Der Bundesrat hat in seiner 865. Sitzung am 18. Dezember 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zum Aktionsplan allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission sich in vielen Bereichen - entsprechend der vom Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Grünbuch "Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt" (BR-Drucksache 681/07(B) ) geäußerten Haltung - auf Maßnahmen beschränkt, die mit dem Subsidiaritätsgrundsatz im Einklang stehen, z.B. Studien und Austausch vorbildlicher Praktiken.
- 2. Andererseits enthält der Aktionsplan einige Initiativen, die vor dem Hintergrund der Subsidiarität und der Bemühungen um Bürokratieabbau kritisch zu sehen sind. Der Bundesrat erneuert seine im Beschluss zum Grünbuch zum Ausdruck gebrachte Auffassung, wonach eine EU-Zuständigkeit für den Stadtverkehr im Grundsatz nicht besteht und Eingriffe in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten, Länder und Kommunen abzulehnen sind.
- 3. Der Bundesrat bekräftigt, dass die Finanzierungen der EU nur im Rahmen ihrer Kompetenzen erfolgen dürfen und nur gerechtfertigt sind, wenn sie die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit wahren und zu einem europäischen Mehrwert führen. Vor diesem Hintergrund sollte sich das Augenmerk der EU-Verkehrspolitik auf die Verwirklichung großräumiger Vorhaben richten, insbesondere auf den Ausbau des Transeuropäischen Verkehrsnetzes. Eine über die bestehenden Möglichkeiten (z.B. Strukturfonds) hinausgehende Einbindung der EU in die Finanzierung des Stadtverkehrs wäre abzulehnen. Die von der Kommission angeführte Tatsache, dass der Finanzierungsbedarf für komplexe Verkehrssysteme einerseits zunimmt und andererseits immer weniger öffentliche Mittel zur Verfügung stehen, ist nach Auffassung des Bundesrates keine Rechtfertigung.
- 4. Wie schon in Bezug auf das Grünbuch zur Mobilität in der Stadt (Stellungnahme des Bundesrates vom 20. Dezember 2007, BR-Drucksache 681/07(B) ) betont der Bundesrat daher die originäre Zuständigkeit der Kommunen für die Mobilität in der Stadt. Er weist erneut darauf hin, dass er mögliche Überlegungen der EU zur städtischen Mobilität, die auf eine Einmischung in Entscheidungsprozesse der nationalen, regionalen und lokalen Akteure hinauslaufen, ablehnt. Der Bundesrat erwartet vielmehr auch künftig von der Kommission die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, wonach die kommunale Verkehrspolitik Gegenstand der kommunalen Selbstverwaltung ist. Dies gilt auch in umfassender Weise in Bezug auf die vorgesehenen Maßnahmen des Aktionsplans.
- 5. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der von der Kommission vorgelegte Aktionsplan keine legislativen Maßnahmen enthält oder ankündigt. Soweit die vorgeschlagenen praktischen Aktivitäten jedoch der Vorbereitung verbindlicher Regelungen und als Einstieg in legislative Aktivitäten dienen sollten, lehnt der Bundesrat diese ebenfalls ab. Vielmehr sieht er die Rolle der Kommmission darauf beschränkt, den Austausch von Erfahrungen und Best-Practice-Beispielen unter den Städten zu unterstützen. Hier können die in deutschen Städten zur Bewältigung der Verkehrsprobleme erarbeiteten vielfältigen Lösungsansätze für andere Städte Europas von besonderem Interesse sein.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass der städtische Verkehr durch europäische Richtlinien und Verordnungen sowohl horizontaler als auch verkehrsträgerspezifischer Art beeinflusst wird und die Kommunen zunehmend von europäischen Anforderungen zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz überfordert werden. Diese auf Immissionsbegrenzung zielenden EU-Regelungen müssen deshalb in Verbindung mit den Vollzugsinstrumenten (z.B. Plaketten, Verkehrszeichen) und komplementären Strategien (Nachrüstung, Förderung) entwickelt und harmonisiert werden.
- 7. Der Bundesrat bekräftigt in diesem Zusammenhang seinen Beschluss zur "Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften - Eine nachhaltige Zukunft für den Verkehr: Wege zu einem integrierten, technologieorientierten und nutzerfreundlichen System" (vgl. BR-Drucksache 603/09(B) ) und sieht unter Berücksichtigung der Subsidiarität europäischen Harmonisierungsbedarf insbesondere bei technischen Anforderungen für Fahrzeuge (z.B. Nachrüstung bestehender Fahrzeuge mit Stickoxidminderungssystemen), Infrastrukturausrüstungen und Transportdienstleistungen sowie bei der Kennzeichnung (Schilder und Plaketten) für den Zugang von Kraftfahrzeugen zu Umweltzonen entsprechend europäischer Abgas- und Lärmstandards. Angesichts des wachsenden europäischen Wirtschafts- und Tourismusverkehrs ist Transparenz bei unterschiedlichen örtlichen Anforderungen nötig. Harmonisierte Fahrzeug- und Gebietskennzeichnung können den Zugang erleichtern, die Kosten senken und die Akzeptanz verbessern.
- 8. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der neuen Bundesregierung im Koalitionsvertrag, sich aktiv mit der EU-Initiative zu befassen. Er wird die Bundesregierung in ihrer Absicht unterstützen, die Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes und des kommunalen Selbstverwaltungsrechts auf europäischer Ebene einzufordern.
- 9. Der Bundesrat verkennt nicht, dass es sich bei den von der Kommission im Aktionsplan urbane Mobilität herausgestellten sechs Themen ("Förderung integrierter Strategien", "der Bürger im Mittelpunkt", "umweltfreundlicher Stadtverkehr", "Stärkung der Finanzierungsmöglichkeiten", "Erfahrungs- und Wissensaustausch" und "Optimierung der urbanen Mobilität") um Bereiche handelt, die für die städtische Mobilität eine wesentliche Bedeutung haben. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission überein, dass zur Bewältigung städtischer Verkehrsprobleme eine integrierte Sichtweise und integrierte Strategien auch in Bezug auf das städtische Umland unabdingbar sind. Dabei ist auf nachhaltige Konzepte zu setzen. So sind ÖPNV, Fahrrad- und Fußgängerverkehr als umweltfreundliche Verkehre weiter zu fördern.
Zu einzelnen Aktionen
Zu Aktion 6 - Verbesserte Reiseinformation
- 10. Der Bundesrat begrüßt die Idee einer europaweiten intermodalen Fahrplanauskunft unter Berücksichtigung der Interessen behinderter Menschen. Er geht davon aus, dass die Kommission sich hierbei auf bestehende Initiativen und Strukturen wie EU-Spirit und DELFI stützen wird. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine Gewinnung möglichst aller datenhaltenden Verkehrsunternehmen nur dann erreichbar ist, wenn die Informationen von einer neutralen, nichtkommerziellen Plattform in öffentlicher Trägerschaft gebündelt werden.
Zu Aktion 12 - Studie zu urbanen Aspekten der Internalisierung externer Kosten und Zu Aktion 13 - Informationsaustausch über städtische Gebührensysteme
- 11. Der Bundesrat nimmt kritisch zur Kenntnis, dass die Kommission sich unter dem Gesichtspunkt der Internalisierung externer Kosten mit der Erhebung von Gebühren für Pkw im städtischen Bereich befasst. Er verweist auf Ziffer 16 seiner Stellungnahme in BR-Drucksache 681/07(B) und bittet die Kommission, im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes von Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu Themen wie City-Maut und Parkraumbewirtschaftung abzusehen. Der Bundesrat wird die Bundesregierung in ihrer ablehnenden Haltung zu einer City-Maut und zu generellen innerstädtischen Fahrverboten unterstützen. Städtische Gebührensysteme sind nach Ansicht des Bundesrates auch mit Nachteilen unterschiedlichster Art verbunden (z.B. hohe Kosten von Einführung und Betrieb, sozialpolitische und datenschutzrechtliche Gesichtspunkte, Verlagerungsverkehr).
- 12. Der Bundesrat plädiert dafür, dass sich die Kommission darauf beschränkt, einen Informationsaustausch über städtische Gebührensysteme zu initiieren, ohne eine eigene Empfehlung abzugeben. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass aufgrund unterschiedlicher nationaler Gegebenheiten unterschiedliche Voraussetzungen für Stadtmautsysteme bestehen.
Zu Aktion 16 - Aktualisierung von Daten und Statistiken und Zu Aktion 17 - Einrichtung eines Beobachtungszentrums für urbane Mobilität
- 13. Der Bundesrat kann keinen Mehrwert in der vorgesehenen Studie zur Verbesserung der Datenerhebung und in der Einrichtung eines virtuellen Beobachtungszentrums erkennen. Er bittet die Kommission, vor einer Einleitung dieser Maßnahmen deren Kosten und Nutzen kritisch abzuwägen; ein Aufbau zusätzlicher Bürokratie durch neue Mitteilungspflichten ist abzulehnen.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 14. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.