958. Sitzung des Bundesrates am 2. Juni 2017
A
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:
Bei Annahme entfallen die Ziffern 2 und 3
1. Hauptempfehlung zu Ziffern 2 und 3
Zu Artikel 1 Nummer 7 ( § 78 WHG), Nummer 8 ( § 78a WHG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) Nummer 7 ist zu streichen.
- b) In Nummer 8 ist § 78a zu streichen.
Folgeänderungen:
Artikel 1 Nummer 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) Buchstabe e ist zu streichen.
- b) In Buchstabe f ist die Zeile " § 78a Sonstige Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete" zu streichen.
Begründung:
Die Änderung des geltenden § 78 WHG (Besondere Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete) durch die vorgesehene Neufassung des § 78 und die Einfügung des § 78a ist nicht notwendig und würde den Hochwasserschutz gegenüber dem geltenden Recht stark schwächen. Das gilt insbesondere für die vorgesehene bloße Abwägungsregelung für die Bauleitplanung in § 78 Absatz 3, die an Stelle des derzeit geltenden grundsätzlichen Planungsverbots treten soll. Zudem sollen bauliche Anlagen der Verkehrsinfrastruktur zukünftig ungeachtet etwaiger nachteiliger Auswirkungen auf den Hochwasserabfluss sowie auf Ober- und Unterlieger pauschal privilegiert werden. Diesen Gesetzesänderungen ist das derzeit geltende Recht ( § 78 WHG) vorzuziehen, dessen Vollzug sich in den Ländern inzwischen eingespielt hat und dessen wesentliche Vorgaben nach Inhalt und Begrifflichkeiten nicht zuletzt durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt sind. Auch für klarstellende Änderungen des § 78 besteht daher kein Bedarf mehr.
2. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1
Zu Artikel 1 Nummer 7 (§ 78 Absatz 1 bis 3 WHG)
In Artikel 1 Nummer 7 sind in § 78 die Absätze 1 bis 3 durch folgende Absätze 1 und 2 zu ersetzen:
- (1) Die Ausweisung von neuen Baugebieten im Außenbereich nach § 35 des Baugesetzbuches in Bauleitplänen oder sonstigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch sowie jede Änderung der Festsetzung eines Baugebiets im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 der Baunutzungsverordnung ist in festgesetzten und vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebieten verboten, soweit die Änderung nicht ausschließlich der Verbesserung des Hochwasserschutzes dient. Satz 1 gilt entsprechend für die Aufstellung eines Bebauungsplans in einem Gebiet nach § 34 Absatz 2 des Baugesetzbuches sowie für Satzungen nach § 34 Absatz 4 des Baugesetzbuches. Satz 1 gilt nicht für Bauleitpläne für Häfen und Werften.
- (2) Die zuständige Behörde kann abweichend von Absatz 1 die Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich ausnahmsweise zulassen, wenn keine anderen Möglichkeiten der Siedlungsentwicklung bestehen oder geschaffen werden können und das neu auszuweisende Gebiet unmittelbar an ein bestehendes Baugebiet angrenzt. Sie kann abweichend von Absatz 1 in Gebieten, die nach § 30 Absatz 1 und 2 oder § 34 des Baugesetzbuches zu beurteilen sind, eine Änderung der Festsetzung eines Baugebiets im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 der Baunutzungsverordnung ausnahmsweise zulassen, wenn damit keine oder nur eine unwesentliche Erhöhung des Schadenspotenzials zu besorgen ist. Ausnahmen nach den Sätzen 1 und 2 dürfen im Übrigen nur zugelassen werden, wenn
- 1. eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit oder erhebliche Sachschäden nicht zu befürchten sind,
- 2. der Hochwasserabfluss und die Höhe des Wasserstandes nicht nachteilig beeinflusst werden,
- 3. die Hochwasserrückhaltung nicht beeinträchtigt und der Verlust von verloren gehendem Rückhalteraum umfang-, funktions- und zeitgleich ausgeglichen wird,
- 4. der bestehende Hochwasserschutz nicht beeinträchtigt wird,
- 5. keine nachteiligen Auswirkungen auf Oberlieger und Unterlieger zu erwarten sind,
- 6. die Belange der Hochwasservorsorge beachtet sind und
- 7. die Bauvorhaben so errichtet werden, dass keine baulichen Schäden zu erwarten sind."
Begründung:
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juni 2014 (Az. 4 CN 6/12) hat entgegen der bis dahin verbreiteten Auslegung der Wasserwirtschaftsverwaltung der Länder das Bauleitplanungsverbot des § 78 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 WHG in der Sache auf den Außenbereich beschränkt. Mit der neuen Fassung des Bauleitplanverbots in den § 78 Absatz 1 und 2 WHG wird gewährleistet, dass auch in einem im Überschwemmungsgebiet liegenden baurechtlichen Innenbereich, unabhängig davon, ob er beplant ( § 30 BauGB) oder im Zusammenhang bebaut ist ( § 34 BauGB), die Belange des Hochwasserschutzes nicht nur wie viele Belange auch abgewogen werden, sondern es klare Vorgaben gibt, wie der Hochwasserschutz zu gewährleisten ist. Das Gebot, Belange des Hochwasserschutzes bei der Bauleitplanung im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ist bereits in § 1 Absatz 6 Nummer 12 BauGB ausdrücklich normiert. Sofern die Belange des Hochwasserschutzes lediglich Abwägungsbelange darstellen, können sie im Rahmen der Abwägung gegenüber anderen privaten oder öffentlichen Belangen zurückgestellt werden. Die Praxis hat gezeigt, dass die Belange des Hochwasserschutzes regelmäßig nicht ausreichend Berücksichtigung finden bzw. "weggewogen" werden. Abwägungsfehler können von der Aufsichtsbehörde bzw. im Wege gerichtlichen Vorgehens nur in Ausnahmefällen gerügt werden, eine angemessene Berücksichtigung der Belange des Hochwasserschutzes kann so nicht sichergestellt werden.
Im unbeplanten Außenbereich wird die bisherige Regelung fortgeführt. Für bereits beplante Bereiche und den Innenbereich wird das Verbot konkretisiert auf jede Veränderung des Charakters als "Baugebiet" im Sinne der nach § 1 Absatz 3 Satz 1 BauNVO möglichen Festsetzungen gemäß § 1 Absatz 2 BauNVO, im Innenbereich bezogen auf die Einstufung in ein "Baugebiet" entsprechend § 34 Absatz 2 erster Halbsatz BauGB. Dabei wird davon ausgegangen, dass jede Änderung der planerisch vorgesehenen oder faktisch vorzufindenden Art der Bebauung potenziell zu einer Erhöhung des Schadenspotenzials führt. Eine klarere Abgrenzung der Sachverhalte, die dem Verbot unterfallen, und damit ein verbesserter Vollzug der Bestimmung werden durch die Neuregelung ermöglicht.
Die Regelung über die Zulassung von Ausnahmen in § 78 Absatz 2 WHG wird entsprechend angepasst. Dabei werden die Voraussetzungen der bisherigen Nummern 1 und 2 auf die Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der Ausweisung neuer Baugebiete im bisher nicht beplanten Außenbereich bezogen. Für Ausnahmen zur Zulassung von Änderungen des Baugebiets i.S. des § 1 Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 2 BauNVO in beplanten Gebieten und unbeplanten Innenbereichen ist die Erhöhung des Schadenspotenzials im Plangebiet zu prüfen. Ist eine solche unwesentlich oder gar nicht gegeben, kann die Änderung zugelassen werden.
Im Übrigen gelten für beide Ausnahmetatbestände zusätzlich die Voraussetzungen der Nummern 1 bis 7.
3. Hilfsempfehlung zu Ziffer 1
Zu Artikel 1 Nummer 7 (§ 78 Absatz 4 Satz 1, Absatz 7 WHG)
In Artikel 1 Nummer 7 ist § 78 wie folgt zu ändern:
- a) In Absatz 4 Satz 1 sind die Wörter "nach den §§ 30, 33, 34 und 35 des Baugesetzbuches" zu streichen.
- b) Absatz 7 ist zu streichen.
Begründung:
Der auch schon im derzeit geltenden § 78 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 WHG enthaltene Verweis auf die §§ 30, 33, 34 und 35 des Baugesetzbuches ist gesetzestechnisch missglückt und hat in der Praxis der Zulassungsbehörden der Länder die Frage aufgeworfen, ob Infrastrukturvorhaben als bauliche Anlagen der Verbotsregelung unterfallen oder nicht. Das Gesetz unterlässt nicht nur die Klärung dieser wichtigen Frage, sondern privilegiert bauliche Anlagen der Verkehrsinfrastruktur sogar noch durch den vorgesehenen neuen § 78 Absatz 7 WHG. Aus der Sicht des Hochwasserschutzes sind auch bauliche Anlagen der Infrastruktur und insbesondere Verkehrsinfrastrukturvorhaben in festgesetzten Überschwemmungsgebieten gleich wie alle anderen baulichen Anlagen zu behandeln und grundsätzlich zu untersagen. Dieses Verbot muss mit Blick auf die Vielzahl der Zulassungsverfahren in unterschiedlichen Landesbehörden bundesgesetzlich eindeutig geregelt werden. Eine Privilegierung von Verkehrsinfrastrukturvorhaben, die nur deren hochwasserangepasste Bauweise verlangt, widerspricht dem Ziel des Gesetzes, den Hochwasserschutz weiter zu verbessern, und schafft zusätzliche Hochwassergefahren für Ober- und Unterlieger. Die Zulassung von Infrastrukturvorhaben und insbesondere Verkehrsinfrastrukturvorhaben muss in festgesetzten Überschwemmungsgebieten den Anforderungen des vorgesehenen § 78 Absatz 5 WHG unterliegen. Im Anhörungsentwurf der Bundesregierung war dies noch so geregelt.
4. Zu Artikel 1 Nummer 8 (§ 78d WHG)
In Artikel 1 Nummer 8 ist § 78d zu streichen.
Folgeänderung:
In Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe f ist die Zeile " § 78d Hochwasserentstehungsgebiete" zu streichen.
Begründung:
Das allgemeine Ziel, zu Gunsten des Hochwasserschutzes die Wasserversickerungs- und Rückhaltefähigkeit zu erhalten und zu verbessern, wird begrüßt. Die dafür vorgesehene Regelung des § 78d WHG wird dem allerdings nicht gerecht und führt lediglich zu einem enormen Vollzugsaufwand bei Behörden sowie Aufwand und Kosten bei Planungsträgern und Bürgern, z.B. für zusätzliche Genehmigungen. Die Einführung von Hochwasserentstehungsgebieten als neue Gebietskategorie ist bereits kein geeignetes Instrument, um die in der Begründung des Gesetzes angeführten Ziele zu erreichen. Starkregenereignisse lassen sich nicht auf bestimmte Gebiete reduzieren. Die Regelung bleibt zudem eine klare Gebietsabgrenzung schuldig und versucht das grundlegende Defizit ihres Ansatzes dadurch zu lösen, dass die Festlegung von Kriterien den Ländern zugewiesen wird. Das potenzielle Auftreten von Starkniederschlägen mit starken oberirdischen Abflüssen ist nirgends auszuschließen, vielmehr können solche Situationen an nahezu jeder Stelle des Landes auftreten und dort zu Überflutungen führen - auch zum Beispiel in nahezu allen Ballungsgebieten. Infolge des Klimawandels ist zu beobachten, dass Starkregenereignisse an jedem Ort vorkommen können - es gibt keine Gebiete, die besonders anfällig für Starkregen sind.
Die vom Deutschen Bundestag vorgesehene Änderung in eine Kann-Bestimmung ist zwar insofern hilfreich, als die Länder nicht unmittelbar zur Ausweisung entsprechender Gebiete verpflichtet werden. Das Gesetz gibt aber dennoch weiterhin ein falsches Signal und weckt nicht einlösbare Erwartungen an den Schutz vor Hochwassergefahren. Die Regelung ist nach dem geltenden Recht auch nicht erforderlich, da es den Ländern freistehen würde, im Bedarfsfall eigene Regelungen zu erlassen.
B
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat ferner, die folgende Entschließung zu fassen:
- 5. Der Bundesrat bekräftigt die in seiner Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 655/16(B) -) dargelegten Bedenken zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er bedauert, dass sie in dem nun vorliegenden Gesetz des Deutschen Bundestages nicht hinreichend berücksichtigt wurden.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Gesetz neue Regelungen für bereits ausgewiesene Überschwemmungsgebiete geschaffen werden. Diese Neuregelung wird jedoch nicht zur Verbesserung mit Blick auf den Hochwasserschutz oder zur Vereinfachung der bestehenden Regelungen genutzt. Vielmehr befürchtet der Bundesrat auf Grund der umfänglichen Neuregelung neue Rechtsunsicherheiten, die eine gerichtliche Klärung notwendig machen.
- 7. Ebenso ist nach Auffassung des Bundesrates die neue Gebietskategorie der Hochwasserentstehungsgebiete nicht dazu geeignet, den Hochwasserschutz im Falle von Starkregenereignissen zu verbessern. Er begrüßt daher, dass die nun vorliegende Regelung in das Ermessen der Länder gestellt wird.
Gleichwohl ist die jetzt vorliegende Gebietskategorie fachlich umstritten. Sie ist auch überflüssig, da die Länder bereits bisher selbst die Möglichkeit hatten, bei Bedarf eine entsprechende Regelung zu treffen.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die vorgesehene Privilegierung von Verkehrsinfrastrukturanlagen das Risiko birgt, dass Hochwassergefährdungen zulasten von Siedlungsbereichen verschärft werden. Ferner wird die Systemgerechtigkeit im Verhältnis zu weitaus geringeren Eingriffen durch Bauvorhaben nach dem Baugesetzbuch nicht gewahrt.
- 9. Der Bundesrat stellt ebenfalls fest, dass der dem Gesetz zugrunde liegende Gesetzentwurf hinsichtlich der Angaben zum Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft nicht vollständig ist. Insbesondere ist die Vorgabe der hochwasserangepassten Bauweise nicht klar definiert, so dass eine Berechnung der daraus resultierenden Kosten nicht belastbar möglich ist.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der entstehende Verwaltungsaufwand bei den Landesbehörden ebenso wie die für Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft zu erwartenden Kosten erheblich sind.
Da konkrete Vorgaben für die Umsetzung der Anforderungen der hochwasserangepassten Bauweise fehlen, muss jeweils im Einzelfall beurteilt werden, ob ein Vorhaben den Kriterien entspricht.
- 10. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass die bundesgesetzlichen Regelungen zum Hochwasserschutz mit Blick auf ihre Wirksamkeit und den erforderlichen Aufwand bis spätestens 31. Dezember 2019 evaluiert werden und die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat dazu berichtet.