Der Bundesrat hat in seiner 972. Sitzung am 23. November 2018 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates zu Transparenz und klaren Regeln auf digitalen Märkten
- 1. Der Bundesrat hat mit Sorge die in den letzten Jahren immer wieder aufgetretenen Skandale im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Informationen, insbesondere im Kontext sozialer Netzwerke, verfolgt. Dies gipfelte bislang darin, dass Daten von bis zu 87 Millionen Nutzerinnen und Nutzern von Facebook unzulässig mit der britischen Datenanalysefirma Cambridge Analytica geteilt wurden. Auch die Verbreitung erdichteter oder unzutreffender Informationen sowie die zum Teil damit verbundene gezielte Beeinflussung gesellschaftlicher und politischer Willensbildungsprozesse stellen digitale Plattformen sowie deren Nutzerinnen und Nutzer immer wieder vor neue Herausforderungen. Neben Verletzungen der Privatsphäre, des Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung werden hierbei auch zunehmend demokratische Grundprinzipien in Frage gestellt. Dies verdeutlicht, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
- 2. Der Bundesrat hält es dringend für erforderlich, dass umgehend eine Kennzeichnungspflicht für sogenannte Social Bots geregelt wird. Für die Nutzerinnen und Nutzer muss stets erkennbar sein, welche Nachrichten von Menschen und welche von Maschinen kommen.
- 3. Für Nutzerinnen und Nutzer digitaler Plattformen muss es leichter werden, Verstöße zu erkennen und zu verfolgen. Der Bundesrat begrüßt daher die auf Initiative der Bundesregierung geschaffenen rechtlichen Voraussetzungen für Musterfeststellungsklagen.
- 4. Auch bei großer Marktmacht von Unternehmen muss die Einhaltung des geltenden Rechts gewährleistet sein. Es darf nicht zur gängigen Praxis werden, Verstöße nur dann nicht zu begehen, wenn eine mögliche Sanktionierung den erwarteten Gewinn übersteigt. Zur Vermeidung von Marktmachtmissbrauch ist deshalb eine stringentere Regulierung, Aufsicht und Kontrolle von Daten-Plattformen auf Basis nationaler und europäischer Vorschriften zu prüfen und umzusetzen.
- 5. Der Bundesrat fordert ausdrücklich eine Nutzungsvariante der marktbeherrschenden sozialen Netzwerke die anonymisiert, besonders datensparsam ausgestaltet ist oder auf personenbezogene Daten ganz verzichtet. Der Bundesrat empfiehlt der Daten-Ethikkommission des Bundes, vorrangig zu prüfen:
- a) ob die Regelungen zur Verpflichtung eines hohen Daten-Sicherheitsniveaus auch für Datenplattformen ausreichen oder verbessert werden müssen,
- b) ob Transparenzvorschriften und Informationsverpflichtungen ausreichen oder verbessert werden müssen,
- c) wie die Regulierung insbesondere sozialer Netzwerke verbessert werden kann,
- d) ob ein analog zu Medienunternehmen stattfindendes Zulassungsverfahren für soziale Netzwerke geeignet und verhältnismäßig wäre,
- e) wie nachhaltiger Wettbewerb im Bereich der Datenplattformen angereizt werden kann und ob Vorschriften der Interoperabilität, Kompatibilität sowie Öffnung bislang geschlossener Netzwerke hierbei zielführend sind. Hierzu soll insbesondere auch die Portierbarkeit persönlicher Daten aus sozialen Netzwerken geprüft werden, also der Ansatz von "Data Liberation", und hierfür entsprechende Umsetzungsvorschläge vorzulegen.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass bei gesetzgebenden und administrativen Maßnahmen, die sich an Anbieter von Informations- und Kommunikationsdiensten, Medienplattformen, Medienintermediäre oder Benutzeroberflächen richten, Länderkompetenzen zu wahren sind.
Begründung:
Wiederkehrende Skandale machen deutlich, dass über die bereits ergriffenen Maßnahmen hinaus weitere Maßnahmen erforderlich sind, um datengetriebene Märkte nachhaltig aufzustellen, fairen Wettbewerb zu etablieren und Spielregeln umzusetzen, die das Vertrauen der Endnutzer in digitale Dienste rechtfertigen und dazu beitragen, dass digitale Dienste im Sinne der Demokratie genutzt werden. Hierzu haben unter anderem das Weißbuch Digitale Plattformen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie die Länderarbeitsgruppe "Social Bots" Regelungsbedarfe erarbeitet.
Die Länderarbeitsgruppe Social Bots empfiehlt unter anderem eine bußgeldbewehrte Kennzeichnungspflicht für Social Bots und die Kennzeichnung von Beiträgen, die von Social Bots erstellt wurden, insbesondere durch entsprechende Regelungen im Telemediengesetz und auf unionsrechtlicher Ebene. Die Umsetzung möglicher Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag wurde bereits angekündigt.
Wichtige Grundlagen wie die Definition von sozialen Netzwerken als elektronische Kommunikation mit den entsprechenden Rechtsfolgen werden bereits durch den Kodex für elektronische Kommunikation (EECC) sowie die E-Privacy-Verordnung geschaffen. Auf die Problematik, die durch unklare Definitionen insbesondere im Bereich der Messengerdienste entsteht, hatte der Bundesrat bereits in seinem Beschluss unter der BR-Drucksache 088/16 (PDF) hingewiesen (Entschließung des Bundesrates zur Anpassung des Rechtsrahmens an das Zeitalter der Digitalisierung im Telekommunikationsbereich - Rechtssicherheit bei Messengerdiensten, standortbezogenen Diensten und anderen neuen Geschäftsmodellen).
Neben der Anpassung der Regelsetzung an die Bedarfe der Dynamik der digitalen Technologie müssen auch Umsetzung und Sanktionierung verbessert werden. Dabei ist besonderes Augenmerk auf die durch Netzwerkeffekte sich verstärkende Marktmacht insbesondere von Datenplattformen zu richten, wodurch eine Umsetzung bestehender Regeln erschwert wird. Das Weißbuch Digitale Plattformen des BMWi weist darauf hin, dass eine Eingriffsmöglichkeit gegen wettbewerbswidriges Verhalten auch bestehen sollte, ohne dass zwingend Marktbeherrschung festgestellt werden muss. Zur Etablierung fairer Konkurrenz gehört es auch, inkompatible Insellösungen, Diskriminierungen von Kunden bzw. Wettbewerbern sowie wettbewerbsschädliche Lock-In-Praktiken zu unterbinden.
Digitale Technologien durchdringen Märkte und Lebensbereiche mit innovativen Ansätzen mit rasanter Schnelligkeit. Während zu Beginn dieser Durchdringung eine zurückhaltende Regulierung erfolgte, um die Entfaltung der erheblichen Innovationspotenziale nicht zu behindern, ist es nun sowohl aus gesellschaftlicher als auch aus ökonomischer Sicht erforderlich, klare Spielregeln festzulegen und umzusetzen, um die Zukunft einer digitalen Gesellschaft und Wirtschaft stabil, sicher und nachhaltig zu gestalten. Aufgrund der Differenziertheit und Heterogenität der Thematik auf der einen Seite und ihrer großen gesellschaftlichen Bedeutung auf der anderen Seite ist aus Sicht des Bundesrates deshalb die rasche Befassung der Daten-Ethikkommission des Bundes mit den genannten Fragestellungen erforderlich.