900. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012
A
- 1. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zu Artikel 1 Nummer 7 ( Artikel 48 EGBGB)
Artikel 1 Nummer 7 ist zu streichen.
Folgeänderung:
Artikel 2 ist zu streichen.
Begründung:
Der Europäische Gerichtshof hat sich in den letzten Jahren in mehreren Entscheidungen mit der Bewertung hinkender Namensverhältnisse im europarechtlichen Kontext beschäftigt. So hat er u.a. in der Entscheidung vom 2. Oktober 2003 (Rs. 148/02 - Garcia Avello) in dem dort zugrundeliegenden namensrechtlichen Sachverhalt einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 18 AEUV statuiert und in der Entscheidung vom 14. Oktober 2008 (Rs. C-353/06 - Grunkin und Paul) festgestellt, dass auch eine in einem anderen Mitgliedstaat eingetragene Namensführung Rechtswirkungen auf den deutschen Rechtsbereich entfalten kann. Die Nichtanerkennung einer in einem Mitgliedstaat der EU beurkundeten Namensführung führe zu einer unzulässigen Einschränkung des verbürgten Rechts auf Freizügigkeit aus Artikel 21 Absatz 1 AEUV.
Die mit dem Gesetzentwurf verfolgte Absicht, eine Regelung zur Vermeidung hinkender Namensverhältnisse zu treffen, die ansonsten als Beschränkung des Freizügigkeitsrechts aus Artikel 21 Absatz 1 AEUV zu werten wären, wird grundsätzlich begrüßt. Der vorgeschlagene Lösungsweg erscheint jedoch zu kurz gegriffen und wirft zahlreiche neue Fragen auf. Insgesamt ist eine den Interessen der betroffenen Bürger gerecht werdende Lösung anzustreben, mit der auch die Verwaltung, insbesondere die Standesämter, die in Rede stehenden namensrechtlichen Sachverhalte rechtsfehlerfrei umsetzen kann. Wie die intensive Diskussion in Schrifttum und Praxis zeigt, besteht dringender Klärungs- und auch Regelungsbedarf, die Rechtslage durch eine innerstaatliche normative Regelung wieder übersichtlich und vollziehbar zu gestalten.
Nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen EuGH-Rechtsprechung sollte Ziel einer gesetzlichen Regelung sein, nicht nur ein Teilproblem einer vermeintlichen Lösung zuzuführen, sondern die Problematik hinkender Namensverhältnisse insgesamt in einen größeren Kontext zu stellen. Grundlage für eine normative Regelung sollte dabei das Verständnis sein, dass es sich bei der Frage nach der Vermeidung hinkender Namensverhältnisse vorrangig um ein kollisionsrechtliches Problem handelt und nicht um ein sachrechtliches. Eine auf europäischem Recht fußende Regelung zur Namensführung müsste folglich kollisionsrechtlich im Kontext des Artikels 10 EGBGB angesiedelt werden. In der Umsetzung müsste dabei ausdrücklich das Kollisionsrecht des Erstregistrierungsstaats einbezogen werden.
Zu entscheiden ist die Frage, inwieweit als Folge der Entscheidungen des EuGH und der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung nationaler Gerichte (beispielsweise OLG München, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 31 Wx 152/09 -) das Gemeinschaftsrecht insoweit Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht genießt, als eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gebildete Namensführung unter Berücksichtigung des Willens der Betroffenen ohne weiteren Umsetzungsakt Rechtswirkungen entfaltet.
Hiervon abgesehen wirft aber auch die konkrete Ausgestaltung der vorgesehenen Regelung Probleme bzw. Fragen auf:
- - Wird der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland nur dann zu einem relevanten Anknüpfungskriterium, wenn das ausländische Kollisionsrecht auch an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpft? - Die namensrechtlichen Vorgaben des EuGH können auch dann Beachtung gebieten, wenn der Name eines EU-Bürgers nicht dem deutschen Sachrecht unterliegt.
- - Wie ist bei hinzutretender Drittstaatsangehörigkeit aus dem Nicht-EU-Bereich zu verfahren?
- - Soll ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeit der Erstregistrierung abgestellt werden?
- - Eine Namenswahl auch nur mit Wirkung für die Zukunft erklären zu können, erscheint nicht notwendig. Wie ist zu verfahren, wenn keine ausdrückliche Erklärung abgegeben wird bzw. nicht mehr abgegeben werden kann? - Wie beurteilt sich die Anerkennungsfähigkeit einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat erfolgten Namensänderung in Gestalt einer öffentlichrechtlichen Namensänderung?
- - Die bisherigen Rechtswahlmöglichkeiten aus Artikel 10 Absatz 2 Nummer 1 EGBGB und Artikel 10 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 EGBGB reichen nicht in allen Fällen aus, um dem Urteil des EuGH in der Rechtssache "Garcia Avello" umfassend Rechnung zu tragen.
- - Eine Angleichung nach Artikel 47 EGBGB würde zu erneuten hinkenden Namensverhältnissen führen, wenn der andere Mitgliedstaat die infolge der Angleichung eintretende Namensänderung nicht anerkennt.
Zunächst sollten die zu regelnden Fallgestaltungen und die zu erwartenden rechtlichen Auswirkungen unter Einbeziehung der standesamtlichen Praxis gesammelt und aufbereitet werden, um im Anschluss daran an die rechtliche Umsetzung im deutschen Internationalen Privatrecht zu gehen. Bei dieser Gelegenheit könnten auch der Rechtsklarheit dienende Präzisierungen in den Artikeln 10 und 47 EGBGB vorgenommen werden.
Gegebenenfalls besteht die Möglichkeit, das vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten initiierte Projekt "Europäisches Kollisionsrecht", mit dem Ziel, ein wissenschaftliches Diskussionspapier und einen Formulierungsvorschlag für ein Europäisches Kollisionsrecht auf dem Gebiet des Namensrechts zu erarbeiten, bei den weiteren Überlegungen miteinzubeziehen.
B
- 2. Der federführende Rechtsausschuss, der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Ausschuss für Familie und Senioren empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.