890. Sitzung des Bundesrates am 25. November 2011
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich, dass die Kommission mit dem Entwurf der Richtlinie einen Vorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa vorgelegt hat. In Übereinstimmung mit der Kommission ist der Bundesrat der Auffassung, dass der Finanzsektor, der bei der Auslösung der Finanz- und Wirtschaftskrise eine wesentliche Rolle gespielt hat, an den Kosten zur Bewältigung der Krise beteiligt und in Zukunft gegenüber anderen Wirtschaftszweigen angemessen besteuert werden sollte. Darüber hinaus kann eine Finanztransaktionssteuer - neben regulatorischen Maßnahmen - dafür sorgen, gesamtwirtschaftlich unerwünschtes Verhalten der Finanzmarktteilnehmer einzudämmen und damit zur Stabilisierung der Finanzmärkte beizutragen.
- 2. Der Bundesrat unterstützt die Kommission in ihrer Zielsetzung, die Finanztransaktionssteuer EU-weit einzuführen.
- 3. Der Bundesrat teilt die Intention des vorliegenden Richtlinienvorschlags, die Steuern der Mitgliedstaaten auf Finanztransaktionen zu harmonisieren, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten.
- 4. Der Vorschlag sieht vor, dass die Mitgliedstaaten - oberhalb bestimmter Mindeststeuersätze - über Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Steuersätze verfügen sollen. Dies würde jedoch dem Ziel der Harmonisierung und der Absicht widersprechen, einen Steuerwettbewerb innerhalb der EU zu vermeiden. Der Bundesrat hält es für erforderlich, bei den weiteren Beratungen auf die Festlegung einheitlicher Sätze hinzuwirken.
- 5. Die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer müssen in jedem Fall den Mitgliedstaaten zufließen. Eine Vereinnahmung durch die EU als neue Einnahmequelle lehnt der Bundesrat entschieden ab.
- 6. Der Bundesrat fordert Kommission und Bundesregierung dazu auf, die noch offenen Fragen der Ausgestaltung einer Finanztransaktionssteuer zu klären. Dabei geht es insbesondere darum, dass die Steuer eine beherrschbare Komplexität aufweist und möglichst unanfällig für Gestaltungen ist. Klärungsbedarf besteht nach Auffassung des Bundesrates in dieser Hinsicht insbesondere in folgenden Punkten:
- - Der Bundesrat bittet darauf hinzuwirken, dass der Kreis der von der Finanztransaktionssteuer erfassten Finanzinstrumente auf Folgerichtigkeit überprüft wird. Eine unterschiedliche Belastung vergleichbarer Anlageprodukte sollte vermieden werden, soweit nicht die allokative Zielsetzung der Steuer eine solche gerade bezweckt. - Der Bundesrat ist der Auffassung, dass nach Möglichkeit auf bereits unionsrechtlich bestehende Begriffe (z.B. in der Bankenrichtlinie - Richtlinie 2006/48/EG) zurückgegriffen werden sollte. Die in Artikel 2 Absatz 2 vorgesehene Ermächtigung der Kommission zum Erlass von Durchführungsbestimmungen könnte damit entfallen und dem Subsidiaritätsgrundsatz auf diese Weise Rechnung getragen werden.
- - Artikel 3 des Richtlinienvorschlags zielt im Ergebnis darauf ab, auch Finanztransaktionen durch im Drittland ansässige Institute in der EU zu besteuern, wenn der Auftraggeber in der EU ansässig ist (Weltprinzip). Die flächendeckende Steuerbarkeit einer Finanztransaktion mit einer Vertragspartei in der EU wäre auf diesem Weg zwar weitgehend sichergestellt, aber es bedarf noch der näheren Prüfung, wie ein gleichmäßiger Steuervollzug auch im Verhältnis zu in der EU nichtansässigen Finanzinstituten sichergestellt werden kann.
- - Nach Artikel 9 schuldet jedes Finanzinstitut die Finanztransaktionssteuer. Eine Aufteilung der zu entrichtenden Steuer zwischen Transaktionsparteien ist bisher nicht vorgesehen. Demnach fiele nach dem Richtlinienvorschlag bei Transaktionen, an denen zwei Finanzinstitute beteiligt sind, die Finanztransaktionssteuer doppelt an. Ist dagegen nur eine Transaktionspartei ein Finanzinstitut, so wäre die Steuer nur einmal zu entrichten. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus dem Besteuerungskonzept, wenn andere Staaten (z.B. die Umsatzabgabe in der Schweiz) ähnliche Finanztransaktionssteuern erheben. Vor diesem Hintergrund hält es der Bundesrat für erforderlich, in den weiteren Beratungen darauf hinzuwirken, dass das Besteuerungskonzept im Richtlinienvorschlag in sich schlüssiger und ohne strukturelle Mehrfachbelastungen ausgestaltet wird.
- - Die Schuldenaufnahme der öffentlichen Haushalte erfolgt gegenwärtig überwiegend durch die Emission von Anleihen und somit durch Primärtransaktionen, die laut dem Richtlinienvorschlag nicht steuerpflichtig sein sollen. Darüber hinaus nutzt die öffentliche Hand derzeit im Interesse einer wirtschaftlichen Haushaltsführung - vor allem zur Absicherung von Zinsänderungsrisiken oder durch Teilnahme an Sekundärmärkten und zur Vorsorge für künftige Haushaltsbelastungen - auch andere Finanzinstrumente, die nach dem Vorschlag unter die Steuer fallen sollen. Vor diesem Hintergrund spricht sich der Bundesrat dafür aus, dass auch Transaktionen mit den Schulden- und Liquiditätsverwaltungen oder Sondervermögen der Mitgliedstaaten und der jeweiligen staatlichen Ebenen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden. Darüber hinaus sollten nicht nur die EFSF, sondern auch nationale Fazilitäten, die zur Vermeidung von Finanzmarktkrisen bzw. zur Bankenrettung aufgelegt wurden, ausgenommen werden.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass die Förderbanken der Länder gleichbehandelt werden mit der vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommenen Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
- 8. Nach Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags soll die Richtlinie u.a. nicht für Transaktionen der EIB gelten. Für die KfW ergibt sich dies aus Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 7 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags. Im Gegensatz zu diesen Instituten ist für die Förderinstitute der Länder eine Ausnahme vom Geltungsbereich der Richtlinie nicht vorgesehen. Hierfür ist kein sachlicher Grund erkennbar. Die mit der Finanztransaktionssteuer verfolgte Lenkungswirkung und auch das Ziel, Finanzinstitute angemessen an den Kosten der jüngsten Krise beteiligen zu wollen, treffen auf die Förderinstitute der Länder nicht zu. Ebenso wie die zuvor genannten Institute sind die Landesförderinstitute nicht in den Geschäftsbereichen tätig, die für das Entstehen der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise ursächlich waren. Ihnen obliegt vielmehr die monetäre Ausführung von öffentlichem Fördergeschäft. Daher sind auch Förderinstitute der Länder - sowohl selbstständige als auch unselbstständige - aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herauszunehmen.
- 9. Nach Artikel 11 Absatz 1 ergreifen die Mitgliedstaaten eigenständig Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch. Nach Absatz 2 soll die Kommission allerdings Durchführungsbestimmungen erlassen, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten ergreifen sollen. Der Bundesrat hält es vor diesem Hintergrund für erforderlich, sich dafür einzusetzen, dass Artikel 11 Absatz 2 sowie Artikel 13 insoweit gestrichen werden.
- 10. Der Bundesrat begrüßt das Ziel des Richtlinienvorschlags, Anreizregelungen zu schaffen, durch die Transaktionen unterbunden werden, die der Effizienz der Finanzmärkte nicht förderlich sind, um damit die regulatorischen Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Krisen zu ergänzen.
Der dabei verfolgte Ansatz, Transaktionen mit Finanzinstrumenten aller Art zu erfassen, die auf dem Kapitalmarkt handelbar sind, und hierbei nicht nur den Handel in organisierten Märkten, wie den regulierten Märkten und den multilateralen Handelssystemen, sondern auch den außerbörslichen Handel einzubeziehen, wird hierbei als sachgerecht erachtet.
Ausweislich der Zielrichtung des Richtlinienvorschlags soll sich die Besteuerung dabei auf den Finanzsektor und nicht auf die Bürger konzentrieren. Daher sieht der Richtlinienvorschlag vor, sämtliche Finanztransaktionen zu erfassen, die von Finanzinstituten durchgeführt werden, d.h., alle Käufe und Verkäufe, unabhängig davon, ob die Finanzinstitute in eigenem oder fremdem Namen, für eigene oder für fremde Rechnung handeln.
Mit dieser unterschiedslosen Behandlung der Finanztransaktionen werden jedoch auch Finanzintermediäre an regulierten Märkten (Börsen), wie Skontroführer oder Liquiditätsspender (sog. Market Specialists oder Market Maker) belastet, die sich verpflichten, bei Privatkundenaufträgen bis zu einem bestimmten Volumen selbst die erforderliche Liquidität bereitzustellen, um den Auftrag zur Ausführung zu bringen, ohne dass dem ein wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht.
Der Besteuerung unterliegen damit sowohl die von den Banken im Kundenauftrag an die Börse geleiteten Aufträge als auch die zur Ausführung getätigten Geschäfte der Finanzintermediäre; diese haben - anders als die den Kundenauftrag an die Börse leitenden Banken - schon aufgrund des Wettbewerbs unter den regulierten Märkten um Privatkundenaufträge eher nicht die Möglichkeit, die Belastung durch die Finanztransaktionssteuer an ihre Kunden, sprich die Banken, weiterzugeben. Wenn sie die steuerliche Belastung selbst tragen müssten, würde sich dieses Geschäft betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen.
- 11. Das Geschäftsmodell von Börsen, wie bspw. der Tradegate Exchange in Berlin, das speziell auf die Bedürfnisse von Privatanlegern ausgerichtet ist, wie auch die Gewinnung der dwp-Bank (Wertpapierdienstleister der Sparkassen in Deutschland) und der DZ-Bank (Wertpapierdienstleister der Genossenschaftsbanken) als Handelsteilnehmer zeigt, stünde damit vor dem Aus.
- 12. Für die Privatanleger wäre das Verschwinden der kleineren, ausschließlich auf Privatanlegerinteressen ausgerichteten Börsen, an denen notwendiger- und typischerweise Finanzintermediäre als Liquiditätsspender tätig sind, nachteilig, denn sie müssten für ihre Wertpapieranlagen auf die großen, von professionellen Marktteilnehmern dominierten Handelsplätze ausweichen. Durch die an den großen Handelsplätzen herrschenden Rahmenbedingungen werden diejenigen Privatanleger, die nicht über hochentwickelte technische Systeme und erhebliche finanzielle Möglichkeiten verfügen, systematisch gegenüber professionellen Marktteilnehmern aus dem Finanzsektor benachteiligt.
Im weiteren Rechtssetzungsverfahren sollte daher darauf hingewirkt werden, dass die unterschiedslose Behandlung der Intermediäre an regulierten Märkten zugunsten einer am Zweck der Transaktion orientierten Betrachtungsweise aufgegeben wird und Liquiditätsspender vergleichbar den vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen sogenannten Zentralen Gegenparteien (CCP, s. Artikel 1) behandelt werden.
- 13. Der Bundesrat behält sich vor dem Hintergrund der Bedeutung und des erforderlichen Prüfungs- und Konkretisierungsbedarfs vor, bei Bedarf weitere Stellungnahmen zu diesem Richtlinienvorschlag abzugeben.
- 14. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
Vorlagenbezogene Vertreterbenennung
- 15. Der Bundesrat benennt für die Beratungen der Vorlage in den Gremien des Rates gemäß § 6 Absatz 1 EUZBLG i.V.m. Abschnitt I der Bund-Länder-Vereinbarung eine Vertreterin des Landes Nordrhein-Westfalen, Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU (TB'e Susanne Metzler).
B
- 16. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.