vom 08. Juli 2005). Der Bundesrat unterstreicht ebenfalls die Notwendigkeit der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Reduzierung des Armutsrisikos.
- 2. Der Bundesrat hätte es vorgezogen, wenn der Europäische Pakt für die Jugend innerhalb der integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung (2005 bis 2008) als eigene Leitlinie aufgenommen worden wäre. Denn es ist eine Tatsache, dass die Gestaltung der Zukunft Europas zunehmend von der Fähigkeit abhängt, eine jugend- und kinderfreundliche Gesellschaft zu schaffen.
- 3. Der Bundesrat unterstützt die drei Aktionsbereiche des Europäischen Pakts für die Jugend:
- - Beschäftigung, Integration, Sozialer Aufstieg,
- - allgemeine und berufliche Bildung, Mobilität,
- - Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben.
Der Bundesrat betont die Notwendigkeit, dass junge Menschen, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind, unverzüglich in Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit vermittelt werden. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass Maßnahmen zugunsten der Jugendlichen im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten innerhalb schon bestehender Strategien umgesetzt werden sollen und dass auf die Schaffung neuer Prozesse verzichtet werden muss.
- 7. Der Bundesrat weist darauf hin und unterstreicht, dass der Bildungsbereich ein eigenständiger Politikbereich ist. Der Kompetenzrahmen für die allgemeine und berufliche Bildung (Artikel 149, 150 EGV) sagt aus, dass die Mitgliedstaaten - in Deutschland die Länder - über Bildungsangelegenheiten befinden. Jegliche Harmonisierung der Bildungssysteme ist ausgeschlossen. Aus diesem Grund sind Maßnahmen in Form von Vorgaben - insbesondere auch im Rahmen beschäftigungspolitischer Maßnahmen - in Bezug auf die Bereiche der allgemeinen und beruflichen Bildung abzulehnen.
- 8. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den unter Punkt 2.2.2 genannten "Maßnahmen zugunsten von allgemeiner und beruflicher Bildung und Mobilität" nicht um "Benchmarks" handelt, sondern nach dem Beschluss des Bildungsministerrates vom 5. Mai 2003 um europäische Durchschnittsbezugswerte, die keine Festlegung einzelstaatlicher Ziele enthalten und keine Entscheidungen vorgeben, die von den jeweiligen Regierungen getroffen werden müssen.
- 6. Der Bundesrat wiederholt, dass in den Bereichen außerhalb der Legislativkompetenz der EU (z.B. Bildung, Jugend) die "Offene Methode der Koordinierung" nicht dazu führen darf, dass konkrete Maßnahmen und Handlungsanweisungen unter Verletzung der vertraglichen Kompetenzordnung und des Subsidiaritätsprinzips aufgestellt werden dürfen, sondern dass es insoweit nur um einen Erfahrungs- und Informationsaustausch sowie die Identifizierung von Best-Practices gehen kann - vgl. BR-Drucksache 917/04(B) , BR-Drucksache 1 066/01(Beschluss) -. Dies gilt auch für die Erziehung zu Unternehmergeist und die Entwicklung der Lernfähigkeit.
- 7. Der Bundesrat stellt außerdem fest, dass entsprechend dem europäischen Subsidiaritätsgedanken die Kinder- und Jugendpolitik in erster Linie nationale Politik ist und gemäß dem verfassungsrechtlich abgesicherten Prinzip des Föderalismus vorrangig Aufgabe der Länder und Kommunen bleiben muss.
- 8. Der Bundesrat hebt die Bedeutung des nichtformalen und informellen Lernens für die Entwicklung der Jugendlichen hervor. Hier bieten z.B. die Freiwilligendienste wesentliche Erfahrungsfelder. Der Bundesrat betont, dass auch diese Formen des Lernens im Rahmen der Zuständigkeiten der Gemeinschaft aufzugreifen sind. Das betrifft auch eine mögliche Anerkennung der nichtformalen oder informellen Bildung.
- 9. In Bezug auf die Anerkennung der nichtformalen und informellen Bildung wird auch darauf hingewiesen, dass sich die vorgeschlagenen Maßnahmen in die Gemeinschaftsinitiative zum Qualifikationsrahmen einfügen müssen. Der laufende Konsultationsprozess und die nachfolgende Entscheidung im Bildungsministerrat bleiben abzuwarten.
- 10. Der Bundesrat stellt fest, dass Länder und Kommunen bereits große Anstrengungen unternehmen, um eine weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzubringen. Dabei tragen die Länder gemeinsam mit den Kommunen die finanzielle Hauptlast der Finanzierung der Tagesbetreuung für Kinder. Dabei steht für Länder und Kommunen nicht nur die quantitative, sondern vor allem auch die qualitative Weiterentwicklung der Betreuungs- und Bildungsangebote im Brennpunkt des Handelns. Der Bundesrat stellt fest, dass alle Beteiligten gefordert sind, die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben, insbesondere auch durch die Entwicklung innovativer Modelle für die Arbeitsorganisation, zu unterstützen.
- 11. Der Bundesrat begrüßt die Aufnahme der jugendpolitischen Dimension in andere Politikbereiche. Zur Verstärkung der Berücksichtigung der Jugend im Rahmen der Lissabon-Strategie hält es der Bundesrat für richtig, sich hierbei zunächst auf die Politikbereiche des Europäischen Pakts für die Jugend zu konzentrieren.
- 12. Der Bundesrat erkennt an, dass Jugendliche als Zielgruppe ausdrücklich in Programmen zu nennen sind. Dies ist insbesondere in den Strukturfonds zu thematisieren.
- 13. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Partizipation Jugendlicher und ihrer Organisationen sicherzustellen ist, und erkennt an, dass der unmittelbare Dialog eine wertvolle Ergänzung zum Sozialdialog darstellt.
- 14. Der Bundesrat stellt fest, dass das Antrags- und Prüfungsverfahren der europäischen Förderprogramme im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und im Bereich der beruflichen Bildung äußerst komplex und kompliziert geregelt ist. Dies führt immer wieder dazu, dass engagierte Träger, die rechtzeitig vollständige und qualifizierte Förderungsanträge einreichen, unzumutbar lange auf endgültige Entscheidungen und Auszahlung der Mittel warten müssen. Nur den unter Schwierigkeiten und Inkaufnahme von Liquiditätsengpässen erbrachten Vorleistungen dieser Träger ist es zu verdanken, dass bisher wichtige Maßnahmen realisiert werden konnten. Das ist ineffektiv und kann nicht so bleiben. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich dafür einzusetzen, das Bewilligungsverfahren von zentral durch die Kommission geförderten Anträgen aus den Programmen neu zu gestalten, insbesondere dafür einzutreten, dass diese transparenter und weniger bürokratisch abgewickelt werden. Es muss gewährleistet sein, dass Fördermittel so rechtzeitig an die Träger überwiesen werden, dass Liquiditätsprobleme auf Grund noch nicht ausgezahlter Fördermittel zukünftig ausgeschlossen werden können. Die Kofinanzierungsmöglichkeit europäischer Förderprogramme durch private Mittel muss erleichtert werden.
- 15. Der Bundesrat betont, dass für aus dem EFRE und dem ESF zu fördernde Programme und Projekte für Jugendliche die Kofinanzierung aus privaten Mitteln unabdingbar bleibt. Projekte, die beispielsweise wie von der Kommission dargelegt, die Förderung der Berufsbildung und -ausbildung einschließlich der Lehrlingsförderung verbessern sollen, können ohne die private Kofinanzierung von EU-Mitteln nicht realisiert werden. Die bisher vorhandenen Möglichkeiten zur Nutzung privater Mittel müssen deshalb auch in der künftigen Strukturfondsförderung erhalten bleiben, um die angestrebten Ziele erreichen zu können.
- 16. Der Bundesrat ist davon überzeugt, dass nur eine jugend- und kinderfreundliche Gesellschaft die Zukunft sichern kann. Jede Ebene hat dazu ihren Beitrag zu leisten. In diesem Sinne wird der Bundesrat die Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend weiterhin konstruktiv begleiten und die europäische Ebene im Rahmen ihrer Zuständigkeiten unterstützen.