Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache: 234/13 (PDF)
Der Bundesrat hat in seiner 909. Sitzung am 3. Mai 2013 beschlossen, zu dem Neunzehnten Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011 und zu der Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Hauptgutachten gemäß § 44 Absatz 3 GWB wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Allgemein
Der Bundesrat hält die eingehende Würdigung der zentralen wettbewerbspolitischen und wettbewerbsrechtlichen Fragen sowie der Praxis der Kartellbehörden durch die Monopolkommission für eine wichtige fundierte Basis bei der Fortentwicklung des Kartellrechts und seiner Anwendung.
2. Zum Glücksspielstaatsvertrag
- a) Der Bundesrat hält die im Hauptgutachten der Monopolkommission zum Ausdruck gebrachte Kritik an den Regelungen des am 1. Juli 2012 in Kraft getretenen Glücksspieländerungsstaatsvertrags für unberechtigt.
- b) Der Bundesrat erkennt das Bemühen der Monopolkommission, einen Beitrag zu Fragen der Glücksspielregulierung zu leisten und sich ein vollständiges Bild über die aktuellen Rahmenbedingungen zu verschaffen, an. Dabei begrüßt der Bundesrat den Grundgedanken, dass unterschiedliche Glücksspielformen einer differenzierten Betrachtung bedürfen.
- c) Der Bundesrat stellt fest, dass die Monopolkommission die Entwicklungen des Glücksspielwesens als aktuelle wettbewerbspolitische Fragen nach § 44 Absatz 1 GWB aufgreift. Als wettbewerbspolitische Stellungnahme hat das Gutachten der Monopolkommission seinen originären Schwerpunkt in der Betrachtung ökonomischer Auswirkungen. Diese eingeschränkte inhaltliche Bewertung lässt eine umfassende und fundierte Beurteilung der primär ordnungsrechtlichen Glücksspielregulierung nicht zu.
- d) Der Bundesrat betont, dass die Länder in Ausübung ihrer Gesetzgebungszuständigkeit neben der Kanalisierung unerlaubter Glücksspielangebote alle weiteren gleichrangigen Ziele des Glücksspielstaatsvertrags verfolgen. Hierunter sind neben Suchtprävention, Spieler- und Jugendschutz auch die Abwehr von Folge- und Begleitkriminalität, Manipulationsgefahren sowie Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs zu berücksichtigen.
- e) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass ein Bedürfnis für eine Nachbesserung des Glücksspielstaatsvertrags derzeit nicht besteht. Belastbare Aussagen zu Auswirkungen der Regelungen des neuen Glücksspielstaatsvertrags können nur auf der Grundlage der Evaluierungen nach § 32 GlüStV getroffen werden. Dies gilt insbesondere für die Bewertung der Regelungen zu den Sportwetten. Hier ist es zwingend geboten - auch nach Auffassung der Bundesregierung - die im Rahmen der Experimentierklausel für Sportwetten vorgesehenen Evaluierungen und Berichte abzuwarten.
- f) Der Bundesrat weist insbesondere darauf hin, dass der im Hauptgutachten zur Definition von so genannten Graumärkten vorangestellte Widerspruch von europarechtlicher Zulässigkeit und glücksspielrechtlicher Unzulässigkeit gerade nicht besteht. Unzutreffend ist auch die Behauptung, dass es im neuen Glücksspielstaatsvertrag keine zentrale Zuständigkeit hinsichtlich des Erlaubnisverfahrens für gewerbliche Spielvermittler gebe (vgl. § 19 Absatz 2 GlüStV).
- g) Der Bundesrat stellt fest, dass die im Hauptgutachten erfolgte Darstellung des Nichtbeitritts Schleswig-Holsteins zum Glücksspielstaatsvertrag unter Hervorhebung der dort in einem eigenen Glücksspielgesetz verabschiedeten liberalen Regelungen überholt ist. Inzwischen ist Schleswig-Holstein dem Glücksspielstaatsvertrag beigetreten, womit eine bundeseinheitliche und kohärente Rechtslage im Bereich des Glücksspielrechts geschaffen ist.
- h) Die Bundesregierung wird nunmehr gebeten, zu der ausgestalteten Wahrnehmung der landesrechtlichen Zuständigkeiten durch die Novellierung der Spieleverordnung zu einem verbesserten Spieler- und Jugendschutz und zu einem Manipulationsschutz zur Verhinderung der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung beizutragen.
3. Zur Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf die gesetzlichen Krankenkassen
- a) Der Bundesrat spricht sich nachdrücklich gegen die Empfehlung der Monopolkommission zur prinzipiellen Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf die gesetzlichen Krankenkassen in ihrem Verhältnis untereinander sowie im Verhältnis zu ihren Versicherten aus.
- b) Der Bundesrat hält den Gesetzesbeschluss eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWBÄndG) (vergleiche BR-Drucksache 641/12 (PDF) ) zur erweiterten Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf die gesetzlichen Krankenkassen auf der Grundlage der Empfehlung der Monopolkommission für eine falsche Weichenstellung.
- c) Die vorgesehenen Änderungen führen zu einer deutlichen Verschlechterung der Versorgungssituation sowie der Rechte und Möglichkeiten der gesetzlich Krankenversicherten. Die gesetzlichen Krankenkassen sind keine Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne. Entsprechend sollte das Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen weiterhin nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben geregelt werden.
- d) Der Bundesrat bekräftigt seine Bedenken gegen eine erweiterte Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf die gesetzlichen Krankenkassen und verweist hierzu auf seine Beschlüsse aus der 903. Sitzung am 23. November 2012 (vergleiche BR-Drucksache 641/12(B) ) und der 896. Sitzung am 11. Mai 2012 (vergleiche BR-Drucksache 060/12(B) ).
- e) Der Bundesrat fordert erneut, die vorgesehenen Regelungen zur Ausweitung der Geltung des Kartellrechts auf die gesetzliche Krankenversicherung und zur Fusionskontrolle bei Krankenkassen durch das Bundeskartellamt zu streichen.
4. Zur Zuständigkeit der Kartellbehörden im Bereich der Wasserversorgung
Der Bundesrat lehnt die Empfehlung der Monopolkommission ab, im Rahmen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gesetzlich zu verankern, dass Wasserentgelte sowohl in Form von Preisen als auch von Gebühren vom Wettbewerbsrecht erfasst werden. Mit einer derartigen Regelung würde der Bund verfassungswidrig in die Länderautonomie eingreifen. Denn das kommunale Abgabenrecht, hierzu zählen die Gebühren für kommunale Einrichtungen, unterliegen der ausschließlichen Gesetzgebungshoheit der Länder (Nummer 169 des Neunzehnten Hauptgutachtens der Monopolkommission 2010/2011, Nummern 10 und 81 der Stellungnahme der Bundesregierung).
Mit der Ausweitung des Kartellrechts auf die Trinkwassergebühren wird in das Hoheitsrecht der Länder eingegriffen, die auf Grundlage ihrer Kommunalabgabengesetze in eigener Verantwortung über die Regelungen zu den Trinkwassergebühren und ihrer Überprüfung durch die Kommunalaufsicht zu bestimmen haben. Ebenso können die Kommunen auf Grund ihrer grundgesetzlichen kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ( Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes) bestimmen, in welcher Handlungsform sie die Daseinsvorsorge und hier speziell die Trinkwasservorsorge betreiben wollen. Somit kann ihnen auch nicht wie die Monopolkommission vermutet, "eine Flucht in das öffentliche Recht" unterstellt werden, wenn sie ihre Trinkwassereinrichtungen wieder öffentlichrechtlich ausgestalten.
5. Zur Forderung nach einer sektorspezifischen (Anreiz-)Regulierung durch die Bundesnetzagentur
Vor allem aus den Nummern 169 und 612 des Neunzehnten Hauptgutachtens der Monopolkommission 2010/2011 sowie aus der Nummer 91 der Kurzfassung geht hervor, dass die Monopolkommission den Trinkwasserbereich einer eigenen sektorspezifischen (Anreiz-)Regulierung durch die Bundesnetzagentur unterwerfen möchte.
Der Bundesrat lehnt die Einführung einer sektorspezifischen (Anreiz-)Regulierung ab. Es ist auch fraglich, ob angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen den Gemeinden, insbesondere in struktureller, topographischer und geologischer Hinsicht, aussagekräftige Vergleichswerte aufgestellt werden könnten. Eine verpflichtende Teilnahme an einem Benchmarking ist abzulehnen.
6. Zur kartellrechtlichen Fusionskontrolle bei der Zusammenlegung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe
Der Bundesrat lehnt eine kartellrechtliche Fusionskontrolle bei der Zusammenlegung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe im Zusammenhang mit kommunalen Gebietsreformen ab (Nummer 80 der Kurzfassung und Nummern 412 ff. des Neunzehnten Hauptgutachtens der Monopolkommission 2010/2011).
Ziel von kommunalen Gebietsreformen ist es nicht, wirtschaftliche Unternehmen zu vergrößern, um einen größeren Anteil am Markt zu erlangen. Stattdessen geht es darum, die öffentlichen Aufgaben der Gebietskörperschaften im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger besser zu bewältigen. Wettbewerbsregelungen dürfen deshalb nicht dazu führen, kommunale Gebietsreformen zu erschweren bzw. unmöglich zu machen.
7. Zur Umsetzung von Compliance-Programmen
Der Bundesrat teilt die Auffassung der Monopolkommission, dass die Umsetzung von Compliance-Programmen noch mehr in den Fokus der Diskussion gerückt werden muss. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, dass nach geltendem nationalem Recht - anders als auf europäischer Ebene - die Verantwortlichkeit der Unternehmensorgane zwingende Voraussetzung für eine Ahndung der von Kartellverstößen profitierenden Unternehmen darstellt. Auch aus generalpräventiven Gründen und gestützt auf Erfahrungen aus großen Kartellverfahren in der Vergangenheit gilt es, den Eindruck zu vermeiden, allein mit der Installierung eines Complianceprogramms seien bußgeldmindernde Voraussetzungen erfüllt.
8. Zur Zusammenarbeit zwischen Kartellbehörden und Strafverfolgungsbehörden
Der Bundesrat sieht im Zusammenhang mit der Verfolgung von Hardcore-Kartellen bei Submissionsabsprachen einen wichtigen Effizienzvorteil in der Verstetigung der Zusammenarbeit zwischen Kartellbehörden und Strafverfolgungsbehörden. Er begrüßt deshalb die Unterstützung der Monopolkommission, wenn es um die Schaffung einheitlicher Ansprechpartner und gegebenenfalls die Bildung von gemeinsamen Einsatzgruppen geht.
9. Zur preisbindenden Wirkung von Preisempfehlungen
Der Bundesrat sieht wie die Monopolkommission weiterhin Bedarf, sich mit der preisbindenden Wirkung von Preisempfehlungen auseinanderzusetzen. Die Erfahrungen der Kartellbehörden zeigen, dass der Nichteinhaltung solcher - angeblich unverbindlicher - Empfehlungen häufig mit Druckausübung oder Nichtbelieferung begegnet wird. Der Bundesrat sieht deshalb Anlass, diesem Phänomen verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen.