Antrag der Länder Brandenburg, Berlin
Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Patientenorientierung

Der Ministerpräsident des Landes Brandenburg Potsdam, 3. Mai 2019

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Regierungen der Länder Brandenburg und Berlin haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Patientenorientierung zuzuleiten.

Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Plenarsitzung am 17. Mai 2019 aufzunehmen und sodann den Ausschüssen zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dietmar Woidke

Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Patientenorientierung

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Rechte von Patientinnen und Patienten weiter zu stärken und Patientenorientierung zu einer Leitidee des deutschen Gesundheitswesens zu machen.

Die verstärkte Einbeziehung von Patientinnen und Patienten in sie betreffende Fragen und Entscheidungen der gesundheitlichen Versorgung sind grundlegendes Element einer zukunftsweisenden Gesundheitspolitik. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, eine Stärkung der Patientenorientierung insbesondere in folgenden Bereichen zu verfolgen:

Begründung:

Mehr Unterstützung, Partizipation, Information und gemeinsame Entscheidungsfindung können die Selbstverantwortung der Betroffenen stärken und die gesundheitliche Versorgung stärker an den Bedürfnissen und Bedarfen der Patientinnen und Patienten ausrichten. Die Vorstellungen, wie Bürgerinnen und Bürger, Versicherte, Patientinnen und Patienten sich im Gesundheitssystem einbringen können und sollen, haben sich in den letzten Jahren verändert. Patientinnen und Patienten befinden sich nicht mehr nur in einer passiven Rolle, die die Hilfe der ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Professionen ohne zu hinterfragen in Anspruch nehmen.

Patientenorientierung muss als ein Prinzip der medizinischen Versorgung in der Versorgungspraxis umgesetzt werden. Dabei ist immer wieder zu prüfen, in welchem Ausmaß und in welchen Feldern Patientenorientierung gelingt. Die vorliegende Entschließung nennt fünf konkrete Felder, für die Fortschritte in der Patientenorientierung erreichbar sind.

Zu Ziffer 1 (Patientenbrief):

Sowohl die Achtung der Patientenautonomie wie auch der Selbstbestimmung sind auf informierte Einwilligung angewiesen. Daneben wirkt es auch zum Wohl der Patientinnen und Patienten, wenn die informierte Einwilligung sorgfältig begleitet wird: Wertungen werden berücksichtigt, Vertrauen aufgebaut, Angst reduziert, Gefühle der Selbstkontrolle und Verständnis gefördert. Letztlich wird so auch ein Therapieerfolg befördert.

Um bei der Umsetzung einer informierten Entscheidung bezüglich der Behandlung mitwirken zu können, sind Patientinnen und Patienten auf verständliche Informationen angewiesen. Aus vielen Studien ist bekannt, dass Patientinnen und Patienten das vom Behandelnden Gesagte schon kurze Zeit später nur bruchstückhaft erinnern können. Eine gelungene Arzt-Patient-Kommunikation ist nicht möglich, ohne dass die Patienten ihre Krankheit, Diagnose und Behandlungsempfehlungen verstehen, im Gedächtnis behalten und bei Bedarf auf Informationen zurückgreifen können. Internet-Portale mit gesicherten Informationen über Krankheiten und mögliche Behandlungswege reichen im konkreten Krankheitsfall nicht aus. Gesundheitskompetenz ist nicht einfach eine Eigenschaft von mehr oder weniger gebildeten Personen, sondern wird in der Interaktion hergestellt.

Zu einer verbesserten Informationsweitergabe an die Patientinnen und Patienten sind zusätzliche Instrumente, wie beispielsweise Patientenbriefe, hilfreich, um die Patientinnen und Patienten aktiv in die Versorgungsprozesse einzubinden. Patientinnen und Patienten können Informationen und Empfehlungen nach dem Kontakt mit den Behandelnden besser behalten und verarbeiten, wenn sie diese nicht nur mündlich sondern auf dauerhafte Weise mitgeteilt bekommen. Ein moderner Patientenbrief kann mit IT-Hilfe erstellt werden. Hierzu gibt es bereits Vorarbeiten. Gegen den Patientenbrief wurde eingewandt, dass damit Bürokratie verbunden sei. Wenn Patientenorientierung und die Förderung der Gesundheitskompetenz ernst genommen werden, lässt sich der Patientenbrief nicht als unnötige Bürokratie abtun.

Die Forderung nach einem Patientenbrief kann nicht auf einen Brief zur Entlassung nach einem Krankenhausaufenthalt beschränkt bleiben, sondern ist auch für die ambulante Versorgung sinnvoll begründet.

Zu Ziffer 2 (Angebot der gesundheitlichen Versorgungsplanung):

Vollstationäre Pflegeheime und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen können ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nach § 132g SGB V eine gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase anbieten. Mit der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase sollen Bewohner dazu angeleitet werden, Vorstellungen über die medizinischen Abläufe, das Ausmaß, die Intensität und die Grenzen medizinischer Interventionen sowie palliativmedizinischer und palliativpflegerischer Maßnahmen in der letzten Lebensphase zu entwickeln. Hierzu zählt zum Beispiel auch die Beratung über die Möglichkeiten und Konsequenzen eines Therapieverzichts. Das durchschnittliche Alter bei Aufnahme in eine Pflegeeinrichtung hat sich in den letzten Jahren erhöht. Immer mehr Menschen leben mit gesundheitlichen Einschränkungen und Befürchtungen, die ihnen und den Angehörigen Sorgen bereiten. Daher liegt es nahe, das Angebot der gesundheitlichen Versorgungsplanung gemäß § 132g SGB V auf alle Versicherten auch außerhalb von Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen auszuweiten. Die Erfahrungen mit der Umsetzung des § 132g SGB V sollten hierfür bewertet werden.

Zu dem Angebot der gesundheitlichen Versorgungsplanung als wichtigem und entscheidendem Instrument sollte jede Versicherte und jeder Versicherte in der Gesetzlichen Krankenversicherung Zugang haben.

Zu Ziffer 3 (Strukturelle Beteiligung von Patientinnen und Patienten in allen Gremien des Gesundheitswesens):

Nach § 140f Absatz 2 SGB V gibt es seit 2004 eine Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Erfahrungen mit der Patientenbeteiligung beim G-BA sind positiv. Dieses Urteil wird durchweg inzwischen von allen "Bänken" geteilt. Um die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter bei der Wahrnehmung ihres Antrags- und Mitberatungsrechts organisatorisch und inhaltlich zu unterstützen, hat der Bundesgesetzgeber beispielsweise eine Stabsstelle Patientenbeteiligung beim G-BA einrichten lassen.

Patientenvertretung findet auch in den Gremien auf Landesebene statt. Sowohl für koordinierende Aufgaben auf Landesebene als auch für erforderliche Abstimmungen mit der Bundesebene hat der Gesetzgeber jedoch keine Unterstützungsstrukturen vorgesehen. Um Transparenz und Vernetzung von Patientenbelangen herzustellen, benötigen die Akteure auch auf Landesebene entsprechend unterstützende Strukturen. Allein im Ehrenamt ist dies nicht mehr zu leisten. Daher sollten Regelungen im SGB V mit dem Ziel getroffen werden, die Maßnahmen der organisatorischen und inhaltlichen Unterstützung der Patientenvertreterinnen und -vertreter auf Bundes- und Landesebene anzugleichen.

Zu Ziffer 4 (Bürgerbeteiligung zur Verbesserung von Patientenorientierung):

Die komplexen und zum Teil widersprüchlichen Wünsche, Bedürfnisse und Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern an die medizinischen Fachkräfte sind nicht mit Instrumenten der Meinungsforschung zu erfassen. Daher sollten mit offenen Verfahren Erkenntnisse zur Patientenorientierung gesammelt werden. Hierzu eignet sich beispielsweise das Verfahren der Planungszellen bzw. Bürgergutachten. Mit Zufallsverfahren ausgewählte Bürgerinnen und Bürger nehmen an mehrtägigen Veranstaltungen teil, in denen Fachleute im ersten Schritt Wissen über den Gegenstandsbereich vermitteln. In weiteren Schritten bewerten und priorisieren die Teilnehmenden die Wissensbestände. Schließlich entsteht ein Gutachten, das Wissensbestände zur Patientenorientierung ebenso enthält wie Bewertungen und Priorisierungen.

Zu Ziffer 5 (Patientenentschädigungsfonds für Schäden in Härtefällen):

Opfer von Behandlungsfehlern müssen oft jahrelang für eine Entschädigung kämpfen. Oft gelingt es auch nicht, einen groben Behandlungsfehler als ursächlich für den Gesundheitsschaden auszuweisen. Die Dauer der Verfahren allein kann Geschädigte und ihre Familien schwerstens belasten. Daher sollte geprüft werden, wie Patientenentschädigungsfonds für Schäden in Härtefällen genutzt werden können. Positive Erfahrungen aus Österreich und Konzepte/Gutachten für Deutschland liegen vor.

Die Krankenkassen sollen nach § 66 SGB V die Versicherten bei der Klärung möglicher Schadensersatzansprüche, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind, unterstützen und die Ratsuchenden über die Möglichkeiten, die ihnen bei der Verfolgung ihrer Beschwerden und Ansprüche zur Verfügung stehen, informieren. In der Praxis hat sich gezeigt, dass konkretere Vorgaben über die Ausgestaltung der Unterstützung notwendig sind.