Punkt 24 der 970. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2018
Der Bundesrat möge wie folgt beschließen:
Zu Artikel 1 Nummer 4 (§ 16i Absatz 3 SGBII)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Veränderung der Zielgruppendefinition des § 16i Absatz 3 SGB II-E zu prüfen die sicherstellt, dass entlassene Strafgefangene nicht faktisch von der Förderung ausgeschlossen sind.
Begründung:
Die Justizvollzugsbehörden haben nach den Strafvollzugsgesetzen die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass Gefangene nach ihrer Entlassung über eine Arbeits- oder Ausbildungsstelle verfügen. Entsprechende rechtliche Regelungen finden sich in vielen Strafvollzugsgesetzen der Länder (zum Beispiel § 42 BremStVollzG, § 58 Absatz 2 StVollzG NRW, § 59 Absatz 2 LStVollzG SH, § 42 Absatz 2 StVollzG M-V, § 49 Absatz 2 LJVollzG Rlp). Hintergrund dieser landesgesetzlichen Regelungen ist die in der kriminologischen Forschung unbestrittene Erkenntnis, dass die Begründung stabiler Beschäftigungsverhältnisse nach Haftende ein wesentliches Kriterium der Rückfallvermeidung darstellt.
Unter den Gefangen sind Personen mit ausgeprägten Vermittlungshemmnissen im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung überproportional vertreten. Ein erheblicher Anteil der Inhaftierten war bis Haftantritt und ist nach Haftende langjährig auf den Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II angewiesen. Langzeitarbeitslosigkeit im Sinne des § 18 SGB III ist eher die Regel als die Ausnahme. Viele Haftentlassene haben ohne besondere Förderung und Unterstützung so gut wie keine Chance zur Teilhabe am Arbeitsmarkt.
Vor diesem Hintergrund wird die Gesetzesinitiative der Bundesregierung zum Abbau verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit ausdrücklich begrüßt.
Allerdings führt die Zielgruppendefinition in § 16i Absatz 3 SGB II-E dazu, dass Haftentlassene vielfach auch nach langjährigem Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II von der neuen Förderung nicht profitieren können. Abweichend von den Regelungen der beruflichen Eingliederungsförderung der vergangenen Jahre soll nicht Langzeitarbeitslosigkeit im Sinne des § 18 SGB III, sondern Langzeitleistungsbezug im SGB II wesentliches Zugangskriterium sein. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll für eine Förderung der Bezug von SGB II - Leistungen über sieben Jahre innerhalb der letzten acht Jahre vor Aufnahme des über § 16i SGB II-E geförderten Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sein.
Gemäß § 7 Absatz 4 Seite 1 SGB II sind Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II während einer stationären Unterbringung ausgeschlossen. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt auch der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung als sämtliche SGB II - Leistungsansprüche ausschließende stationäre Unterbringung. Dies bedeutet im Hinblick auf die Förderung nach § 16i SGB II-E, dass bei Haftzeiten von einem Jahr und länger die Fördervoraussetzungen bei Haftentlassung zwangsläufig nicht gegeben sein können. Bei kürzeren Haftstrafen ist ihre Erfüllung erschwert, weil der für die Förderung unschädliche Zeitraum ohne Leistungsbezug von maximal einem Jahr durch die Haftzeit teilweise verbraucht ist, weitere Lücken im Leistungsbezug, die zum Beispiel in einem stationären Aufenthalt wegen Suchttherapie begründet sein können, somit stärkeres Gewicht bekommen. Beispielweise könnte eine Person, die unmittelbar im Anschluss an die Verbüßung einer sechsmonatigen Haftstrafe eine auf sechs Monate angelegte stationäre Suchttherapie durchlaufen hat, nicht über § 16i SGB II-E gefördert werden, auch wenn sie bei Haftantritt schon mehr als sieben Jahre SGB II - Leistungen bezogen hatte.
Der Bundesrat hält es daher für erwägenswert, § 16i SGB II-E dahingehend zu verändern, dass die bis zum Haftantritt und die nach Haftentlassung zurückgelegten SGB II - Bezugszeiten zusammengerechnet werden können.
Die könnte zum Beispiel in Anlehnung an § 18 SGB III geschehen. Nach § 18 Absatz 2 Nummer 6 SGB III bleibt eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren unberücksichtigt, soweit in diesen Zeiten eine Beschäftigung rechtlich nicht möglich war. Hierunter fallen auch Zeiten im Strafvollzug.
Mit den Aufschubtatbeständen des § 18 Absatz 2 SGB III wollte der Gesetzgeber den Zugang zur Eingliederungsförderung auf Personengruppen erweitern, bei denen ein Ausschluss von der Förderung unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sachlich nicht zu begründen ist. Die Einfügung einer entsprechenden Regelung in Bezug auf die in den Sozialgesetzbüchern nicht definierte Fördervoraussetzung des Langzeitleistungsbezuges erscheint vor diesem Hintergrund nur folgerichtig. Für den Ausschluss förderungsbedürftiger Personen von der Förderung nach § 16i SGB II-E, bei denen der geforderte SGB II - Langzeitleistungsbezug nur wegen eines gesetzlichen Leistungsausschlusses auf Grund stationärer Unterbringung zeitlich begrenzt unterbrochen war, ist nach Auffassung des Bundesrates ein sachlicher Grund nicht erkennbar.
Die hier angeregte Regelung würde keine ungerechtfertigte Besserstellung von Haftentlassenen gegenüber anderen Leistungsbeziehern beinhalten. Von ihr würden alle wegen stationärer Unterbringung nach § 7 Absatz 4 SGB II zeitweise vom Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II aus Rechtsgründen ausgeschlossenen Personengruppen profitieren. Dies beträfe zum Beispiel Patienten nach befristeter Unterbringung in stationären Therapieeinrichtungen oder Langzeiterkrankte nach Krankenhausaufenthalt von prognostisch mindestens sechs Monaten Dauer (§ 7 Absatz 4 Seite 3 Nummer 1 SGB II) . Zudem wäre sichergestellt, dass der Vollzug der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung sich auf diese beschränkt und ein Herausfallen aus der Förderung nach § 16i SGB II-E nicht gleichsam automatisch als zweite Strafe folgt.