896. Sitzung des Bundesrates am 11. Mai 2012
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt das mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Anliegen, durch die Festlegung von Mindestvorschriften über die Sicherstellung und Einziehung von kriminellem Vermögen im Wege der direkten Einziehung, der Einziehung des Wertersatzes, der erweiterten Einziehung, der Einziehung ohne vorherige Verurteilung (in begrenzten Fällen) und der Dritteinziehung die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen weiter anzunähern und gleichzeitig so das gegenseitige Vertrauen zu fördern und die grenzübergreifende Zusammenarbeit zu erleichtern. Er ist der Auffassung, dass für eine effektive Bekämpfung der gewinnorientierten Kriminalität der konsequente Zugriff auf illegales Vermögen zwingend erforderlich ist und die Vermögensabschöpfung neben der Bestrafung der Täter die schärfste Waffe im Kampf gegen die - regelmäßig grenzüberschreitend stattfindende - Wirtschafts- und organisierte Kriminalität ist. Deshalb begrüßt der Bundesrat die Zielsetzung des Vorschlags der Kommission, es den Behörden der Mitgliedstaaten zu erleichtern, Erträge aus Straftaten, die der grenzübergreifenden schweren und organisierten Kriminalität zuzurechnen sind, (vorläufig) zu sichern und (endgültig) zu konfiszieren.
- 2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich im Rahmen der Verhandlungen auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die nachstehenden Klarstellungen und Änderungen Berücksichtigung finden.
Erträge aus Straftaten und Restitutionsansprüchen Verletzter
- 3. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass den aus einer Straftat erlangten Erträgen in vielen Fällen Restitutionsansprüche der durch die Straftat verletzten Person entsprechen werden. Daher ist sicherzustellen, dass Maßnahmen der Einziehung im Sinne der vorgeschlagenen Richtlinie einerseits die Durchsetzung solcher Ansprüche des Verletzten nicht beeinträchtigen und andererseits vermieden wird, dass die wegen der Straftat verurteilte Person doppelt in Anspruch genommen wird. Der Bundesrat hält es für geboten, diesem Problem Rechnung zu tragen. Im deutschen Recht ist es dergestalt gelöst, dass ein Verfall des aus einer Straftat Erlangten bei bestehenden Ansprüchen des Verletzten ausgeschlossen ist. Gleichwohl kann zum Zweck der Rückgewinnungshilfe eine Sicherstellung erfolgen. Nach bestimmter Frist kann ein endgültiger Rechtserwerb des Staates herbeigeführt werden, soweit der Verletzte von einer Befriedigung seiner Ansprüche abgesehen hat.
Zu Artikel 2
- 4. Soweit die Begriffsbestimmung der "Vermögensgegenstände" in Artikel 2 Absatz 2 rechtserhebliche Schriftstücke oder Urkunden umfasst, die das Recht auf solche Vermögensgegenstände oder Rechte daran belegen, hält der Bundesrat dies für zu weitgehend. Unter diese Formulierung würden auch bloße Beweismittel fallen, die einen Rückschluss auf das Recht auf entsprechende Vermögensgegenstände oder Rechte daran zulassen. Für solche Beweismittel sieht die deutsche Strafprozessordnung aus guten Gründen eigenständige Regelungen zu ihrer Sicherstellung vor. Damit trägt das deutsche Recht dem Umstand Rechnung, dass bloße Beweismittel lediglich der Sicherung der Durchführung des Verfahrens dienen und nicht dauerhaft der betroffenen Person zu entziehen sind. Soweit rechtserhebliche Schriftstücke oder Urkunden von der Begriffsbestimmung der "Vermögensgegenstände" umfasst werden sollen, wäre nach Auffassung des Bundesrates eine Formulierung geeigneter, wonach diese das Recht auf solche Vermögensgegenstände oder Rechte daran verkörpern.
Zu Artikel 3
- 5. Artikel 3 der vorgeschlagenen Richtlinie bedarf nach Auffassung des Bundesrates der Präzisierung.
Soweit die Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollen, im Anschluss ("nach") an eine rechtskräftige Verurteilung die Einziehung von Tatmitteln und Erträgen aus Straftaten sowie die Einziehung ihres Wertersatzes zu ermöglichen, sollte diese zeitliche Festlegung dahingehend gelockert werden, dass auch eine - zeitgleich mit der Verurteilung erfolgende - Einziehungsentscheidung in ein und demselben Urteil möglich ist.
Ferner ist im Wortlaut zu verdeutlichen, dass der Zugriff auf das Legalvermögen (Absatz 2) lediglich ersatzweise platzgreifen soll, wenn der Zugriff auf die inkriminierten Tatwerkzeuge und Erträge gemäß Absatz 1 nicht (mehr) möglich ist. Bei wortlautgetreuem Verständnis von Absatz 2 wäre die Einziehung von Vermögensgegenständen, deren Wert den Erträgen aus Straftaten entspricht, auch neben fortbestehender Möglichkeit der vollständigen Einziehung der Erträge selbst vorzusehen. Eine solche doppelte Inanspruchnahme der betroffenen Person wäre aber mit dem zu beachtenden Übermaßverbot nicht in Einklang zu bringen. Entsprechend lässt das deutsche Recht in § 73a StGB den Verfall von Wertersatz nur dann zu, wenn der Verfall eines bestimmten Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grunde nicht möglich ist, wenn davon abgesehen wird oder wenn der Wert des Gegenstandes hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.
Zu Artikel 4
- 6. Der Bundesrat hält die in Artikel 4 Absatz 1 gewählte Formulierung für zu weitgehend, wonach jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass Vermögensgegenstände, die einer "wegen einer Straftat" (Artikel 2 Absatz 6) verurteilten Person gehören, erweiterten Einziehungsmöglichkeiten unterliegen.
§ 73d StGB gestattet die Anordnung des erweiterten Verfalls, wenn eine rechtswidrige Tat nach einem Gesetz begangen worden ist, das ausdrücklich auf diese Vorschrift verweist und "Umstände die Annahme rechtfertigen", dass Vermögensgegenstände des Täters oder Teilnehmers für - andere - rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind. Im deutschen Strafrecht sind diejenigen Straftaten, für die der erweiterte Verfall aufgrund eines Verweises auf § 73d StGB eröffnet ist, zumeist durch eine gewerbsmäßige bzw. bandenmäßige Tatbegehung gekennzeichnet. Es handelt sich um Straftaten, die typischerweise im Bereich der organisierten Kriminalität begangen werden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Herkunft entsprechender Deliktsgewinne wegen des konspirativen Vorgehens der erfassten Täterkreise häufig nicht vollständig aufgeklärt werden kann. Außerdem soll eine effektivere Gewinnabschöpfung gerade organisiert handelnden Tätern den Anreiz zur Begehung erneuter gewinnorientierter Straftaten nehmen. Vorwiegend bei banden- oder gewerbsmäßiger Tatbegehung sind zudem überhaupt bei den Tätern Gegenstände zu erwarten, die der erweiterten Einziehung unterliegen sollen. Die Richtlinienkompetenz aus Artikel 83 Absatz 1 AEUV bezieht sich auf die Bereiche besonders schwerer Kriminalität. Die Ausführungen der Kommission selbst unter Ziffer 2.4. der Begründung des Richtlinienvorschlags gehen dahin, dass die Einziehung von kriminellem Vermögen als wichtige Waffe im Kampf gegen die organisierte Kriminalität angesehen wird, die ihrem Wesen nach häufig grenzübergreifend angelegt ist und infolgedessen auf einer gemeinsamen Grundlage bekämpft werden muss, zumal organisierte kriminelle Gruppen ihr Vermögen immer häufiger im Ausland (oft in mehreren Mitgliedstaaten) verbergen oder investieren. Gleichwohl sind mit der Begriffsbestimmung der "Straftat" in Artikel 2 Absatz 6 zahlreiche Aktivitäten in Bezug genommen, die nicht dem Handlungsfeld der organisierten Kriminalität zugeordnet werden können und die als "Anlasstat" (zur Eröffnung der erweiterten Einziehungsmöglichkeit) typischerweise keine kriminalistische Vermutung dafür begründen, dass im Vermögen des Täters festgestellte Vermögenswerte etwa aus weiteren - nicht aufgeklärten - Straftaten stammen. Mit Blick darauf hält es der Bundesrat aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für geboten, die in Artikel 4 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags vorgesehene erweiterte Einziehungsmöglichkeit auf solche "Anlass-Straftaten" zu beschränken, die durch ein gewerbs- oder bandenmäßiges Handeln - oder sonstige vergleichbar qualifizierte Tatumstände, die die Einbindung der Einzeltat in ein weitreichenderes kriminelles Gesamtgeschehen dokumentieren - gekennzeichnet sind.
- 7. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Formulierung "Vermögensgegenstände aus ähnlichen kriminellen Aktivitäten" in Artikel 4 Absatz 1 Tatwerkzeuge im Sinne von Artikel 2 Absatz 3 nicht umfasst. Andernfalls hält er die Fassung für zu weitgehend und eine entsprechende Eingrenzung für erforderlich.
- 8. Der Bundesrat weist mit Blick auf Artikel 4 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags darauf hin, dass die im deutschen Recht enthaltene Regelung des erweiterten Verfalls in § 73d StGB vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung verfassungskonform restriktiv ausgelegt wird. Danach wird die nach erschöpfender Beweiserhebung und Beweiswürdigung gewonnene tatrichterliche uneingeschränkte Überzeugung von der deliktischen Herkunft der betreffenden Gegenstände verlangt (vgl. BGHSt 40, 371 ff.; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Fischer, StGB, 59. Auflage 2012, § 73d Rnr. 5). Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass § 73d StGB in dieser durch den Bundesgerichtshof vorgenommenen restriktiven Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, insbesondere nicht gegen den Schuldgrundsatz verstößt, die Unschuldsvermutung nicht verletzt und nicht gegen die Eigentumsgarantie des Artikels 14 Absatz 1 GG verstößt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 - 2 BvR 564/95 -, NJW 2004, 2073 ff.). Vor dem Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben muss die Fassung des Artikels 4 Absatz 1 dahingehend modifiziert werden, dass es nicht nur auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit, sondern auf die nach erschöpfender Beweiserhebung und Beweiswürdigung gewonnene tatrichterliche uneingeschränkte Überzeugung von der deliktischen Herkunft der betreffenden Gegenstände ankommt.
Zu Artikel 6
- 9. Aus Sicht des Bundesrates erscheint eine Überarbeitung von Artikel 6 in redaktioneller Hinsicht erforderlich. Absatz 2 enthält wesentliche Einschränkungen für die in Absatz 1 geregelte Dritteinziehung, die damit nicht in dem von Absatz 1 missverständlich nahegelegten - weiten - Umfang eröffnet werden soll. Der Bundesrat regt daher an, zur Verdeutlichung die Absätze 1 und 2 zusammenzufassen.
- 10. Der Bundesrat hält die erste Alternative der Dritteinziehungsmöglichkeit gemäß Artikel 6 Absatz 2 ("wenn ein Rückgabeanspruch besteht"), die nicht mit weiteren Einschränkungen versehen ist, für zu weitreichend. Allein das Bestehen "eines Rückgabeanspruchs" lässt einen zwingenden Rückschluss auf eine Bemakelung des Übertragungs-Rechtsgeschäfts nicht zu. Ein bloßer Rückgabeanspruch kann auch anderweitig - beispielsweise vertragsrechtlich - begründet sein. Aus Sicht des Bundesrates sollte Artikel 6 Absatz 2, 1. Alternative daher gestrichen werden.
- 11. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Formulierungen in Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b zum notwendigen Kenntnishorizont des empfangenden Dritten ("eine vernünftige Person in seiner Lage aufgrund der konkreten Tatsachen und Umstände ... vermutet hätte") einer grob fahrlässigen Unkenntnis im Sinne der deutschen Rechtsdogmatik entsprechen. Nur eine solche steht dem gutgläubigen Erwerb des Dritten nach inländischem Rechtsverständnis entgegen. Das gutgläubige Handeln des Erwerbers sollte vom Anwendungsbereich des Artikels 6 Absatz 2 Buchstabe b entsprechend der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zu § 73 Absatz 3 StGB vom 19. Oktober 1999 - 5 StR 336/99 - (BGHSt 45, 237 ff.) ausgeschlossen sein. Der Bundesrat regt an, den notwendigen Kenntnishorizont des Dritten in Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b (leichtfertige Unkenntnis) angelehnt an § 261 Absatz 5 StGB zu formulieren. Gemäß § 261 Absatz 5 StGB liegt Leichtfertigkeit des Nichterkennens vor, wenn sich die Herkunft nach der Sachlage aufdrängt und die betroffene Person dies aus besonderer Gleichgültigkeit oder grober Unachtsamkeit außer Acht lässt. In die gleiche Richtung geht die Definition der groben Fahrlässigkeit im Sinne von § 932 Absatz 2 BGB: Diese liegt dann vor, wenn der Erwerber die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall sich hätte aufdrängen müssen.
Zu Artikel 8 Absatz 2 Satz 3
- 12. Der Bundesrat hat Bedenken gegen Artikel 8 Absatz 2 Satz 3 des Richtlinienvorschlags, da im Falle einer Rückaushändigung von sichergestellten Vermögensgegenständen diese (ausschließlich) an den "rechtmäßigen Eigentümer" erfolgen soll. Dies lässt gegebenenfalls zu beachtende zivilrechtliche Ansprüche - insbesondere Rechte eines Dritten, bei dem der betreffende Gegenstand sichergestellt worden ist - außer Acht. Vorzugswürdig erscheint daher eine Regelung dahingehend, dass sichergestellte Vermögensgegenstände, die nicht anschließend eingezogen werden, umgehend dem letzten Gewahrsamsinhaber zurückzugeben sind, soweit Rechte Dritter nicht entgegenstehen.
Zu Artikel 8 Absatz 5
- 13. Der Bundesrat hält es für zu weitgehend, in Fällen der Einziehung ohne vorherige Verurteilung nach Artikel 5 des Richtlinienvorschlags stets eine anwaltliche Vertretung des Betroffenen vorzusehen (so Artikel 8 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags). Diese Regelung erscheint zu pauschal, sie lässt die Umstände des Einzelfalles außer Betracht. Angemessen und zur Wahrung der Rechte des Betroffenen ausreichend wäre es dagegen, die Anwaltsbeiordnung von der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie den Fähigkeiten des Betroffenen, seine Rechte selbst wahrzunehmen, abhängig zu machen (entsprechend § 434 Absatz 2, § 440 Absatz 3 StPO).
Zu Artikel 10
- 14. Der Bundesrat hält es für geboten, in Artikel 10 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags den Satzteil "wie Errichtung nationaler Zentralstellen oder vergleichbarer Einrichtungen" zu streichen und den Mitgliedstaaten die Regelung zu überlassen, welche Einrichtungen für die Verwaltung der sichergestellten Gegenstände Sorge tragen. In Deutschland erfolgt die Verwaltung der sichergestellten Gegenstände durch die Staatsanwaltschaften; Anlass für eine Zentralisierung auf nationaler Ebene im Sinne des Richtlinienvorschlags besteht nicht und dies wäre auch aus Effektivitätsgründen wenig sachgerecht.
Zu Artikel 11
- 15. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Artikel 11 der vorgeschlagenen Richtlinie Statistiken vorsieht, deren Erstellung mit außerordentlichem Aufwand verbunden sein wird. Er gibt zu bedenken, dass dies die Kapazitäten schwächt, die für die Aufgaben der Strafverfolgung zur Verfügung stehen. Der Bundesrat bittet daher darauf zu achten, dass die vorgesehene statistische Erfassung sich auf ein Maß beschränkt, das durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten zu bewältigen ist.
B
- 16. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.