Der Bundesrat hat in seiner 966. Sitzung am 23. März 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass der Wandel der Arbeitswelt, insbesondere die fortschreitende Digitalisierung, zur Entstehung atypischer und neuer Formen der Beschäftigung beigetragen hat. Die Verhinderung einer missbräuchlichen Nutzung dieser Formen und der Erhalt notwendiger Schutzrechte der Beschäftigten stellen europaweit eine große Herausforderung dar.
- 2. Er begrüßt deshalb ausdrücklich das dem Richtlinienvorschlag zugrundeliegende Ziel der Kommission, sicherere, transparentere und verlässlichere Beschäftigung zu fördern und gleichzeitig die Flexibilität des Arbeitsmarktes zu erhalten sowie vergleichbare Wettbewerbsbedingungen in der EU zu schaffen.
- 3. Er hält es angesichts der zunehmenden länderübergreifenden Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen und zur Vermeidung von Sozialdumping für berechtigt, durch die vorgeschlagene Richtlinie innerhalb der EU Mindeststandards zu setzen. Dadurch können - unter Wahrung der Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für das nationale Arbeitsrecht - wichtige in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerte Grundsätze verwirklicht werden.
- 4. Der Bundesrat unterstützt die vorgesehenen Erweiterungen der Informationspflichten um beispielsweise Angaben zu Dauer und Bedingungen einer Probezeit. Diese sind ein wichtiger Beitrag zur Erhöhung der Transparenz und Verlässlichkeit.
- 5. Die neuen Mindestanforderungen zur Probezeit, zur Mehrfachbeschäftigung, zur Mindestplanbarkeit der Arbeit, zum Übergang zu anderen Beschäftigungsformen und zur Fortbildung entsprechen bereits weitestgehend dem geltenden Recht in Deutschland. Sie sind ein wichtiger Beitrag zur europaweiten Harmonisierung von Mindestarbeitsbedingungen und zur Schaffung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen.
- 6. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Richtlinienvorschlag an sich eine gute Grundlage darstellt, dass künftig alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer europaweit ein angemessenes Mindestschutzniveau sowie mehr Klarheit und Planbarkeit hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen erhalten. Die Kommission setzt damit eine bereits mit dem Vorschlag zur Revision der Entsenderichtlinie eingeschlagene positive Zielrichtung fort.
- 7. Er stellt fest, dass der in Artikel 2 des Richtlinienvorschlags geregelte Arbeitnehmerbegriff von der Kommission bewusst weit gefasst wurde, um insbesondere neue Beschäftigungsformen, die oft nicht so geregelt oder stabil wie herkömmliche Beschäftigungsverhältnisse sind, zu erfassen (vergleiche Erwägungsgrund 3 und die Begründung zu Artikel 2). Aufgrund der weiten Formulierung des Arbeitnehmerbegriffs in Artikel 2 wird jedoch auch das gesamte Recht des öffentlichen Dienstes vom Anwendungsbereich erfasst. Auf die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes wird jedoch weder im Richtlinienvorschlag selbst noch in der vorangestellten Begründung eingegangen.
- 8. Dementsprechend finden nach Auffassung des Bundesrates tragende Grundprinzipien des deutschen Beamtenrechts im Richtlinienvorschlag keine Berücksichtigung. Beispielsweise sieht Artikel 7 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags vor, dass eine Probezeit nicht länger als sechs Monate dauern darf. Um die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sicherzustellen und um den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit gerecht zu werden, muss die Dauer der Probezeit jedoch so bemessen sein, dass sie eine ausreichende Prognose in fachlicher, persönlicher und gesundheitlicher Hinsicht für eine Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erlaubt. Sechs Monate reichen hierfür nicht aus. Die in Artikel 7 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Ausnahmen aufgrund der Art der Beschäftigung zu ermöglichen, schafft keine Abhilfe, da als einziges Beispiel die Übernahme von Leitungsfunktionen genannt ist (Erwägungsgrund 19). Ein weiteres Beispiel ist die in Artikel 10 des Richtlinienvorschlags enthaltene Regelung, nach der der Arbeitgeber bei der schriftlichen Ablehnung des Gesuchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitsnehmers um Übernahme in ein verlässlicheres und sichereres Beschäftigungsverhältnis insbesondere auch auf deren bzw. dessen Bedürfnisse einzugehen hat (Erwägungsgrund 25). Eine Berücksichtigung der Bedürfnisse von Bewerberinnen und Bewerbern im Rahmen der Verbeamtung ist nach dem für die Verbeamtung gemäß Artikel 33 Absatz 2 GG geltenden Leistungsprinzip jedoch ausgeschlossen.
- 9. Der Bundesrat sieht darüber hinaus die Gefahr, dass Artikel 9 des Richtlinienvorschlags (Mindestplanbarkeit der Arbeit) die Effektivität der Gefahrenabwehr beeinträchtigen könnte. Trotz des Erfordernisses einer Unterrichtung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers über einen Arbeitseinsatz mit angemessenem zeitlichen Vorlauf muss sichergestellt sein, dass in plötzlich auftretenden Krisensituationen aktuell nicht im Dienst befindliche Beamtinnen und Beamte zur Bewältigung der Krise gegebenenfalls herangezogen werden können.
- 10. Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, sich bei der Kommission und im weiteren Verfahren dafür einzusetzen, den öffentlichen Dienst aus dem Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags auszunehmen und die Rechtset-zungskompetenz der Mitgliedstaaten für das Recht des öffentlichen Dienstes uneingeschränkt und dauerhaft zu erhalten. Jedenfalls aber müssen die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes bei der Ausgestaltung der einzelnen Regelungen detailliert berücksichtigt werden.