Der Bundesrat hat in seiner 916. Sitzung am 8. November 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Die Förderung innovativer Lehr- und Lernmethoden in der Bildung, auch mithilfe neuer Technologien und digitaler Lehr- und Lernmaterialien, ist ein wichtiges Anliegen der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Der Bundesrat teilt grundsätzlich den Ausgangsbefund der Kommissionsinitiative "Die Bildung öffnen", wonach das Potential neuer Technologien und digitaler Lehr- und Lernmaterialien hinsichtlich der Verbesserung von Qualität, Effizienz und Zugänglichkeit von Bildungsangeboten noch besser genutzt werden kann.
- 2. Insbesondere stimmt der Bundesrat mit der Kommission darin überein, dass mit dem Einsatz digitaler Werkzeuge das Methodenspektrum im Unterricht sinnvoll erweitert und das angeleitete individuelle Lernen gezielt verbessert werden kann. Daher sind grundsätzlich Anreize zu begrüßen, die das digitale Lehren und Lernen fördern, wie etwa eine sichere und schnelle Internetverbindung, urheber- und lizenzrechtlich einwandfreie Lerninhalte und eine leicht zu bedienende Lernumgebung. Auch der Austausch von Schulen und Lehrkräften, den die Kommission durch den Ausbau bestehender bzw. die Einrichtung neuer Plattformen wie z.B. eTwinning und EPALE stärken will, kann das Voneinanderlernen und den Austausch guter Praxis unterstützen.
- 3. Gleichzeitig erinnert der Bundesrat daran, dass die europäische Bildungskooperation angesichts der unionsrechtlichen Kompetenzverteilung ein freiwilliger Prozess ist, der sich einer unmittelbaren Steuerung bzw. Lenkung durch bindende Vorgaben der europäischen Ebene entzieht. Dies gilt auch mit Blick auf die in der Mitteilung entwickelte "europäische Agenda für die Förderung hochwertiger, innovativer Lehr- und Lernmethoden mithilfe neuer Technologien und digitaler Inhalte". Zwar stellt die Kommission selbst fest, dass vor allem die Mitgliedstaaten für eine erfolgreiche Umsetzung der Initiative verantwortlich seien. Die konkret genannten Einzelmaßnahmen bergen aber aus Sicht des Bundesrates
- z. T. das Risiko, dass bei ihrer Umsetzung die Kompetenzgrenzen der Union im Bildungsbereich überschritten werden.
- 4. So sieht der Bundesrat die Ankündigung der Kommission mit Sorge, für eine genaue Überwachung der Integration von IKT in den Einrichtungen der allgemeinen und beruflichen Bildung Indikatoren und Messinstrumente zu entwickeln und "Gruppen von Mitgliedstaaten gezielte politische Leitlinien an die Hand [zu] geben, damit diese Maßnahmen entwickeln können, mit denen sie ihre Herausforderungen entsprechend den länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters/Europa 2020 erfolgreich bewältigen können". Der Bundesrat stellt in diesem Zusammenhang erneut fest, dass bildungsbezogene länderspezifische Empfehlungen die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten unberührt lassen müssen (vgl. BR-Drucksache 471/13(B) ). Darüber hinaus fallen Fragen der Lehrplangestaltung, der Leistungsbewertung von Lehrkräften, der Lehreraus- und -fortbildung, der Validierung und Anerkennung von Kompetenzen und der Setzung von Rahmenbedingungen für Bildungseinrichtungen sowie für die Herstellung, Entwicklung und Zulassung von Lehr- und Lernmitteln in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, in Deutschland weitgehend der Länder.
- 5. Zudem agieren die Länder in der Bundesrepublik Deutschland in der Regel nicht als Anbieter von Lehr- und Lernmaterialien; vielmehr ist es bislang spezialisierten Herstellern von Bildungsmedien überlassen, für ein qualitativ hochwertiges Angebot zu sorgen. Aufgrund der gewachsenen Strukturen, teilweise auch aufgrund ordnungspolitischer Überlegungen, bestehen in einigen Ländern Bedenken gegen den Vorschlag der Kommission, dass die öffentliche Hand selbst digitale Lehr- oder Lernmittel in Auftrag gibt. Soweit die Förderung der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle angestrebt wird, muss außerdem bedacht werden, dass dadurch die geschäftlichen Interessen von Verlagen, die auf die Anbietung von Lehr- und Lernmaterial spezialisiert sind, tangiert werden.
- 6. Der Bundesrat erkennt an, dass frei zugängliche Lehr- und Lernmaterialien (OER) eine gewinnbringende Ergänzung zu herkömmlichen Materialien sein können, weshalb die Bemühungen der Kommission, hochwertige europäische OER besser zugänglich zu machen bzw. deren Entwicklung zu fördern, grundsätzlich zu begrüßen sind. Gleichzeitig verweist er auf schätzungsweise mehr als eine Million bereits vorhandener Bildungsmedien im europäischen Raum, deren Sichtung, Kategorisierung und Zertifizierung sowie die Prüfung der Rechteinhaberschaft ausstehen. Insbesondere gibt die Mitteilung keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie und nach welchen Kriterien die Qualität der grundsätzlich veränderbaren Inhalte von OER sinnvoll, kontinuierlich und umfassend gesichert werden kann. Darüber hinaus teilt der Bundesrat nicht die hohen Erwartungen der Kommission in Bezug auf Veränderungen im Bildungswesen aufgrund eines vermehrten Einsatzes digitaler Materialien (vgl. BR-Drucksache 725/12(B) ).
- 7. Die Kommission verweist in ihrer Mitteilung mehrfach auf Effizienzgewinne und Kostensenkungen, die etwa mit der Verwendung von OER verbunden seien. Demgegenüber betont der Bundesrat, dass für die Realisierung der Gesamtstrategie Kernvorschläge der Kommission - wie etwa die Ausstattung jeder Schule und im Idealfall jedes Klassenzimmers mit einer Breitbandinternetverbindung - mit erheblichen Investitionen von Seiten der Mitgliedstaaten verbunden sind. Der Verweis auf Fördermöglichkeiten aus den Struktur- und Investitionsfonds der EU bedarf vor dem Hintergrund der weitgehend abgeschlossenen Programmplanung in den Ländern für die Förderperiode 2014 bis 2020 einer sorgfältigen Prüfung. Die von der Kommission angemahnte systematische und entschlossene Umsetzung der in ihrer Agenda vorgeschlagenen Prioritäten durch die Mitgliedstaaten würde zusätzliche EU-Fördermittel voraussetzen.
- 8. Die Kommission verwendet in ihrer Mitteilung einen verengten Bildungsbegriff, der sich auf den sicheren und autonomen Umgang mit neuen Technologien und digitalen Inhalten bezieht. Der Bundesrat betont demgegenüber den deutlich breiteren Bildungsanspruch in den Ländern, der auf die personale, kognitive und soziale Bildung des Einzelnen abzielt und die Entfaltung der Gesamtpersönlichkeit im Blick hat. Hierfür ist in allen Bildungsbereichen der kontinuierliche persönliche Kontakt zwischen Lehrenden und Lernenden im Lernprozess sowie zwischen Lernenden untereinander von herausragender Bedeutung. Der Bundesrat weist daher darauf hin, dass - auch in Abhängigkeit vom Alter und von den konkreten Bedürfnissen der Lernenden - die Vorteile einer Verlagerung von Bildungsangeboten auf digitale Plattformen hinsichtlich Personalisierung, Ubiquität und Flexibilisierung von Lernprozessen sorgfältig mit dem unverzichtbaren Lernen in sozialen und realen Zusammenhängen abgewogen werden müssen.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.