Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts

Der Bundesrat hat in seiner 853. Sitzung am 19. Dezember 2008 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nr. 2 ( § 114a Satz 2 StPO)

In Artikel 1 Nr. 2 § 114a Satz 2 ist nach den Wörtern "ist ihm" das Wort "unverzüglich" einzufügen.

Begründung

§ 114a Satz 2 StPO-E sieht für den Fall, dass bei der Verhaftung die Aushändigung einer Abschrift und einer etwaigen Übersetzung nicht möglich ist, vor, dass dem Beschuldigten in einer für ihn verständlichen Sprache mitzuteilen ist, welches die Gründe für die Verhaftung sind und welche Beschuldigungen gegen ihn erhoben werden.

Häufig wird diese Mitteilung in einer dem Beschuldigten verständlichen Sprache erst nach Hinzuziehen eines Dolmetschers möglich sein. Durch die Einfügung des Wortes "unverzüglich" wird klargestellt, dass die Mitteilung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss und damit vor der Mitteilung noch unaufschiebbare Maßnahmen veranlasst werden können und insbesondere ein Dolmetscher beigezogen werden kann.

2. Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StPO)

Artikel 1 Nr. 2 § 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 ist wie folgt zu fassen:

Begründung

Der Entwurf geht davon aus, dass die Gestattung der freien Arztwahl - zurückgehend auf eine Forderung des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) - notwendig sei, um den Beschuldigten vor Polizeiwillkür zu beschützen.

Diese Auffassung ist fernliegend. Die von Polizei und Justiz selbst beschäftigten oder hinzugezogenen Ärztinnen und Ärzte sind ebenfalls nach ihrem Standesrecht verpflichtet Festgenommene nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu untersuchen und zu versorgen. Dies schließt nicht aus, dass in besonderen Fallkonstellationen auch der vom Beschuldigten gewählte Arzt (im Regelfall zur Konsultation in der Anstalt) hinzugezogen wird.

Die uneingeschränkte Gestattung der freien Arztwahl ließe hingegen Missbrauch und Verzögerungen besorgen. Sie ist auch in der Gesellschaft nicht immer möglich (z.B. bei der Bundeswehr). Schließlich könnte die vorgeschlagene Regelung auch den Eindruck erwecken, der Staat habe für die freie Arztkonsultation aufzukommen. Zwar wird in der Begründung des Gesetzentwurfs das Gegenteil behauptet. Der Gesetzeswortlaut lässt aber eine andere Interpretation durch die Gerichte zu.

Forderungen des CPT sind grundsätzlich von besonderem Gewicht. Sie sind allerdings nicht verbindlich und müssen im Licht der verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Wirklichkeit in der Bundesrepublik auf ihre Sinnhaftigkeit im Einzelfall überprüft werden.

3. Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 114b Abs. 2 Satz 2 StPO)

In Artikel 1 Nr. 2 § 114b Abs. 2 Satz 2 ist vor dem Wort "Hinzuziehung" das Wort "unentgeltliche" einzufügen.

Begründung

Zwar wird in der Begründung des Gesetzentwurfs zutreffend ausgeführt, dass die Belehrungen nach § 114b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 5 StPO-E über das Recht des Beschuldigten, jederzeit einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu konsultieren, und auf Zugang zu einem Arzt seiner Wahl keine Kostenübernahmepflicht des Staates zu begründen vermögen. Ebenfalls zutreffend weist die Entwurfsbegründung darauf hin, dass die bei Bedarf auf Verlangen des Beschuldigten erfolgende Hinzuziehung eines Dolmetschers, worüber er nach § 114b Abs. 2 Satz 2 StPO-E ebenfalls zu belehren ist, unentgeltlich erfolgt.

Beide Kostengesichtspunkte spiegeln sich jedoch im Wortlaut des Regelungsvorschlags

Zu § 114b StPO nicht wider. Aus Klarstellungsgründen und zur

Vermeidung von Fehlinterpretationen des Gesetzes sollte die Unentgeltlichkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers im Gesetzeswortlaut ausdrücklich angeführt werden. Hierdurch würde zugleich im Gegenschluss deutlich, dass die Konsultation eines Verteidigers und die Untersuchung durch einen Arzt der Wahl nicht unentgeltlich für den Beschuldigten erfolgen.

4. Zu Artikel 1 Nr. 4 ( § 116b Satz 2 StPO)

In Artikel 1 Nr. 4 § 116b Satz 2 sind nach den Wörtern "Zweck der Untersuchungshaft" die Wörter "oder der anderen freiheitsentziehenden Maßnahme" einzufügen.

Begründung

Der Entwurf geht davon aus, dass ein Vorrang der Vollstreckung der Untersuchungshaft vor anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen nur dann angeordnet werden kann, wenn der Zweck der Untersuchungshaft dies erfordert.

Bei der Vielzahl der in Betracht kommenden anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen ist jedoch nicht auszuschließen, dass die Vollstreckung der anderen Maßnahme einen Vorrang der Vollstreckung der Untersuchungshaft erfordert.

Auch in diesen Fällen sollte eine abweichende Entscheidung des Gerichts möglich sein.

So wird z.B. der Zweck der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus häufig gefährdet, wenn gegen den Betroffenen in einem weiteren Verfahren Untersuchungshaft angeordnet ist und er von einem Vollzug der Untersuchungshaft oder Strafhaft im Anschluss an die Unterbringung ausgeht. Um derartige Probleme zu vermeiden, sieht bereits § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB vor, dass das Gericht bestimmen kann, dass die Freiheitsstrafe ganz oder teilweise vor der Unterbringung zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird.

5. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 119 Abs. 2 Satz 2, 3 - neu - , 4 - neu - , 5 - neu - StPO)

Artikel 1 Nr. 5 § 119 Abs. 2 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Nach dem Gesetzentwurf kann das Gericht die Ausführung der Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen. Diese bleibt solange für die auf sie übertragene Ausführung der Überwachungsanordnungen zuständig, bis das Gericht die Übertragung widerruft. Damit würde -entgegen der bisherigen, bewährten Praxis - die Zuständigkeit mit der Erhebung der Anklage nicht mehr von Gesetzes wegen auf das Gericht übergehen.

Diese Regelung ist abzulehnen. Bis zur Anklageerhebung sollte das Gericht regelhaft die Ausführung auf die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens übertragen. Mit Erhebung der Anklage aber geht die Verfahrensherrschaft von der Staatsanwaltschaft auf das erkennende Gericht über, das im Regelfall ab diesem Zeitpunkt über größere Sachnähe verfügt und daher die angeordneten Überwachungsmaßnahmen am effektivsten und mit der für Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung wird durchführen können. Es besteht daher kein Anlass, auch nach Anklageerhebung die weitere Ausführung der Anordnungen grundsätzlich der Staatsanwaltschaft aufzuerlegen. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Staatsanwaltschaft keine rechtliche Möglichkeit hat, den Widerruf der Übertragung durchzusetzen. Daher sollte bis zur Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft regelmäßig mit der Ausführung der Anordnungen befasst sein, während ab diesem Zeitpunkt per Gesetz ein Übergang auf das Gericht erfolgen sollte.

Sofern in Einzelfällen auch nach der Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft aufgrund besonderer Umstände die Überwachungsmaßnahmen sachgerechter ausführen kann als das erkennende Gericht, sieht der Antrag die Möglichkeit vor im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft die Ausführung der Anordnungen auf diese zu übertragen. Voraussetzung hierfür sollte aber die Zustimmung der Staatsanwaltschaft sein.

Die Stelle, die die Anordnungen ausführt, soll sich der Hilfe anderer Behörden bedienen können. Wie in der Begründung des Gesetzentwurfs zutreffend dargestellt, ist insbesondere im Zusammenhang mit der Überwachung der Besuche und Telekommunikation eine Einbindung der Vollzugsanstalt geboten. Der Gesetzentwurf und auch die Begründung hierzu gehen aber von dem Fall aus, dass stets die Staatsanwaltschaft die ausführende Stelle ist und stellen nur ihr ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt zur Seite. Der Entwurf lässt aber unbeachtet, dass auch das Gericht schon nach dem Gesetzentwurf mit der Ausführung der Überwachungsmaßnahmen befasst sein kann und nach der vorgeschlagenen Änderung ab Anklageerhebung auch regelmäßig befasst sein sollte. Daher sieht der Antrag vor, dass sich Staatsanwaltschaft und Gericht jeweils der Hilfe der Vollzugsanstalt und die Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch der ihrer Ermittlungspersonen bedienen können.

6. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 119a Abs. 1 Satz 1 StPO)

In Artikel 1 Nr. 5 § 119a Abs. 1 Satz 1 sind nach dem Wort "kann" die Wörter "innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung oder Maßnahme oder ihrer Ablehnung" einzufügen.

Begründung

Mit der Aufnahme einer Antragsfrist in § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO-E soll die abschließende Klärung von Meinungsverschiedenheiten im Vollzug der Untersuchungshaft innerhalb eines angemessenen Zeitraums gewährleistet werden.

Sie entspricht der Frist in § 26 Abs. 1 EGGVG. Die Unschuldsvermutung und die Tatsache, dass der Beschuldigte sich während der Untersuchungshaft vorrangig auf das anhängige strafrechtliche Verfahren vorbereiten muss, gebieten es ihm eine längere Antragsfrist als dem Strafgefangenen einzuräumen, dem nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ein Zeitraum von zwei Wochen zur Verfügung steht. § 119a Abs. 1 Satz 1 verzichtet auch auf die formellen Erfordernisse der Bekanntgabe des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG. Die grundsätzliche schriftliche Bescheidung des Beschuldigten ist in der Praxis nicht erforderlich, weil die zu bescheidenden Sachverhalte in der Regel überschaubar sind. Sie würde zudem einen von der Sache her nicht gerechtfertigten immensen Verwaltungsaufwand verursachen den die Vollzugsanstalt organisatorisch nicht bewältigen könnte. Etwaige Zweifel in Bezug auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe wird die Vollzugsanstalt auszuräumen haben.

7. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 119a Abs. 1 Satz 2 StPO)

In Artikel 1 Nr. 5 § 119a Abs. 1 Satz 2 ist das Wort "drei" durch das Wort "sechs" zu ersetzen.

Begründung

Die vom Entwurf vorgesehene dreiwöchige Frist, bevor ein Untätigkeitsantrag zulässig erhoben werden kann, ist zu kurz bemessen. Auch im Bereich der Untersuchungshaft treten immer wieder Konstellationen auf, in welchen über einen Antrag eines Gefangenen nur nach aufwändigen Ermittlungen (bis hin zur Einholung medizinischer Gutachten u.Ä.) sachgerecht entschieden werden kann. Eine sechswöchige Frist, welche immer noch deutlich kürzer ist als die Drei-Monats-Frist in § 113 Abs.1 StVollzG erscheint angemessen.

8. Zu Artikel 1 Nr. 13 Buchstabe a (§ 163c Abs. 1 Satz 3 StPO)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu § 163c Abs. 1 StPO anstelle der Verweisung auf die §§ 114a bis 114c StPO einen Regelungsvorschlag zu unterbreiten, der den Besonderheiten dieser Vorschrift gerecht wird.

Begründung

Der Gesetzentwurf greift diese Diskrepanzen zwar in der Begründung auf (BR-Drs. 829/08 (PDF) , S. 50); er hält sie jedoch im Hinblick darauf für unerheblich, dass die Vorschrift nur entsprechend anzuwenden sei. Eine solche Betrachtungsweise ist inkonsequent. Wenn der Gesetzgeber ins Detail gehende Vorgaben über den Inhalt von Belehrungen macht, muss er sich auch der Mühe unterziehen, diese an die unterschiedlichen Rechtslagen anzupassen.

9. Zu Artikel 3 Nr. 3 ( § 89c JGG)

Artikel 3 Nr. 3 ist wie folgt zu fassen:

Begründung

Der Bund hat nicht die Kompetenz zur Regelung dieser Materie. § 89c JGG-E regelt die Frage, in welchen Vollzugseinrichtungen die Untersuchungshaft an jungen Erwachsenen zu vollziehen ist und wer darüber befindet. Der Regelungszweck der Bestimmung ist nicht die Sicherung des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens. Es geht vielmehr darum, auf welche Weise am besten sichergestellt werden kann, dass der junge Erwachsene so weit wie möglich von schädlichen Einwirkungen abgeschirmt und in seiner persönlichen Entwicklung gefördert oder jedenfalls nicht über Gebühr gehemmt wird. Dies sind nicht Fragen des "ob" des Antritts der Untersuchungshaft, sondern Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzuges, also klassische Vollzugsfragen. Bei der Untersuchungshaft für jugendliche, heranwachsende, "jungerwachsene" und erwachsene Beschuldigte handelt es sich nicht um verschiedene Maßnahmetypen, wie dies bei Jugend- und Freiheitsstrafe der Fall ist sondern um ein rechtlich einheitlich geregeltes Instrument zur Verfahrenssicherung, das lediglich für die einzelnen Altersstufen vollzuglich unterschiedlich ausgestaltet ist bzw. werden kann. Anhaltspunkte für eine Bundeszuständigkeit sind daher nicht ersichtlich.

Sie sind auch nicht aus der Bundeszuständigkeit des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (Jugendschutz als Teil der "öffentlichen Fürsorge") ableitbar. Die Regelung dieser Fragen gehört zum Recht des Untersuchungshaftvollzuges - für Beschuldigte aller Altersstufen -, das nunmehr in die Kompetenz der Länder fällt.

Diese Gesetzgebungskompetenz der Länder geht überdies dem Kompetenztitel des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 7 GG als spezieller vor und umfasst folglich die jugendpflegerischen Aspekte des Vollzuges.

10. Zu Artikel 3a - neu - (Änderung des Gerichtskostengesetzes)

Nach Artikel 3 ist folgender Artikel 3a einzufügen:

"Artikel 3a
Änderung des Gerichtskostengesetzes

Die Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 (Kostenverzeichnis) des Gerichtskostengesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Begründung

In § 119 Abs. 5 StPO-E ist vorgesehen, dass gegen ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, ihrer Ermittlungspersonen oder der Vollzugsanstalt gerichtliche Entscheidung beantragt werden kann.

Auch § 119a Abs. 1 StPO-E sieht einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen behördliche Entscheidungen oder Maßnahmen im Untersuchungshaftvollzug sowie wegen nicht fristgerecht getroffener behördlicher Entscheidungen vor.

Gegen die gerichtliche Entscheidung ist die Beschwerde zulässig (§§ 304 ff. StPO, vgl. Hinweis in der Begründung zu § 119a Abs. 3 StPO-E a.E., BR-Drs. 829/08 (PDF) , S. 46).

Das Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung soll - ebenso wie in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz - dann kostenpflichtig sein, wenn der Antrag zurückgewiesen oder zurückgenommen wird (vgl. die Nummern 3810, 3811 KV-GKG-E). Gründe für eine kostenfreie Bearbeitung dieser Anträge sind nicht ersichtlich. Der während der Untersuchungshaft geltenden Unschuldsvermutung wird dadurch Rechnung getragen, dass die Gebühr von dem Beschuldigten nur erhoben wird, wenn er - nicht nur wegen einer Ordnungswidrigkeit (allein deswegen wäre eine Untersuchungshaft nicht gerechtfertigt) -rechtskräftig verurteilt wird.