Der Deutsche Bundestag hat in seiner 195. Sitzung am 27. September 2012 zu dem von ihm verabschiedeten Gesetz zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften - Drucksachen 17/8233, 17/10857 - den beigefügten Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 17/10859 angenommen.
Deutscher Bundestag
Drucksache 17/10859
17. Wahlperiode 26.09.2012
Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/8233, 17/10857 -
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
- 1. Die Liberalisierung des Fernbuslinienverkehrs im Zuge der Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes schafft die Voraussetzungen für ein neues Mobilitätsangebot im Fernverkehr. Verbunden damit ist die Erwartung, dass Fernlinienbusse ein zusätzliches Angebot insbesondere für preissensible Reisende sind und auch in bisher schlecht angebundenen Regionen das Verkehrsangebot verbessern, ohne bestehende Regionalverkehrsverbindungen auf der Schiene zu gefährden.
Im Wettbewerb um den neuen Markt sehen etablierte Verkehrsunternehmen, darunter auch kleine und mittelständische Busunternehmen, ebenso ihre Chancen wie junge Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen.
Sichere Fahrzeuge, eine gute Aus- und Fortbildung der Fahrerinnen und Fahrer, gute Arbeitsbedingungen und die konsequente Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten sind wichtige Voraussetzungen für ein Angebot, das grundlegenden Anforderungen an die Sicherheit genügt. Alle Unternehmer müssen ihrer Verantwortung dafür gerecht werden. Die Konkurrenz um Fahrgäste darf nicht zu Lasten der Arbeits- und Sozialbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer gehen, die zudem durch steigende Verkehrsaufkommen starken Belastungen an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind;
- 2. Die ins deutsche Recht übernommene UN-Behindertenrechtskonvention gibt auf, künftig für Menschen mit und ohne Behinderung gleichwertige Bedingungen in allen Lebensbereichen zu schaffen; dies schließt das Ziel ein, die gleichwertige Nutzung des öffentlichen Verkehrsraums und allgemein zugänglicher Verkehrsangebote zu ermöglichen.
Auch für Menschen mit Behinderungen soll durch die Liberalisierung des Fernbuslinienverkehrs in Deutschland ein verbessertes Mobilitätsangebot geschaffen werden. Begrüßt wird deshalb die Neuregelung im Personenbeförderungsgesetz, die im Fernlinienbusverkehr fahrzeugseitig die Beförderung von mobilitätseingeschränkten Fahrgästen, einschließlich von Rollstuhlnutzern,
uneingeschränkt ermöglicht. Durch Verweis auf international geltende Vorschriften der EU bzw. der UN-ECE wird sichergestellt, dass für Busse der Klasse III (sog. Reisebusse) auf breiter Basis abgestimmte Bauvorschriften zur Anwendung kommen, etwa bei Rückhaltesystemen für Rollstühle und beim Zugang zu den Stellplätzen für Rollstuhlnutzer durch vorgegebene Freiräume und Einsteighilfen (Hublifte).
Damit sich Hersteller und Unternehmen rechtzeitig darauf einstellen können, sollen angemessene Übergangsfristen gelten. Die Neuregelung soll ab dem 1. Januar 2016 für neue Omnibusse und nach Ablauf des 31. Dezember 2019 für alle Omnibusse gelten, die im Personenfernverkehr eingesetzt werden. Die Hersteller von Kraftomnibussen sind aufgefordert, konstruktive Möglichkeiten zu prüfen und ggf. umzusetzen, damit bei Beförderungen ohne Rollstuhlnutzer die für deren Beförderung vorgesehenen Räume durch andere Fahrgäste genutzt werden können.
Die Neuregelung gilt nicht für Reisebusse, die im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes eingesetzt werden. Es ist daher anzustreben, dass auch in diesen Fällen harmonisierte Vorschriften über die Barrierefreiheit im Fernbuslinienverkehr zur Anwendung kommen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- 1. im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel anzustreben, dass dem Bundesamt für Güterverkehr eine dem zu erwartenden höheren Verkehrsaufkommen durch neue Fernbuslinien und dem damit auch in seiner Zuständigkeit erhöhten Kontrollbedarf angepasste Personalausstattung zur Verfügung steht, und dadurch im Zusammenwirken mit den zuständigen Landesbehörden flächendeckend zu gewährleisten, dass eine effektive Kontrolle der Einhaltung verkehrs- und genehmigungsrechtlicher Vorschriften, der Lenk- und Ruhezeiten und der technischen Sicherheit im Buslinienfernverkehr erfolgt;
- 2. die Auswirkungen der Liberalisierung des Fernbuslinienverkehrs insbesondere auch mit Blick auf die Arbeits- und Sozialbedingungen des Fahrpersonals zu beobachten und dem Bundestag zum 1. Januar 2017 darüber einen Bericht vorzulegen;
- 3. zeitnah zu prüfen, ob auf EU-Ebene Regelungen geschaffen oder verbessert werden sollen, die einen europaweit einheitlichen barrierefreien Fernbuslinienverkehr gewährleisten. Dabei sind die Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsformen und Mobilitätsbeeinträchtigungen zu beachten und insbesondere die Zugänglichkeit für Rollstuhlnutzer und die ausreichende Anzahl von Stellplätzen für diese Personengruppe zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang sind die technischen Grenzen ebenso wie die entstehenden Kosten zu berücksichtigen;
- 4. dafür Sorge zu tragen, dass alle Beteiligten in diese Prüfung einbezogen werden, Menschen mit Behinderung und ihre Verbände ebenso wie Beförderer und ihre Verbände, und dass dabei sowohl die Belange der Menschen mit Behinderungen als auch die für die Verkehrsunternehmen entstehenden Kosten ausgewogen berücksichtigt werden;
- 5. je nach Ergebnis der Prüfung nach Ziffer 3. die Initiative für eine Änderung der betreffenden europäischen Regelungen zu ergreifen und dabei angemessene Übergangsfristen für Busse im Bestand einzubeziehen;
- 6. dem Deutschen Bundestag in jeder Legislaturperiode einen Bericht zum Stand und Fortschritt der Verhandlungen über einen barrierefreien Fernbuslinienverkehr auf EU-Ebene vorzulegen; erstmalig innerhalb von zwei Jahren nach der Abstimmung über diesen Entschließungsantrag.
Berlin, den 26. September 2012
Volker Kauder,
Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion
Renate Künast,
Jürgen Trittin und Fraktion
Begründung:
Den Sozialvorschriften für die Fahrerinnen und Fahrer kommt - neben der technischen Sicherheit der Fahrzeuge - eine große Bedeutung zu. Sie tragen entscheidend zum Arbeitsschutz und zur Verkehrssicherheit bei und vermeiden Wettbewerbsverzerrungen. Insbesondere die Lenk- und Ruhezeiten, die nach der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 in innerdeutschen wie auch im grenzüberschreitenden Verkehr zwingend gelten, müssen eingehalten werden. Die Nichtbeachtung dieser Vorschriften gefährdet Fahrer und Fahrerinnen, Fahrgäste und andere Verkehrsteilnehmer und -teilnehmerinnen. Damit Verstöße konsequent geahndet werden können, muss im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeit nicht nur durch Länderbehörden, sondern auch durch das Bundesamt für Güterverkehr eine effektive Kontrolle gewährleistet sein.
In Anhang VII der Richtlinie 2001/85/EG sind einheitliche technische Anforderungen für Fahrzeuge festgelegt, um Fahrgästen mit eingeschränkter Mobilität und Rollstuhlnutzern einen Zugang sowie eine sichere Beförderung zu ermöglichen. Diese Anforderungen sind allerdings nur für Busse der Klasse I (Stadtbusse) obligatorisch. Die Anforderungen für Busse der Klasse II (sog. Überlandlinienbusse) oder Klasse III (sog. Reisebusse) können von den Mitgliedstaaten für ihr Hoheitsgebiet selbst festgelegt werden, müssen aber mindestens die Bestimmungen in Anhang VII der Richtlinie 2001/85/EG erfüllen (Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie).
Allerdings besteht weiterer Prüfungs- und Abstimmungsbedarf. So muss zum einen untersucht werden, ob nicht anstelle der derzeitigen fakultativen EU-Regelung für Fernlinienbusse eine EU-weite verbindliche Regelung der technischen Anforderungen für Fernlinienbusse notwendig ist, um Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Busverkehr zu vermeiden. Zum anderen ist zu prüfen, ob die derzeitigen technischen Anforderungen für Fernlinienbusse ausreichend sind, um Barrierefreiheit zu gewährleisten. So stellt sich gerade im Fernlinienbusverkehr die Frage nach der Bereitstellung einer rollstuhlgeeigneten Toilette, ebenso die Frage nach der für erforderlich und angemessen gehaltenen Anzahl von Rollstuhlplätzen.
Bei dem marktorientierten Verkehrsangebot im Fernbuslinienverkehr setzt ein Vorankommen auf dem Weg zur weitmöglichen Barrierefreiheit außerdem ein intensives Zusammenwirken zwischen den Menschen mit Behinderung - insbesondere mit denen mit einer körperlichen Behinderung - und ihren Verbänden mit den Verkehrsunternehmen und ihren Verbänden voraus.
Dabei sind die Anforderungen an die Barrierefreiheit im Fernbuslinienverkehr im Zusammenhang mit der Reiseweite zu betrachten. Der europäische Gesetzgeber hat diese Unterscheidung ebenfalls getroffen: In der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 über Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr ist vorgesehen, dass bestimmte Ansprüche - so die auf umfängliche kostenlose Erbringung von Hilfeleistungen für behinderte Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität - erst ab einer planmäßigen Wegstrecke von 250 km gelten sollen. Damit soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden. Denn die Gewährleistung der Hilfestellungen für mobilitätseingeschränkte Reisende erfordert erhebliche Investitionen und verursacht laufende Kosten z.B. für das Vorhalten von Personal "rund um die Uhr" zur Hilfeleistung beim Ein-, Aus- und Umsteigen. Das kann nicht an jeder Haltestelle sondern nur an zuvor benannten Busbahnhöfen dargestellt werden, zumal die Hilfeleistungen nach der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 unentgeltlich zu erbringen sind. Der europäische Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass gerade keine zusätzlichen Investitionen in Fahrzeuge oder Infrastruktur verlangt werden. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht anderenfalls drohender Wettbewerbsverzerrung ist es daher dringend geboten, eine EU-einheitliche Weiterentwicklung anzustreben.