Der Bundesrat hat in seiner 876. Sitzung am 5. November 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Ausrichtung der Kohäsionspolitik an der Strategie Europa 2020. Er ist der Auffassung, dass die Ziele der Strategie durch die Regionalpolitik wirkungsvoll unterstützt werden können.
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Regionalpolitik bereits jetzt einen erheblichen Beitrag zur Umsetzung der Strategie Europa 2020 leistet. Die durch die Strukturfonds unterstützten Operationellen Programme sind an den Zielen und Aufgaben der Lissabon-Strategie ausgerichtet und legen deshalb bereits jetzt einen starken Fokus auf Wissen, Innovation und Forschung, wie dies auch Europa 2020 erforderlich macht.
- 3. Der Bundesrat ist wie die Kommission der Ansicht, dass die regionale Ebene und die regionale Strukturpolitik einen entscheidenden Beitrag zum intelligenten Wachstum im Rahmen der Strategie Europa 2020 leisten können und müssen. Er weist jedoch darauf hin, dass für den Einsatz der regionalpolitischen Instrumente der EU in der laufenden Förderperiode die geltenden Verordnungen und die von der Kommission genehmigten Programmplanungsdokumente maßgeblich sind. Davon abweichende Festlegungen zum Einsatz der Regionalpolitik im Rahmen der Strategie Europa 2020 können nur in dem in den Verordnungen vorgesehenen Änderungsverfahren vereinbart werden.
- 4. Nach Auffassung des Bundesrates enthält die Mitteilung Themenfelder, die für eine erfolgreiche innovationsorientierte Regionalpolitik wesentlich und entscheidend sind, wie innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Förderung der unternehmerischen Denkweise, Bildung, Weiterbildung und lebenslanges Lernen, Forschungs- und IKT-Infrastruktur, Kultur- und Kreativbranchen und öffentliches Auftragswesen.
- 5. Der Bundesrat unterstützt die Ausrichtung der Kohäsionspolitik auf die Ziele der Strategie Europa 2020 und auf die Umsetzung der Innovationsunion. Er verweist hierzu auf seine Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission zur "Leitinitiative der Strategie Europa 2020 - Innovationsunion" (BR-Drucksache 616/10(B) ). Durch die Ausrichtung auf die Lissabonstrategie als Vorgängerstrategie von Europa 2020 fließt bereits im aktuellen Förderzeitraum ein großer Teil der Mittel aus den EU-Fonds in Deutschland in Forschung, Entwicklung und Innovation.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Operationellen Programme auf abgestimmten, schlüssigen und von der Kommission genehmigten Konzepten beruhen, die neben dem Thema Innovation auch regionalen Besonderheiten und spezifischen Problemlagen Rechnung tragen und an langfristig angelegten regionalen Entwicklungsstrategien ausgerichtet sind.
- 7. Der Bundesrat hält vor diesem Hintergrund die Aufforderung, unverzüglich mehr der im aktuellen Programmplanungszeitraum noch verfügbaren Ressourcen aus dem EFRE in intelligentes Wachstum zu investieren, für problematisch. Die Mittel sind entsprechend den ursprünglich festgelegten und von der Kommission genehmigten Programmschwerpunkten weitgehend vergeben oder verplant. Inwieweit gegebenenfalls zusätzliche Mittel für die Ziele von Europa 2020 umgewidmet werden, muss daher ausschließlich auf regionaler Ebene entschieden werden können.
- 8. Der Bundesrat ist zudem der Auffassung, dass die regionalen, nationalen und europäischen Innovationspolitiken komplementär ausgestaltet werden müssen. So ist europäische Exzellenzförderung Aufgabe der europäischen Forschungspolitik. Die europäische Kohäsionspolitik dagegen fördert mit einem umfassenden Innovationsbegriff Innovationen in der Breite und trägt somit entscheidend zum Technologietransfer, zur Markteinführung und zur Diffusion von Neuerungen bei. Die Einschätzung der Kommission, dass die Regionen Strategien zu intelligenter Spezialisierung entwickeln sollen, wird grundsätzlich geteilt. Dies kann wegen der Nähe zu den Entwicklungsbedingungen, Strukturen und Akteuren jedoch nur auf regionaler Ebene geschehen.
- 9. Mit Blick auf den Programmplanungszeitraum 2014 bis 2020 fordert der Bundesrat die Kommission auf, bei der Fokussierung der regionalpolitischen Maßnahmen auf die Ziele der Strategie Europa 2020 mit Augenmaß vorzugehen. Den Regionen müssen noch ausreichend Spielräume bleiben für ihre eigenen regionalpolitischen Zielsetzungen, die parallel zu Europa 2020 fortbestehen. Die Ausgestaltung der Förderinstrumente darf vor allem die Teilhabe von KMU nicht behindern und die Wirtschaft in den strukturschwächeren (Teil-)Regionen nicht überfordern.
- 10. Der dazu erforderliche Handlungsspielraum der Regionen darf aber nicht eingeengt werden. So müssen die in der Mitteilung angeführten Themenfelder für die Regionen fakultativ bleiben, damit eine kohärente Strategie der intelligenten Spezialisierung auch umgesetzt wird. Regionale Entwicklungsstrategien müssen von der regionalen Ebene her konzipiert und umgesetzt werden. Elemente europäischer Forschungspolitik sollten in dem Maße berücksichtigt werden, wie sie in die regionale Entwicklungsstrategie und die regionalen Prioritäten passen. Es ist daher sinnvoll, dass die Regionen einen Umsetzungsbeitrag zur Forschungsinfrastruktur aus dem ESFRI-Fahrplan leisten und Projekte aus der Maßnahme "Forschungspotenzial", die aus dem Siebten Forschungsrahmenprogramm nicht mehr finanziert werden können, übernehmen, wenn diese den regionalen Entwicklungsstrategien und Prioritäten entsprechen.
- 11. Der Vorschlag, Projekte über Wettbewerbe mit internationalen Jurys in der Regionalpolitik auszuschreiben, kann je nach den spezifischen regionalen Entwicklungsbedingungen und Verwaltungskulturen weiterführend sein. Solche Verfahren sollten jedoch im Ermessen der Regionen bleiben.
- 12. Der Bundesrat hat erhebliche Zweifel an der unter Abschnitt 3.7 der Mitteilung getroffenen Aussage, dass das öffentliche Auftragswesen ein wichtiger Antriebsfaktor für Innovation sei. In aller Regel setzen sich Innovationen auf dem Markt durch, wenn die Politik für die entsprechenden Rahmenbedingungen gesorgt hat. Dies gilt gleichermaßen für die öffentliche wie auch für die private Auftragsvergabe. Bereits nach geltendem Recht bestehen mit der funktionellen Leistungsbeschreibung, dem Verhandlungsverfahren oder dem wettbewerblichen Dialog bewährte und effiziente vergaberechtliche Instrumente, um die Innovationskraft der Bieter bei jedem Projekt neu auszuschöpfen.
- 13. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag ab, eine innovationsorientierte Vergabe öffentlicher Aufträge obligatorisch in den Operationellen Programmen vorzusehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es schon jetzt mit den geltenden europäischen und nationalen Regelungen möglich ist, innovationsorientierte Aspekte bei Vergaben zu berücksichtigen. Es sollte im Ermessen der Regionen bleiben, in welchen Fällen sie eine innovationsorientierte Vergabe vornehmen wollen. Die Regionen können am besten abschätzen, wann das Instrument wirkungsvoll eingesetzt werden kann.
- 14. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Strategie Europa 2020 über das intelligente Wachstum hinausgeht und auch nachhaltiges und inklusives Wachstum umfasst. Neben der richtigen stärkeren Orientierung auf Innovationen darf das in der Regionalpolitik nicht außer Acht gelassen werden.
- 15. Ein Vorzug europäischer Strukturpolitik ist ihre strategische und langfristige Orientierung. Die Regionen haben bereits in der laufenden Förderperiode ihre Förderpraxis in einem hohen Maße auf die bisherige Lissabon-Strategie (Earmarking) und auf Innovationen hin ausgerichtet. Sie brauchen aber Planungssicherheit für langfristige Projekte und Strategien. Wenn sie an ihren bisherigen Planungen festhalten wollen, sollte das dem Vertrauensschutz unterliegen.
- 16. Der Bundesrat spricht sich für die Förderung wirksamer Zusammenarbeit aller Arten von Bildungs- und Berufsbildungsinstitutionen mit Unternehmen aus. Die EU-Regionalpolitik kann hierzu einen wirksamen Beitrag leisten. Dabei sollte es den Akteuren vor Ort überlassen bleiben, wie sie diese Aufgabe im Rahmen der von der Kommission genehmigten Programmplanungsdokumente bewältigen. Zur Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen ist eine größtmögliche Flexibilität erforderlich. Zentralisierte Vorgaben über den integrierten Einsatz der Fonds haben sich hierzu nicht bewährt.
- 17. Der Bundesrat betont die Bedeutung der Strukturfonds für die Innovation. Die Strukturfonds müssen weiterhin allen Mitgliedstaaten und Regionen zugutekommen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Innovation und Wettbewerbsfähigkeit auch in den Regionen, die zukünftig aus der Höchstförderung herausfallen werden, nicht abrupt gebremst werden dürfen. Daher sind für diese Regionen in der nächsten Förderperiode angemessene Übergangsregelungen sehr wichtig. Diese müssen der besonderen Situation solcher Mitgliedstaaten und Regionen Rechnung tragen, die einen erheblichen Anteil ihrer bisherigen Förderung verlieren werden.