Der Bundesrat hat in seiner 856. Sitzung am 6. März 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das mit der Initiative der Kommission verfolgte Ziel, den Güterverkehr zu stärken und damit einen Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarkts auch im Schienengüterverkehr zu leisten.
Im Hinblick auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede hinsichtlich der vorhandenen Schieneninfrastruktur sowie die voneinander abweichenden Anforderungen an die verkehrliche Leistungsfähigkeit dieser Infrastruktur und das hieraus erwachsende Bedürfnis nach einem möglichst flexiblen Ordnungsrahmen erachtet der Bundesrat eine Regelung auf Grund einer Verordnung im vorliegenden Fall nicht für Ziel führend. Er ist vielmehr der Auffassung, dass eine Richtlinie oder eine "Bestpractice-Regelung" zur Verwirklichung der angestrebten verkehrlichen Zielsetzung ausreichend sind.
- 2. Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass ein leistungsfähiger Schienengüterverkehr einen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung sowie für ein effizientes und Ressourcen schonendes Verkehrssystem leisten kann.
- 3. Der Bundesrat ist ferner der Auffassung, dass die Ausweisung von Güterverkehrskorridoren für Deutschland auf Grund der zentralgeografischen Lage in Europa und des damit verbundenen erheblichen Anteils an Transitverkehren nicht ohne erhebliche negative Auswirkungen auf die heutigen Schienenverkehre bliebe. Deutschland verfügt derzeit über ein größtenteils stark belastetes Eisenbahninfrastrukturnetz. Durch die polyzentrischen Siedlungsstrukturen sind insbesondere die Eisenbahnknotenpunkte rund um die Ballungsräume schon jetzt überlastet. Die Einführung und sogar Bevorzugung von grenzüberschreitenden Güterverkehrskorridoren, die die Mitgliedstaaten bzw. Infrastrukturunternehmen zwar zu finanzieren, aber auf deren Nutzung sie keinerlei Einfluss haben, würde die Belastungssituation zusätzlich erheblich verschärfen. Dies muss dringend verhindert werden.
- 4. Der Bundesrat ist auch der Auffassung, dass die Überschreitung einer Ländergrenze auf dem Landweg innerhalb der EU nicht ein Kriterium sein kann, ob Güterverkehr auf einer bevorzugten Trasse fahren darf oder nicht. Hierdurch würden große europäische Staaten ungerechtfertigt benachteiligt. Das Kriterium zwischen bevorzugten Trassen und nicht bevorzugten Trassen sollte allein die Eilbedürftigkeit der Ladung sein.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung deswegen, im weiteren Verfahren folgende Aspekte zu prüfen und in die Beratungen einzubringen:
- - Die Auswahl von Güterverkehrskorridoren und die damit einhergehende bevorzugte Zuweisung von Trassen für den vorrangigen Güterverkehr darf nicht zu einer unangemessenen Verdrängung bereits vorhandener Verkehre führen; gerade Personenverkehrsdienste sind auf Grund ihrer Erschließungsfunktion streckengebunden und können vielfach nicht auf alternative Routen ausweichen. Ziel sollte die Schaffung eines leistungsfähigen Güterverkehrsnetzes durch intelligentere Nutzung der bestehenden Infrastruktur oder deren Ausbau sein. Vor der Ausweisung von Güterverkehrskorridoren ist daher dringend erforderlich, rund um die hoch belasteten Eisenbahnknotenpunkte leistungsfähige, Ziel führende Neubau-Güterumfahrungsstrecken (ähnlich wie man es von Ortsumgehungen im Straßenverkehr kennt) zu errichten und die Streckennetze kapazitätsgerecht auszubauen, damit die Verdrängung der anderen Verkehrsarten vermieden wird.
- - Der Bundesrat weist ferner darauf hin, dass eine Bevorzugung grenzüberschreitender Verkehre zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen zwischen grenzüberschreitenden und nationalen Güterverkehren, aber auch Hafenstandorten führen kann, weil z.B. Überseegüter aus den niederländischen und belgischen Häfen als grenzüberschreitende Güterverkehre die deutschen Güterverkehrskorridore bevorzugt nutzen können, während die Güter aus den deutschen Seehäfen mit Binnenlandzielorten auf freie Trassenkapazitäten warten müssen. Eine Privilegierung der grenzüberschreitenden Güterverkehre würde gravierende Einschnitte für die deutschen Seehäfen, aber auch für die gesamte deutsche Wirtschaft mit Binnenlandverkehren bedeuten. Insofern sind generell die nationalen Güterverkehre den grenzüberschreitenden gleichzustellen.
- - Bei der Vergabe der Trassen innerhalb der Güterverkehrskorridore ist zusätzlich zu der Marktstudie und der sozioökologischen Betrachtung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass nicht Trassen für Güterverkehre über Jahre hinweg das Verkehrsnetz blockieren, die dann nicht genutzt werden, und somit zu einer Verschlechterung der gesamten Netzauslastung führen.
- - Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass der Aufbau der in der vorgeschlagenen Verordnung geplanten Organisation beinhaltet, dass die Mitgliedstaaten und auch die Infrastrukturbetreiber ihren Einfluss auf den Ausbau, die Instandhaltung und teilweise auch auf die Nutzung von Strecken weitgehend verlieren. Es wird daher befürchtet, dass künftig Ausbaumittel, die dem gesamten Netz zur Verfügung stehen sollen, vermehrt in die Korridorstrecken fließen müssen. Außerdem ist die Harmonisierung mit den konventionellen Trassenvergaberegularien, z.B. bei der Nutzung von Serviceeinrichtungen (Rangierbahnhöfen, Terminals etc.), dringend erforderlich.
- - Es wäre daher vorteilhaft, über eine andere Lösung als den Aufbau einer EU-weit agierenden Oberorganisation nachzudenken. Möglicherweise wären die bisher erlassenen Vorschriften der Wettbewerbsförderung des Schienengüterverkehrs (grenzüberschreitende Zusammenarbeit und leistungsabhängige Entgeltregelungen) ausreichend, wenn zu deren Einhaltung systematische Kontrollen durchgeführt werden.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf eine Ergänzung des Artikels 18 der vorgeschlagenen Verordnung hinzuwirken, wonach Festlegungen im Ausschussverfahren nur im Einvernehmen mit den jeweils betroffenen Mitgliedstaaten erfolgen können.