908. Sitzung des Bundesrates am 22. März 2013
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Rechtsausschuss (R) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt den vorliegenden Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO). Er teilt die Einschätzung, dass die Europäische Insolvenzverordnung sich insgesamt bewährt und die Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzen erleichtert hat, indes in Teilen der Fortentwicklung bedarf.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die mit dem Verordnungsvorschlag verbundene Absicht, künftig auch im Rahmen von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren Restrukturierungsmaßnahmen ein stärkeres Gewicht zu geben, die Rechte von Gläubigerinnen und Gläubigern zu stärken und die Verfahren zu vereinfachen. Dies ist ein weiterer Schritt zur Stärkung des Unternehmertums in der EU.
- 3. Begrüßt wird insbesondere die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf Verfahren, die der Sanierung und Reorganisation zu dienen bestimmt sind, sowie auf solche, in denen dem Schuldner die Eigenverwaltung seines Vermögens belassen wird. Dies dürfte nicht nur der Konzeption des UNCITRAL-Modellgesetzes besser entsprechen, sondern auch in höherem Maße mit den Bestrebungen in vielen Mitgliedstaaten in Einklang stehen, den Fokus der nationalen Insolvenzverfahrensordnungen stärker als bisher auf den Sanierungsgedanken zu richten.
- 4. Der Bundesrat hat jedoch Bedenken gegen eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Verordnung auch auf vorinsolvenzliche "Schuldenanpassungsverfahren" in Artikel 1 in der Fassung des Vorschlags. Der Anwendungsbereich erscheint zu weitgehend, soweit auch Verfahren erfasst sein können, die ohne Zusammenhang mit einer zumindest drohenden Insolvenz der Reorganisation oder Sanierung des Schuldners dienen. Ferner dürften die zentralen Begriffe wie "Schuldenanpassung" und "Reorganisation" genauer zu bestimmen sein.
- 5. Der Bundesrat begrüßt die dem Verordnungsvorschlag zugrunde liegende Entscheidung, es bei dem Anknüpfungspunkt des Interessenmittelpunkts - centre of main interest (COMI) - zu belassen und insoweit eine präzisere Definition in den Verordnungstext aufzunehmen. In der gerichtlichen Praxis fehlt es angesichts der einzelfallbezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bislang an einer hinreichenden Klärung des Begriffs. Während der Europäische Gerichtshof in seiner Interedil-Entscheidung (Urteil vom 20. Oktober 2011, Rs. C-396/09) einerseits auf den Ort der für Dritte erkennbaren wirtschaftlichen Tätigkeit abstellt, andererseits aber den Ort der Verwaltung oder Kontrolle für maßgeblich erklärt, beschränkt sich der Vorschlag auf den Ort der Verwaltung, der für Dritte feststellbar ist. Der Bundesrat begrüßt, dass der Streit um die zutreffende Anknüpfung damit beendet werden dürfte.
- 6. Nach Einschätzung des Bundesrates sollte der Verordnungsvorschlag jedoch nochmals hinsichtlich der Frage überprüft werden, ob und gegebenenfalls inwieweit mit dem in Artikel 3 in der Fassung des Vorschlags gewählten Ansatz dem Risiko missbräuchlichen Forum Shopping (vgl. Erwägungsgrund 4 in der Fassung des Vorschlags) wirksam entgegengewirkt wird. Der Verordnungsvorschlag verwirft den von INSOL Europe angeregten Ansatz einer Einjahresregelung (vgl. INSOL Europe - Revision of the European Insolvency Regulation, 20. Juni 2012, S. 10, 38 ff.) mit der Begründung, dieser Ansatz sei zu ineffektiv, zumal er Umgehungsmöglichkeiten ausgesetzt sei und vor allem das Problem mangelnder Rechtssicherheit für Gläubigerinnen und Gläubiger nicht beseitige (so die Folgenabschätzung vom 12. Dezember 2012, Ziffer 5.3.). Der Bundesrat fasst den Verordnungsvorschlag so auf, dass es im Wesentlichen die Aufgabe der Gerichte bleiben soll, ausgehend von der in Erwägungsgrund 13a in der Fassung des Vorschlags niedergelegten Vermutung zu prüfen, ob ein etwaiger missbräuchlicher Anwendungsfall von Forum Shopping vorliegt und die Vermutung im Sinne des Erwägungsgrunds widerlegt ist. Der Bundesrat erachtet den Kommissionsvorschlag nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU als einen grundsätzlich nicht zu beanstanden Ansatz. Er gibt jedoch zu bedenken, dass es sich vor dem Hintergrund von Erwägungsgrund 4 in der Fassung des Vorschlags anbieten dürfte, zwar keine strikte Zuständigkeitsbeschränkung durch Einführung einer Einjahresregelung in Artikel 3 Absatz 1 in der Fassung des Vorschlags zu schaffen, wohl aber im Rahmen der Erwägungsgründe die widerlegliche Vermutung für den COMI eines Unternehmens im Fall einer Verlegung des Registersitzes innerhalb kurzer Frist vor Antragstellung einzuschränken. Auf diese Weise bliebe der Anknüpfungspunkt insbesondere in Verdachtsfällen missbräuchlichen Forum Shopping flexibel durch die nationalen Gerichte handhabbar, ihr Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum könnte den Umständen des Einzelfalls besser Rechnung tragen. Die Niederlassungsfreiheit der Unternehmen dürfte dies hingegen nicht unangemessen begrenzen.
- 7. Begrüßt wird schließlich die Streichung des zwingenden Erfordernisses der Qualität von Sekundärinsolvenzverfahren als Liquidationsverfahren, welches sich nach Einschätzung des Bundesrates nicht bewährt hat.
- 8. Hinsichtlich des mit dem Vorschlag verfolgten Prioritätsgrundsatzes ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 3 Absatz 3 in der Fassung des Vorschlags weiterhin nicht klärt, ob die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der Priorität herangezogen werden darf. Vor dem Hintergrund der Eurofood-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 2. Mai 2006, Rs. C-341/04), nach der bereits die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen als die prioritätsauslösende Eröffnungsentscheidung anzusehen ist, dürfte die Gefahr bestehen, dass Gerichte auch in Zukunft auf diese für die Bestimmung der Priorität insbesondere bei einer schwachen Insolvenzverwaltung nicht hinreichend geeignete Maßnahme abstellen werden.
- 9. Der Bundesrat begrüßt, dass Artikel 3a in der Fassung des Vorschlags nunmehr vorsieht, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren nach Artikel 3 eröffnet worden ist, auch für Klagen zuständig werden, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Es ist indes darauf hinzuweisen, dass Erwägungsgrund 13b in diesem Zusammenhang eingangs enger gefasst ist als die Bestimmung des Verordnungstexts selbst. Es wird daher angeregt, dass die Fassung des Erwägungsgrundes von Artikel 3a angeglichen und lediglich dahingehend formuliert wird, dass "die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren nach Artikel 3 eröffnet worden ist", auch über im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehende Klagen entscheiden sollen.
- 10. Die in Artikel 3b Absatz 1 Satz 1 in der Fassung des Vorschlags vorgesehene Regelung, nach der das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasste Gericht künftig von Amts wegen zu prüfen haben soll, ob es nach Artikel 3 EuInsVO zuständig ist, ist zu begrüßen. Fraglich ist allerdings, in welchem Umfang das angerufene Gericht seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat. Es besteht insoweit die Gefahr, dass es zu unterschiedlichen Ermittlungsansätzen in den verschiedenen Mitgliedstaaten kommen wird, da ausgehend von ausgesprochen unterschiedlichen Rechtstraditionen der einzelnen Mitgliedstaaten kaum ein einheitliches Verständnis darüber bestehen dürfte, was unter einer Amtsermittlung zu verstehen ist.
- 11. Bedenken hat der Bundesrat hinsichtlich Artikel 3b Absatz 3 in der Fassung des Vorschlags. So soll danach denjenigen Gläubigern, die ihren Aufenthalt, Sitz oder Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in welchem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird, ein Rechtsbehelf zustehen.
Sinn einer solchen Anfechtung der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens durch ausländische Gläubiger ist nach der Begründung des Verordnungsvorschlags die Erwägung, dass gewährleistet werden soll, dass ein Insolvenzverfahren nur in dem Mitgliedstaat eröffnet werden soll, der tatsächlich für den Fall zuständig ist.
- - Im Ansatz begrüßt der Bundesrat den entsprechenden Vorschlag der Kommission, die Zuständigkeitsfrage zur Reduzierung des Potenzials an Zuständigkeitskonflikten in die Überprüfungskompetenz eines Rechtsmittelgerichts zu stellen. Denn soweit das Gericht eines Mitgliedstaats bei Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens seine Zuständigkeit zu Unrecht annimmt, kann dies die Rechtsstellung ausländischer Gläubiger mitunter erheblich beeinträchtigen, insbesondere wenn ihre Rechte nicht dinglich gesichert sind.
- - Indes gerät der Verordnungsvorschlag bei der Verfolgung dieses Ziels einerseits zu weitgehend, andererseits hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung zu unkonkret, was Spielraum für erhebliche Rechtsunsicherheit eröffnet. Grundsätzlich richtet sich das Verfahren der Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung bereits aufgrund der lex fori concursus (Artikel 4 Absatz 1 EuInsVO) nach der jeweils einschlägigen nationalen Verfahrensordnung. Die nationalen Verfahrensordnungen sehen indes eine Anfechtung der Eröffnungsentscheidung durch die Gläubigerschaft nicht stets vor. Die Vorlage normiert insoweit eine Ausnahme vom Grundsatz der lex fori concursus. Soweit dieser Weg beschritten werden soll, sollte nach Einschätzung des Bundesrates zum einen der Beschwerdegegenstand präzisiert und zum anderen das Verfahren des Rechtsmittelgerichts durch die Verordnung einheitlich geregelt werden:
- -- So sollte das in Artikel 3b Absatz 3 in der Fassung des Vorschlags vorgesehene Rechtsmittel entsprechend seiner Zwecksetzung bereits nach dem Verordnungstext ausdrücklich auf den allein zulässigen Beschwerdegegenstand einer unzutreffenden Entscheidung über die bloße Zuständigkeitsfrage beschränkt werden. Die deutsche Insolvenzordnung sieht eine Anfechtung von Eröffnungsentscheidungen lediglich durch antragstellende Gläubiger und nur in dem Fall vor, dass die Eröffnung des Verfahrens abgelehnt wird. Soweit Artikel 3b Absatz 3 in der Fassung des Vorschlags nunmehr zu einer nach dem Verordnungstext nicht gegenständlich beschränkten Anfechtung des Eröffnungsbeschlusses durch die (gesamte) Gläubigerschaft berechtigen soll, wäre zum einen nicht zu rechtfertigen, weshalb dieses Recht lediglich ausländischen Gläubigern zustehen sollte. Zum anderen würde eine solche Anfechtbarkeit ein unangemessen hohes Obstruktionspotenzial schaffen, welches dem zügigen Verfahrensablauf insgesamt abträglich und im Sinne der Sicherstellung des angestrebten Zwecks nicht erforderlich wäre.
- -- Artikel 3b Absatz 3 Satz 2 in der Fassung des Vorschlags lässt Raum für die Annahme, dass für jeden Gläubiger gesondert eine ab seiner förmlichen Benachrichtigung durch Gericht oder Verwalter beginnende Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt wird. Dies dürfte jedoch mit dem eiligen Charakter des Verfahrens so nicht zu vereinbaren sein, insbesondere dann nicht, wenn eine Vielzahl von Gläubigern in verschiedenen Mitgliedstaaten zu beteiligen ist. Regional unterschiedlich nehmen Zustellungen in manchen Mitgliedstaaten sehr viel mehr Zeit in Anspruch als in anderen. Knüpft eine Rechtsmittelfrist an den Zeitpunkt der Benachrichtigung durch das Gericht an, entsteht gegebenenfalls ein langer Zeitraum, in dem die Entscheidung anfechtbar ist. Der Bundesrat regt insoweit an, dass die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs nach Artikel 3b Absatz 2 Satz 2 in der Fassung des Vorschlags unmittelbar an den Zeitpunkt der Veröffentlichung im Insolvenzregister anknüpft (ähnlich wie in Artikel 41 Absatz 4 in der Fassung des Vorschlags). Ausgehend von der lex fori concursus dürfte sich diese Folge nach Artikel 4 Absatz 1 EuInsVO in Verbindung mit § 9 Absatz 3 der Insolvenzordnung jedenfalls bei in Deutschland eröffneten Hauptinsolvenzverfahren ohnehin ergeben. Doch dürfte eine europaweit einheitliche Anwendung angesichts des durch die Verordnung nunmehr selbst vorgesehenen Rechtsbehelfs angezeigt sein. Aus diesem Grunde sollte die Verordnung auch eine einheitliche Anfechtungsfrist festlegen.
- -- Eine entsprechende Rechtsmittelentscheidung sollte darüber hinaus ohne weiteres Wirkung für und gegen alle anderen Verfahrensbeteiligten unabhängig von der Frage der sie selbst konkret betreffenden Rechtsbehelfsfrist entfalten.
- 12. Der Bundesrat regt an zu prüfen, inwiefern eine Änderung des Artikels 5 EuInsVO geboten ist. Die Verwaltung und Verwertung von mit Sicherungsrechten befassten Gegenständen ist für eine erfolgreiche Sanierung im Insolvenzverfahren elementar. Der Schutz von Sicherungsrechten durch die Verordnung sollte nicht größer sein als nach dem Recht der Belegenheit des mit dem Sicherungsrecht belasteten Gegenstands.
- 13. Die Verpflichtung zur Einrichtung von Insolvenzregistern in den Mitgliedstaaten und eines kostenfreien Zugriffs auf diese über das Internet wird ausdrücklich begrüßt. Sie stellt einen wichtigen Baustein für das Vertrauen von Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbrauchern in den gemeinsamen Markt dar. Im Rahmen der Regelungen des dazu notwendigen Durchführungsrechtsakts gemäß Artikel 20b in der Fassung des Vorschlags sollte die Kommission die im Zuge der europäischen Förderprojekte entwickelten technischen Standards und ICT-Lösungen berücksichtigen. Auf diese Weise können dauerhaft Kosten gesenkt sowie nachhaltige und wiederverwendbare technische Lösungen geschaffen werden.
- 14. Die im Verordnungsvorschlag vorgesehenen Änderungen/Ergänzungen mit dem Ziel, Schwierigkeiten bei der Anmeldung von Forderungen bei Insolvenzen von Schuldnern in einem anderen Mitgliedstaat zu beseitigen und die Kosten hierfür zu reduzieren, werden insbesondere aus KMU-Sicht begrüßt. In diesem Zusammenhang dürfte insbesondere auch die Schaffung eines dezentralen Systems zur Vernetzung der nationalen Insolvenzregister über das europäische Justizportal von Nutzen sein, auch wenn dies mit Kosten für die Anpassung der Systeme durch die Mitgliedstaaten verbunden ist.
- 15. Die nähere Ausgestaltung KMU-relevanter Maßnahmen wie z.B. die Vernetzung der Insolvenzregister und die Einführung von Standardvordrucken für die Unterrichtung der Gläubigerinnen und Gläubiger und die Anmeldung der Forderungen bleibt dem Erlass von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission innerhalb von 36 bzw. 24 Monaten vorbehalten. Die Bundesregierung wird gebeten, Einfluss zu nehmen, dass dabei KMU-Belange ausreichend berücksichtigt werden.
- 16. Der Bundesrat regt an, dass die in Artikel 41 Absatz 4 für ausländische Gläubigerinnen und Gläubiger neu eingeführte 45-Tage-Frist für die Anmeldung von Forderungen erst mit der Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung im Mitgliedstaat der Niederlassung beginnt. Eine solche Regelung sollte zumindest so lange gelten, bis das System der Vernetzung der nationalen Insolvenzregister gemäß Artikel 20b des Verordnungsvorschlags eingerichtet ist.
- 17. Die Bundesregierung wird, nicht nur mit Blick auf die Vernetzung der nationalen Insolvenzregister, gebeten, sich in ihrem Bestreben zur Förderung der elektronischen Verwaltung auch für eine Harmonisierung mit der europäischen Ebene und die Berücksichtigung von KMU-Belangen hierbei einzusetzen.
- 18. Ausdrücklich begrüßt wird schließlich die beabsichtigte Einführung von Regeln über grenzüberschreitende Konzerninsolvenzen.