Der Bundesrat hat in seiner 819. Sitzung am 10. Februar 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Mitteilung der Kommission "Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit" zur Kenntnis, verweist auf die Mitteilung der Kommission zur "Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt" und seine Stellungnahme dazu vom 17. Oktober 2003 - BR-Drucksache 591/03(Beschluss) -, in der bereits maßgebliche Ziele formuliert werden, und hält daher den Begriff "neue Rahmenstrategie" für missverständlich. Im Übrigen sieht der Bundesrat in der Aufforderung der Kommission an die Mitgliedstaaten, auf der Grundlage einer von der Kommission aufgestellten Rahmenstrategie nationale Pläne zur Mehrsprachigkeit aufzustellen, eine Umgehung des Harmonisierungsverbots der Artikel 149/150 EGV.
- 2. Die Vorschläge der Kommission, nationale Aktionspläne zur Mehrsprachigkeit auszuarbeiten und über die getroffenen Maßnahmen zu berichten, tragen auch den Anforderungen an Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung. Der Bundesrat lehnt diese Vorschläge daher ab.
- 3. Viele Vorschläge der Kommission betreffen Gesetzgebungsbefugnisse der Länder. Dies gilt sowohl für Standards in der Schulbildung als auch im Bereich der Hochschulen und Universitäten. Für den Bundesrat ist deshalb von besonderer Bedeutung, dass die Aktivitäten der Kommission nicht über den Kompetenzrahmen des EGV hinausgehen dürfen. Für die Tätigkeit der Gemeinschaft zur Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen, insbesondere durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten, gibt Artikel 149 EGV einen klaren Rahmen vor, der die Verantwortung der Mitgliedstaaten betont. Daher sollten sich die Aktivitäten auf europäischer Ebene auf den Informations- und Erfahrungsaustausch konzentrieren.
- 4. Der Bundesrat würdigt die Feststellung der Kommission, dass das Fundament der EU die Idee der "Einheit in Vielfalt" ist, die in ihren unterschiedlichen Kulturen, Sitten, Gebräuchen, Überzeugungen und Sprachen zum Ausdruck kommt.
- 5. Die Fähigkeit, in anderen Sprachen als seiner Muttersprache zu kommunizieren, ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil für jeden einzelnen, Gesellschaft und Wirtschaft. Vielfältige Sprachkenntnisse fördern die Zusammenarbeit, den kulturellen Austausch und das gegenseitige Verständnis in der EU und über diese hinaus.
- 6. Die von der Kommission genannten drei Ziele im Hinblick auf die Förderung des Sprachenlernens, einer gesunden, multilingualen Wirtschaft und des Zugangs der Bürger zu den Rechtsvorschriften, Verfahren und Informationen der EUin ihrer eigenen Sprache werden ausdrücklich unterstützt.
- 7. Der Bundesrat empfiehlt jedoch eine kritische Prüfung hinsichtlich der Notwendigkeit der vorgesehenen Studien und Untersuchungen.
- 8. Der Bundesrat bezweifelt insbesondere die Sinnhaftigkeit der von der Kommission geplanten Negativ-Studie zu den Auswirkungen fehlender Sprachenkenntnisse auf die europäische Wirtschaft und schlägt stattdessen eine Positiv-Studie darüber vor, welche Kompetenzen in welchen Sprachen von welchen Wirtschaftszweigen in welchen Quantitäten benötigt werden; daraus könnten z.B. Anregungen für eine beschäftigungsorientierte Justierung des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen auf den verschiedenen Stufen des Bildungssystems gewonnen werden.
- 9. Im Hinblick auf die Implementierung des Europäischen Indikators für Sprachenkompetenz verweist der Bundesrat auf seinen Beschluss vom 14. Oktober 2005 - BR-Drucksache 653/05(B) - sowie auf den entsprechenden Folgebeschluss vom 10. Februar 2006 - BR-Drucksache 653/05(B) (2) -.
- 10. Die Kommission hat die Mitgliedstaaten bereits aufgefordert, 2007 über die Maßnahmen zu berichten, die sie zur Erreichung der Ziele des Aktionsplans 2004 bis 2006 "Förderung des Sprachenlernens und der Sprachenvielfalt" durchgeführt haben. Der Bundesrat lehnt es daher ab, im Jahr 2007 auch über Maßnahmen in den Schlüsselbereichen zu berichten, die in dieser Mitteilung dargelegt werden. Die Ausdehnung solcher Berichtspflichten ist wenig zielführend und würde im vorliegenden Fall einen erheblichen, zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Mitgliedstaaten ohne Mehrwert bedeuten.
- 11. Der Bundesrat sieht keine Notwendigkeit der Schaffung zusätzlicher Gremien, lehnt die Einrichtung einer hochrangigen Gruppe unabhängiger Expertinnen und Experten zum Thema Mehrsprachigkeit ab. Er fordert die Kommission auf, die bereits im Rahmen des Prozesses "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" eingerichtete Expertengruppe "Sprachen" mit dieser Aufgabe zu befassen.
- 12. Auch unter dem Gesichtspunkt der Deregulierung sollte die Zusammenarbeit so weit wie möglich in bestehenden Gremien erfolgen.
- 13. Der Bundesrat bezweifelt die Notwendigkeit einer von der Kommission angekündigten, weiteren Mitteilung zu einem ganzheitlichen Ansatz für die Mehrsprachigkeit in der EU, da keine hinreichende Begründung vorgelegt wird, inwieweit sich diese Mitteilung von der vorliegenden unterscheiden werde und somit einen europäischen Mehrwert darstellen könnte.
- 14. Der Bundesrat hält die von der Kommission angekündigte Empfehlung, wie die Aus- und Weiterbildung von Sprachenlehrkräften auf den neuesten Stand gebracht werden kann, für überflüssig, da bereits Maßnahmen in den Ländern ergriffen wurden. Diese Maßnahmen beinhalten insbesondere die Ausbildung und kontinuierliche Förderung der fremdsprachlichen Kompetenz der Sprachenlehrkräfte durch Aufenthalte im Zielsprachenland. Als gutes Beispiel kann hier die deutschfranzösische Zusammenarbeit in diesem Bereich genannt werden, wo es neben der Kooperation in der Aus- und Fortbildung der Sprachenlehrkräfte auch in einigen Ländern die Möglichkeit des Erwerbs von Doppelabschlüssen gibt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt darüber hinaus in der Qualifizierung von Sprachenlehrkräften für den bilingualen Unterricht.
- 15. Der Bundesrat sieht keine Notwendigkeit in einem statistischen Anhang die prozentuale Aufstellung, in welchen Staaten die Einwohner sich in einer weiteren Sprache unterhalten können, aufzuschlüsseln. Diese Erhebung gibt keinen Aufschluss über das Fremdsprachenlernen, sondern reflektiert vollkommen unkommentiert historische Fakten bzw. Zufälligkeiten (z.B. traditionelle Dreisprachigkeit in Luxemburg; die frühere Zugehörigkeit zur Sowjetunion in Estland, Lettland, Litauen und die damit verbundene Sprachkenntnis des Russischen).