A. Problem und Ziel
Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a der Strafprozessordnung steht nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich dem Richter zu. Die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen dürfen die Maßnahme nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung anordnen.
Dieser einfachgesetzliche Richtervorbehalt ist nicht speziell auf die Entnahme von Blutproben zugeschnitten, sondern gilt generell für die Anordnung zwangsweiser körperlicher Untersuchungen bzw. Eingriffe. Bei Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut entspricht diese Regelung nicht den Erfordernissen effektiver Strafverfolgung.
Die Sicherstellung effektiver Strafverfolgung ist ein wichtiger verfassungsrechtlicher Grundsatz. Eine effektive Strafverfolgung insbesondere von alkoholisierten oder unter Betäubungsmitteleinfluss stehenden Fahrzeugführern erfordert eine möglichst umgehende Entscheidung über die Entnahme einer Blutprobe. Verzögerungen bei der Blutentnahme vermindern wegen des schnellen Abbaus der Alkohol- bzw. Wirkstoffkonzentration im Blut die Genauigkeit der Feststellung. Zeitliche Verzögerungen bei der Blutentnahme können auch durch Rückrechnung nicht kompensiert werden, denn bei jeder Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration auf den Tatzeitpunkt muss zugunsten des Beschuldigten von zwar theoretisch vorkommenden, aber der Realität regelmäßig nicht entsprechenden Abbauwerten ausgegangen werden. Mit der Einholung einer richterlichen Anordnung ist stets eine gewisse zeitliche Verzögerung verbunden, selbst wenn der Richter - was bei Blutprobenentnahmen regelmäßig der Fall ist - ohne Vorlage der Ermittlungsakten allein aufgrund der ihm telefonisch mitgeteilten Informationen des Polizeibeamten vor Ort und des entsprechenden Antrags der Staatsanwaltschaft entscheidet. Die derzeitige Rechtslage kann mithin dazu führen, dass eine Blutalkoholkonzentration angenommen werden muss, die den Straftäter einer Sanktionierung entzieht, oder eine Straftat folgenlos bleibt, weil die Blutalkohol- oder Wirkstoffkonzentration zum Tatzeitpunkt nicht mehr festgestellt werden kann.
Die Beurteilung der Frage, wann und durch wen die Entnahme einer Blutprobe unter dem Gesichtspunkt der Gefahr im Verzug angeordnet werden darf, ist zudem mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Unterschiedliche Auslegungen des Gesetzes haben hier zu Unschärfen und Anwendungsschwierigkeiten geführt, die zur Folge haben können, dass angesichts der Rechtsunsicherheiten von der erforderlichen Anordnung einer Blutprobenentnahme abgesehen wird.
Von unter Alkohol- oder Betäubungsmitteleinfluss stehenden Fahrzeugführern gehen erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs und andere Verkehrsteilnehmer aus. Der Einfluss von berauschenden Mitteln in Form von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten stellt im Straßenverkehr eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle mit schweren Folgen dar. Fahrten unter Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Medikamenteneinfluss müssen deshalb im Interesse der Verkehrssicherheit effektiv geahndet werden können. Das ist nach derzeitiger Rechtslage aus den dargestellten Gründen nicht sicher gewährleistet. Durch die derzeitige Rechtslage wird das zentrale Anliegen des Strafverfahrens in rechtsstaatlich nicht gebotener Weise erschwert.
B. Lösung
Der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen wird jeweils eine eigenständige gleichrangige Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut eingeräumt.
C. Alternativen
Beibehaltung des bisherigen unbefriedigenden Rechtszustandes
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
Vollzugsaufwand
Keiner
E. Sonstige Kosten
Keine
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Neuordnung der Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben
Der Bundesrat hat in seiner 876. Sitzung am 5. November 2010 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung - Neuordnung der Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung
Dem § 8 1a Absatz 2 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, werden folgende Sätze angefügt:
"Einer richterlichen Anordnung bedarf es nicht in den Fällen der §§ 315a und 315c bis 316 des Strafgesetzbuchs, wenn eine Blutprobenentnahme dem Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut dienen soll. § 98 Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend."
Artikel 2
Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten
In § 46 Absatz 4 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 (BGBl. I S. 602), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:
" § 8 1a Absatz 2 Satz 2 und 3 der Strafprozessordnung gilt bei Verkehrsordnungswidrigkeiten nach den § § 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes entsprechend."
Artikel 3
Zitiergebot
Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit ( Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden durch dieses Gesetz eingeschränkt.
Artikel 4
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeiner Teil
Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a der Strafprozessordnung (StPO) steht nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich dem Richter zu; die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen dürfen die Maßnahme nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung anordnen.
Dieses Verhältnis von Regel und Ausnahme entspricht bei der Entnahme von Blutproben zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut nicht den Erfordernissen effektiver Strafverfolgung, da mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung stets eine gewisse zeitliche Verzögerung einhergeht. Eine effektive Strafverfolgung insbesondere von alkoholisierten oder unter Betäubungsmitteleinfluss stehenden Fahrzeugführern erfordert hingegen eine möglichst umgehende Entscheidung über die Entnahme einer Blutprobe. Die Frage, wann und durch wen nach derzeitiger Rechtslage die Entnahme einer Blutprobe unter dem Gesichtspunkt der Gefahr im Verzug angeordnet werden darf, wird in der Rechtsprechung und auch in der Literatur nicht einheitlich beurteilt, was zu erheblichen Unsicherheiten bei der alltäglichen Rechtsanwendung führt. Der Entwurf soll für Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen jeweils eine eigenständige gleichrangige Anordnungskompetenz einräumen und damit zugleich die bestehenden Rechtsunsicherheiten beseitigen.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)
Die vorgesehene Ergänzung des § 81a Absatz 2 StPO führt dazu, dass die Anordnung von Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut nicht mehr dem Richtervorbehalt unterliegt, sondern der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen jeweils eine eigenständige gleichrangige Anordnungskompetenz zusteht. Durch den Verweis auf § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO soll dem Betroffenen zugleich ausdrücklich das Recht eingeräumt werden, eine von der Staatsanwaltschaft oder ihren Ermittlungspersonen angeordnete Blutentnahme nachträglich richterlich überprüfen zu lassen.
Rechtsstaatliche Bedenken bestehen gegen eine solche Regelung nicht. Ein Richtervorbehalt für die Entnahme von Blutproben wird weder durch das Grundgesetz vorgeschrieben, noch ist er aus rechtsstaatlichen Gründen geboten.
Eine dem Richter vorbehaltene Anordnungskompetenz soll eine vorbeugende Kontrolle durch eine unabhängige und neutrale Instanz gewährleisten. Seiner Funktion als vorbeugende Kontrolle wird der Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut nicht gerecht. Eine Vorlage der Ermittlungsakten ist in diesen Fällen in aller Regel aus Zeitgründen nicht möglich, so die richterliche Anordnung allein aufgrund telefonisch mitgeteilter Informationen ergeht. Der für die Anordnung zuständige Richter hat in der Regel weder einen Entscheidungs- noch einen Ermessensspielraum. Werden ihm beispielsweise im Zusammenhang mit einer Trunkenheitsfahrt telefonisch Alkoholgeruch, Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler geschildert, ist die Anordnung einer Blutentnahme unumgänglich. Der Richter wird sich dabei regelmäßig auf die telefonischen Angaben des Polizeibeamten vor Ort verlassen müssen.
Nach alledem bedeutet der Richtervorbehalt in § 8 1a StPO bei Blutentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut kein "Mehr" an Rechtsstaatlichkeit für den Betroffenen. Die (durch einen Arzt vorgenommene) Entnahme einer Blutprobe ist zudem ein geringfügiger Eingriff. Mit der durch die Einholung einer richterlichen Entscheidung verbundenen zeitlichen Verzögerung kann gegebenenfalls ein weitergehender Grundrechtseingriff verbunden sein. Das Institut des Richtervorbehalts wird durch die derzeitige Rechtslage seines Sinngehalts entleert.
Zu Artikel 2 (Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten)
Die vorgesehene Ergänzung des § 46 Absatz 4 Satz 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten bewirkt, dass die Anordnung von Blutprobenentnahmen zum Zwecke des Nachweises von Alkohol, Betäubungsmitteln oder Medikamenten im Blut auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht mehr dem Richtervorbehalt unterliegt.
Zu Artikel 3 (Zitiergebot)
Mit der Vorschrift wird dem in Artikel 19 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes enthaltenen Zitiergebot Rechnung getragen.
Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten. Der Festlegung eines späteren Zeitpunkts für das Inkrafttreten bedarf es nicht, da die Gesetzesänderungen ohne Vorbereitungen praktisch umgesetzt werden können.