Der Bundesrat hat in seiner 828. Sitzung am 24. November 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Die Kommission hat mit ihrer Mitteilung vom 26. September 2006 eine Konsultation zu Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen eingeleitet. Damit soll geklärt werden, welche Themen Gegenstand von Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen sein sollten und welche Instrumente für die verschiedenen Themen geeignet sind. Um diesen Konsultationsprozess von Anfang an mitgestalten zu können, bedarf es einer frühzeitigen Festlegung der Bundesratsposition.
- 2. Der Bundesrat nimmt Bezug auf seine erste Stellungnahme bezüglich Patientenmobilität und die Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung in der EU, vgl. BR-Drucksache 336/04(B) , und konkretisiert diese wie folgt:
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass nach dem gemeinsamen Standpunkt des Rates Gesundheitsdienstleistungen in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bundesrates in BR-Drucksache 128/04(B) (2) wegen ihrer Besonderheiten aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie ausgeklammert werden und damit den besonderen Bedürfnissen der Dienstleistungsempfänger Rechnung getragen wird. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, wegen der Überschneidungen dieses Konsultationsverfahrens mit dem parallel stattfindenden Konsultationsverfahren zu den sozialen Dienstleistungen (z.B. bei den Pflegedienstleistungen) sich dafür einzusetzen, dass eine unterschiedliche Betrachtung der beiden Bereiche verhindert wird, vgl. BR-Drucksache 324/06(B) .
- 4. Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen setzen eine nennenswerte Dimension grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung voraus.
- - Der Bundesrat unterstreicht, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Patientenmobilität bereits im Jahr 2004 in das nationale Krankenversicherungsrecht aufgenommen wurde.
- - Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen für ambulante und stationäre Behandlungen im Ausland deutlich unter 0,5 Prozent liegen, wobei dabei noch nicht zwischen EU-Ausland und nicht EU-Ausland unterschieden wird. Im Bereich der Pflege ist die Mobilität noch geringer. Die Nutzung des Versorgungsangebots der Krankenhäuser durch Patienten aus anderen EU-Staaten, die gezielt zur geplanten Krankenhausbehandlung kommen, hat ebenfalls nur sehr geringen Umfang. Demgegenüber dürfte die Bereitschaft von Leistungserbringern, ihre Leistungen grenzüberschreitend anzubieten - sei es vorübergehend oder durch Niederlassung -, tendenziell etwas höher ausgeprägt sein.
- - Der Bundesrat hebt hervor, dass in den grenznahen Bereichen bereits vielfach Rahmenvereinbarungen bestehen, um u. a. Probleme mit der Abrechnung stationärer Leistungen zu vermeiden. Von Krankenkassen mit ausländischen Leistungserbringern vor Ort geschlossene Kooperationsverträge, die sich an dem speziellen Bedarf und den entsprechenden Gegebenheiten einer bestimmten Region orientieren, sind grundsätzlich geeignet für die Bewohner der Grenzregionen eine Wahlfreiheit zu schaffen ohne die Steuerungsfähigkeit und Finanzierbarkeit der nationalen Gesundheitsversorgung zu gefährden.
Im Jahr 2003 gab es EU-weit ca. 170 Fälle grenzüberschreitender Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern. Mit steigender Tendenz, da insbesondere in grenzüberschreitenden Ballungsräumen Krankenhauskooperationen für die lokalen Akteure von beiderseitigem Vorteil sind.
Bislang finden solche Kooperationen vorrangig in Form von Leistungseinkäufen zwischen Krankenhäusern statt. Das heißt, das "einkaufende" Krankenhaus finanziert die Leistung des ausländischen Kooperationspartners im Rahmen seines Budgets. Die Kostenträger sind daher an solchen Kooperationsformen nur indirekt beteiligt.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission bei den Gemeinschaftsmaßnahmen zwischen Bereichen, in denen durch Legislativakte Rechtssicherheit geschaffen werden soll, und sonstigen Bereichen unterscheidet.
- - Die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung und Finanzierung ihres nationalen Gesundheitssystems muss vollständig respektiert und darf keinesfalls ausgehöhlt werden, und zwar unabhängig vom verwendeten Regelungs- oder Koordinierungsinstrumentarium. Grundprinzipien des deutschen Gesundheitssystems wie das Sachleistungsprinzip, die Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen, die Steuerung der Volumina veranlasster Leistungen und die Qualitätskontrolle durch deutsche Instanzen müssen weiter uneingeschränkt möglich sein. Der Bundesrat betont, dass die Krankenhausplanung und -finanzierung in Deutschland im europäischen Vergleich einige Besonderheiten aufweist:
- -- Die Krankenhausplanung und -finanzierung liegen in der Zuständigkeit der Länder.
- -- Die Investitions- und Vorhaltekosten der Krankenhäuser (einschließlich der Universitätskliniken) werden in Deutschland in der Regel nicht durch die Krankenkassen getragen. Diese Kosten werden in Deutschland grundsätzlich steuerfinanziert durch die Länder bestritten. Die Krankenhausträger beteiligen sich aber teilweise an den Investitionskosten.
- -- Die planerische Ausweisung eines Krankenhauses im jeweiligen Landes-Krankenhausplan mit einer bestimmten medizinischen Fachdisziplin bzw. Behandlungsspezialität und der Kapazität hierfür begründet einen Kontrahierungszwang bezüglich der Betriebskosten für die gesetzliche Krankenversicherung.
- - Der Bundesrat sieht bei folgenden Fragen einen Bedarf für die Schaffung von Rechtssicherheit:
- -- Bei der Definition der Gesundheitsdienstleistungen ist darauf zu achten, dass der Autonomie der Mitgliedstaaten bezüglich der Ausgestaltung ihrer Systeme Rechnung getragen wird. Hohe Qualitätsstandards, die Transparenz des Leistungsangebots für die Dienstleistungsempfänger, ein flächendeckendes Angebot und die allgemeine Zugänglichkeit von Leistungen der gesundheitlichen Daseinsvorsorge unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots müssen weiterhin sichergestellt werden. Die Gesundheitsdienstleistungen sollten auch Dienstleistungen der Rehabilitation und der Pflege umfassen.
- -- Die Materie Kostenerstattung sollte insgesamt in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bzw. in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit geregelt werden.
Sollte eine Regelung außerhalb dieser Verordnungen geschaffen werden wie sie in Artikel 23 des Vorschlags der Dienstleistungsrichtlinie vorgesehen war, muss jedenfalls sichergestellt werden, dass die dort enthaltenen Regelungen sowohl mit der Rechtsprechung des EuGH als auch mit der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vereinbar sind.
- - Darüber hinaus besteht aus Sicht des Bundesrates
jedoch kein Bedarf für weitergehende gemeinschaftliche Regelungen zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Im Übrigen kann der Bereich der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung besser durch Koordinationsmechanismen zwischen den Mitgliedstaaten organisiert werden. So etwa durch bilaterale Verträge zwischen den Mitgliedstaaten, die durch regionale Kooperationsabkommen ausgefüllt werden. Die Kompetenz insbesondere für folgende Regelungen sollte deshalb bei den jeweiligen Mitgliedstaaten verbleiben:- -- Dies gilt für Regelungen über die Finanzierung der Investitionskosten. Ausfluss des Grundsatzes der Daseinsvorsorge ist die staatliche Verantwortung für eine möglichst flächendeckende und medizinisch ausreichend qualitative akutstationäre Krankenversorgung. Die Schaffung bzw. Aufrecherhaltung einer entsprechenden Krankenhausstruktur erfordert dabei erhebliche Investitionskosten. Das deutsche Recht schreibt zudem vor, dass die Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen für alle Benutzer des Krankenhauses einheitlich zu berechnen sind (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 KHG, § 8 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG, § 14 Abs. 1 Satz 1 BPflV). Es können daher für In- und Ausländer keine unterschiedlichen Entgelte berechnet werden. Dies entspricht dem EU-rechtlichen Diskriminierungsverbot.
- -- Die Zuständigkeitsregelungen für Haftung und Schadensersatz sollten auf das Recht des Staates abstellen, in dem die Leistungserbringung beziehungsweise der Leistungsempfang oder die Tätigkeit im Rahmen der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung erfolgt. Für die Haftung gibt es bereits Regelungen des Internationalen Privatrechts. Im Hinblick auf Schadensersatzregelungen für im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen verursachte Schäden muss deshalb beachtet werden dass es zwar erforderlich sein mag, das Vorhandensein zuständiger Stellen in den Mitgliedstaaten zu fordern und diese bekannt zu machen andererseits aber die Ausgestaltung konkreter Schadensregulierungsbestimmungen ausschließlich dem nationalen Recht vorbehalten bleiben sollte.
- -- Bereits zum jetzigen Zeitpunkt stehen die zur Versorgung zugelassenen Krankenhäuser für die Leistungserbringung an deutsche wie auch an ausländische Patienten gleichermaßen zur Verfügung. Durch die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten ist die Versorgung der inländischen Bevölkerung nicht beeinträchtigt. Maßnahmen auf EU-Ebene, um sicherzustellen, dass die Behandlung von Patienten aus anderen Mitgliedstaaten mit der Bereitstellung ausgewogener ambulanter und stationärer Versorgung für alle vereinbar ist, sind deshalb nicht erforderlich.
- - Die Versicherten müssen sich aus Sicht des Bundesrates informieren können unter welchen Voraussetzungen ein Recht auf Auslandsbehandlung besteht. Bei einer Auslandsbehandlung ist der Informations- und Verwaltungsaufwand höher als bei einer Inlandsbehandlung. Deshalb ist die Informationsverpflichtung zwingende Voraussetzung zur Wahrnehmung der Dienstleistungsfreiheit für EU-Bürger sowie des Selbstbestimmungsrechts des Patienten.
- - Ergänzend weist der Bundesrat darauf hin, dass eine Abgrenzung zwischen ambulant und stationär danach, ob für eine Behandlung eine Versorgungsstruktur notwendig ist, die eine Bedarfsplanung erfordert, nicht unterstützt wird. Zum einen bestehen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich bedarfsplanerische Elemente (Krankenhausplanung, Bedarfsplanung für Vertragsärzte). Für Vertragszahnärzte hingegen soll im Rahmen der Gesundheitsreform die Regelung über Zulassungsbeschränkungen in überversorgten Gebieten entfallen. Zum anderen widerspricht diese Differenzierung der Genehmigungsbedürftigkeit der klaren gesetzlichen Regelung in § 13 Abs. 4 und 5 SGB V.
- - Die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung und Finanzierung ihres nationalen Gesundheitssystems muss vollständig respektiert und darf keinesfalls ausgehöhlt werden, und zwar unabhängig vom verwendeten Regelungs- oder Koordinierungsinstrumentarium. Grundprinzipien des deutschen Gesundheitssystems wie das Sachleistungsprinzip, die Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen, die Steuerung der Volumina veranlasster Leistungen und die Qualitätskontrolle durch deutsche Instanzen müssen weiter uneingeschränkt möglich sein. Der Bundesrat betont, dass die Krankenhausplanung und -finanzierung in Deutschland im europäischen Vergleich einige Besonderheiten aufweist:
- 6. Die als Unterstützung für die Mitgliedstaaten gedachten Regelungs- und Koordinierungsansätze der EU, zum Beispiel hinsichtlich der Netzwerke von Referenzzentren, sollten nach Ansicht des Bundesrates keinesfalls auf Richtlinienebene ausgestaltet werden. Der Aufbau von Netzwerken Europäischer Referenzzentren verspricht einen europäischen Mehrwert durch den Austausch hochqualitativer Expertise, der sowohl dem Wissenschafts- und Gesundheitsstandort Europa im Sinne der Lissabon-Strategie als auch dem einzelnen Patienten mit seinen spezifischen Versorgungsbedürfnissen zugute kommt.
- - Die Einrichtung von Referenzzentren hat sich an die im EGV gezogenen Grenzen, einschließlich des Artikels 152 EGV, zu halten. Der Bundesrat begrüßt dass der bei den Beratungen in den Vordergrund gestellte Netzwerkgedanke die Planungshoheit der Länder berücksichtigt. Dabei eröffnen sich auch Möglichkeiten einer effizienten, partnerschaftlichen Ressourcennutzung.
Es ist für den Bundesrat von besonderer Bedeutung, dass die Anwendung dieses Konzepts auf hochspezialisierte, besonders anspruchsvolle medizinische Versorgungsangebote beschränkt wird. Je weiter sich das Konzept von seltenen Krankheiten und hochspezialisierten Behandlungen entfernt desto fraglicher wird der europäische Mehrwert.
- - Bei der weiteren Konzeptentwicklung spielt für den Bundesrat die Konkretisierung von Auswahlkriterien und -verfahren eine besondere Rolle. Die Auswahlkriterien müssen sich daran orientieren, wie der angesprochene europäische Mehrwert für die Mitgliedstaaten, ihre medizinischen Einrichtungen und die Patienten in Europa geschaffen werden kann. Das erfordert insbesondere eine an wissenschaftlichen und fachlichen Notwendigkeiten orientierte Auswahl. Bei der Identifizierung von europäischen Netzwerken favorisiert der Bundesrat die Option, nach der ein Expertenkomitee unter Beteiligung der Kommission aus Vorschlägen der Mitgliedstaaten ausgewählt wird - und nicht allein von der Kommission.
- - Die Einrichtung von Referenzzentren hat sich an die im EGV gezogenen Grenzen, einschließlich des Artikels 152 EGV, zu halten. Der Bundesrat begrüßt dass der bei den Beratungen in den Vordergrund gestellte Netzwerkgedanke die Planungshoheit der Länder berücksichtigt. Dabei eröffnen sich auch Möglichkeiten einer effizienten, partnerschaftlichen Ressourcennutzung.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Positionen zu berücksichtigen und auch weiterhin eine enge Abstimmung mit den Ländern zu pflegen. Die Länder werden sich im Konsultationsverfahren zu Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen bei der Formulierung der deutschen Antwort auf der Grundlage dieser Stellungnahme umfassend einbringen.
*) Erster Beschluss: 802. Sitzung vom 9. Juli 2004, Drucksache 336/04(B)