Der Bundesrat hat in seiner 902. Sitzung am 2. November 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zum Verordnungsvorschlag allgemein
- 1. Der Bundesrat sieht in dem Verordnungsvorschlag grundsätzlich einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Bankenkrise in der EU und zur Stärkung in der Wirtschafts- und Währungsunion.
- 2. Er begrüßt die Zielsetzung des Verordnungsvorschlags, einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus für Banken einzurichten, um die Finanzstabilität auf der Basis effektiver Aufsichts- und Krisenmanagementsysteme zu sichern und den Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen zu erhalten. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus gewährleistet, dass das geltende Regelwerk für Finanzdienstleistungen auf alle Kreditinstitute in sämtlichen teilnehmenden Mitgliedstaaten gleichermaßen angewandt wird.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Einführung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus in der Eurozone als geeignete Maßnahme zur Verbesserung der Stabilität des Finanzsystems, da Risiken im Bankenbereich nicht vor nationalen Grenzen halt machen. Eine europäische Aufsicht kann grundsätzlich dazu beitragen, grenzüberschreitende, systemische Gefahren aus der Schieflage einzelner Banken besser zu erkennen und damit künftige Bankenkrisen zu vermeiden.
- 4. Der Bundesrat hat allerdings einige Bedenken gegen den Vorschlag. Er ist der Auffassung, dass diese gründlich geprüft und diskutiert werden müssen.
- 5. Der Bundesrat hält es für unabdingbar, dass durch strikte organisatorische Vorgaben die Unabhängigkeit der EZB in Angelegenheiten der Geldpolitik sichergestellt wird. Zwischen den Zielen der Geldpolitik und der Finanzmarktaufsicht können Interessenkonflikte entstehen, die es zu vermeiden gilt. Das vorgesehene Letztentscheidungsrecht des Rates der EZB auch in bankaufsichtlichen Belangen ist daher problematisch. Ferner muss die Finanzmarktaufsicht anders als die Geldpolitik einer Kontrolle des Parlaments unterliegen.
- 6. Die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Verteilung der Zuständigkeiten zwischen europäischer und nationaler Aufsicht sollte nach Auffassung des Bundesrates überprüft und präzisiert werden. Die vorgesehene umfassende Zuständigkeit der europäischen Aufsicht für alle zentralen Aufsichtsaufgaben bei allen rund 6 000 Banken ist kaum vereinbar mit der gleichfalls vorgesehenen Rolle der nationalen Aufsichtsbehörden als "integraler Bestandteil eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus auch hinsichtlich der auf die EZB übertragenen Aufgaben".
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren zu prüfen, ob die ins Feld geführte Rechtsgrundlage des Artikels 127 Absatz 6 AEUV die Übertragung der Aufgaben auf die EZB trägt. Danach können "besondere Aufgaben" im Zusammenhang mit der Aufsicht über Institute auf die EZB übertragen werden. Mit dem in Artikel 4 Absatz 1 des Verordnungsvorschlages beschriebenen Aufgabenkatalog werden jedoch sämtliche zentralen Aufgabenbereiche der Bankenaufsicht auf die EZB übertragen. Der nationalen Aufsicht verbleiben lediglich Aufgaben von vergleichsweise geringerem Gewicht. Die in Artikel 127 Absatz 6 AEUV festgelegte Kompetenzverteilung zwischen besonderer (europäischer) und allgemeiner (nationaler) Aufsicht würde damit praktisch in ihr Gegenteil verkehrt.
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Übertragung von umfassenden Aufsichtsbefugnissen, welche die Grundlage für Grundrechtseingriffe bieten, der parlamentarischen Kontrolle bedarf. Er bittet deshalb die Bundesregierung, im weiteren Rechtsetzungsverfahren auf eine Prüfung hinzuwirken, in welchem Umfange das Europäische Parlament zu beteiligen ist, und ferner zu prüfen, ob ein deutsches Gesetz mit Zustimmung von Bundestag und Bundesrat für die Übertragung von bisher deutschen Hoheitsrechten gemäß Artikel 23 Absatz 1 Satz 2 GG erforderlich ist.
- 9. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vom 29. Juni 2012, wonach eine direkte Rekapitalisierung von Banken des Euro-Währungsgebiets durch den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unter der Voraussetzung der Errichtung eines wirksamen einheitlichen Aufsichtsmechanismus für diese Banken möglich sein soll.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren sicherzustellen, dass die Errichtung einer einheitlichen europäischen Aufsicht im Euro-Raum zu keinem Verstoß gegen die Grundsätze des Europäischen Binnenmarkts führt. Ziel der Verordnung ist die Bewahrung der Finanzstabilität in dem verflochtenen Finanzmarkt des Euro-Raums, ohne dass die Europäische Bankenaufsicht die Einheit und Integrität des Binnenmarktes insgesamt beeinträchtigen darf. Der Binnenmarkt beruht auf gemeinsamen Regeln, die gewährleisten, dass Banken und andere Finanzinstitute EU-weit gleichwertigen Regeln und einer ordnungsgemäßen Beaufsichtigung unterliegen. Gleichwohl soll sich die Aufsicht nur auf den Euro-Raum beschränken. Dies könnte zu einer Fragmentierung des EU-Binnenmarktes führen, zumal bedeutende Teile der Aktivitäten paneuropäischer Institute im Vereinigten Königreich und damit in einem separaten Aufsichtsraum stattfinden. Dies gilt es zu vermeiden.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren zudem sicherzustellen, dass mit einer Verlagerung der nationalen Aufsichtskompetenzen auf eine Europäische Bankenaufsichtsbehörde die Finanzierung, insbesondere der deutschen Aufsichtsbehörden, nicht beeinträchtigt wird. So wird die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) fast vollständig durch die Umlage der beaufsichtigten Unternehmen finanziert. Sollten zukünftig systemrelevante, europaweit tätige Banken nicht mehr durch die nationale Aufsichtsbehörde, sondern direkt durch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde überwacht werden, könnten diese Banken aus der Umlagenfinanzierung der BaFin herausfallen.
- 12. Die Stärkung der Aufsicht über den Bankensektor ist nach Auffassung des Bundesrates ein wichtiger Schritt zur Überwindung der gegenwärtigen Krise und zur Vermeidung neuer Krisen. Die zentrale Beaufsichtigung sämtlicher Kreditinstitute in der Eurozone durch die EZB lehnt der Bundesrat jedoch ab. Um einen europäischen Mehrwert zu schaffen, muss sich die Aufsicht der EZB auf große systemrelevante und grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute beschränken. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich im weiteren Verfahren dafür einzusetzen, dass sich die einheitliche europäische Aufsicht auch unter dem Aspekt der Subsidiarität auf diese fokussiert. Die Beaufsichtigung von national agierenden, nicht systemrelevanten Kreditinstituten ist aus folgenden Gründen abzulehnen:
- 13. Der Verordnungsvorschlag legt nicht ausreichend dar, warum Kreditinstitute in der Eurozone nicht ausreichend auf nationaler Ebene beaufsichtigt werden können und daher die Beaufsichtigung sämtlicher Kreditinstitute auf Unionsebene zu verwirklichen ist. Die Kommission beschränkt sich auf sehr knappe und äußerst pauschal gehaltene Ausführungen.
- 14. Unter Hinweis auf die Finanzkrise, die Ziele des Verordnungsvorschlags, die unionsweite Struktur des Bankensektors und die Auswirkungen von Bankeninsolvenzen führt die Kommission aus, dass eine europäische Bankenaufsicht notwendig sei. Die Kommission legt aber nicht dar, inwieweit eine europäische Bankenaufsicht die Probleme der letzten Jahre im Bankensektor im Gegensatz zur nationalen Aufsicht verhindert hätte und wie sie in Zukunft konkret Störungen der Finanzstabilität durch eine europäische Aufsicht verhindern will.
- 15. Die Begründung für die Einbeziehung auch der nur national agierenden, nicht systemrelevanten Kreditinstitute erschöpft sich ebenfalls in der formelhaften Darlegung, dass die jüngste Vergangenheit gezeigt habe, dass auch von kleineren Banken Risiken für die Finanzstabilität ausgehen können. Diese Aussage ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Sollte sich die Kommission auf Probleminstitute in einzelnen Mitgliedstaaten wie z.B. Bankia, Dexia oder Northern Rock beziehen, sollte dies differenziert dargelegt werden. Denn die nationale Aufsicht in Deutschland wie auch in anderen EU-Mitgliedstaaten über die "kleineren" bzw. regional tätigen Kreditinstitute hat auch in der Krise funktioniert und sich aufgrund der Kenntnisse über Problemstellungen bei den Kreditinstituten vor Ort grundsätzlich bewährt.
- 16. Darüber hinaus geht der Hinweis auf die unionsweite Struktur des Bankensektors fehl. Die Strukturen im europäischen Bankensektor können nicht pauschal miteinander verglichen werden. Die diversifizierten nationalen Bankenstrukturen legen es nahe, dass eine umfassende europäische Aufsicht nicht dazu geeignet ist, die bisherigen Aufsichtsstrukturen über nur national agierende, nicht systemrelevante Banken zu ersetzen. Die Bankenaufsicht in Deutschland wird von der BaFin sowie der Deutschen Bundesbank wahrgenommen. In diesem "dualen Aufsichtssystem" erfolgt ein Großteil der operativen Aufsichtstätigkeit durch die Hauptverwaltungen der Deutschen Bundesbank. Die dezentralen Strukturen der Bankenaufsicht in Deutschland sind ein Spiegelbild der von einer Vielzahl von kleinen und mittleren Kreditinstituten geprägten Bankenlandschaft und haben sich in der Krise grundsätzlich bewährt. Der Erhalt dieser dezentralen bzw. regionalen Banken- und Bankaufsichtstrukturen wird durch die hohe Bedeutung der Regionalbanken für die Finanzierung von mittelständischen Unternehmen evident. Die bestehenden Strukturen der Bankenaufsicht in Deutschland erscheinen durchweg besser geeignet, die in dem Verordnungsvorschlag genannten Zielsetzungen zu erreichen.
- 17. Eine umfassende europäische Aufsicht birgt vor allem die Gefahr der Marktferne. Besonders bedenklich ist es daher, dass die Kommission bei diesem bedeutenden Vorhaben aus Zeitgründen keine förmliche Folgenabschätzung vorgenommen hat.
- 18. Die Beaufsichtigung von national agierenden, nicht systemrelevanten Kreditinstituten wie Sparkassen, Genossenschaftsbanken, Spartenbanken, Förderbanken und kleinen Privatbanken durch die Bundesbank und die BaFin hat sich bisher bewährt. Selbst während der Finanzkrise gab es keine Schwierigkeiten, diese Institute effektiv zu beaufsichtigen. Sie weisen aufgrund ihres Geschäftsbereichs häufig keinen transnationalen Bezug auf, der besondere Risiken bergen kann. In aller Regel besitzen sie weder die Größe noch die Komplexität, um im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten einen negativen Effekt auf die Wirtschaft oder Finanzstabilität in der EU haben zu können. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass diese Institute oft konservative Geschäftsmodelle verfolgen, die wenig risikoanfällig sind.
Von kleineren und mittleren Instituten ohne wesentliche grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit gehen in aller Regel keine Systemrisiken aus, so dass für sie die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig bleiben sollten.
In Deutschland gehören zu diesen Instituten vor allem die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, aber auch eine nennenswerte Anzahl verschiedener kleinerer Privatbanken. Wesentlicher Grund für eine einheitliche europäische Aufsicht ist, dass sie grenzüberschreitende, systemische Risiken, die von einzelnen Banken ausgehen, besser erkennen kann. Ein Systemrisiko besteht strukturbedingt nicht, wenn sie über eine ausreichend funktionierende Institutssicherung verfügen. Mit dem Haftungsverbund der Sparkassen-Finanzgruppe und der Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken e.V. sowie dem Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken verfügen alle Institutsgruppen über eigene, funktionierende Einlagensicherungssysteme. Seit Bestehen der Sicherungssysteme von Sparkassen und Genossenschaftsbanken hat noch nie ein Kunde einen Verlust seiner Einlagen erlitten. Zusätzlich verfügen die Verbundinstitute über ein Verbandsprüfwesen, das die Aufsicht durch Bundesbank und BaFin ergänzt.
Im Bereich der deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken dürften sich keine problematischen Fälle ergeben, da diese mit ihren verbandseigenen Sicherungseinrichtungen systemrelevante Schäden ausschließen. Bei kleinen und mittleren Banken ohne nennenswerte grenzüberschreitende Geschäftsaktivitäten greift dieser Gesichtspunkt ebenfalls nicht. In der Regel ist bei ihnen kein "Mehrwert" einer europäischen Aufsicht zu erwarten.
Hierfür spricht auch, dass - wie bereits dargelegt - die Strukturen im europäischen Bankensektor nicht ohne weiteres miteinander zu vergleichen sind. Eine einheitliche europäische Aufsicht ist weniger geeignet, dem angemessen Rechnung zu tragen. Insbesondere muss mit der Ausgestaltung gewährleistet sein, dass das in Deutschland bewährte Drei-Säulen-Modell nicht gefährdet wird.
- 19. Die Beaufsichtigung national agierender, nicht systemrelevanter Institute durch die EZB bringt keine Vorteile mit sich. Aus Sicht des Bundesrates wäre eine zentrale Aufsicht über diese Institute durch die EZB im Vergleich zum gegenwärtigen nationalen Aufsichtssystem sogar in erheblichem Maße nachteilig. Die EZB wird als zentrale europäische Bankenaufsichtsbehörde die über 6 000 Banken in der Eurozone nicht gleichwertig überwachen können. Außerdem bestehen erhebliche Bedenken, dass die europäische Aufsicht die erforderliche Marktnähe aufweist. Die angestrebte Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB erscheint in Anbetracht der fehlenden Nähe der Aufsicht zu den Instituten und damit der nicht ausreichenden Kenntnis über Problemstellungen bei den Kreditinstituten vor Ort jedoch nicht geeignet, die vorgenannten Zielsetzungen erreichen zu können. Darüber hinaus erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass angesichts der hohen Zahl der zu beaufsichtigenden Institute die Ressourcen der EZB überbeansprucht werden. Hierdurch würden sich negative Rückwirkungen auf die Erreichung der in dem Verordnungsvorschlag genannten Zielsetzungen wie Sicherstellung der Wirksamkeit der Beaufsichtigung, Gewährleistung der Zuverlässigkeit und Solidität der Kreditinstitute sowie Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems und somit auch des Einlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarktes ergeben.
- 20. Das effektive Funktionieren der bisherigen nationalen Aufsicht wird trotz der Ankündigung der Kommission, die nationalen Behörden eng in die Aufsicht einzubinden und diese die täglichen Kontrollen durchführen zu lassen, infrage gestellt. Den Artikeln 4 und 5 des Verordnungsvorschlags zufolge hat die EZB das Letztentscheidungsrecht in allen Fragen. Dies wird auch aus der Begründung des Verordnungsvorschlags und dem Artikel 13 deutlich, wonach die nationalen Behörden teilweise die Aufsichtsentscheidungen vorbereiten dürfen, diese dann aber der EZB vorlegen müssen. Durch diesen aufwendigen Kontrollmechanismus werden Verzögerungen entstehen, die sich, gerade in eiligen Fällen, negativ auswirken könnten.
- 21. Darüber hinaus ist es aus Sicht des Bundesrates bedenklich, dass die nationalen Aufsichtsbehörden die laufenden täglichen Prüfungen auch bei national agierenden, nicht systemrelevanten Instituten unter Einhaltung allgemeiner Leitlinien und Verordnungen der EZB durchführen sollen. Wenn die EZB in diesem Zusammenhang den Besonderheiten der nationalen Bankensektoren ausreichend gerecht werden wollte, müsste sie eine Vielzahl länderspezifischer Leitlinien und Verordnungen erlassen. Es darf bezweifelt werden, dass dies mit Blick auf die Marktferne einer europäischen Bankenaufsicht geschehen wird. Vielmehr ist zu befürchten, dass bei der Regulierung des europäischen Bankensektors einmal mehr nationale Besonderheiten negiert werden.
- 22. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass nach bisherigem Verhandlungsstand die geplanten CRD IV-Regelungen zahlreiche auf nationaler Ebene ausfüllungsfähige und -bedürftige Wahlrechte beinhalten werden.
Die Vorschläge der Kommission sehen hingegen diesbezüglich weitreichende Ermessens- und Entscheidungsspielräume der EZB vor. Diese umfassen einen Großteil bankwirtschaftlich sowie unter Wettbewerbsgesichtspunkten essentieller Bereiche, wie z.B. die Festlegung von Eigenkapitalpuffern, Liquiditätsvorschriften etc. (vgl. Erwägungsgründe 17 ff. i.V.m. Artikel 4 Absatz 1). In Anbetracht dieser der EZB übertragenen weitreichenden Entscheidungsbefugnisse ist nicht erkennbar, inwieweit nationale Aufsichtsbehörden künftig in der Lage sein werden, die in der CRD IV-Verordnung bzw. -Richtlinie festgelegten Wahlrechte vor dem Hintergrund der Heterogenität der Bankenlandschaft (d.h. Kreditinstitute unterschiedlicher Größe und Komplexität, Förderbanken, Spezialbanken etc.) überhaupt ausüben zu können. Durch die Übertragung von Aufsichtsbefugnissen auf die EZB entsteht die Möglichkeit, die Befugnisse der nationalen Aufsichtsbehörden de facto leerlaufen zu lassen.
Zu einzelnen Vorschriften
- 23. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die Festlegung von Kapitalpuffern (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe e) nicht allein in das Ermessen der EZB zu stellen ist. Insbesondere die antizyklischen Puffer sollen den unterschiedlichen Besonderheiten der nationalen Märkte Rechnung tragen. Ohne die jeweilige nationale Aufsicht sollte über diese Puffer nicht entschieden werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es in einigen europäischen Immobilienmärkten zu Blasenbildungen gekommen war, die bis heute die Stabilität des europäischen Bankensektors bedrohen, während zur gleichen Zeit andere Immobilienmärkte absolut stabil waren. Denkbar wäre es, dass über diese Puffer im Einvernehmen zwischen nationaler Aufsicht und EZB entschieden wird.
- 24. Der Bundesrat sieht mit großer Sorge die Generalermächtigung des Artikels 4 Absatz 3. Diese pauschale Regelung sollte durch eine Regelung ersetzt werden, die den Standards der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts für deutsche Gesetze gerecht wird. Allenfalls im Eilfall sollte die EZB darüber hinaus vorübergehend Rechtsakte erlassen dürfen, die dem jeweils nächsten Rat zur Billigung vorgelegt werden müssen.
- 25. Er vermisst ein Rechtsschutzverfahren gegen die von der EZB nach Artikel 4 Absatz 3 erlassenen Rechtsakte und gegen ihre Entscheidungen in Aufsichtsfragen. Es sollte im weiteren Verfahren geklärt werden, dass die betroffenen Institute sich gegen alle sie belastenden Maßnahmen der EZB rechtlich zur Wehr setzen können.
- 26. Der Bundesrat hält die Durchführung von Bankenstresstests vor der Unterstellung von Kreditinstituten unter eine EU-Bankenaufsicht grundsätzlich für sinnvoll. Hierbei müssen aber insbesondere die Anforderungen des Stresstests und die zu testenden Banken im Interesse der Finanzstabilität vorab eindeutig definiert werden. Die Stresstests dürfen nicht zu weiteren Marktverwerfungen führen, indem etwa über die EU-weite Vernetzung der einzelnen Banken Domino- und Ansteckungseffekte ausgelöst werden. Dabei besteht auch die Gefahr, dass der erwartete Erfolg der bisherigen staatlichen Hilfs- und Rettungsmaßnahmen und eine etwaige Erholung der Konjunktur in Ländern mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten beeinträchtigt werden. Zudem hat der Bundesrat erhebliche Zweifel an der Leistungsfähigkeit der nationalen Bankenabwicklungsfonds, die sich erst noch im Aufbau befinden. Weitere Bankenstresstests dürfen nicht zu einer weiteren Ausweitung des dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und weiteren Inanspruchnahmen der Steuerzahler für Bankenpleiten führen.
- 27. Die EZB-Bankenaufsicht ist eine der Kernkomponenten der auf europäischer Ebene angestrebten Bankenunion. Ihre Einrichtung allein rechtfertigt aber keine gemeinsamen Sicherungseinrichtungen auf den Gebieten der Einlagensicherung und Bankenabwicklung. Der Bundesrat lehnt daher die Einführung gemeinsamer Sicherungseinrichtungen oder Beistandsverpflichtungen ab. Hinsichtlich weiterer erforderlicher Maßnahmen zur Stabilisierung des Bankensektors müssen zunächst weitere Legislativmaßnahmen betreffend Bankenrestrukturierung und andere Vorschläge der Expertengruppe der Kommission umgesetzt beziehungsweise geprüft werden, um den wirklichen Bedarf für EU-weite Sicherungssysteme zu ermitteln. Solche Sicherungssysteme sind nur zweitbeste Lösungen gegenüber einem Regulierungsrahmen, der durch ausreichende Eigentümer- und Gläubigerbeteiligungen im Krisenfall eines Instituts systemische Risiken verhindert. Auf EU-Ebene sollte ein effektiver Regulierungsrahmen für Finanzdienstleistungen gesetzt werden. Die Ausgestaltung der Sicherungssysteme ist nach Auffassung des Bundesrates vorrangig Aufgabe der Mitgliedstaaten.
- 28. Der Bundesrat hält eine effektive Aufsicht und Kontrolle der europäischen Bankenaufsichtsbehörde für erforderlich.
Nach Artikel 17 des Verordnungsvorschlags ist die EZB dem Europäischen Parlament und dem Rat für die Durchführung dieser Verordnung rechenschaftspflichtig. Eine Erläuterung dieser Rechenschaftspflicht erschöpft sich in der Berichterstattung, wie sie in Artikel 21 vorgesehen ist. Diese Konstruktion ist für eine unabhängige Zentralbank mit geldpolitischer Aufgabenstellung geeignet. Für eine aufsichtsrechtlich handelnde Behörde ist diese Lösung jedoch nicht ausreichend. Auch die in der Bundesrepublik Deutschland für die hoheitlichen Entscheidungen des Finanzaufsichtsrechts zuständige BaFin untersteht der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen.
Für eine europäische Bankenaufsichtsbehörde muss eine vergleichbare Lösung gefunden werden. Die Aufsichtsfunktion sollte beim Rat angesiedelt werden.
Schlussbemerkungen
- 29. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass bei der Einrichtung einer einheitlichen europäischen Aufsicht Qualität vor Schnelligkeit gehen muss und damit die Gründlichkeit der Prüfung des Verordnungsvorschlags und der Diskussion darüber Vorrang vor der Schnelligkeit der In-Kraft-Setzung hat.
Der Bundesrat ist ferner der Auffassung, dass eine effektive europäische Bankenunion gründlich vorbereitet werden muss, damit sie zum Erfolg werden kann. Dabei ist die Errichtung einer wirksamen europäischen Bankenaufsicht nur einer von vielen Schritten zur Schaffung einer Bankenunion. Das Projekt Bankenunion hat vielfältige Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzsektors, auf Finanzstrukturen und damit auf die Wirtschaft in Europa. Daher sind ein angemessener Konsultationsprozess sowie eine sorgfältige Folgenabschätzung erforderlich.
Der von der Kommission vorgeschlagene ambitionierte Zeitplan ist deshalb kritisch zu sehen.
- 30. Der Bundesrat ist insbesondere der Auffassung, dass der Zeitplan zur Schaffung der europäischen Bankenaufsicht der Etablierung einer arbeitsfähigen Aufsichtsstruktur entgegensteht. Bereits ab 1. Januar 2013 soll die EZB die Möglichkeit erhalten, die volle Aufsichtsverantwortung über jedes europäische Kreditinstitut zu übernehmen, insbesondere wenn es öffentliche Unterstützung erhält oder beantragt hat. Ab Juli 2013 sollen alle systemrelevanten Banken der Aufsicht der EZB unterstellt werden. Diesen Zeitplan hält der Bundesrat auch für unrealistisch. Um Bankenkrisen künftig effektiv zu verhindern, ist ein wirksames und durchdachtes Aufsichtssystem nötig. Daher ist den Parlamenten und den Regierungen ausreichend Zeit zur Stellungnahme einzuräumen. Die geplante weitreichende Änderung der Aufsichtsstrukturen bedarf daher eines längeren Vorlaufs. Insbesondere darf die Übertragung der Aufgaben und Befugnisse von den nationalen Behörden erst erfolgen, wenn die Zuständigkeiten für künftige EU-Aufsichtsfragen zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden sowie der derzeitigen Bankenbehörde EBA klar und eindeutig geregelt sind. Kompetenzüberschneidungen und Doppelbelastungen bei betroffenen Instituten und Aufsichtsbehörden müssen von vornherein ausgeschlossen werden. Keinesfalls darf die Einführung der europäischen Aufsicht deshalb so schnell vorangetrieben werden, um damit die Voraussetzungen für eine direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM zu schaffen. Eine damit verbundene Entlassung der Mitgliedstaaten aus der vollen Haftung für Finanzhilfen aus dem ESM zur Rekapitalisierung von Finanzinstituten lehnt der Bundesrat ab.
- 31. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.