830. Sitzung des Bundesrates am 16. Februar 2007
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Agrarausschuss (A), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Ausschuss für Kulturfragen (K), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht, ein umfassendes statistisches Programm für die amtlichen Gemeinschaftsstatistiken zu schaffen und die Harmonisierung von Konzepten, Klassifikationen und Methodiken weiter voranzutreiben, um die Vergleichbarkeit statistischer Daten über Staatsgrenzen hinweg zu gewährleisten.
- 2. Insbesondere unterstützt der Bundesrat das Vorhaben, die Ausgewogenheit im Verhältnis von Informationsbedarf und Erhebungsaufwand stärker zu berücksichtigen und bei hohem Antwortaufwand nach Entlastungsmöglichkeiten zu suchen.
- 3. Der Bundesrat teilt die Meinung der Kommission, die die größten Entlastungspotenziale in der intensiven Nutzung von Verwaltungsdaten sieht, und begrüßt die Absicht, den Mitgliedstaaten bei der Generierung statistischer Daten die nötige Flexibilität einzuräumen, um die Datenerhebungen so kosteneffizient wie möglich durchzuführen.
- 4. Der Bundesrat stellt allerdings fest, dass der vorliegende Entscheidungsvorschlag mit einer erheblichen Kostenausweitung für die Länder verbunden ist.
Er ist daher der Auffassung, dass die Konsolidierung und die weitere Harmonisierung des Europäischen Statistischen Systems den Schwerpunkt des künftigen Programms bilden sollten.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Statistik nicht zu den Schwerpunktbereichen deutscher Politik gehört und daher die Statistikfinanzierung Restriktionen unterliegt.
- 6. Er bittet deshalb die Bundesregierung, sich im weiteren Verfahren dafür einzusetzen, dass der Programmvorschlag im Ergebnis so gestaltet wird, dass er für die Länder weitgehend kostenneutral ist [und er keine neuen Belastungen für die Auskunftspflichtigen (Haushalte und Wirtschaft) erzeugt].
- 7. Dies sollte durch eine Messung des gesamten Programms nach dem Standardkostenmodell sichergestellt werden.
- 8. Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass
- - für die Länder aus der Umsetzung des Statistischen Programms der Gemeinschaft 2008 bis 2012 kein finanzieller Mehraufwand entsteht;
- - die Kommission die Aussage in Artikel 4 Abs. 2 des Programms, dass die verfügbaren Ressourcen der Mitgliedstaaten optimal genutzt werden und die Belastung der Auskunftgeber auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben sollten, im Einzelnen erläutert und die Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten benennt.
Das Statistische Programm besagt, dass bei der Erhebung der Daten das Subsidiaritätsprinzip gelten soll. Das heißt, die Datenerhebung selbst kann von den Mitgliedstaaten durchgeführt werden, die Kommission hingegen übernimmt die Aufgabe der gemeinschaftsweiten Harmonisierung der statistischen Informationen in allen von dem vorliegenden Rechtsakt abgedeckten Bereichen. Dazu gehören u. a. Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr sowie Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung, Jugend.
Die daraus resultierende Frage des finanziellen Mehraufwands für die Mitgliedstaaten und damit auch für die Länder beantwortet die Vorlage nicht. Im Anhang der Vorlage wird zwar ein Berechnungsschema zur Ermittlung des Verwaltungsaufwands dargestellt, das aber für die Mitgliedstaaten gilt. Der eventuell entstehende finanzielle Mehraufwand für die Länder kann daraus nicht ermittelt werden.
- 9. Der Bundesrat merkt an, dass nach den Ergebnissen der Belastungsstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung 42 % der von der Wirtschaft jährlich für amtliche Statistiken aufgewendeten 6,8 Millionen Stunden durch die Intrahandelsstatistik verursacht werden. Angesichts dieser enormen Belastung befürwortet der Bundesrat ausdrücklich das Vorhaben der Kommission, in der Intrahandelsstatistik ab 2010 das Einstromverfahren einzuführen, bei dem nur noch eine Handelsrichtung erhoben und die andere aus den Daten der Partnerländer erstellt wird.
- 10. Leider beinhaltet der Vorschlag eine Reihe von Ausweitungen in verschiedenen Statistikbereichen, die eine höhere Belastung von Unternehmen nach sich ziehen. Kritisch sieht der Bundesrat insbesondere die geplante Entwicklung neuer amtlicher Statistiken, wie z.B. zur Vertiefung des Verständnisses für die Globalisierung der Wirtschaft, über Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien und die Neuordnung der strukturellen Unternehmensstatistik (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 7. April 2006 - BR-Drucksache 169/06(B) ). Hier fordert der Bundesrat die Bundesregierung dazu auf, einer Ausweitung der Belastung von Unternehmen sowohl bei der Erstellung der jährlichen Arbeitsprogramme als auch bei der konkreten Umsetzung in Rechtsakte eindringlich entgegenzuwirken.
Zu Anhang II Titel II (Landwirtschaft)
- 11. Der vorliegende Entscheidungsvorschlag weist auf die Notwendigkeit einer Konsolidierung und Rationalisierung der traditionellen Agrarstatistik hin. Er macht jedoch auch deutlich, dass neue politische Anliegen Strukturstatistiken mit detaillierten Untergliederungen notwendig machen. Als wichtige Maßnahmen nennt er Erhebungen über landwirtschaftliche Produktionsverfahren, über Bodennutzung, den Betriebsmitteleinsatz und den ökologischen Landbau und gegebenenfalls Statistiken über das Einkommen des Sektors landwirtschaftlicher Haushalte.
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich Maßnahmen, die zur Rationalisierung und Konsolidierung der Agrarstatistik beitragen.
Der Bundesrat bedauert jedoch, dass aus dem vorliegenden Dokument nicht erkennbar ist, ob die derzeitigen Berichtspflichten kongruent mit denen sind, die zukünftig verbindlich werden sollen.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Abbau von Statistikpflichten ein wichtiges Element der Entbürokratisierungsmaßnahmen darstellt.
Bund und Länder haben in den letzten Jahren im Bereich der statistischen Erhebungen, insbesondere auch im Bereich Agrarstatistik (Verwaltungsvereinfachung, Nutzung von Verwaltungsdaten), Einschränkungen und Rationalisierungen bewirkt und so zu einer deutlichen Kostenreduzierung und Entlastung der Auskunftspflichtigen beigetragen. Einige der im Vorschlag für das Statistische Programm 2008 bis 2012 vorgesehenen Maßnahmen lassen jedoch befürchten, dass die Kommission eine Ausweitung von Statistiken anstrebt.
Der Bundesrat bittet deshalb die Bundesregierung, bei den Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung des Statistischen Programms der Gemeinschaft 2008 bis 2012 darauf hinzuwirken, dass im Falle der Ausweitung von Merkmalen eine entsprechende Kompensation über die Streichung nicht mehr benötigter Merkmale oder beispielsweise über eine Verlängerung der Periodizität der Erhebungen erreicht wird.
Er bittet daher die Bundesregierung, bei den Beratungen auf EU-Ebene darauf hinzuwirken, dass
- - die Einführung neuer Statistikpflichten auf Grund neuer politischer Anliegen auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt wird,
- - vorrangig bestehende Informationssysteme genutzt werden,
- - bestehende Statistikanforderungen auf ihre Notwendigkeit und Aufrechterhaltung zu prüfen sind,
- - es insgesamt zu keiner Ausweitung von Berichtspflichten kommt,
- - auch in Zukunft eine entsprechende Kostenerstattung seitens der EU an die Mitgliedstaaten gewährleistet ist.
Grundsätzlich sind bei der konkreten Ausgestaltung des Statistischen Programmes bei der Agrarstatistik strenge Maßstäbe hinsichtlich der Aufwand-Kosten-Relation anzulegen. Bei der Weiterentwicklung der Indikatoren für die ländliche Entwicklung und der Agrarumweltindikatoren ist auf eine enge Abstimmung mit den Indikatoren der Maßnahmen- und Entwicklungspläne gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu achten.
Zu Anhang II Titel XIX - Umwelt
- 12. Der Bundesrat weist im Zusammenhang mit der Erhebung von Umweltdaten auf die erforderlichen Bemühungen zur Deregulierung und Entbürokratisierung im Allgemeinen und den Abbau von nicht unbedingt erforderlichen Statistiken im Besonderen hin.
Im Hinblick auf die durch das Statistische Programm angestrebte Entwicklung neuer Rechtsakte für die Erhebung von Umweltdaten (vgl. Titel XIX, Wichtigste Maßnahmen 2008-2012, fünfter Spiegelstrich) verweist der Bundesrat auf die zum Teil belastenden Folgen der Verordnung (EG) Nr. 2150/2002 vom 25. November 2002 zur Abfallstatistik.
Durch die Neufassung des Umweltstatistikgesetzes (UStatG) vom 16. August 2005 (BGBl. I S. 2446) wurde eine neue Erhebung bei bis zu 20.000 abfallerzeugenden Betrieben eingeführt, die zu einer Belastung für die betroffenen Unternehmen und zu einem erhöhten Aufwand der Statistischen Landesämter führte, dem kein angemessener Nutzen gegenübersteht.
Begründet wurde diese zusätzliche Erhebung nach § 3 Abs. 3 des Umweltstatistikgesetzes ausschließlich mit der notwendigen Erfüllung der Berichtspflichten Deutschlands nach der EU-Abfallstatistikverordnung (vgl. BR-Drucksache 194/05 (PDF) , S. 36 ff.). Auch andere Ausweitungen von Berichtspflichten wurden mit der Umsetzung der EU-Abfallstatistikverordnung begründet.
Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich bei den weiteren Beratungen zum Statistischen Programm der Gemeinschaften dafür einzusetzen, dass die Deckung des umweltstatistischen Datenbedarfs nicht mit zusätzlichen Belastungen von Unternehmen und - im Falle der Nutzung von Verwaltungsdaten - von Umweltverwaltungen einhergeht. Dies sollte insbesondere bei der Überlegung, neue umweltstatistische Rechtsgrundlagen zu entwickeln, in die Abwägung einbezogen werden.
- 13. In Deutschland wurden in den letzten Jahren in Bund-Länder-Gremien der Umweltverwaltung wertvolle Erfahrungen zu Auswahl und Methodik relevanter Umweltindikatoren gesammelt. Dies betrifft nicht nur den engeren Umweltbereich, sondern auch Grundlagen und Indikatoren zu besonders umweltrelevanten Sektoren wie Land- und Forstwirtschaft, Verkehr und Energie. Auf europäischer Ebene gibt es seit einigen Jahren bei der "Environmental Conference of the Regions of Europe" (ENCORE) Ansätze zur Entwicklung gemeinsamer Kernindikatoren für nachhaltige Entwicklung in den Regionen Europas.
Die Festlegung der erforderlichen Indikatoren und deren Erhebung muss in enger Zusammenarbeit mit den Nutzern und auch in enger Abstimmung mit Umweltexperten (z.B. Kommissionsdienststellen, EUA) kriteriengeleitet erfolgen. Diese Zusammenarbeit gewährleistet, dass die Daten pragmatisch, zielorientiert und aussagekräftig erhoben und so die nationalen Behörden bei ihren Arbeiten an Umweltindikatoren entlastet werden. Dies ist vor allem deshalb wichtig, da der Nachhaltigkeits- und Umweltbereich durch Indikatoren bislang noch nicht hinreichend abgedeckt ist und diese Lücken in den Jahren 2008 - 2012 geschlossen werden sollen.
Statistiken über Bildung
- 14. Der Bundesrat stellt fest, dass seine - in der Stellungnahme vom 10. März 2006 - BR-Drucksache 902/05(B) - geäußerten grundsätzlichen Bedenken gegenüber dem "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erstellung und den Ausbau von Statistiken über Bildung und lebenslanges Lernen KOM (2005) 625 endg." weiterbestehen. Der Bundesrat erneuert in diesem Zusammenhang insbesondere seine Ablehnung einer umfassenden Erhebung nicht formaler Lernaktivitäten.
- 15. Der Bundesrat bringt seine Verwunderung zum Ausdruck, dass der "Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008 bis 2012" vor dem Abschluss des Verfahrens zum insofern streitigen o. g. Verordnungsvorschlag die Erhebung nicht formaler Lernaktivitäten erneut aufgreift.
- 16. Der Bundesrat weist gleichwohl darauf hin, dass die Kompetenz zum Beschluss von Maßnahmen für die Erstellung von Statistiken nach Artikel 285 EGV nur besteht, wenn dies für die Durchführung der Tätigkeiten der Gemeinschaft erforderlich ist. Weiterhin betont der Bundesrat nachdrücklich, dass die Aufgabe der Gemeinschaft im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung lediglich in der Unterstützung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten sowie in der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten besteht, und fordert die in den Artikeln 149 und 150 EGV festgelegte strikte Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Gestaltung des Bildungssystems.
- 17. Der Bundesrat betont, dass insbesondere die Forderung für einen Zugang zu Informationen auf der Ebene der Bildungseinrichtungen zu sorgen, wegen der alleinigen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bildungsbereich nicht Teil einer Gemeinschaftsstatistik sein kann.
B
- 18. Der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.