A. Problem
- Die Erstzuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts umfasst in erster Linie ermittlungsintensive und rechtlich komplexe Rechtsmaterien. Für sie ist die Tatsachenermittlung auf das Oberverwaltungsgericht begrenzt, und dadurch wird eine Straffung und Beschleunigung der Verfahren bewirkt.
- Über die dem Oberverwaltungsgericht nach dem geltenden § 48 VwGO zugewiesenen Rechtsmaterien hinaus bestehen noch weitere ermittlungsintensive Rechtsgebiete, bei denen zu Gunsten der Gesichtspunkte der Verfahrenseffizienz und -beschleunigung eine Begrenzung auf eine Tatsacheninstanz wünschenswert ist.
- Zudem sind Auslegungsschwierigkeiten zu beheben, die in der Praxis auf der Grundlage der bisherigen Fassung des § 48 VwGO aufgetreten sind.
B. Lösung
- Die vorgesehenen Neuregelungen dehnen den geltenden Katalog des § 48 VwGO auf weitere ermittlungsintensive Verfahren mit erheblicher wirtschaftlicher, ökologischer oder politischer Bedeutung aus. Damit wird für die dort genannten Rechtsgebiete bzw. Vorhaben das Oberverwaltungsgericht als Eingangsgericht zuständig.
- Darüber hinaus werden Auslegungsschwierigkeiten behoben, die sich auf der Grundlage des § 48 VwGO in der bisherigen Fassung ergeben haben.
C. Alternativen
- keine
D. Kosten(Finanzielle Auswirkungen auf öffentliche Haushalte/Sonstige Kosten)
- Die vorgeschlagenen Maßnahmen entlasten die Verwaltungsgerichte erster Instanz und belasten die Oberverwaltungsgerichte insoweit kostenneutral. Infolge des dort bestehenden Anwaltszwanges und der in der Mehrzahl der Fälle geringeren Ortsnähe des Gerichts wird die Rechtsverfolgung für den Bürger zunächst aufwändiger.
- Die Beschränkung auf eine Tatsacheninstanz und die damit verbundene Verfahrensbeschleunigung wird diese Nachteile im Regelfall aufwiegen und für Bürger und Staat die Kosten mindern.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
Der Bundesrat hat in seiner 795. Sitzung am 19. Dezember 2003 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung
§ 48 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
- 1. Satz 1 wird wie folge geändert:
- a) Nummer 5 wird wie folgt geändert:
- aa) Die Wörter "mit einer jährlichen Durchsatzleistung (effektive Leistung) von mehr als einhunderttausend Tonnen" und die Wörter "im Sinne des § 41 Abs. 1 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes gelagert oder" werden gestrichen.
- bb) Die Wörter "sowie von Anlagen zur mechanischbiologischen Behandlung von Abfällen vor deren Ablagerung im Sinne des § 4 der Abfallablagerungsverordnung, die in Spalte 1 des Anhangs zur Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen genannt sind," werden angefügt.
- b) Nummer 6 wird wie folgt gefasst:
das Anlegen, die Erweiterung oder Änderung von Flughäfen, Landeplätzen und Segelfluggeländen, deren Betrieb und die Auswahl der Anbieter von Leistungen, die ihrer Art nach mit dem Betrieb in Zusammenhang stehen und für ihn auch notwendig sind,
- c) In Nummer 8 werden nach dem Wort "Bundesfernstraßen" die Wörter "und von Straßen, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde" eingefügt.
- d) In Nummer 9 wird der abschließende Punkt durch ein Komma ersetzt und werden folgende Nummern 10 bis 14 angefügt:
"10. Genehmigungen von Flächennutzungsplänen und genehmigungspflichtigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch,
11. Planfeststellungsverfahren im Sinne des § 31 des Wasserhaushaltsgesetzes, soweit sie der Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen,
12. Entscheidungen und Ansprüche nach dem Eisenbahnkreuzungsrecht,
13. Vorhaben, die dem Bergrecht unterliegen.
14. Planfeststellungsverfahren für den Bau oder die wesentliche Änderung für Anlagen und für sonstige Maßnahmen des Küstenschutzes, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde."
- a) Nummer 5 wird wie folgt geändert:
- 2. Satz 2 wird wie folgt gefasst:
"Satz 1 gilt auch für Streitigkeiten um
- 1. Genehmigungen, die an Stelle einer Planfeststellung erteilt werden,
- 2. sämtliche für Vorhaben nach Satz 1 erforderlichen Genehmigungen und Erlaubnisse, die mit ihnen in einem räumlichen und betrieblichen Zusammenhang stehen dies gilt auch, wenn die Genehmigungen und Erlaubnisse Nebeneinrichtungen betreffen,
- 3. die nachträgliche Änderung oder Aufhebung von Planfeststellungen, Genehmigungen und Erlaubnissen nach den Nummern 1 und 2 sowie Satz 1, ferner
- 4. das Außerkrafttreten oder die Verlängerung von festgestellten oder genehmigten Plänen nach Nummer 1 und Satz 1."
- 3. Satz 3 wird wie folgt gefasst:
"Die Länder können durch Gesetz vorschreiben, dass über Streitigkeiten, die Besitzeinweisungen und Enteignungsverfahren in den Fällen des Satzes 1 sowie Straßenbauvorhaben betreffen, die der Planfeststellung bedürfen, das Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug entscheidet."
Artikel 2
Übergangsvorschrift
In Verfahren, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes anhängig geworden sind oder für die die Klagefrist vor diesem Tag begonnen hat, gelten die bisherigen Vorschriften.
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am ersten Tage des fünften auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
- 1. Allgemeine Zielsetzung und Ausgangslage Bereits nach der geltenden Fassung des § 48 VwGO sind dem Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug Rechtstreitigkeiten zugewiesen mit der Folge, dass insoweit von vornherein nur eine gerichtliche Tatsacheninstanz zur Verfügung steht. Der Katalog erstinstanzlicher Zuständigkeit umfasst in erster Linie ermittlungsintensive und rechtlich komplexe Rechtsmaterien. Der Gesetzgeber erachtet die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts in diesen Bereichen als zweckmäßig im Sinne eines möglichst effizienten Einsatzes der knappen Ressource Rechtsschutz. Die guten Erfahrungen mit der bisherigen Regelung legen es nahe, den in § 48 VwGO enthaltenen Katalog auf weitere ermittlungsintensive Verfahren mit erheblicher wirtschaftlicher ökologischer oder politischer Bedeutung auszudehnen. Dabei sind vor allem technischnaturwissenschaftlich geprägte Rechtsbereiche dem Oberverwaltungsgericht als Eingangsgericht zuzuweisen. Auf diesem Weg wird die Tatsachenermittlung in den ausgesuchten Rechtsbereichen auf das Oberverwaltungsgericht begrenzt und somit eine Straffung und Beschleunigung der Verfahren bewirkt. Neben den beiden Gesichtspunkten der Verfahrenseffizienz und -beschleunigung werden auf der Grundlage der bisherigen Fassung des § 48 VwGO in der Praxis aufgetretene Abgrenzungsschwierigkeiten geklärt.
- 2. Die vorgeschlagenen Maßnahmen Die beabsichtigten Neuregelungen haben zur Folge, dass auch für die dort genannten Rechtsgebiete bzw. Vorhaben das Oberverwaltungsgericht als Eingangsgericht zuständig wird.
- 3. Auswirkungen des Gesetzes Die vorgeschlagenen Maßnahmen dienen der Verfahrenseffizienz und -beschleunigung und können sich kostenmindernd auswirken.
- 4. Gesetzgebungszuständigkeit Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs.1 Nr. 1 i.V.m. Artikel 72 GG.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 ( § 48 Abs. 1 VwGO)
Zu Nummer 1 Buchstabe a (Satz 1 Nr. 5)
Der Wegfall der Einschränkung auf die jährliche Durchsatzleistung von mehr als 100 000 Tonnen bei Verbrennungsanlagen bzw. thermischen Zersetzungsanlagen schaltet Abgrenzungsprobleme aus, die bei der Feststellung der effektiven Durchsatzleistung im Rechtsstreit stehender Anlagen auftreten.
Durch die weitere Streichung entfällt die Begrenzung auf Sondermülldeponien.
Nach der Verordnung über die umweltverträgliche Ablagerung von Siedlungsabfällen (Abfallablagerungsverordnung) vom 20. Februar 2001 (BGBl. I S. 305) muss die Ablagerung unvorbehandelter Siedlungsabfälle auf Deponien spätestens zum 31. Mai 2005 eingestellt werden. Es besteht daher ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass die Zulassungen für die erforderlichen Anlagen zur Vorbehandlung von Siedlungsabfällen nicht durch lange Rechtsstreitigkeiten hinausgezögert werden. Für Abfallverbrennungsanlagen ist die erstinstanzliche Zuständigkeit des OVG bereits vorgesehen. Sie soll um größere Anlagen zur mechanischbiologischen Behandlung von Vorbehandlung ergänzt werden.
Zu Nummer 1 Buchstabe b (Satz 1 Nr. 6)
Die Erweiterung erfasst nunmehr auch alle Sonderflughäfen, Sonderlandeplätze,
Verkehrslandeplätze ohne beschränkten Bauschutzbereich sowie Segelfluggelände und konzentriert die gesamte Fachmaterie in einer Zuständigkeit.
Außerdem wird die in der Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beantwortete
Frage geklärt, ob die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts
auch dann gegeben ist, wenn die Streitigkeit die Auswahl der Anbieter von Leistungen (etwa Bodenabfertigungsdienste) zum Gegenstand hat, die ihrer Art nach mit dem Betrieb von Flughäfen, Landeplätzen und Segelfluggeländen in Zusammenhang stehen und für ihn auch notwendig sind, im konkreten Fall jedoch nicht zwingend erforderlich sind, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.Zu Nummer 1 Buchstabe c (Satz 1 Nr. 8)
Planfeststellungsverfahren für den Bau und die Änderung von Straßen, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, sind für die Gerichte mit einem erheblichen Prüfungsaufwand verbunden. Ihre Einbeziehung in den Katalog des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwGO verkürzt die Verfahrensdauer.
Zu Nummer 1 Buchstabe d
Zu Satz 1 Nr. 10
Die Aufnahme von Rechtsstreitigkeiten um die Genehmigung von Flächennutzungsplänen und genehmigungspflichtigen Satzungen nach dem Baugesetzbuch lässt Synergieeffekte erwarten, da die Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO ohnehin dem Oberverwaltungsgericht obliegt.
Zu Satz 1 Nr. 11
Planfeststellungsverfahren nach dem Wasserrecht im Sinne des § 31 WHG, soweit sie der Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen, sind mit einem erheblichen Prüfungsaufwand verbunden. Auch für diese Vorhaben kann durch eine Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit an das Oberverwaltungsgericht eine deutliche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden.
Zu Satz 1 Nr. 12
Bei dem Rechtsgebiet des Eisenbahnkreuzungsrechts handelt es sich um eine sehr komplexe Materie. Daher ist der Einarbeitungsaufwand für die Verwaltungsgerichte sehr hoch, insbesondere in Anbetracht der geringen Fallzahlen in diesem Rechtsbereich.
Durch eine Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit zum Oberverwaltungsgericht kann der Arbeitsaufwand konzentriert und optimiert werden.
Zu Satz 1 Nr. 13
Vorhaben, die dem Bergrecht unterliegen, sind regelmäßig mit einem größeren Investitionsvolumen gepaart. Eine Verfahrensbeschleunigung ist daher wünschenswert.
Zu Satz 1 Nr. 14
Planfeststellungsverfahren für den Bau oder die wesentliche Änderung für Anlagen und für sonstige Maßnahmen des Küstenschutzes, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, sind für die Gerichte ebenfalls mit einem erheblichen Prüfungsaufwand verbunden. Auch für diese Vorhaben kann durch eine Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit an das Oberverwaltungsgericht eine deutliche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden. Die Verfahrensbeschleunigung für diese Vorhaben ist von besonderem Interesse, da diese planfeststellungspflichtigen Maßnahmen dem Schutz der Menschen und von Sachgütern dienen.
Zu Nummer 2 (Satz 2)
Die Rechtsprechung hat Schutzansprüche nach erfolgter Planfeststellung oder - genehmigung mangels anderweitiger Regelung den Verwaltungsgerichten erster Instanz zugewiesen. Dies betrifft Streitigkeiten um die nachträgliche Änderung oder Aufhebung von Planfeststellungen und -genehmigungen, Streitigkeiten um die Änderung oder Aufhebung damit in Sachzusammenhang stehender Genehmigungen und Erlaubnisse sowie Streitigkeiten um das Außerkrafttreten und die Verlängerung von Plänen. Eine Zusammenführung der Zuständigkeit für diese Streitigkeiten mit der Zuständigkeit für Verwaltungsstreitverfahren, die die Ausgangsentscheidungen zum Gegenstand haben, erscheint in systematischer Hinsicht sinnvoll und dient zudem der Verfahrensbeschleunigung.
Zu Nummer 3 (Satz 3)
Bisher wurden von der Öffnungsklausel nur Besitzeinweisungen erfasst, nicht aber die sachnahen Enteignungsverfahren.
Die Erweiterung auch auf Straßenvorhaben, die der Planfeststellung bedürfen, ist zweckdienlich da solche Vorhaben einen erheblichen Ermittlungsaufwand mit sich bringen.
Zu Artikel 2 (Übergangsvorschrift)
Für die Anwendung der bisherigen Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Anhängigkeit oder der Beginn der Klagefrist maßgeblich.
Zu Artikel 3 (Inkraftreten)
Artikel 3 sieht vor, dass die Neuregelungen nach einer angemessenen Vorbereitungszeit in Kraft treten.