Empfehlungen der Ausschüsse
Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung

979. Sitzung des Bundesrates am 28. Juni 2019

A

1. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem vom Deutschen Bundestag am 6. Juni 2019 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel der grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes zu verlangen.

Begründung:

Das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz enthält mehrere zwingend überarbeitungsbedürftige Regelungen.

Unter anderem bestehen erhebliche Bedenken gegen die in Artikel 1 Nummer 22 Buchstabe b und Nummer 25 Buchstabe c sowie gegen die in Artikel 12 Nummer 8 Buchstabe a getroffenen Neuregelungen.

a) Zu Artikel 1 Nummer 22 Buchstabe b:

§ 64 Absatz 3 Satz 4 Nummer 1 und Nummer 2 AMG verpflichtet die zuständigen Überwachungsbehörden der Länder künftig, bei Verdacht auf Arzneimittel- oder Wirkstofffälschungen oder bei Hinweis auf schwerwiegende Mängel von Arzneimitteln oder Wirkstoffen unangemeldete Inspektionen durchzuführen. Ausweislich der Begründung sei dies wegen der in diesen Fällen gegebenen besonderen Gefahrenlage erforderlich. Dies ist so nicht nachvollziehbar. Bereits mit Blick auf die weitreichende und eine Vielzahl unterschiedlicher Fallkonstellationen umfassende Legaldefinition für gefälschte Arzneimittel in § 4 Absatz 40 AMG wird deutlich, dass sich die Gefahrenlage an den jeweiligen Umständen des Einzelfalls bemisst und dabei höchst unterschiedlich sein kann. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung sah insoweit folgerichtig eine vorgehende Prüfung der Erforderlichkeit einer unangemeldeten Inspektion im konkreten Einzelfall vor.

b) Zu Artikel 1 Nummer 25 Buchstabe c:

Der neue § 69 Absatz 1b AMG ändert die grundlegende Systematik des § 69 AMG. Die Bundesoberbehörde erhält hierdurch künftig einen Rückrufvorbehalt, der im Sinne einer lex specialis-Regel den Entscheidungen der zuständigen Landesbehörde vorgeht bzw. eine andere Entscheidung der Landesbehörde nachträglich abändern kann. Die Regelung unterläuft den Grundsatz der funktionalen Gewaltenteilung in Artikel 30 Grundgesetz, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist.

c) Zu Artikel 12 Nummer 8 Buchstabe a:

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15. März 2019 (vgl. BR-Drucksache 053/19(B) HTML PDF ) unter anderem die Streichung von § 129 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V gefordert. Die Vorschrift stellt eine nicht mehr erforderliche bürokratische Doppelregulierung mit vergleichsweise geringem Einsparpotenzial dar. Zugleich ist der durch sie beförderte Parallelimportmarkt ein Einfallstor für Arzneimittelfälschungen in den deutschen Markt.

Die vom Deutschen Bundestag beschlossene Neuregelung trägt diesen Bedenken nur unzureichend Rechnung. Sie ersetzt lediglich die bisherige Preisabstandsgrenze für Apotheken zur Abgabe von preisgünstigen Importarzneimitteln durch eine differenziertere Preisabstandsregelung. Ausgenommen davon sind künftig allein biotechnologisch hergestellte Arzneimittel und Zytostatika wegen besonderer Anforderungen an Transport und Lagerung. Der GKV-Spitzenverband wird zudem verpflichtet, bis Ende 2021 einen Bericht zu erstellen, den das Bundesministerium für Gesundheit bewertet und dem Deutschen Bundestag zur Befassung hinsichtlich der weiteren Notwendigkeit der Importregelung vorlegt.

Diese Beschränkung lediglich auf biotechnologisch hergestellte und antineoplastische Arzneimittel zur parenteralen Anwendung aus der Importförderung stellt allenfalls eine Teillösung dar.

Die in der Vergangenheit aufgetretenen Fälschungsfälle beschränken sich gerade nicht auf die beiden Arzneimittelgruppen, für die nun eine Ausnahme von der Importförderklausel angedacht ist. Dies zeigt beispielhaft der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte am 5. Juni 2019 gemeldete und in Großbritannien aufgetretene Fälschungsfall, in dem bei einem Parallelimporteur eine vollständige Fälschung (Tabletten, Faltschachtel, Blister, Gebrauchsinformation) des Arzneimittels Xarelto® 20mg identifiziert wurde (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Arzneimittel\-zulassung/Arzneimittelfaelschungen/DE/2019/Xarelto.html). Dieses Arzneimittel fällt weder unter die vorgenannten Arzneimittelgruppen noch handelt es sich um ein besonders preisintensives Arzneimittel.

Gemeinsames Merkmal der in der Vergangenheit auffällig gewordenen Arzneimittel war nicht die Eigenschaft als Biopharmazeutikum oder parenteral zu verabreichendes Zytostatikum, sondern der Vertriebsweg im Rahmen des Parallelhandels.

Darüber hinaus kann auch der Begründung zur Änderung, dass gerade Biopharmazeutika und parenteral zu verabreichende Zytostatika besondere Anforderungen an die Lagerung und den Transport stellten und diese deshalb von der Importförderung auszunehmen sind, nicht vorbehaltlos gefolgt werden. Einerseits sind Biopharmazeutika als auch parenteral zu verabreichende Zytostatika nicht zwangsläufig empfindlicher als andere Arzneimittel, andererseits können auch anders eingesetzte Arzneimittel (zum Beispiel Impfstoffe) besondere Anforderungen an Lagerung und Temperatur haben. Die Einführung von Ausnahmen von der Importförderklausel unter Fokussierung auf bestimmte Arzneimittelgruppen ist daher nicht zielführend. Die Sicherheit der in Deutschland in den Verkehr gebrachten Arzneimittel kann nur durch eine vollständige Streichung der Importförderklausel wirksam gesteigert werden.

B

Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat für den Fall der Zustimmung zum Gesetz ferner, die folgende Entschließung zu fassen:

2. Zu Artikel 1 Nummer 13 (§ 43 Absatz 3a AMG)*

Der Bundesrat stellt fest, dass die Versorgung der Hämophilen in Deutschland über die Heimselbstbehandlung international anerkannt und seit Jahrzehnten etabliert ist.

Der Bundesrat befürchtet, dass die Änderungen des AMG eine Schwächung der Zentrumsversorgung zur Folge hat, weil die enge Bindung zwischen Zentrum und Patient durchbrochen wird.

Der Bundesrat erinnert an den Beschluss der 81. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) zur Absicherung und Stärkung der Hämophiliebehandlung in Deutschland. Die Gesundheitsministerkonferenz stellte einstimmig fest, dass sich die Heimselbstbehandlung der Bluterpatientinnen und -patienten grundsätzlich bewährt hat und dass dabei die Abgabe der Gerinnungsfaktorenkonzentrate durch die hämostaseologisch qualifizierten Ärzte an ihre Patienten nach § 47 AMG eine wichtige Rolle spielt. Die GMK bat zugleich die Kultusministerkonferenz, sich für den Erhalt und die Stärkung der Hämophiliebehandlung in interdisziplinären Behandlungszentren (Comprehensive Care Centres, CCC) an den Universitätskliniken einzusetzen.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das mit der Regelung beabsichtigte Ziel, den "aktuellen Entwicklungen in der spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie Rechnung zu tragen", auch mit weniger drastischen Eingriffen in die Versorgung dieser sensiblen Patientengruppe erreichbar wäre.

Begründung:

Die Möglichkeit der Direktabgabe von Gerinnungspräparaten durch Ärzte, die mit dem Transfusionsgesetz von 1998 im AMG verankert worden ist, dient vor allem einer qualitätsgesicherten Abgabe mit der damit einhergehenden gründlichen Dokumentation durch die Ärzte und ist heute Grundlage einer sicheren und qualitativ hochwertigen Versorgung der Patienten.

Die Änderung des Vertriebswegs hätte eine erhebliche Schwächung der Zentrumsversorgung zur Folge, weil die enge Bindung zwischen Zentrum und Patient durchbrochen würde. Die damit verbundene Verlagerung der Versorgung ist aus ärztlicher Perspektive genauso wenig wünschenswert wie aus Sicht des Patienten. Dies bestätigten die Bundesärztekammer und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung. An der grundsätzlichen Kritik ändern auch geringfügige Nachbesserungen des Gesetzentwurfs nichts.

Die Änderungen würden zudem dazu führen, dass innovativen Versorgungsverträgen zwischen Krankenkassen und Hämophiliezentren die Grundlage entzogen wird. Solche Verträge gibt es mittlerweile flächendeckend mit den Ersatzkassen (vdek-Vertrag) sowie mit einigen regionalen AOKen und Betriebskrankenkassen. Bei diesen Verträgen wird auch der wirtschaftliche Einsatz der Arzneimittel zur Vertragsgrundlage gemacht.

Das mit der Regelung beabsichtigte Ziel, den "aktuellen Entwicklungen in der spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie Rechnung zu tragen", sollte auch mit weniger drastischen Eingriffen in die Versorgung dieser sensiblen Patientengruppe erreichbar sein.

Um dem berechtigten Anliegen nach Preistransparenz Rechnung zu tragen, können die einzelnen Krankenkassen bilaterale Rabattverträge nach § 130a SGB V oder § 130c SGB V abschließen und im Gegenzug eine ausreichende Honorierung der Zentren grundsätzlich über Versorgungsverträge sicherstellen. Inhaltlich ergänzt wird dies durch die Änderung des § 132i SGB V. Nach dieser schließen Krankenkassen oder deren Landesverbände Versorgungsverträge mit ärztlichen Einrichtungen, die auf die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie durch hämostaseologisch qualifizierte Ärzte spezialisiert sind.

* Für den Fall der Anrufung des Vermittlungsausschusses wird die Abstimmung über die empfohlene Entschließung bis zum Abschluss des Vermittlungsverfahrens zurückgestellt.