841. Sitzung des Bundesrates am 15. Februar 2008
A.
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) empfehlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen beim Deutschen Bundestag einzubringen:
1. Zum Vorblatt Abschnitt A und B und zur Allgemeinen Begründung Ziffer I und II
- a) Im Vorblatt sind Abschnitt A und B wie folgt zu fassen:
"A. Problem und Ziel
Die Bandbreite strafrechtlicher Sanktionen erweist sich zuweilen als nicht ausreichend. In der Praxis kommen immer wieder Konstellationen vor, in denen die herkömmliche Geld- oder Freiheitsstrafe ein zielgenaues Strafen nicht hinreichend ermöglicht. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Verurteilten eine Geldstrafe allein nicht geeignet ist, die mit ihr verfolgten Zwecke zu erfüllen, andererseits aber eine Freiheitsstrafe nach Lage des Falles unangemessen hart erscheint. Ein weiteres Beispiel sind nicht ganz schwer wiegende Taten mit extremistischem Hintergrund auch unter Anwendung von Gewalt, unter deren Tätern sich nach den Erfahrungen ein großer Anteil junger Menschen findet. Hier kommt dem Gebot "Wehret den Anfängen" besondere Bedeutung zu. Die Sanktionen müssen geeignet sein, den Tätern einen wirkungsvollen "Schuss vor den Bug" zu setzen.
B. Lösung
Die bestehenden Lücken sollen durch den Ausbau des Fahrverbots zu einer vollwertigen Hauptstrafe behoben werden. Der Anwendungsbereich dieser sowohl in spezial- als auch in generalpräventiver Hinsicht anerkannt wirksamen Sanktion soll dabei für alle Arten von Straftaten eröffnet werden.
Die Verhängung des Fahrverbots verspricht eine deutliche Wirkung auf den Verurteilten. Denn Mobilität hat eine große Bedeutung; dem Führen von Kraftfahrzeugen kommt erheblicher Prestigewert zu."
- b) Die Allgemeine Begründung ist wie folgt zu ändern:
- aa) Die Überschrift "I. Ausgangslage", die Absätze 1 bis 4 und die Überschrift "II. Inhalt des Entwurfs" sind zu streichen.
- bb) Nach Absatz 3 ist folgender Absatz einzufügen:
"Der Ausbau des Fahrverbots erscheint auch im Hinblick auf die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshof vom 27. April 2005 (BGHSt 50, 93) erforderlich. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof den Anwendungsbereich der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Zusammenhangstaten wesentlich eingeengt.
Etwa beim Einsatz des Fahrzeugs zu Drogengeschäften kann die Entziehung der Fahrerlaubnis seither nur noch angeordnet werden, wenn sich aus der Tat hinreichende Anhaltspunkte für die Bereitschaft des Täters ergeben, dass er die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen kriminellen Zielen unterordnen werde. Nach Auffassung des Entwurfs müssen jedoch bei sämtlichen Missbräuchen des Kraftfahrzeugs im Zusammenhang mit der Begehung von Straftaten effektive Sanktionen verhängt werden können, die gerade die Berechtigung des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen betreffen. Dem trägt der Ausbau des Fahrverbots Rechnung."
Begründung (nur für das Plenum):
Die Vorlage erweckt den Eindruck, dass allenthalben Einigkeit über eine "nicht mehr zeitgemäße Sanktionsarmut" des geltenden Sanktionensystems bestehe.
Dies ist jedoch nicht richtig. Vielmehr gibt das deutsche Sanktionensystem der Strafjustiz etwa im Rahmen der Diversion oder der Strafaussetzung zur Bewährung vielfältige Möglichkeiten zur spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter.
Verbreitet dürfte deshalb die Auffassung sein, dass sich das deutsche Sanktionensystem im Grundsatz bewährt hat. Dem entspricht die Vorlage, indem sie mit dem Ausbau des Fahrverbots keinen grundsätzlichen Umbau, sondern, frühere Initiativen des Bundesrates aufgreifend, eine Verfeinerung des Strafensystems vornehmen will. Dieser Gesamtlage müssen Vorblatt und Begründung Rechnung tragen.
Auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den sogenannten Zusammenhangstaten gibt einen Impuls zum Ausbau des Fahrverbots. Dies sollte in der Begründung zum Ausdruck kommen.
2. Zu Artikel 1 Nr. 3 Buchstabe b ( § 44 Abs. 1 StGB)
In Artikel 1 Nr. 3 Buchstabe b § 44 Abs. 1 sind der abschließende Punkt durch ein Komma zu ersetzen und folgende Wörter anzufügen:
es sei denn, die Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleibt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 deswegen, weil nach der Gesamtwürdigung nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Täter die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen kriminellen Interessen unterordnen werde.
Folgeänderung:
In der Einzelbegründung zu Artikel 1 Nr. 3 ist nach Absatz 4 folgender Absatz einzufügen:
- Absatz 1 Halbsatz 2 stellt dabei sicher, dass für solche Zusammenhangstaten, bei denen nach den durch den Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätzen (BGHSt 50, 93) keine Entziehung der Fahrerlaubnis mehr angeordnet werden darf, das Höchstmaß des Fahrverbots wie bei sonstigen Taten der allgemeinen Kriminalität ein Jahr beträgt. Dies erscheint für eine effektive Sanktionierung zwingend erforderlich.
Begründung (nur für das Plenum):
Wie bei sonstigen Taten der allgemeinen Kriminalität besteht bei Zusammenhangstaten, bei denen nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr angeordnet werden kann, nicht die Gefahr der Kollision mit § 69 StGB. Es erscheint deshalb geboten, auch für diese Taten das Höchstmaß des Fahrverbots von einem Jahr zur Verfügung zu stellen.
3. Zu Artikel 1 Nr. 4 Buchstabe a (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB)
Artikel 1 Nr. 4 Buchstabe a ist wie folgt zu fassen:
- "a) In Absatz 1 Satz 1 werden das Wort "und" durch ein Komma ersetzt und nach dem Wort "Geldstrafe" die Wörter "und auf Fahrverbot, soweit es nicht neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe verhängt wird," eingefügt."
Begründung (nur für das Plenum):
Durch diese redaktionelle Änderung wird deutlicher zum Ausdruck gebracht, dass das Fahrverbot nach dem mit dem Gesetzesantrag verfolgten Anliegen als gleichwertige Sanktion neben der Geld- und der Freiheitsstrafe steht und nicht nur an deren Stelle verhängt wird. Einer Änderung der Entwurfsbegründung bedarf es nicht.
4. Zu Artikel 1 Nr. 4 Buchstabe c ( § 51 Abs. 5 StGB)
Artikel 1 Nr. 4 Buchstabe c ist wie folgt zu fassen:
- "c) Absatz 5 wird wie folgt gefasst:
(5) Die Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozessordnung) wird auf das Fahrverbot angerechnet. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozessordnung) gleich."
Folgeänderung
In der Einzelbegründung zu Artikel 1 Nr. 4 sind Absatz 3 folgende Sätze anzufügen:
- Sowohl die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, als auch die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach § 94 StPO entfalten dieselbe Wirkung: Der Beschuldigte darf kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug führen. Deutlich wird das in § 21 StVG: In allen vorgenannten Fällen ist der Verstoß strafbar. Daher ist es angemessen und geboten, die im Vorfeld einer Verurteilung zu einem Fahrverbot eintretende gleiche Wirkung einer vorläufigen Maßnahme auch im gleichen Maße auf das Fahrverbot anzurechnen. Das entspricht der Regelung im geltenden Recht.
Begründung (nur für das Plenum):
Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, entgegen der geltenden Regelung in der im Entwurf vorgesehenen auf die Anrechnung sich gleich auswirkender Maßnahmen zu verzichten, sind nicht ersichtlich. Die Anrechnung der genannten vorläufigen Maßnahmen stellt eine Parallele zur Regelung in § 51 Abs. 1 StGB dar.
5. Zu Artikel 3 ( § 15a - neu - JGG)
Artikel 3 ist wie folgt zu fassen:
"Artikel 3
Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
Das Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
- 1. Nach § 15 wird folgender § 15a eingefügt:"
§ 15a Fahrverbot
Der Richter kann dem Jugendlichen verbieten, für die Dauer von einem Monat bis zu einem Jahr im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. § 44 Abs. 3 und 4 des Strafgesetzbuches findet Anwendung."
- 2. In § 76 Satz 1 werden die Wörter "auf ein Fahrverbot erkennen," gestrichen."
Folgeänderung:
Die Einzelbegründung zu Artikel 3 ist wie folgt zu fassen:
"Zu Artikel 3 (Änderung des Jugendgerichtsgesetzes)
Zu Nummer 1 (§ 15a - neu - )
Die Einführung des Fahrverbots in das JGG ist im Zusammenhang mit der Einführung des Fahrverbots als Hauptstrafe gemäß § 44 StGB-E zwingend erforderlich. Bisher ist die Verhängung eines Fahrverbots als Nebenstrafe bei gleichzeitiger Verhängung einer Jugendstrafe, eines Zuchtmittels oder einer Erziehungsmaßregel möglich (§§ 6, 8 JGG). Wird das Fahrverbot aber im Strafgesetzbuch zur Hauptstrafe, so wäre ihre Verhängung bei Anwendung von Jugendstrafrecht gemäß den §§ 5, 6 und 8 JGG nicht mehr zulässig.
Die Hauptstrafen des allgemeinen Strafrechts finden nach dem Sanktionensystem des JGG bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht keine Anwendung.
Die Ermöglichung der Anordnung eines Fahrverbots nach JGG ist daher unumgänglich.
Die Einführung des Fahrverbots als eigenständige Sanktion im Jugendstrafrecht ist bereits Gegenstand des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz, das dem Deutschen Bundestag vorliegt (BT-Drs. 016/1027). Dessen Umsetzung ist nicht absehbar.
Das Fahrverbot nach JGG soll als Zuchtmittel ausgestaltet werden. Um deutlich zu machen, dass sich das Fahrverbot als Zuchtmittel in das in sich abgeschlossene Sanktionensystem des JGG einfügt, verweist § 15a JGG-E nicht pauschal auf den neu zu fassenden § 44 StGB, sondern formuliert das Fahrverbot selbstständig, wenngleich weitgehend inhaltsgleich mit § 44 Abs. 1 Halbsatz 1 StGB-E.
Die Vorschrift sieht vor, dass ein Fahrverbot auch bei Anwendung des Jugendstrafrechts verhängt werden kann, auch wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde. Diese Sanktion kommt insbesondere in Betracht, wenn dem Jugendlichen dadurch, dass ihm die Benutzung des Kraftfahrzeugs untersagt wird, in ausreichender Weise das Unrecht seiner Tat zum Bewusstsein gebracht werden kann.
Die Vollstreckung des Fahrverbotes richtet sich durch den Verweis auf § 44 Abs. 3 und 4 StGB-E nach allgemeinem Strafrecht.
Zu Nummer 2 (§ 76 Satz 1)
Es handelt sich um eine notwendige Folgeanpassung. Da das Fahrverbot nach § 15a JGG-E Zuchtmittel ist, ist eine gesonderte Erwähnung in § 76 JGG nicht mehr erforderlich."
B.
- 6. Der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
C.
- 7. Der federführende Rechtsausschuss schlägt dem Bundesrat vor, Senator Carsten-Ludwig Lüdemann (Hamburg) gemäß § 33 der Geschäftsordnung des Bundesrates zum Beauftragten des Bundesrates für die Beratung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag und seinen Ausschüssen zu bestellen.