Punkt 39 der 970. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2018
Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 73 Absatz 3a Satz 6 AsylG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob Satz 6 der in § 73 Absatz 3a AsylG-E vorgesehenen Regelung mit dem Grundgesetz und dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist.
Begründung:
Artikel 1 Nummer 1 des Gesetzentwurfs sieht vor, § 73 AsylG um einen neuen Absatz 3a zu ergänzen und darin die Mitwirkungspflichten im Verfahren zur Überprüfung des Schutzstatus zu erweitern. Nach § 73 Absatz 3 Satz 6 AsylG-E muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) künftig bei der Entscheidung über die Aufhebung des Schutzstatus "berücksichtigen, inwieweit der Ausländer seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist." Diese Regelung stellt nicht klar, welches Gewicht einer unzureichenden Mitwirkung zukommen soll. Es erscheint möglich, dass das BAMF künftig den Status als Asylberechtigter, Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter allein deshalb aufhebt, weil die Betroffenen ihre Mitwirkungspflichten nach Einschätzung der Behörde nicht ausreichend erfüllt haben, dies unabhängig von einer Veränderung der individuellen Gefahrensituation im Herkunftsland bzw. ohne den konkreten Nachweis unrichtiger oder unvollständiger Angaben im Antragsverfahren.
Der Bundesrat hält eine solche Regelung verfassungsrechtlich für bedenklich. Denn die Aufhebung eines bestandskräftig gewährten Schutzstatus greift erheblich in die Grundrechte der Betroffenen ein. Es erscheint unverhältnismäßig, Geflüchteten bei unveränderter Bedrohung von Leben, Gesundheit oder Freiheit in ihrem Herkunftsland allein wegen des Vorwurfs unzureichender Mitwirkung den Schutz zu entziehen. Der Bundesrat hat darüber hinaus Zweifel, ob die geplante Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Denn zwar erlaubt die so genannte Qualifikationsrichtlinie den Mitgliedstaaten, Schutzsuchende zur Mitwirkung im Verfahren zu verpflichten (Artikel 4 Absatz 1 und 2, Artikel 14 Absatz 2 der RL 2011/95/EU). Sie listet aber die zulässigen Gründe für eine Aufhebung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes abschließend auf (Artikel 11, 14 der RL 2011/95/EU). Eine Aufhebung des Schutzstatus aus anderen Gründen, namentlich wegen unzureichender Mitwirkung des Schutzberechtigten, ist nicht vorgesehen.