Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, den 2. Juli 2010
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Berlin haben beschlossen, beim Bundesrat den in der Anlage mit Begründung beigefügten Antrag für eine
- Entschließung des Bundesrates für eine soziale Revision der Entsenderichtlinie
einzubringen.
Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 873. Sitzung des Bundesrates am 9. Juli 2010 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck
Entschließung des Bundesrates für eine soziale Revision der Entsenderichtlinie
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Die Richtlinie 96/71/EG (Entsenderichtlinie) wurde vom Europäischen Rat und vom Europäischen Parlament 1996 mit dem Ziel beschlossen, einen rechtlichen Rahmen für den grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatz bei der Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit im Europäischen Binnenmarkt zu schaffen. Die Richtlinie regelt, ob und unter welchen Bedingungen bei einer Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Vorschriften des Gaststaates zu Entgelt und Arbeitsbedingungen Vorrang haben gegenüber möglichen Gesetzen und anderen Bestimmungen des Herkunftslandes.
- 2. In einem Mitgliedstaat sollen nicht über einen längeren Zeitraum Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tätig sein, deren Arbeitsverhältnisse nicht dem Recht dieses Mitgliedstaates unterworfen sind. Damit wird eine arbeitsrechtliche Gleichstellung der in einen Staat entsandten Arbeitskräfte mit den bei dort ansässigen Dienstleistern beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hinsichtlich bestimmter Aspekte der Arbeitsbedingungen geschaffen, soweit diese Arbeitsbedingungen im Zielland Gegenstand von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder von allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen sind. Zusätzlich besteht eine Günstigkeitsregel, nach der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, die günstiger für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, ebenfalls angewandt werden können.
- 3. Zu den Schutzbereichen der Entsenderichtlinie gehören Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, bezahlter Mindestjahresurlaub, Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze, Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften (insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen), Sicherheit, Hygiene und Gesundheit am Arbeitsplatz, Nichtdiskriminierungsbestimmungen und Schutzmaßnahmen unter anderem für Schwangere.
- 4. Die Entsenderichtlinie galt anfangs nur für den Baubereich. Den Mitgliedstaaten ist eine Ausdehnung auf andere Branchen mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen und die vertragskonforme Anwendung sonstiger Vorschriften mit Bezug auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen aus dem Bereich der öffentlichen Ordnung freigestellt. Die Entsenderichtlinie wurde in Deutschland mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz umgesetzt in dem Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für einzelne Branchen geregelt sind.
- 5. Mit den Urteilen Laval, Rüffert und Luxemburg des Europäischen Gerichtshofes wurde die Entsenderichtlinie zur "Maximalrichtlinie" erhoben. Danach sehe die Entsenderichtlinie ein bestimmtes Schutzniveau für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor, über das die Mitgliedstaaten nicht hinausgehen dürfen. In diesen Entscheidungen sowie der Entscheidung Viking hat der Europäische Gerichtshof zudem die Grundfreiheiten des Binnenmarktes, wie insbesondere die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, über zentrale soziale Grundrechte, wie etwa Tarifautonomie und gewerkschaftliches Streikrecht, gestellt. Mit einem Zusatzprotokoll zu den Verträgen sollte zumindest die prinzipielle Gleichrangigkeit des Sozialen und der sozialen Grundrechte mit den wirtschaftlichen Freiheiten im Binnenmarkt wiederhergestellt werden, wie sie in vielen Verfassungen der Mitgliedstaaten sowie im internationalen Recht verankert ist.
- 6. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,
- a) sich für eine Revision der Entsenderichtlinie dahingehend einzusetzen, dass
- a. die grundlegende Zielsetzung der Entsenderichtlinie, nämlich die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs ohne Lohndumping und den Arbeitnehmerschutz, stärker hervorgehoben wird. Zu diesem Zweck sollte die Richtlinie auf eine breitere Rechtsgrundlage, z.B. Art. 153 AEUV, gestellt werden.
- b. der Forderung "Gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort!" Rechnung getragen wird. Ein unfairer Wettbewerb zu Lasten des Entgelts und der Arbeitsbedingungen muss verhindert werden. In allen Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene, die Fragen der Entsendung berühren, muss entsprechend der Monti-Klausel das Grundrecht auf Tarifverhandlungen und kollektive Maßnahmen verankert werden.
- c. die Richtlinie entsprechend ihrer ursprünglichen Ausrichtung wieder ein Mindeststandard wird. Gesetzlich und tarifvertraglich beschlossene Standards, die über die in der Richtlinie verankerten Mindestarbeitsbedingungen hinausgehen, dürfen nicht durch die Entsenderichtlinie verhindert werden, solange die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung von in- und ausländischen Unternehmen gewährleistet ist.
- d. eine klare Definition von "grenzübergreifenden Dienstleistungen" gegeben ist. "Briefkastenfirmen" mit Sitz im Ausland, die lediglich zur Umgehung von arbeitsrechtlichen Bedingungen gegründet werden, müssen verhindert werden. Um Missbrauch zu verhindern, bedarf es zudem einer zeitlichen Begrenzung von Entsendungen.
- e. Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, öffentliche Aufträge anhand von Kriterien der lokal üblichen Bezahlung und Arbeitsbedingungen zu vergeben. Tariftreueklauseln müssen durch die Entsenderichtlinie und die Vergaberichtlinien unterstützt werden. Zudem müssen die neuen Möglichkeiten des Vertrages von Lissabon genutzt werden. Die EU hat dadurch eine eigenständige Rechtspersönlichkeit bekommen, die es ihr ermöglicht, dem entsprechenden IAO-Übereinkommen Nr. 09494 beizutreten und dieses zu ratifizieren. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen.
- f. den verschiedenen Modellen der Arbeitsbeziehungen der einzelnen Mitgliedstaaten stärker Rechnung getragen wird. Es muss den Mitgliedstaaten und jeweiligen Sozialpartnern möglich sein, Arbeitsbedingungen für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Grundlage der bewährten Tarifsysteme festzulegen. Damit müssen auch höhere Schutzstandards möglich sein. Nationale Tarifverträge und Arbeitsbeziehungen müssen weiterhin Gültigkeit haben.
- g. effiziente Überprüfungs- und Durchsetzungsmechanismen der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner angewandt werden können. Hierzu bedarf es auch einer Erfassung aller in den jeweiligen Mitgliedstaat entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie dies bereits in einigen Mitgliedstaaten der Fall ist. Hier ist neben der europäischen Ebene auch die Bundesregierung aufgefordert, die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
- b) das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auf alle Branchen auszuweiten, damit allen Branchen die Möglichkeit offensteht, durch die Vereinbarung flächendeckender tarifvertraglicher Mindestlöhne faire Arbeitsbedingungen insbesondere im Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen und ihren nach Deutschland entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern herzustellen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Vollendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Jahr 2011 notwendig.
- a) sich für eine Revision der Entsenderichtlinie dahingehend einzusetzen, dass