A. Problem und Ziel
Die gemäß § 197 Absatz 1 Nummer 2 BGB nach 30 Jahren eintretende Verjährung des Herausgabeanspruchs aus dem Eigentum nach § 985 BGB führt im Fall der Berufung auf diese Einrede zu einem dauerhaften Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz. Dadurch wird das Eigentum nahezu vollständig entwertet. Der Eigentümer kann den Besitz nicht mehr erlangen und die Sache nicht mehr nutzen. Umgekehrt kann der unberechtigte Besitzer sie nach Ablauf der Verjährungsfrist ohne erhebliche wirtschaftliche Risiken verkaufen. Selbst wenn er dem Käufer das Eigentum nicht verschaffen kann, etwa weil die Sache dem Eigentümer abhandengekommen war, kann der Käufer ein wirtschaftliches Interesse an dem Kauf haben, weil ihm die abgelaufene Verjährungsfrist gemäß § 198 BGB ebenfalls zugutekommt und er damit auf Dauer im Besitz der Sache bleibt.
Dieses dem Gerechtigkeitsempfinden und der Zuweisungsfunktion des Eigentums widersprechende Ergebnis mag im Regelfall durch den Zweck der Verjährung, den Schuldner vor einer Inanspruchnahme in schwieriger Beweisposition zu schützen und Rechtsfrieden zu schaffen (vgl. Ellenberger in: Palandt, BGB 72. Auflage 2013, Überbl v § 194 Rzn. 7 ff), gerechtfertigt sein (so der Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 9. Oktober 2001, BT-Drs. 014/7052, S. 179). Bei Sachen, deren Besitz der ursprüngliche Eigentümer oder bei mittelbarem Besitz der unmittelbare Besitzer ohne seinen Willen verloren hat und die sich zudem in der Hand eines bösgläubigen Besitzers befinden, vermögen diese Gesichtspunkte jedoch das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz nicht zu rechtfertigen und müssen hinter dem Schutz des Eigentums zurücktreten.
Besonders augenfällig wird dies in Fällen von in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogenen oder kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern. In diesen Fällen wird dem Herausgabeanspruch der Eigentümer in der Regel die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden können. Diese Rechtslage ist nur schwer erträglich, weil auf diese Weise durch den NS-Staat geschaffenes Unrecht auf Dauer perpetuiert wird. Zudem widerspricht dieser Rechtszustand dem Geist der "Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" vom Dezember 1999. Dort haben die Bundesregierung, die Länder sowie die kommunalen Spitzenverbände ihre Absicht bekundet, in den verantwortlichen Gremien der Träger einschlägiger öffentlicher Einrichtungen auf die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter hinzuwirken. Unter Berufung u.a. auf diese Erklärung hat im Übrigen der Bundesrat bereits in einer Entschließung vom 9. November 2001 (BR-Drs. 819/01(B) ) den Willen bestätigt, derartige Güter zurückzugeben. Dabei hat er auch die Frage aufgeworfen, ob die Verjährung von Herausgabeansprüchen in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut einer Sonderregelung bedarf.
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die dargelegte unbefriedigende Rechtslage zu korrigieren und Eigentümern abhanden gekommener Sachen gegenüber bösgläubigen Besitzern auch nach Ablauf der Verjährungsfrist die Durchsetzung ihres Herausgabeanspruchs zu ermöglichen.
B. Lösung
Durch den Gesetzentwurf soll bei abhanden gekommenen Sachen die Berufung auf die Verjährung ausgeschlossen werden, wenn der Besitzer bei Besitzerwerb bösgläubig war.
C. Alternativen
Als Alternative kommt die völlige Abschaffung der Verjährung des Vindikationsanspruchs in Betracht. Dieser Weg sollte nicht beschritten werden. Eine völlige Beseitigung der Verjährung erscheint mit Blick auf die Funktion der Verjährung kaum vertretbar. Sie würde auch gegenüber dem gutgläubigen Besitzer und bei nicht abhanden gekommenen Sachen Platz greifen. In diesen
Fällen kommt aber den mit der Verjährung verfolgten Zielen (Schutz des Schuldners vor einer Inanspruchnahme in schwieriger Beweisposition, Schaffung von Rechtssicherheit) ein stärkeres Gewicht zu, das den Vorrang vor dem Schutz des Eigentums beansprucht. Eine Abschaffung der Verjährung erscheint im Übrigen auch dann, wenn man sie auf die Fälle abhanden gekommener Sachen und bösgläubiger Besitzer beschränkt, verfassungsrechtlich eher angreifbar als die vorgeschlagene Lösung. Um etwa für die Fälle des NS-Unrechts, in denen das hier zu lösende Problem besonders gravierend ist, Wirksamkeit zu entfalten, müsste die Abschaffung der Verjährung auch rückwirkend für bereits abgelaufene Verjährungsfristen gelten. Zwar lägen auch in diesem Fall die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der (echten) Rückwirkung vor. Die vorgeschlagene Lösung bezieht sich aber nur auf die künftige Berufung auf die Verjährung und berührt dadurch den Vertrauensschutz der Betroffenen deutlich weniger.
Als Alternative kommt zudem in Betracht, den Ausschluss der Verjährung auf NS-verfolgungsbedingt abhanden gekommene Kulturgüter zu beschränken. Dies empfiehlt sich nicht. Zwar ist das mit der Verjährung des Herausgabeanspruchs verbundene Problem bei diesen Kulturgütern wegen des hier zugleich inmitten stehenden staatlichen Unrechts besonders evident. Zudem erscheint wegen des internationalen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland aus den bereits dargelegten Gründen hier in besonderem Maße gesetzgeberisches Handeln geboten. Die aus dem dauernden Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz resultierenden Probleme stellen sich indessen auch bei Sachen, die unter anderen Umständen abhandengekommen sind; die hier relevante zivilrechtliche Interessenlage ist aus den dargelegten Gründen genauso zu beurteilen. Eine Beschränkung auf NS-verfolgungsbedingt abhanden gekommene Kulturgüter würde daher nicht unerhebliche Probleme mit Blick auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ( Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes) aufwerfen. So dürfte etwa schwerlich zu begründen seien, dass beispielsweise in der Sowjetischen Besatzungszone beschlagnahmte Kulturgüter, aber auch durch eine Privatperson geraubte Güter vom Ausschluss der Verjährung nicht umfasst sein sollten. Zudem dürfte die Einführung der Kategorie der "NS-verfolgungsbedingt abhanden gekommenen Kulturgüter" oder vergleichbarer Tatbestandsmerkmale in das bürgerliche Recht in der Praxis zu nicht unerheblichen, nur schwer zu bewältigenden Abgrenzungsproblemen führen.
D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Eine Belastung des Bundes durch die Realisierung dieses Gesetzes mit zusätzlichen Kosten ist nicht ersichtlich. Für die Länder und Gemeinden sind keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand ersichtlich.
E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Den Bürgerinnen und Bürgern entstehen keine zusätzlichen Kosten.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Der Wirtschaft entstehen keine Kosten.
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Keine.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Die Einschränkung der Berufung auf die Verjährung wird voraussichtlich zu Restitutionsprozessen führen, die einen Erfüllungsaufwand für die Ziviljustiz mit sich bringen, der allerdings nicht sicher abgeschätzt werden kann.
F. Weitere Kosten
Durch die Realisierung dieses Gesetzes entstehen keine zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft und für die sozialen Sicherungssysteme. Zudem sind keine Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, ersichtlich.
Gesetzesantrag des Freistaates Bayern
Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der Verjährung von Herausgabeansprüchen bei abhanden gekommenen Sachen, insbesondere bei in der NS-Zeit entzogenem Kulturgut (KulturgutRückgewähr-Gesetz - KRG)
Der Bayerische Ministerpräsident München, 7. Januar 2014
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stephan Weil
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung übermittle ich den als Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der Verjährung von Herausgabeansprüchen bei abhanden gekommenen Sachen, insbesondere bei in der NS-Zeit entzogenem Kulturgut (Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz, KRG) mit dem Antrag, dass der Bundesrat diesen gemäß Artikel 76 Absatz 1 GG im Bundestag einbringen möge.
Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Absatz 2 GOBR auf die Tagesordnung der 919. Sitzung am 14. Februar 2014 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Seehofer
Entwurf eines Gesetzes zum Ausschluss der Verjährung von Herausgabeansprüchen bei abhanden gekommenen Sachen, insbesondere bei in der NS-Zeit entzogenem Kulturgut (Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz, KRG)
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909; 2003 I S. 738), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3458) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 214 wird wie folgt geändert:
a) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 eingefügt:
(2) Gegenüber einem Herausgabeanspruch aus § 985 sowie Ansprüchen, die der Geltendmachung eines Herausgabeanspruchs aus § 985 dienen, ist die Berufung auf die Verjährung ausgeschlossen, wenn die Sache dem Eigentümer, dessen Rechtsvorgänger oder bei mittelbarem Besitz dem unmittelbaren Besitzer abhandengekommen war und der Besitzer, bei mittelbarem Besitz der mittelbare Eigenbesitzer bei Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben war."
b) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3.
2. In § 218 Absatz 2 wird die Angabe " § 214 Absatz 2" durch die Angabe " § 214 Absatz 3" ersetzt.
3. In § 813 Absatz 1 Satz 2 wird die Angabe " § 214 Absatz 2" durch die Angabe " § 214 Absatz 3" ersetzt.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeiner Teil
I. Zielsetzung
Der Herausgabeanspruch aus dem Eigentum verjährt in 30 Jahren. Dies entsprach bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) der ganz herrschenden Auffassung (vgl. BGH LM § 989 BGB Nr. 2, NJW 1994,1152; MünchKomm BGB/Medicus, 3. Aufl. 1997, § 985 Rdnr. 24, a.A. Müller, Sachenrecht, 4. Aufl. 1997, Rdnr. 455) und wurde durch das genannte Gesetz in § 197 Absatz 1 Nummer 1 a.F. (entspricht § 197 Absatz 1 Nr. 2 n. F.) ausdrücklich bestätigt. Eine Abschaffung der Verjährung des Herausgabeanspruchs wurde im Gesetzgebungsverfahren erörtert, aber mit Blick auf die Befriedungsfunktion des Verjährungsrechts und das Interesse des gutgläubigen Besitzers, nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mit Verfahren rechnen zu müssen, in denen sein böser Glaube behauptet wird, abgelehnt (Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 9. Oktober 2001, BT-Drs. 014/7052, S. 179).
Die Verjährung des Herausgabeanspruchs führt im Fall ihrer Geltendmachung zu einem dauerhaften Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz. Der Eigentümer kann den Besitz nicht mehr erlangen und damit die Sache nicht mehr nutzen. Das Eigentum wird gleichsam zu einem "nudum ius" bzw. einer "Hülse ohne Kern" (Armbrüster, Festschrift für Harm Peter Westermann, 2008, S. 57). Umgekehrt kann der unberechtigte Besitzer die Sache ohne erhebliche wirtschaftliche Risiken verkaufen. Selbst wenn er dem Käufer das Eigentum nicht verschaffen kann, etwa weil sie dem Eigentümer abhandengekommen war, kann dieser ein wirtschaftliches Interesse an dem Kauf haben, weil ihm die abgelaufene Verjährungsfrist gemäß § 198 BGB ebenfalls zugutekommt und er damit auf Dauer im Besitz der Sache bleibt. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung sollen dem unberechtigten Besitzer nach Eintritt der Verjährung sogar die Nutzungen im Sinne von §§ 987, 990 BGB verbleiben (arg. e § 217 BGB, Armbrüster, a.a. O., S. 58, Remien, AcP 201 (2001), S. 730/744). Damit würde bei Ablauf der Verjährung die Eigentümerposition unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten komplett auf den unberechtigten Besitzer übergehen.
Dieses Ergebnis widerspricht der Zuordnungsfunktion des Eigentums und dem Recht des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 Satz 1 BGB), welches der Gesetzgeber wegen Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes im Kern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gewährleisten muss.
Im Regelfall mag dieses Resultat durch den mit der Verjährung verfolgten Zweck, den Schuldner vor einer Inanspruchnahme in schwieriger Beweisposition zu schützen und Rechtsfrieden zu schaffen (vgl. Ellenberger in: Palandt BGB, 72. Auflage 2013, Überbl v § 194 Rzn. 7 ff), gerechtfertigt sein (a.A. Armbrüster, a.a.O., S. 63 ff) .
Bei Sachen, deren Besitz der ursprüngliche Eigentümer oder bei mittelbarem Besitz der unmittelbare Besitzer ohne seinen Willen verloren hat und die sich zudem in der Hand eines bei Erwerb des Besitzes bösgläubigen Besitzers befinden, vermögen diese Gesichtspunkte das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz indessen nicht zu rechtfertigen. Sie müssen hinter den Schutz des Eigentums zurücktreten. In dieser Fallkonstellation verdient einerseits das Interesse des Eigentümers am Rückerhalt der Sache besonderen Schutz, weil diese ihm, seinem Rechtsvorgänger oder einem unmittelbaren Besitzer ohne dessen Willen abhandengekommen ist. Die besondere Schutzwürdigkeit des Eigentümers im Fall des Abhandenkommens einer Sache wird vom Gesetz auch an anderer Stelle (§ 935 Absatz 1 BGB) anerkannt. Andererseits verdient das Interesse des Besitzers daran, vor einer Inanspruchnahme in schwieriger Beweislage geschützt zu werden, keinen Schutz durch die Rechtsordnung, wenn dieser bösgläubig ist. Im Gegenteil besteht die Gefahr, dass die bisherige Verjährungsregelung, die diesem Interesse Rechnung trägt, einen Anreiz für unredliche Besitzer schafft, Sachen 30 Jahre lang vor dem Eigentümer zu verbergen (vgl. Looschelders/Olzen in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 242 Rz. 548, Armbrüster, a.a. O., S. 63). Dies erweist sich insbesondere in den Fällen zur NS-Zeit entzogener, nach langer Zeit unbekannten Verbleibs wieder aufgetauchter Kulturgüter. Der im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts relevante Gesichtspunkt, dass auch ein gutgläubiger Besitzer gegenüber dem früheren Eigentümer davor geschützt werden müsse, dass man ihm Bösgläubigkeit unterstellt (BT-Drs. 014/7052, S. 179), überzeugt demgegenüber nicht. Die volle Beweislast für die Bösgläubigkeit des Besitzers liegt bei demjenigen, der die Herausgabe beansprucht. Dieser muss in den hier einschlägigen Fällen in der Regel gem. § 937 Absatz 2 BGB den Ausschluss der Ersitzung wegen Bösgläubigkeit beweisen. In jedem Fall müsste er die Bösgläubigkeit als Voraussetzung für den hier vorgesehenen Ausschluss der Verjährungseinrede beweisen. Im Übrigen lässt es sich nie ausschließen, dass unberechtigte Ansprüche erhoben werden; bei den mit einem daraus resultierenden Prozess verbundenen Lasten handelt es sich grundsätzlich um eine Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos (vgl. Armbrüster, a.a. O., S. 63).
Unter den beiden genannten Voraussetzungen (Abhandenkommen der Sache sowie Bösgläubigkeit des Besitzers) sollte daher die Berufung auf die Einrede der Verjährung ausgeschlossen werden, weil in diesen Fällen das Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz ausnahmsweise durch die Zwecke der Verjährung nicht gerechtfertigt ist. Dabei sollten beide Voraussetzungen kumulativ gefordert werden. Eine Versagung der Berufung auf die Verjährung ist nur gerechtfertigt, wenn die Sache sowohl abhandengekommen als auch der Besitzer bösgläubig ist. Allein der böse Glaube des Schuldners hindert die Verjährungseinrede in der Regel - etwa unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB - nicht, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, wie etwa das aktive Abhalten von einer Klage oder das Veranlassen der Annahme, der Schuldner werde den Gläubiger auch ohne Rechtsstreit vollständig befriedigen (BGH WM 1988, 128, 632). Umgekehrt kann das Abhandenkommen der Sache für sich allein nicht genügen, um dem Schuldner die Berufung auf die Verjährung zu versagen. Da die Verjährung auch dem Schutz des Schuldners vor Inanspruchnahme in schwieriger Beweislage dient, muss zu dem besonderen Umstand aus der Gläubigersphäre - Abhandenkommen der Sache - ein Element aus der Schuldnersphäre - Bösgläubigkeit - hinzutreten, das die Schutzwürdigkeit des Schuldners mindert bzw. ausschließt.
Liegen beide Voraussetzungen vor, so muss die Berufung auf die Verjährung gesetzlich ausgeschlossen werden. Unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) kann in diesen Fällen nämlich ohne das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände in der Regel eine Berufung auf die Verjährung nicht verhindert werden. Zwar wird es in der Literatur gerade in Fällen der NS-Raubkunst für möglich gehalten, gegenüber der Verjährungseinrede den Einwand des § 242 BGB zuzulassen, wenn der Besitzer die Sache in Kenntnis ihrer Herkunft erlangt hat und sie bewusst und zielgerichtet bis zum Ablauf der Verjährungsfrist verbirgt (Heuer NJW 1999, 2558/2563, Müller-Katzenburg, NJW 1999, 2551/2558). In der Rechtsprechung hat dies indessen bislang, soweit ersichtlich, keinen Niederschlag gefunden. Hier ist als einschlägige Fallgruppe des § 242 lediglich die bereits erwähnte Konstellation anerkannt, dass der Schuldner den Gläubiger (durch aktives Verhalten) von der Verwirklichung seines Anspruchs abgehalten hat (BGH, a.a.O., Palandt-Ellenberger a.a. O., Überbl v § 194 Rz. 19). Die bloße Bösgläubigkeit des Anspruchsgegners und ein passives Verbergen führt hingegen nicht ohne Weiteres zur Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung. Um das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz in diesen Fällen zu verhindern, ist daherein gesetzlicher Ausschlusstatbestand notwendig.
Besonders schwer erträglich wird das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz in Fällen von in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogenen oder kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern. Dort wird dem Herausgabeanspruch der Eigentümer in der Regel spätestens seit dem 8. Mai 1975 die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden können. Dieser Zustand ist nur schwer hinnehmbar, weil auf diese Weise durch den NS-Staat geschaffenes Unrecht auf Dauer perpetuiert wird. Zudem widerspricht diese Rechtslage dem Geist der "Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" vom Dezember 1999. Dort haben die Bundesregierung, die Länder sowie die kommunalen Spitzenverbände ihre Absicht bekundet, in den verantwortlichen Gremien der Träger einschlägiger öffentlicher Einrichtungen auf die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter hinzuwirken. Unter Berufung u.a. auf diese Erklärung hat im Übrigen der Bundesrat bereits in einer Entschließung vom 9. November 2001 (BR-Drs. 819/01(B) ) den Willen bestätigt, derartige Güter zurückzugeben. Dabei hat er auch die Frage aufgeworfen, ob die Verjährung von Herausgabeansprüchen in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut einer Sonderregelung bedarf. Der Bundesrat bat die Bundesregierung, zu dieser Frage Stellung zu nehmen und gegebenenfalls einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Auch die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister hat die Bundesministerin der Justiz mit Beschluss vom 10./12. Juni 2002 gebeten, im Zusammenhang mit dem damals bevorstehenden Abschluss der mit der Schuldrechtsmodernisierung begonnenen Reform des Verjährungs- und Leistungsstörungsrechts auch die Frage der Unverjährbarkeit dinglicher Herausgabeansprüche zu prüfen. Als Ergebnis der Prüfung hat das Bundesministerium der Justiz mit Schreiben vom 8. März 2004 im Rahmen der Vorlage des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts mitgeteilt, es sei auch nach nochmaliger Prüfung nicht veranlasst, dingliche Herausgabeansprüche unverjährbar zu stellen. Die immerhin dreißigjährige Verjährung sei auch hier durch die mit der Verjährung verfolgten Zwecke gerechtfertigt. Gutgläubige Erwerber müssten vor einer ungerechtfertigten Inanspruchnahme in schwieriger Beweislage geschützt werden. Die Problematik der Rückführung der im Zweiten Weltkrieg ins Ausland verschleppten deutschen Kulturgüter könne schwerlich mit einer diesbezüglichen Gesetzesänderung gelöst werden, da bei diesen Ansprüchen längst Verjährung eingetreten sei und diese nicht im Wege der Rückwirkung rückgängig gemacht werden könne. Unter den o.a. Voraussetzungen überzeugt diese Begründung insbesondere für die Fälle der Rückführung während der NS-Diktatur enteigneter Kulturgüter nicht.
In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auf eine Entscheidung des High Court of Justice für England und Wales vom 9. September 1998 in der Sache Stadt Gotha und Bundesrepublik Deutschland gegen Sotheby´s und Cobert Finance S.A. hinzuweisen. Das Gericht führte aus, die Anwendung deutschen Verjährungsrechts führe in dem ihm vorliegenden Fall dazu, dass ein Käufer begünstigt werde, der kein Eigentumsrecht an dem dort streitgegenständlichen Gemälde habe und noch nicht einmal behaupte, er oder seine Vorgänger hätten das Gemälde in gutem Glauben gekauft. Einer Partei, die zugebe, nicht in gutem Glauben gehandelt zu haben, zu gestatten, sich das Verstreichen der Frist anzurechnen, während die Kläger keine Kenntnis über den Verbleib des Gemäldes und keine Möglichkeit gehabt hätten, es wiederzuerlangen, verstoße gegen den Ordre Public (Case No. 1993 C and 1997 G, http://www.iuscomp.org/gla/judgments/foreign/gotha2.htm ). Die Bundesrepublik Deutschland hatte in diesem Rechtsstreit im Übrigen ebenfalls die Unvereinbarkeit dieser deutschen Rechtslage mit dem englischen Ordre Public behauptet (Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz, 2007, S. 282, Müller-Katzenburg, NJW 1999, S. 2551/2557). Es ist nicht davon auszugehen, dass der englische Ordre Public in dem hier maßgeblichen Punkt entscheidend vom deutschen Ordre Public abweicht.
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die dargelegte unbefriedigende Rechtslage zu korrigieren und Eigentümern abhanden gekommener Sachen gegenüber bösgläubigen Besitzern auch nach Ablauf der Verjährungsfrist die Durchsetzung ihres Herausgabeanspruchs zu ermöglichen.
II. Wesentlicher Inhalt
Durch den Gesetzentwurf soll bei abhanden gekommenen Sachen die Berufung auf die Verjährung ausgeschlossen werden, wenn der Besitzer bei Besitzerwerb bösgläubig war.
III. Gesetzgebungszuständigkeit
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (bürgerliches Recht).
IV. Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht
Da der Gesetzentwurf unter den genannten Voraussetzungen die Berufung auf die Verjährung auch in den Fällen ausschließt, in denen die Verjährungsfrist bereits läuft bzw. die Verjährung bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten ist, stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Die beabsichtigte Regelung ist jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden.
Ein Eingriff in bereits abgeschlossene Sachverhalte liegt hier nicht vor, weil das Gesetz in den genannten Fällen weder die laufende noch eine bereits eingetretene Verjährung nachträglich beseitigt, sondern nur für die Zukunft die Geltendmachung der Verjährungseinrede ausschließt.
Selbst wenn man in der Regelung dennoch wegen der indirekten Auswirkung auf bereits eingetretene Verjährungstatbestände eine "echte Rückwirkung" sowie auf laufende Verjährungsfristen eine "unechte Rückwirkung" erblicken wollte, so wäre diese doch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt.
Auch rückwirkende Regelungen sind nämlich von der Verfassung nicht generell verboten.
Regelungen mit sog. "unechter Rückwirkung", also solche, bei denen eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig, solange die vom Gesetzgeber angeordnete Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers nicht überwiegen (vgl. z.B. BVerfGE 95, 064/86 ).
Selbst Regelungen mit sog. "echter Rückwirkung", also solche, bei denen der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm und der Eintritt ihrer Rechtsfolgen auf einen Zeitpunkt festgelegt sind, der vor demjenigen liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist, sind nicht immer unzulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt:
"Rückwirkende Gesetze sind - außerhalb des von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Sachbereichs - nicht schlechthin unzulässig. Verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich aber auch hier aus dem in dem Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Gebot der Rechtssicherheit" (BVerfGE 25, 269/289f. zur strafrechtlichen Verjährung). "Zur Rechtsstaatlichkeit gehört jedoch nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch die materielle Gerechtigkeit. Diese beiden Seiten des Rechtsstaatsprinzips können vom Gesetzgeber nicht immer gleichmäßig berücksichtigt werden [ ... ]. Liegt die Rechtssicherheit mit der Gerechtigkeit in Widerstreit, so ist es in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Geschieht dies ohne Willkür, so kann die gesetzgeberische Entscheidung aus Verfassungsgründen nicht beanstandet werden [ ... ].
Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz gilt also nicht ausnahmslos. Der Bürger kann sich insbesondere auf Vertrauensschutz als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips dann nicht berufen, wenn "sein Vertrauen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann [ ... ]" (BVerfGE 25, 269/290f.). Es besteht demnach kein absolutes Rückwirkungsverbot.
Grund für das regelmäßige Verbot für Regelungen mit echter Rückwirkung ist, dass die Verfassung grundsätzlich das Vertrauen darauf schützt, dass die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen anerkannt bleiben; es beruht also auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes, der dem Rechtsstaatsprinzip innewohnt (BVerfGE 30, 367/387). Allerdings können Ausnahmen dann gelten, wenn das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage nicht schutzwürdig, weil sachlich nicht gerechtfertigt ist. Für diese Ausnahmen hat das Bundesverfassungsgericht verschiedene Fallgruppen aufgezeigt (vgl. z.B. BVerfGE 30, 367/387ff.). Eine echte Rückwirkung ist demnach insbesondere denkbar, wenn in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit einer solchen Regelung zu rechnen war, wenn die Rechtslage unklar und verworren oder lückenhaft war oder in dem Maße systemwidrig und unbillig, dass ernsthafte Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit bestehen, wenn durch die rückwirkende Regelung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (Bagatellfälle) oder wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Vertrauensschutz vorgehen, die Rückwirkung rechtfertigen können.
Selbst wenn man in der beabsichtigten Neuregelung eine echte Rückwirkung erblicken wollte, wäre diese aus mehreren Gründen zulässig.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein etwaiges Vertrauen des bösgläubigen Besitzers darauf, sich gegenüber dem Herausgabeanspruch vor Gericht auf die Einrede der Verjährung berufen zu können, nicht schutzwürdig wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bereits darauf hingewiesen, dass derjenige, der eine Rechtsposition unredlich erworben hat, keinen Vertrauensschutz genießt. So hat das Bundesverfassungsgericht z.B. festgestellt (BVerfGE 27, 231/239):
"Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gebietet jedoch, dass in Fällen unredlichen Verhaltens der endgültige Abschluss des Verfahrens auf der Grundlage des in diesem Zeitpunkt geltenden Rechts erfolgt. Das Vertrauen darauf, dass früher geltendes Recht nicht geändert wird, ist in diesen Fällen nicht schutzwürdig."
Und an anderer Stelle (BVerfGE 101, 239/266):
"Das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte ist grundsätzlich nicht schutzwürdig. [ ... ] Dieses [manipulative Verhalten] kann auch den Erben unredlicher Erwerber entgegengehalten werden, da die Erben als gesetzliche Rechtsnachfolger nicht besser gestellt werden müssen, als ihre Rechtsvorgänger."
In diese Richtung geht auch BVerfGE 32, 311/319:
"Weder Art. 14 Abs. 1 GG noch das Rechtsstaatsprinzip sind verletzt. Unlauteres Wettbewerbsverhalten kann keinen objektiven Besitzstand - als 'Eigentum' - begründen und keinen Vertrauensschutz für den Betriebsinhaber rechtfertigen."
Das beabsichtigte Gesetz bezieht sich gerade und nur auf bösgläubige Besitzer. Das Vertrauen desjenigen, der bereits zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs bösgläubig war, der also unredlich in den Besitz von Gegenständen gelangt ist, auf den Fortbestand der durch die Verjährung des Herausgabeanspruchs gekennzeichnete Rechtslage erscheint aber eben gerade nicht schutzwürdig. Der bei Besitzerwerb bösgläubige unrechtmäßige Besitzer weiß von Anfang an, dass ihm weder das Eigentum noch ein geschütztes Recht zum Besitz zustehen, dass der Besitz also von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist. Das Vertrauen darauf, entgegen dieser Rechtslage im Besitz der Sache bleiben zu dürfen, verdient keinen verfassungsrechtlichen Schutz.
Im Übrigen wäre eine echte Rückwirkung, selbst man eine solche annähme, auch dadurch gerechtfertigt, dass hier äußerst wichtigen Gründen des Gemeinwohls zur Geltung verholfen werden soll. Es droht nämlich auch eine Beeinträchtigung des Rechtsfriedens, weil durch die erfolgreiche Berufung des Bösgläubigen auf die Einrede der Verjährung ein der materiellen Gerechtigkeit eklatant widersprechender Zustand perpetuiert wird, was von den Menschen als zutiefst ungerecht empfunden wird; dadurch kann das Vertrauen der Menschen in die Rechtsordnung an sich erheblich beeinträchtigt werden. Der durch die Verjährung angestrebte Regelungszweck der Befriedung greift in diesen Fällen nicht durch. Dies gilt in ganz besonderer Weise für die von dem Gesetzentwurf auch erfassten Fälle der zur Zeit der NS-Diktatur entzogenen Kulturgüter. Auch die bereits zitierte Einlassung der Bundesrepublik Deutschland vor dem High Court of Justice für England und Wales, wonach die Möglichkeit des bösgläubigen unrechtmäßigen Besitzers, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen, nicht mit dem englischen Ordre Public vereinbar ist, bestätigt, dass der bisherige Rechtszustand elementaren Rechtsprinzipien und Gerechtigkeitsvorstellungen widerspricht.
Sieht man in der Versagung der Berufung auf die Verjährungseinrede wegen deren indirekter Auswirkung auf laufende Verjährungstatbestände zugleich eine "unechte Rückwirkung", so wäre diese aus den angegebenen Gründen erst recht verfassungsrechtlich unbedenklich.
V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen
Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.
VI. Gesetzesfolgen
1. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Eine Belastung des Bundes durch die Realisierung dieses Gesetzes mit zusätzlichen Kosten ist nicht ersichtlich. Für die Länder und Gemeinden sind keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand ersichtlich.
2. Erfüllungsaufwand
a) Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft
Den Bürgerinnen und Bürgern entstehen durch den Gesetzentwurf keine zusätzlichen Kosten.
b) Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Die Einschränkung der Berufung auf die Verjährung wird voraussichtlich zu Restitutionsprozessen führen, die einen Erfüllungsaufwand für die Ziviljustiz mit sich bringen, der allerdings nicht sicher abgeschätzt werden kann.
3. Weitere Kosten
Durch die Realisierung dieses Gesetzes entstehen keine zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft und für die sozialen Sicherungssysteme. Zudem sind keine Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, ersichtlich.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)
Zu Nummer 1 (§ 214 Absatz 2 BGB)
Der Ausschluss der Berufung auf die Einrede der Verjährung wird aus systematischen Gründen in § 214 als neuer Absatz 2 eingestellt. Da die Verjährung des Vindikationsanspruches nach § 197 Absatz 1 Nummer 2 als solche nicht verändert, sondern lediglich die Berufung auf die Einrede der Verjährung ausgeschlossen wird, ist § 214 der richtige Ort für die Regelung. Denn diese Vorschrift regelt die Rechtswirkungen einer bereits eingetretenen Verjährung. Da es um den völligen Ausschluss der Berufung auf die Verjährung in einer speziellen Fallgruppe geht, ist eine Platzierung zwischen Absatz 1, wo die Rechtswirkungen der Verjährung im allgemeinen, und dem bisherigen Absatz 2, wo spezielle Rechtswirkungen der Verjährung in einer bestimmten Konstellation (bereits erbrachte Leistungen) bestimmt werden, angebracht.
Die Bestimmung schließt unter den dort genannten Voraussetzungen die "Berufung auf die Verjährung" aus. Um den Ausschluss der Berufung auf die Verjährung möglichst wirksam auszugestalten, sollen sowohl die materiellrechtliche Erhebung der Einrede der Verjährung als auch der Vortrag im Prozess, dass die Einrede erhoben worden sei bzw. erhoben werde, erfasst werden. Hierfür erscheint der Ausdruck "Berufung auf die Verjährung" angemessen.
Der Ausschluss der Berufung auf die Verjährung bezieht sich auf Herausgabeansprüche aus § 985 sowie auf Ansprüche, die der Geltendmachung von Herausgabeansprüchen aus dem Eigentum dienen. Die Beschränkung auf Ansprüche aus § 985, d.h. der Verzicht auf eine Einbeziehung von anderen dinglichen Herausgabeansprüchen, etwa aus dem Nießbrauch (§ 1036 Absatz 1) oder dem Pfandrecht (§ 1227) sowie aus dem Besitz (§ 1007) entspricht der Zielsetzung des Gesetzentwurfs, ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz zu verhindern. Er erfüllt auch den Zweck, speziell zur Rückführung während der NS-Zeit jüdischen Eigentümern geraubten Kulturguts beizutragen, deren Ansprüche durchweg aus § 985 folgen. Ein weitergehender, Herausgabeansprüche aus anderen dinglichen Rechten umfassender Ausschluss der Verjährung ist für die Ziele des Gesetzes nicht erforderlich und daher nicht angebracht.
Ansprüche, die der Geltendmachung von Herausgabeansprüchen aus dem Eigentum dienen, etwa Auskunftsansprüche nach §§ 242, 260, sind hingegen unter den entsprechenden Voraussetzungen in den Ausschluss der Berufung auf die Verjährung mit einzubeziehen. Sie unterliegen gemäß § 197 Absatz 1 Nummer 2 der gleichen Verjährung wie der Herausgabeanspruch selbst. Da ohne sie der Herausgabeanspruch oft nicht verwirklicht werden kann, ist in den hier zu regelnden Fällen auch für sie der Ausschluss der Berufung auf die Verjährung notwendig, um das dauerhafte Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz zu verhindern.
Erste Voraussetzung des Ausschlusses der Berufung auf die Verjährung ist, dass die Sache dem Eigentümer oder dessen Rechtsvorgänger bzw. bei mittelbarem Besitz dem unmittelbaren Besitzer abhandengekommen war. Die Formulierung lehnt sich an § 935 Absatz 1 Sätze 1 und 2 an, wobei als Bezeichnung des Besitzers, dem die Sache abhandengekommen ist, zur Abgrenzung von dem Besitzer, der Schuldner des Herausgabeanspruchs ist, der auch ansonsten im Zivilrecht eingeführte Begriff des unmittelbaren Besitzers verwendet wird. Die für jeden Gläubiger mit der Verjährung verbundene Härte ist dem Sacheigentümer nur dann nicht zumutbar, wenn besondere Umstände aus seiner Sphäre vorliegen, die seine gesteigerte Schutzbedürftigkeit begründen. Solche besonderen Umstände sieht das Gesetz auch ansonsten im Abhandenkommen der Sache (§ 935). Ein Verlust des Besitzes etwa im Wege einer Veräußerung durch einen unmittelbaren Besitzer an einen bösgläubigen Dritten rechtfertigt demgegenüber keinen Ausschluss der Berufung auf die Verjährung, weil es sich insoweit um Vorgänge handelt, die im Risikobereich des Eigentümers liegen.
Mit dem Erfordernis des Abhandenkommens dürften die Fälle des zur NS-Zeit beschlagnahmten oder unter Druck erworbenen jüdischen Kulturguts, die der Gesetzentwurf insbesondere im Blick hat, soweit möglich umfassend abgedeckt sein. Die Rechtsprechung geht in den Fällen der Beschlagnahme von Kunstwerken in öffentlichen Museen aufgrund des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen "entarteter Kunst" vom 31. Mai 1938 (RGBl. I, S. 612) sowie von Kunstwerken bei privaten Eigentümern (Raubkunst) in weitem Umfang von einem Abhandenkommen der Gegenstände aus (LG Ansbach, NJW 1952, S. 592, AG Wiesbaden, SJZ 1946, Sp. 36, LG Berlin, JR 1948, s. 52, in jüngerer Zeit LG Bonn, NJW 2003, S. 673/675), die Literatur darüber hinaus auch beim wucherischen Erwerb von Kunstgegenständen bei jüdischen Eigentümern unter Ausnutzung verfolgungsbedingter Notlagen (vgl. etwa Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz, 2007, S. 232). Soweit in diesen Fällen nicht von einem Abhandenkommen auszugehen ist, liegt in der Regel auch ein Erwerbstatbestand, sei es durch Erwerb vom Berechtigten oder gutgläubig vom Nichtberechtigten, vor, so dass kein Vindikationsanspruch besteht und sich die Verjährungsfrage nicht stellt.
Durch die Übernahme der Formulierung in § 935 Absatz 1 Satz 2 wird sichergestellt, dass auch die Fälle erfasst sind, in denen die Sache bei mittelbarem Besitz dem unmittelbaren Besitzer abhandengekommen ist. Dies betrifft etwa die Beschlagnahme so genannter "entarteter Kunst" aus öffentlichen Museen aufgrund des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen "entarteter Kunst" vom 31. Mai 1938, soweit diese Bilder betraf, die sich als Leihgaben privater Leihgeber in den öffentlichen Sammlungen befanden.
Zweite Voraussetzung des Ausschlusses der Verjährung ist, dass der Besitzer, also der Schuldner des Anspruchs aus § 985, bei Besitzerwerb nicht in gutem Glauben war. Die Bösgläubigkeit des Besitzers muss Voraussetzung des Ausschlusses der Verjährung sein. Wer ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf das fehlende Eigentum in den Besitz einer Sache gelangt, verdient den Schutz der Verjährung. Dieses Erfordernis erscheint auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten angebracht, weil das Vertrauen gutgläubiger Besitzer darauf, dass ihr Besitz Bestand hat, schutzwürdig ist und nicht durch eine Änderung des Verjährungsrechts konterkariert werden darf.
Bei mittelbarem Besitz muss auf den guten Glauben des mittelbaren Eigenbesitzers bei dessen Besitzerwerb abgestellt werden. Der unmittelbare Fremdbesitzer wird sich bei Erwerb des unmittelbarem Besitzes regelmäßig keine Gedanken über die Eigentümerstellung des mittelbaren Besitzers machen. Da er sein Besitzrecht vom mittelbaren Eigenbesitzer ableitet, verdient er in seinem Vertrauen darauf, die Sache behalten zu dürfen, bei Bösgläubigkeit des mittelbaren Eigenbesitzers dem Eigentümer gegenüber ebenso wenig Schutz wie der mittelbare Besitzer selbst; er darf sich daher ebenfalls nicht auf die Verjährung berufen und muss sich auf seinen Vertragspartner verweisen lassen.
In allen Fällen muss das Fehlen des guten Glaubens zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs gefordert werden. Ein späteres Wissen um das fehlende Eigentum, etwa analog der Regelung über die Ersitzung in § 937 Absatz 2 Alt. 2, genügt nicht, um die Einrede der Verjährung auszuschließen. Das spezifische unredliche Verhalten des Schuldners des Herausgabeanspruchs, welches es rechtfertigt, ihm die Einrede der Verjährung zu entziehen und einen Vertrauensschutz zu versagen, liegt in seiner Bösgläubigkeit bereits zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs. Nur wer schon bei Erwerb weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass ihm eine Sache nicht zusteht, soll sich später nicht auf die Verjährung berufen können. Ein darüber hinausgehender Ausschluss der Berufung auf die Verjährungseinrede für Fälle späterer Kenntnis würde eine extreme Privilegierung des Vindikationsanspruches gegenüber anderen Ansprüchen bedeuten, für die keine Rechtfertigung ersichtlich ist.
Hinsichtlich der Bösgläubigkeit wird auf den "Erwerb des Besitzes" abgestellt. Davon ist nicht nur ein Erwerb auf der schuldrechtlichen Grundlage eines Rechtsgeschäfts, etwa eines Kaufs, erfasst, sondern auch andere Formen der Besitzbegründung, etwa im Wege der Universalsukzession auf gesetzlicher Grundlage (§§ 1922, 857). Dennoch wird der Begriff des Besitzerwerbs gewählt, der auch ansonsten vom Gesetz für die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft auch ohne Erwerbstatbestand verwendet wird (vgl. §§ 854, 937 Absatz 2).
Zu Nummer 2
Folgeänderung zur Änderung von § 214.
Zu Nummer 3
Folgeänderung zur Änderung von § 214.
Zu Artikel 2
Artikel 2 regelt das Inkrafttreten.