Gesetzesantrag des Freistaates Bayern Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Wiederholungstaten von Sexual- oder Gewalttätern

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzesantrag des Freistaates Bayern
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Wiederholungstaten von Sexual- oder Gewalttätern

Der Bayerische Ministerpräsident München, den 13. Dezember 2006

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff

Sehr geehrter Herr Präsident!

Gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich den in der Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügten


mit dem Antrag, dass der Bundesrat diesen gemäß Art. 76 Abs. 1 GG im Bundestag einbringen möge.
Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Abs. 2 GO BR auf die Tagesordnung der 829. Sitzung am 15. Dezember 2006 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. Edmund Stoiber

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung vor Wiederholungstaten von Sexual- oder Gewalttätern

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, Ber. S. 1319), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Änderung des Jugendgerichtsgesetzes

Artikel 4
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Artikel 5
Inkrafttreten

Begründung

I. Allgemeines

Im Interesse des Opferschutzes und der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit bedarf es größtmöglicher Sicherungen, um zu verhindern, dass gefährliche Straftäter insbesondere vorzeitig aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe entlassen werden. Eine Reihe von einschlägigen Rückfalltaten in letzter Zeit hat das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger schwer beeinträchtigt. Neben vermehrten Anstrengungen im Strafvollzug im Hinblick auf eine Therapie gefährlicher Strafgefangener und einem möglichst engmaschigen Netz an Unterstützung und Überwachung im Rahmen der Bewährungshilfe bedarf es auch gesetzlicher Änderungen im Bereich der vorzeitigen Entlassung, die die Gefahr eines Rückfalles weitestmöglich mindern.

Der Entwurf sieht Änderungen in folgenden Bereichen vor:

Strafrestaussetzung

Das geltende Recht sieht vor, dass grundsätzlich unabhängig von der einer Verurteilung zugrundeliegenden Tat das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe auszusetzen hat, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe verbüßt sind, der Verurteilte einwilligt und die Strafrestaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Der Entwurf verschärft in den Fällen, in denen der Verurteilte ein schwerwiegendes Sexual- oder Gewaltverbrechen begangen hat, die Voraussetzungen einer Strafrestaussetzung.

Um überhaupt in die Prüfung einer positiven Legalprognose für den Fall einer vorzeitigen Entlassung in die Freiheit einzutreten, müssen besondere Umstände vorliegen, die es unter Berücksichtigung der Schuld des Verurteilten rechtfertigen könnten, eine Strafrestaussetzung zur Bewährung zu gewähren. Die Vollverbüßung wird für diesen Täterkreis zur Regel, die Strafrestaussetzung zur Ausnahme. Die jeder Prognoseentscheidung innewohnenden Risiken müssen daher in deutlich weniger Fällen in Kauf genommen werden.

Erhöhte Mindestverbüßungsdauer bei lebenslanger Freiheitsstrafe

Die Möglichkeit einer Strafrestaussetzung nach Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber ist es jedoch nicht verwehrt, eine schuldangemessene Mindestverbüßungsdauer festzulegen. Die derzeit vorgesehenen fünfzehn Jahre heben sich nicht hinreichend von der Höchstdauer der zeitigen Freiheitsstrafe ab, die ebenfalls fünfzehn Jahre beträgt. Der besondere Stellenwert der lebenslangen Freiheitsstrafe muss verdeutlicht werden, um die Abschreckungswirkung für potentielle Täter und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts durch entschiedene, schuldangemessene Reaktion auf schwerste Straftaten zu stärken.

Begutachtung vor Strafrestaussetzung

Nach derzeitigem Recht hat das Gericht gemäß § 454 Abs. 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen über den Verurteilten einzuholen, wenn es erwägt, die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB bezeichneten Art auszusetzen, und nicht auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen.

Bereits heute bedarf daher die Beurteilung der Kriminalprognose eines Sexual- oder Gewalttäters einer gutachtlichen Fundierung, wobei das Gericht nicht daran gehindert ist, in Zweifelsfällen ein weiteres Gutachten einzuholen.

Um die Gefahr unerkannt fehlerhafter Sachverständigengutachten weiter zu minimieren, erscheint es bei hoch bestraften Sexual- oder Gewalttätern geboten, bereits von Gesetzes wegen ein zweites Gutachten zu fordern. Damit wird die Prognose nach dem Vieraugenprinzip auf eine noch sicherere Grundlage gestellt. Dem Gesetz ist die Verpflichtung zur Einholung zweier Gutachten im Übrigen nicht fremd. So sieht das geltende Recht vor der Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung im Hinblick auf den gravierenden Freiheitseingriff zwei Gutachten vor. Nicht weniger gerechtfertigt erscheint dies im Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit vor einer Strafrestaussetzung bei potentiell hochgefährlichen Straftätern.

Der Entwurf sieht ferner vor, dass in allen Fällen der Begutachtung externe Sachverständige zu beauftragen sind. Externe Sachverständige können die in der Strafhaft über den Verurteilten gewonnenen Befunde erheben und ihr Gutachten unbeeinflusst von persönlichen Momenten abgeben, die sich während einer längeren Strafhaft durch die Behandlung im Vollzug nicht ausschließen lassen. Das externe Gutachten bietet daher für die gerichtliche Entscheidung eine zusätzliche Bestandsaufnahme und Bewertung der positiven und negativen Prognoseprädiktoren.

Entsprechendes muss auch bei der Aussetzung einer Jugendstrafe und der Entlassung aus einer freiheitsentziehenden Maßregel gelten, sofern der Jugendstrafe bzw. der Unterbringung entsprechende Taten zugrunde liegen.

Gerichtliche Zuständigkeit

Die Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe soll von der Großen Strafvollstreckungskammer mit drei Berufsrichtern zu treffen sein, wenn es um die Aussetzung einer Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren geht.

Die Aussetzung des Strafrestes bei einer Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren ist von erheblicher Tragweite und sollte daher von einem Richterkollegium getroffen werden. Die dadurch eintretende Mehrbelastung der Gerichte muss angesichts der Bedeutung der Entscheidung für die Sicherheit der Bevölkerung hingenommen werden.

II. Zu den einzelnen Bestimmungen

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Zu Artikel 1 Nr. 1a (Änderung des § 57 StGB - § 57 Abs. 1a neu)

Gemäß § 57 Abs. 1 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, eine Strafrestaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und der Verurteile einwilligt. Bei der Entscheidung sind im Rahmen einer prognostischen Gesamtwürdigung namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zur erwarten sind. Hierbei gilt nach der Rechtsprechung, dass das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit der Legalprognose von dem Gewicht des im Falle eines Rückfalles bedrohten Rechtsguts abhängt und bei besonders gefährlichen vorausgegangenen Taten eine Strafrestaussetzung weniger leicht zu verantworten ist (Tröndle/Fischer, RdNr. 12 zu § 57 m. w. N. )

Der Entwurf sieht ergänzend vor, dass Sexual- oder Gewaltstraftäter nach einer Verurteilung zu mindestens 4 Jahren Freiheitsstrafe nur unter der weiteren Voraussetzung in den Genuss einer Aussetzung des Strafrestes kommen können, dass neben einer positiven Prognose besondere Umstände vorliegen die auch unter Berücksichtigung der Schuldschwere eine vorzeitige Entlassung in die Freiheit rechtfertigen können. Der Entwurf führt damit eine bereits nach geltendem Recht vorgesehene Differenzierung der Voraussetzungen einer Strafrestaussetzung fort. Das geltende Recht unterscheidet zwischen den Voraussetzungen einer Strafrestaussetzung nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe gemäß § 57 Abs. 2 StGB und denjenigen einer Strafrestaussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB. Eine Halbstrafenaussetzung setzt grundsätzlich eine Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren voraus, unabhängig davon, wie gut die Sozialprognose des Verurteilten auch aussehen mag. Gleichzeitig wird eine Mindestverbüßung von sechs Monaten verlangt. Bei Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren kommt eine Strafrestaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt nur in Betracht, wenn über die bereits gestellte günstige Sozialprognose hinaus (vgl. Tröndle/Fischer, RdNr. 29 zu § 57) besondere Umstände vorliegen. Diese besonderen Umstände verlangt der Entwurf bei schweren Sexual- und Gewaltverbrechern mit Freiheitsstrafen von mehr als vier Jahren nunmehr auch für eine Strafrestaussetzung ab dem Zweidrittelzeitpunkt. Hinsichtlich der Frage, welche besonderen Umstände hierfür in Betracht kommen, kann daher auf die Rechtsprechung zu § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB zurückgegriffen werden.

Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, bei besonders gefährlichen Straftaten mit hoher Strafsanktion und damit besonders großem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes eine vorzeitige Entlassung aus der zeitigen Freiheitsstrafe nur unter besonders engen Voraussetzungen zuzulassen.

Die Rechtsprechung des BVerfG zur Berücksichtigung der Schwere der Tat nach langer Vollzugsdauer im Rahmen der Prognoseentscheidung des § 57 StGB (BVerfG, Beschl. v. 24.10.99, 2 BvR 1538/99) steht dem nicht entgegen. Der Entwurf greift nicht in die Prognose ein, sondern verlangt zusätzliche Voraussetzungen neben einer positiven Prognose.

Dass der Strafzweck des Schuldausgleichs und die mit der Strafvollstreckung verfolgten generalpräventiven Zwecke Vorrang vor einer günstigen Sozialprognose haben können, hat das Bundesverfassungsgericht für die Frage des Widerrufs einer Strafaussetzung auch bereits mehrfach entschieden (BVerfG, Beschl. v. 21.03.1994, 2 BvR 560/93; Beschl. v. 21.02.2001, 2 BvR 2223/00). Nichts anderes kann für die Strafrestaussetzung gelten.

Der Entwurf verkennt nicht, dass in den betroffenen Fällen der Gewalt- und Sexualtäter mit Freiheitsstrafen von mindestens vier Jahren die vorgeschlagene Änderung des § 57 StGB den Einsatz des Druckmittels des Bewährungswiderrufes nur noch in wenigen Fällen ermöglichen wird. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Bewährungsüberwachung müssen weitgehend durch eine effektive Ausgestaltung der Führungsaufsicht ersetzt werden.

Die stark verminderte Aussicht auf vorzeitige Entlassung bei entsprechendem Vollzugsverhalten kann ferner die Motivation zur Durchführung einer Therapie schwächen. Dies wird hohe Anforderungen an die Motivationsbemühungen des Justizvollzuges stellen.

Eine Änderung der Voraussetzungen einer Aussetzung freiheitsentziehender Maßregeln nach § 63 StGB (psychiatrisches Krankenhaus), § 64 StGB (Entziehungsanstalt) oder §§ 66, 66 a, 66 b StGB (Sicherungsverwahrung) ist nicht geboten. Gemäß § 67b Abs. 2 StGB setzt das Gericht hier die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung erst dann aus, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Insoweit ist die Aussetzung einer freiheitsentziehenden Maßregel bereits nach heutigem Recht engstmöglich gefasst.

Zu Artikel 1 Nr. 1b (Änderung des § 57 Abs. 2)

Die Regelung stellt sicher, dass in den Fällen des Abs. 1a - neu - eine Aussetzung der Restfreiheitsstrafe vor Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe ausgeschlossen ist.

Zu Artikel 1 Nr. 2 ( Änderung des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1)

Die Mindestverbüßungsdauer bei lebenslanger Freiheitsstrafe wird von fünfzehn auf zwanzig Jahre erhöht. Dadurch wird der erforderliche Abstand zur Höchstdauer der zeitigen Freiheitsstrafe hergestellt, eine höchst strafwürdigen Taten angemessene Strafe sichergestellt, die Abschreckungswirkung auf potentielle Täter erhöht und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung gestärkt. Einer grundsätzlichen Änderung der Vorschriften über die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslangen Freiheitsstrafen bedarf es darüber hinaus dann nicht mehr. Das Gericht setzt nach dem Entwurf die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus wenn 20 Jahre der Strafe verbüßt sind, nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet, die Strafrestaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und der Verurteilte einwilligt. Im Rahmen der vollstreckungsrechtlichen Gesamtwürdigung kommt dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit besonderes Gewicht zu (vgl. BVerfG, NJW 98, 2202 ff). Hinsichtlich der Gefahr schwerer Gewalttaten geht jeder Zweifel an einer günstigen Prognose zulasten des Verurteilten (vgl. BVerfG NJW 92, 2345).

Zu Artikel 2 (Änderung der StPO)

Zu Artikel 2 Nr. 1a (§ 454 Abs. 1)

Es handelt sich um eine Folgeänderung aufgrund der Änderung des § 57a Abs. 1 StGB in Art. 1 Nummer 2.

Zu Artikel 2 Nr. 1b (§ 454 Abs. 2 )

§ 454 StPO regelt das Verfahren bei der Aussetzung der Reststrafe nach §§ 57, 57a StGB. Bei der zu treffenden Prognoseentscheidung über die Wahrscheinlichkeit erneuter Straffälligkeit muss das Gericht in gravierenden Fällen sachverständig beraten sein, da es ansonsten allein auf subjektive Menschenkenntnis und Berufserfahrung angewiesen wäre. Aus diesem Grund wurde bereits mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl I S. 160) die obligatorische Einholung eines Sachverständigengutachtens vor einer Strafrestaussetzung zeitiger Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren wegen besonders schwerwiegender Taten eingeführt und hierbei auf den Straftatenkatalog des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB abgestellt. Der Entwurf hält an dieser Regelung für den Bereich der zeitigen Freiheitsstrafen fest.

Es bedarf jedoch weiterer Maßnahmen, um die Prognose über den Standard des geltenden Rechts hinaus noch sicherer zu machen. Der Entwurf schlägt daher vor, dass vor der Restaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mindestens vier Jahren wegen einer Straftat der in § 57 Abs. 1a StGB-E bezeichneten Art zwei Sachverständige hinzuzuziehen sind. Den Ansatz einer obligatorischen Doppelbegutachtung verfolgt das Gesetz bereits bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung in § 275a Abs. 4 StPO, um Fehlprognosen zu Lasten des Verurteilten zu vermeiden. Das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit im Falle einer vorzeitigen Entlassung gefährlicher Gewalt- und Sexualtäter rechtfertigt gleichermaßen einen verstärkten Einsatz von Sachverständigen. So kann die Einführung des "Vieraugenprinzips" in der Begutachtung die Gefahr unerkannter Fehlbeurteilungen durch das Erstgutachten deutlich vermindern. In geeigneten Fällen lässt sich durch die Doppelbegutachtung auch ein interdisziplinärer Begutachtungsansatz sicherstellen. So kann erforderlichenfalls neben einem psychiatrisch/ psychologischen Gutachten auch ein kriminologisches Gutachten eingeholt werden.

Das Verfahren vor einer erwogenen Strafrestaussetzung wird damit aufwendiger und teurer. Im Interesse einer Erhöhung der Prognosesicherheit und einer möglichst weitgehenden Vermeidung von Rückfalltaten erscheint es jedoch geboten, diesen Mehraufwand zu tragen. Im Zusammenspiel mit § 57 Abs. 1a StGB-E wird es allerdings nur in einem Teil der Fälle zu einer Doppelbegutachtung kommen. Liegen keine besonderen Umstände vor, die eine Strafrestaussetzung rechtfertigen könnten, kommt es auf die Sozialprognose nicht mehr an. Eine Begutachtung ist in diesen Fällen dann entbehrlich.

Zu § 454 Abs. 2 Satz 3 neu:

Nach geltendem Recht ist das Gericht nicht verpflichtet, einen externen Sachverständigen mit der Begutachtung zu beauftragen. Gleichwohl ist es in der Praxis üblich. Der Entwurf schreibt diese Praxis nunmehr im Gesetz fest. Nur die Einschaltung externer Gutachter kann die nachteiligen Auswirkungen eines "Näheverhältnisses" vermeiden, das bei einer Therapie im Vollzug auftreten kann, und verhindern, dass der Therapeut über seinen eigenen therapeutischen Erfolg zu urteilen hat. Der Sachverstand der im Vollzug tätigen Therapeuten wird hierdurch nicht in Frage gestellt. Die therapeutische Einschätzung des Vollzuges wird vielmehr ein weiteres wichtiges Hilfsmittel zur Prognosebildung bleiben. Sie wird dem Gericht und den Sachverständigen über die Äußerung der Vollzugsanstalt gemäß §§ 454 Abs. 1 Satz 2, 463 Abs. 3 Satz 1 StPO ungeschmälert zur Verfügung stehen. Nr. 1b cc - ee behandeln Folgeänderungen der Neufassung der Sätze 1 bis 3 ohne zusätzlichen Regelungsgehalt.

Zu Artikel 2 Nr. 2 (§ 454b Abs. 2 Nr. 3)

Es handelt sich um eine Folgeänderung aufgrund der Änderung des § 57a Abs. 1 StGB in Art. 1 Nummer 2.

Zu Artikel 2 Nr. 3 (§ 463 Abs. 3)

Auch bei der Aussetzung einer freiheitsentziehenden Maßregel bedarf es einer Prognoseentscheidung über das weitere Legalverhalten des Untergebrachten nach der Entlassung. Die Gefahr schwerer Rückfalltaten ist auch hier nicht auszuschließen. Aus diesem Grund sieht auch das geltende Recht eine Sachverständigenbegutachtung vor jeder Aussetzung einer unbefristeten Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB, vor jeder Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung nach Ablauf von 10 Jahren nach § 67d Abs. 3 StGB, vor jeder Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Maßregel nach Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe nach § 67c Abs. 1 StGB und vor jeder Entscheidung über die Erforderlichkeit der Unterbringung bei Anordnung mehrerer freiheitsentziehender Maßregeln nach § 72 Abs. 3 StGB vor. In den gravierenden Fällen einer Katalogtat i. S. d. § 57 Abs. 1a StGB-E sowie für die Entscheidung über die Vollstreckung einer Sicherungsverwahrung ist es geboten, entsprechend den Regelungen vor einer Strafrestaussetzung, ebenfalls zwei Sachverständigengutachten zu fordern. Im Übrigen greift der Entwurf einen Vorschlag aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BR-Drs. 400/05 (PDF) ) auf, wonach die Begutachtungserfordernisse vor einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug insgesamt auf das Ziel auszurichten sind Sexual- und Gewaltvergehen und Verbrechen zu verhindern.

Die Begutachtungserfordernisse sollen daher anders als bisher an die rechtswidrige Tat, die der Unterbringung zugrunde liegt, gekoppelt werden.

Handelt es sich insoweit um eine Katalogtat i. S. d. § 57 Abs. 1 a StGB-E, so sind zwei externe Gutachten einzuholen. Liegt der Unterbringung ein sonstiges Verbrechen, oder eines der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Vergehen zugrunde, ist ein externes Gutachten einzuholen. Im Übrigen kann auf eine gesonderte Begutachtung verzichtet werden, da der Strafvollstreckungskammer stets eine fachärztliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung vorliegt die es ihr ermöglicht, die Risiken einer Aussetzung der Maßregel hinreichend sicher einzuschätzen. In Zweifelsfällen bleibt es auch hier möglich, eine externe Begutachtung anzuordnen. Nr. 3b enthält eine Folgeänderung sprachlicher Art.

Zu Artikel 3 (Änderung des § 88 JGG)

Ob die Aussetzung einer Jugendstrafe wegen schwerer Gewalt- oder Sexualdelikte entsprechend § 454 Abs. 2 StPO das Gutachten eines Sachverständigen erfordert ist im Jugendgerichtsgesetz nicht ausdrücklich geregelt.

Die h. M. verneint eine Begutachtungspflicht (Ostendorf, RdNr. 11a zu § 88 m. w. N. , Brunner/Dölling, RdNr. 6a zu § 88). Die Schwierigkeit der Prognoseentscheidung und die schwerwiegenden Folgen eines Rückfalles des Verurteilten erfordern jedoch auch im Jugendstrafrecht zwingend eine sachverständige Beratung des Gerichts. Der Entwurf stellt dies durch die Aufnahme eines ausdrücklichen Verweises auf die entsprechende Anwendbarkeit der Regelungen des § 454 Abs. 2 StPO sicher. Liegen mehrere Straftaten vor, die mit einer Einheitsstrafe geahndet wurden, genügt es, wenn zumindest eine Katalogtat mit abgeurteilt wurde.

Zu Artikel 4 (Änderung des § 78b GVG)

Der Entwurf sieht vor, dass die besonders bedeutsamen Entscheidungen einer Aussetzung der Reststrafe bei Freiheitsstrafen von mindestens vier Jahren in die Zuständigkeit der Großen Strafvollstreckungskammer überführt werden. Er stellt daher sicher, dass schon in der ersten Instanz das Fachwissen und die Erfahrung von drei Berufsrichtern genutzt werden können und damit die Prognoseentscheidung auf eine breitere richterliche Entscheidungsbasis gestellt wird.

Zu Artikel 5 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.