Der Bundesrat hat in seiner 921. Sitzung am 11. April 2014 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates - Maßnahmen zur Regulierung von Prostitution und Prostitutionsstätten
I. Der Bundesrat stellt fest:
- 1. Mit dem Prostitutionsgesetz, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, wurde ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Lage von Prostituierten unternommen. Der Bundesrat begrüßt die im Koalitionsvertrag festgehaltene Absicht der Bundesregierung, das Prostitutionsgesetz im Hinblick auf die Regulierung der Prostitution umfassend zu überarbeiten und die ordnungsbehördlichen Kontrollmöglichkeiten zu verbessern.
- a) Wesentliche Ziele des Prostitutionsgesetzes waren es, die Sittenwidrigkeit der Prostitution abzuschaffen und den Prostituierten damit die Einklagbarkeit ihres Lohns zu sichern, den Zugang zur Sozialversicherung zu erleichtern, kriminellen Begleiterscheinungen den Boden zu entziehen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Allerdings ist bereits durch die Evaluation des Gesetzes im Jahr 2007 deutlich geworden, dass das Prostitutionsgesetz nur einen Teil der Ziele erreichen konnte. So besaß etwa nur ein Prozent aller Prostituierten einen Arbeitsvertrag. Insbesondere wurde ein insgesamt breiterer Ansatz zur Regulierung der Prostitution für notwendig erachtet.
- b) Auch der Bundesrat hat in seiner Entschließung vom 11. Februar 2011, vgl. BR-Drucksache 314/10(B) , die Notwendigkeit einer weiteren Regulierung der Prostitution betont. Eine Weiterentwicklung des Prostitutionsgesetzes wurde darüber hinaus in wiederholten Beschlüssen von den zuständigen Fachministerkonferenzen gefordert (zuletzt von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 4. bis 6. Dezember 2013 - TOP 14.2 - und von der Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder am 14. und 15. Juni 2012 - TOP 9.6 -). Das in der letzten Legislaturperiode vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten enthielt einen Vorschlag zur Regulierung der Prostitution, der jedoch von der Mehrheit des Bundesrates als unzulänglich eingestuft wurde; es erfolgte deshalb am 20. September 2013 die Anrufung des Vermittlungsausschusses, vgl. BR-Drucksache 641/13(B) .
- a) Wesentliche Ziele des Prostitutionsgesetzes waren es, die Sittenwidrigkeit der Prostitution abzuschaffen und den Prostituierten damit die Einklagbarkeit ihres Lohns zu sichern, den Zugang zur Sozialversicherung zu erleichtern, kriminellen Begleiterscheinungen den Boden zu entziehen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
- 2. Seit der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes hat sich das Erscheinungsbild von Prostitution in Deutschland verändert.
- a) Die exakte Anzahl der Prostituierten ist unbekannt; ebenso gibt es nur punktuelle Hinweise auf Lebenssituationen und Bedarfe. Es fehlt an systematischer Forschung. Vielfach zitierte Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 400 000 Personen ganz oder teilweise in der Prostitution tätig sind. Die große Mehrheit der Prostituierten ist weiblich, mannmännliche Prostitution sowie die Prostitution Transsexueller nehmen einen deutlich geringeren Teil ein, sind aber auch stark tabuisiert. Dabei wird die öffentliche Wahrnehmung von Prostitution durch einen hohen Anteil von Migrantinnen bestimmt.
- b) In den letzten Jahren ist durch die EU-Osterweiterung die Armutsprostitution, insbesondere im Bereich der Straßenprostitution, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gelangt. Kennzeichnend für diesen Personenkreis sind vielfach fehlende Sprachkenntnisse, mangelnde Gesundheitsvorsorge sowie generell prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen.
- c) Der Markt für sexuelle Dienstleistungen hat sich seit dem Jahr 2002 stark verändert, nicht zuletzt durch das Internet. Nicht nur Werbung und Vermittlung bedienen sich des Internets; es haben sich auch eigene Formen (etwa mittels Webcams) herausgebildet. Bei Bordellen haben sich Großbetriebe etabliert, die auf maximalen Profit ausgerichtete Betriebskonzepte verfolgen (etwa Flatrate-Bordelle). Diesen Entwicklungen ist bei einer Reform des Prostitutionsgesetzes Rechnung zu tragen.
- 3. Der Bundesrat spricht sich für eine sachliche Debatte und differenzierte Maßnahmen aus.
- a) Die öffentliche und die mediale Debatte über Prostitution ist zum Teil noch immer durch Vorurteile, fehlendes Wissen und Skandalisierung geprägt. Insbesondere wendet sich der Bundesrat gegen die pauschale Gleichsetzung von Prostitution mit Menschenhandel. Auch wenn Prostitution kein "Beruf wie jeder andere" ist, unterliegt ihre Ausübung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Berufsfreiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes (vgl. BVerfG, 1 BvR 224/07 vom 28. April 2009).
- b) Ausweislich des Bundeslagebildes Menschenhandel des Bundeskriminalamtes wurden im Jahr 2012 in Deutschland 612 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ermittelt. Auch wenn von einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen ist, so sind diese ermittelten Fälle zu der geschätzten Zahl von Prostituierten in Relation zu setzen. Auch gibt es keine belastbaren Hinweise dafür, dass mit dem Prostitutionsgesetz ein Anstieg des Menschenhandels einhergegangen ist. Trotz einer Zunahme von Ermittlungsverfahren seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes ist die Zahl der Opfer nicht gestiegen. Der Bundesrat misst einer wirkungsvollen Bekämpfung von Menschenhandel einen hohen Stellenwert zu. Er verweist jedoch darauf, dass ein Hauptproblem in der mangelnden Aussagebereitschaft der Opfer zu finden ist. Darüber hinaus entscheiden sich viele Menschen für Prostitution aus ökonomischen Zwängen heraus, da nur ein eingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt besteht, oder die Voraussetzungen für eine andere selbstständige Tätigkeit nicht gegeben sind.
- c) Der Bundesrat sieht in der anstehenden Weiterentwicklung des Prostitutionsgesetzes einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Menschenhandel. Die Regulierung zumindest eines Teils des Marktes ermöglicht mehr Transparenz und die Kontrolle von Bedingungen und Standards; sie erschwert damit ausbeuterische Verhältnisse.
II. Der Bundesrat spricht sich für eine Fortentwicklung des Prostitutionsgesetzes aus,
die einen größeren Schutz der Prostituierten vor Gewalt und Ausbeutung ermöglicht, die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Prostituierten beinhaltet, auf die Gewährleistung fairer Arbeit hinwirkt sowie geeignet ist, illegale Formen der Prostitution zurückzudrängen.
- 1. Ein fortentwickeltes Prostitutionsgesetz muss einen erweiterten ordnungsrechtlichen Rahmen bieten.
- a) An erster Stelle steht damit eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, den Begriff der Prostitutionsstätte, insbesondere im Hinblick auf neue, durch das Internet ermöglichte und begünstigte Formen von Prostitution (Vermittlung sexueller Dienstleistungen, Veranstaltungen), zu definieren. Darüber hinaus ist bei der Ausgestaltung der Regelungen auf den spezifischen Charakter der Prostitutionsstätte abzustellen. Eine Zuverlässigkeitsprüfung für Betreiberinnen und Betreiber sowie Mindestanforderungen an gesundheitliche, hygienische und räumliche Bedingungen sollten in diesem Rahmen festgelegt werden.
- b) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung, inwieweit eine Anzeigepflicht einzelner, selbstständig tätiger Prostituierter angesichts der Mobilität des Personenkreises und der vielfach angestrebten Anonymität sachgerecht und praktikabel wäre.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den mit dem Prostitutionsgesetz im Strafrecht eingeleiteten Paradigmenwechsel vom Schutz vor der Prostitution zum Schutz in der Prostitution. Dieser entspricht der strafrechtlichen Systematik, die den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung, ob dieser Schutz durch die Reform einzelner strafrechtlicher Vorschriften noch weiter verstärkt werden kann. Dies betrifft zum einen die Vereinheitlichung der Schutzaltersgrenzen, die Abschaffung des sogenannten Vermieterprivilegs, das eine mildere Strafdrohung bei der Ausbeutung durch den Wohnungsinhaber nach § 180a Absatz 2 Nummer 2 StGB gegenüber der Ausbeutung durch Zuhälter nach § 181a Absatz 1 StGB vorsieht, sowie die gesetzliche Bestimmung der Grenzen zulässiger Weisungen im sexuellen Dienstleistungsgewerbe.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die im Koalitionsvertrag auf Bundesebene angelegte Zielsetzung, das Aufenthaltsrecht für die von Frauenhandel und Zwangsprostitution Betroffenen zu verbessern, damit sie sich frühzeitig und aktiv als Opfer zu erkennen geben können, aber auch die Verfolgung der Täter und somit die Vermeidung einer größeren Zahl von Opfern gewährleistet werden kann. Der Bundesrat hält es für erforderlich,
- - den Betroffenen bereits zum Zeitpunkt ihrer Aussage eine rechtzeitige und rechtssichere Perspektive, auch über das Strafverfahren hinaus, zu eröffnen, - angemessene Regelungen, auch unabhängig von einem Strafverfahren, für diejenigen Betroffenen von Menschenhandel zu treffen, für die das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Viktimisierung eine besondere Härte darstellen würde,
- - die Möglichkeit des Kindernachzugs zu prüfen, da es häufig die Angst um die im Herkunftsland verbliebenen Kinder ist, die Frauen von einer Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden abhält.
- 4. Der Bundesrat hält die in § 19 IfSG vorgesehene Beratung und Untersuchung bezüglich sexuell übertragbarer Krankheiten durch die Gesundheitsämter für sinnvoll und ausreichend. Ergänzend sind niedrigschwellige psychosoziale Beratungsangebote, die auch eine gesundheitliche Beratung umfassen, hilfreich. Der Bundesrat verweist auf bereits in den Ländern vorhandene Angebote, die durch einen hohen Professionalisierungsgrad und die Möglichkeit der anonymen Inanspruchnahme gekennzeichnet sind. Die Einführung von verpflichtenden Untersuchungen lehnt der Bundesrat dagegen als unverhältnismäßig und wenig zielführend ab. Diese wären mit einem Eingriff in wesentliche Grundrechte der Betroffenen verbunden, ohne dass durch epidemiologische Daten belegbar wäre, dass die Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten dadurch eingedämmt werden kann. Vielmehr würden Pflichtuntersuchungen zu einer vermehrten Stigmatisierung von Prostituierten führen und die Hemmschwelle, in schwierigen sozialen Situationen Angebote der Aufklärung, Beratung und Versorgung zu nutzen, erhöhen. Auch könnte bei Freiern der Eindruck hervorgerufen werden, Schutzmaßnahmen seien überflüssig.
- 5. Ebenso sieht der Bundesrat keinen Vorteil in der Schaffung eines speziellen Straftatbestands für Freier, die wissentlich die Zwangslage von Menschenhandelsopfern missbrauchen. Ein solches Verhalten ist derzeit bereits nach § 138 Absatz 1 Nummer 6 StGB strafbar. Allerdings ist diese Norm ohne praktische Relevanz, da in der Regel Freiern ein solcher Vorsatz nicht nachzuweisen ist. Da nach Auskunft von Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel wie auch von Seiten der Polizei ein nicht unerheblicher Teil der Hinweise auf das Vorliegen von Menschenhandel von Freiern getätigt wird, wäre eine solche neu eingeführte Spezialvorschrift allenfalls von symbolischem Wert, in der Wirkung jedoch kontraproduktiv.