Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 20. März 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende ("Masterplan Energiewende") zuzuleiten.
Ich bitte, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 30. März 2012 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Hannelore Kraft
Entschließung des Bundesrates für ein konzeptionelles Vorgehen der Bundesregierung bei der Energiewende ("Masterplan Energiewende")
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass sich die politischen und gesellschaftlichen Hoffnungen und Erwartungen an die Energiepolitik der Bundesregierung nicht erfüllt haben. Die vor einem Jahr mit dem Atomausstieg eingeleitete Energiewende ist kein Ereignis, sondern ein langwieriger Prozess, der konzeptionelles Handeln erfordert. Dies lässt die Energiepolitik der Bundesregierung in weiten Teilen vermissen. Bei der Formulierung von Maßnahmen zur dringend notwendigen Umgestaltung unserer Energielandschaft greift sie lediglich Einzelaspekte auf.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Energiepolitik der Bundesregierung neben der inhaltlichen Konzeptionslosigkeit auch geprägt ist von Mängeln in der internen Abstimmung. Inhaltliche Widersprüchlichkeiten treten offen zu Tage und verzögern die dringend notwendigen Regelungen.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass das Ausbleiben eines in sich schlüssigen Energiekonzepts für die Bundesrepublik Deutschland die Energiewende spürbar verzögert. Das Ausbleiben klarer und abgestimmter Ziele verunsichert gleichermaßen Energieversorger, Industrie und private Verbraucherinnen und Verbraucher, hemmt notwendige Investitionen und gefährdet die Versorgungssicherheit. Dies schwächt den Wirtschaftsstandort Deutschland mit allen Konsequenzen für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung zu einer strukturierten und konzeptionellen Energiepolitik auf. Unter Beteiligung der Länder ist unverzüglich ein "Masterplan Energiewende" aufzustellen, der alle Maßnahmen zur Förderung der Energieeinsparung und Energieeffizienz, für den Ausbau der erneuerbaren Energien, zum Ausbau der Übertragungs- und Speicherinfrastrukturen und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch ergänzende hocheffiziente konventionelle Kapazitäten umfasst. Ebenfalls unter Beteiligung der Länder ist ein aussagekräftiges Monitoring zur Energiewende zu konzipieren und durchzuführen.
Begründung:
Deutschland erlebt eine energiepolitische Zäsur. Die Beratungen von Bundestag und Bundesrat zum Gesetzespaket der Energiewende sind - abgesehen von einem Vermittlungsverfahren - abgeschlossen. Damit ist der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland besiegelt. Das gesamte gesellschaftliche und politische Spektrum hat vor dem Hintergrund der risikoträchtigen Atomkraft, des Klimaschutzes und der Ressourcen- und Importabhängigkeiten eine gemeinsame und umfassende Vision, nämlich eine zukünftig auf Erneuerbaren Energien fußende Energieversorgung. Hier gilt es nun, mutig und entschlossen die tatsächlich notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die im Wesentlichen von privaten Investoren umzusetzenden und von der Akzeptanz der Menschen in unserem Staat getragenen vielfältigen Veränderungen unseres Energiesystems zügig und effektiv ins Werk gesetzt werden können.
Doch stattdessen vermittelt die Politik der Bundesregierung nun den Eindruck, mit der Novelle zum Atomgesetz und den übrigen Gesetzesänderungen des letzten Jahres sei der Umbau der deutschen Energielandschaft erledigt. Sofern tatsächlich aber konkreter Handlungsbedarf erkannt wird, gehen Monate offenen Disputs ins Land, bis letztlich Formelkompromisse verkündet werden, die den tatsächlichen Herausforderungen kaum gerecht werden. Dies gilt etwa für die Frage der Positionierung des Bundes zum Entwurf der Energieeffizienz-Richtlinie der EU und für die aktuelle Reaktion auf die seit längerem bekannten Probleme bei der Förderung der Erneuerbaren Energien, speziell zur Einspeisevergütung für Solarstrom. Auch der halbherzige Umgang mit einem umfassenden Monitoring aller Facetten der Energiewende, zudem ohne Einbindung der Länder, ist hierfür ein Beispiel.
Dieses konzeptionslose Agieren ist kontraproduktiv, verunsichert alle Beteiligten und verzögert sämtliche Prozesse. Eine erfolgreiche Energiewende erfordert vielmehr ein abgestimmtes und in sich schlüssiges Konzept einer ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Energiepolitik der Bundesregierung. Ein solcher "Masterplan Energiewende", der wirklich alle wichtigen Aspekte der energiepolitischen und energiewirtschaftlichen Neuausrichtung umfasst, muss die Themen der Erzeugung und Nutzung Erneuerbarer Energien, des Netzausbaus und der Speichertechnik und der Vorhaltung konventioneller Erzeugungskapazitäten zusammenführen. Er muss gleichzeitig Anreize schaffen für die dringend notwendigen Investitionen zugunsten von effizienter Erzeugung, Übertragung und Verteilung von Energie einerseits und ebenso in eine effiziente Energienutzung auf der Verbraucherseite. Der Masterplan Energiewende muss begleitet werden von einem aussagekräftigen Monitoring aller Prozesse, um Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und korrigieren zu können. Selbstverständlich sind dabei auch die Entwicklung der Energiepreise und mögliche Arbeitsplatzeffekte zu erfassen und darzustellen.
Vor dem Hintergrund regionaler Besonderheiten hinsichtlich der Erzeugungspotentiale und der Nachfragesituation und zum Ausgleich unterschiedlicher Rückwirkungen der Energiewende sind die Länder am Masterplan und am Monitoring zwingend zu beteiligen.