Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 26. September 2019
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung des Identitätsdiebstahls zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller
Entschließung des Bundesrates zur Bekämpfung des Identitätsdiebstahls
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung, durch welche gesetzlichen Regelungen die in den letzten Jahren rasant angestiegenen Fälle des sog. Identitätsdiebstahls wirksam bekämpft werden können. Das Phänomen des sog. Identitätsdiebstahls zeichnet sich durch folgende Sachverhaltsgestaltung aus:
Nach wie vor gibt es Versandwarenhäuser, die Waren auf Rechnung versenden. Für einen solchen Versand sind lediglich der Name, eine Adresse sowie das Geburtsdatum erforderlich. Diese Informationen sind heute oft frei zugänglich und kaum noch zu schützen.
Mit diesen Daten werden Waren an die Anschrift einer unbewohnten Wohnung bestellt. Entweder werden die Pakete hier durch die Täter direkt in Empfang genommen oder bei Nachbarn abgegeben. Die Mahnungen der Versandhäuser gehen ebenfalls an diese fiktive Adresse. Schließlich geben die Versandhäuser die Fälle an Inkassounternehmen ab, welche dann oftmals zunächst eine Einwohnermeldeabfrage durchführen und auf diese Weise die tatsächliche Anschrift der vermeintlichen Schuldner ermitteln. Sodann werden die Schuldner mit Mahnungen konfrontiert, die häufig in kurzen Zeitabständen erfolgen und offensiv formuliert sind. Oft erfolgt parallel dazu bereits eine Meldung an die SCHUFA Holding AG, die zwar die Adressabweichung feststellt, hieraus aber nicht die Notwendigkeit ableitet, weitere Informationen einzuholen. Stattdessen kommt es zu einem Eintrag und einer Absenkung des Scores. In der Regel erfahren die betroffenen Verbraucher von dem SCHUFA-Eintrag erst dann, wenn sie z.B. einen Mobilfunkvertrag oder einen Mietvertrag abschließen, ein Kraftfahrzeug leasen oder eine Immobilie erwerben möchten, eine Kreditkarte oder einen Dispo-Kredit benötigen.
Aus Sicht des Bundesrats besteht zum Schutz der Verbraucher vor Identitätsdiebstählen und deren negativer Folgen ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Die Tätigkeit der sog. Scoring-Unternehmen, also derjenigen Unternehmen, deren Geschäftszweck die Ermittlung der Bonität möglicher Vertragspartner ist (z.B. SCHUFA Holding AG), muss endlich transparent und nachprüfbar werden. Dazu ist das Handeln dieser Unternehmen an gesetzlich normierte Voraussetzungen zu knüpfen. Bei der Ausgestaltung dieser Regelungen ist auch zu prüfen, welche Regelungen nötig sind, damit die Tätigkeit jener Unternehmen den europarechtlichen Vorgaben, insbesondere denjenigen der Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) entspricht.
Ferner müssen die für die Eintragung oder für Auskunftsfragen bestehenden Voraussetzungen durch die Unternehmen glaubhaft gemacht werden, wobei sich die Anforderungen der Glaubhaftmachung an den diesbezüglichen Anforderungen der Zivilprozessordnung orientieren sollten.
- 2. Die bislang an die Registrierung, Tätigkeit und Aufsicht der Inkassounternehmen gestellten gesetzlichen Anforderungen sind zu überprüfen. Der Sachkundenachweis ist auf Personen zu erweitern, die für das registrierte Unternehmen tätig sind. Zugleich sind zur Verhinderung unberechtigter Inanspruchnahmen die Darlegungs- und Informationspflichten bei Inkassodienstleistungen zugunsten der Verbraucher zu verschärfen. Letztlich muss auch die Aufsicht über die Inkassounternehmen intensiviert und effektiver ausgestaltet werden. Dies ließe sich durch eine zentrale Aufgabenzuweisung bei einer Bundesbehörde erreichen. Der Informationsfluss zwischen der Aufsichtsbehörde, den Ermittlungsbehörden und anderen Institutionen ist zu verbessern, um Verdachtsfällen schnell und effizient nachgehen zu können. Es sollte sichergestellt sein, dass die Inkassounternehmen über ein für die Verbraucher leicht zugängliches Beschwerdemanagement verfügen.
- 3. Der Kauf auf Rechnung ist im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben, gesetzlich zu regulieren. Die Unternehmen sollen jedenfalls im Rahmen des Erstkontaktes verpflichtet werden, durch geeignete Maßnahmen die Identität der Besteller und die Richtigkeit der von ihnen angegebenen Daten (wie Namen, Geburtsdatum und Anschrift) zu überprüfen, um betrügerische Bestellungen zu verhindern. Insbesondere soll abgewogen werden, ob die Erstlieferung zu Neukunden oder Kunden mit neuer oder abweichender Rechnungsoder Lieferanschrift nur gegen Vorkasse oder per Nachnahme zulässig sein darf. Zudem ist zur Wahrung des Postgeheimnisses vor Zustellung an Dritte deren Einverständnis einzuholen.
- 4. Zur besseren Durchsetzung der zu schaffenden gesetzlichen (Mindest-)Anforderungen ist eine Anspruchsgrundlage zu schaffen, mit der Verbraucher die Erstattung der für eine außergerichtliche Abwehr eines vermeintlichen Anspruchs entstehenden Kosten verlangen können. Als Anspruchsgegner eines solchen Anspruchs kommen zum einen die vermeintlichen Anspruchsinhaber, die Inkassounternehmen und/oder die Unternehmen in Betracht, deren Zweck die Ermittlung der Bonität möglicher Vertragspartner ist. Die Anforderungen an diesen Erstattungsanspruch sind so auszugestalten, dass dieser zwingend an einen Verstoß gegen die Schutzvorschriften anknüpft. Dadurch soll verhindert werden, dass rechtmäßig agierende Unternehmen zu Unrecht einem vermeintlichen Erstattungsanspruch ausgesetzt werden. Wird die vermeintliche Forderung der Versandhändler vor oder nach einer Internetbestellung abgetreten oder werden vom Unternehmen Rechtsanwälte oder Inkassounternehmen hinzugezogen, sind gesetzliche Voraussetzungen zu schaffen, wonach die Kosten für eine anwaltliche Vertretung der Verbraucher auch zur außergerichtlichen Abwehr der unbegründeten Forderungen in jedem Fall erstattet werden müssen.
- 5. Eine Erstattung der Kosten für das Tätigwerden und die Beauftragung von Inkassounternehmen durch ein Unternehmen gegenüber Verbrauchern sollte erst nach zwei Mahnschreiben einschließlich des Hinweises, dass die Beitreibung der Forderung an ein Inkassounternehmen übergeben wird, möglich sein. Es sollte gesetzlich sichergestellt sein, dass die Verbraucher hinsichtlich der ihnen gegenüber zu Unrecht erhobenen Geldforderung die negative Feststellungsklage an ihrem Wohnsitz erheben können und auch dann keine Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben, wenn die Unternehmen den Klageanspruch unmittelbar nach Klageerhebung anerkennen.