A. Problem und Ziel
Die Anzahl der Gewalttaten, die sich gegen eine Person allein oder vorwiegend wegen deren politischer Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten (sog. Hasskriminalität), ist erschreckend hoch. Der Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Inneren weist für das Jahr 2010 bundesweit 762 derartige Gewalttaten aus.
Derartigen Hassdelikten wohnt gegenüber sonstigen Gewaltdelikten ein erhöhter Unrechtsgehalt inne. Ihre Täter begehen sie nicht vor dem Hintergrund einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Opfer. Vielmehr soll mit dem Angriff auf die körperliche Integrität des Opfers ein grundsätzliches Unwerturteil über dessen "Anderssein" gefällt werden. Das Opfer wird nicht mehr als Individuum, sondern als austauschbarer Vertreter einer dem Täter verhassten und von diesem als minderwertig eingeschätzten Gruppe angesehen. Dies hat zum einen Auswirkungen auf die konkreten Taten selbst, die oftmals brutaler und rücksichtsloser ausgeführt werden als Gewaltdelikte in anderen Kontexten. Zum anderen führt es zu einer starken Verunsicherung von Bürgerinnen und Bürgern, die die gleichen Eigenschaften oder Einstellungen aufweisen, wegen derer ein anderer Mensch zum Opfer einer Gewalttat wurde (vgl. zum Ganzen Tolmein, ZRP 2001, 315 ff.). Mögliche Folgen sind Einschüchterung und Gefühle des Alleingelassenseins bis hin zur gesellschaftlichen Isolation ganzer Bevölkerungsgruppen. Hasskriminalität ist deshalb in besonderem Maße geeignet, den sozialen Frieden zu stören.
Dem erhöhten Unrechtsgehalt muss das Strafrecht deutlicher als bisher Rechnung tragen. Es muss ein klares Signal setzen, dass die Gesellschaft nicht bereit ist, entsprechende Gewalttaten - oftmals gegen ihre schwächsten Mitglieder - zu tolerieren. Dazu müssen hassgeleitete Motive des Täters bei der Strafzumessung stärker als bisher berücksichtigt werden, um innerhalb der bestehenden und als grundsätzlich ausreichend angesehenen Strafrahmen im Einzelfall angemessene Sanktionen zu verhängen.
B. Lösung
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, menschenverachtende, insbesondere rassistische oder fremdenfeindliche Beweggründe und Ziele des Täters als Umstände in § 46 Absatz 2 StGB aufzunehmen, die im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen sind.
C. Alternativen
Beibehaltung der bisherigen, unbefriedigenden Rechtslage
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
I. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
II. Vollzugsaufwand
Der Entwurf verfolgt das Ziel, die Rechtsprechung dazu anzuhalten, hassgeleitete Motive eines Gewalttäters bei der Festsetzung einer angemessenen Strafe stärker strafschärfend zu berücksichtigen als bisher. Dies dürfte zu einer Zunahme von Verurteilungen zu Freiheitsstrafen und damit zu einer Steigerung der Belegungszahlen im Strafvollzug führen. Eine Abschätzung, in welchem Umfang dies der Fall sein wird, ist nicht möglich, da die Gerichte insoweit unabhängig sind.
E. Sonstige Kosten
Keine.
Gesetzesantrag der Länder Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Thüringen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (... StRÄndG)
Der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg Hamburg, den 17. Januar 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, der Senat der Freien Hansestadt Bremen sowie die Regierungen der Länder Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und des Freistaats Thüringen haben beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (... StRÄndG) zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung (... StRÄndG)
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuchs
In § 46 Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch ... geändert worden ist, werden nach den Wörtern "Ziele des Täters," die Wörter "besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende," eingefügt.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
Das Strafrecht muss deutlicher als bisher zum Ausdruck bringen, dass die Gesellschaft Straftaten, die sich gegen eine Person allein oder vorwiegend wegen deren politischer Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten, nicht duldet. Derartige sogenannte Hassstraftaten weisen gegenüber sonstigen Gewalttaten einen erhöhten Unrechtsgehalt auf. Der Täter bringt durch sie zum Ausdruck, dass er sein Opfer nicht als Individuum, sondern als Vertreter einer von ihm als minderwertig eingeschätzten Gruppe ansieht. Dies führt oftmals dazu, dass die Taten mit einer gegenüber sonstigen Gewalttaten noch einmal deutlich gesteigerten Brutalität und Rücksichtslosigkeit begangen werden. Darüber hinaus verunsichern und verängstigen sie andere Menschen mit den gleichen Eigenschaften oder Einstellungen, die befürchten müssen, ebenfalls Opfer entsprechender Taten zu werden. Die dadurch in Teilen der Bevölkerung hervorgerufenen Gefühle der Einschüchterung und des Alleingelassenseins bis hin zur Isolation sind in besonderem Maße geeignet, den sozialen Frieden zu stören.
Die Gerichte haben zum Finden einer angemessenen Strafe die sogenannte Strafzumessungsschuld zu ermitteln und dabei auch Ziele und Beweggründe des Täters sowie die Gesinnung, die aus der Tat spricht, zu berücksichtigen (vgl. § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB). An dieser Stelle kann das Strafrecht ein deutliches Zeichen setzen, dass hassgeleitete Motive ein strafschärfender Umstand sind.
Darüber hinausgehende Verschärfungen des Sanktionenrechts sind nicht erforderlich. Es besteht kein Anlass dazu, die Regelung des § 47 Absatz 1 StGB, nach der kurze Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten Länge nur in Ausnahmefällen verhängt werden dürfen, dahingehend umzukehren, dass bei hassgeleiteten Gewalttaten kurze Freiheitsstrafen zukünftig zu einer Regelstrafe werden. Darüber hinaus ist es nicht sinnvoll, bei Freiheitsstrafen von über sechs Monaten die Strafaussetzung zur Bewährung im Regelfall auszuschließen.
In Hinblick auf die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen ist allgemein anerkannt, dass diese wegen der entsozialisierenden Wirkung grundsätzlich unterbleiben sollen. An dieser entsozialisierenden Wirkung ändert auch eine besonders verwerfliche Motivlage des Täters nichts. Ein Ausschluss der Möglichkeit, Freiheitsstrafen von mehr als sechs Monaten zur Bewährung auszusetzen, würde zudem die Gewichte im Rahmen der Strafzumessung einseitig zugunsten der Generalprävention und zulasten der (täterbezogenen) Spezialprävention, und hier insbesondere der Resozialisierung, verschieben. Beide Ansätze können daher gerade auch vor dem Hintergrund des § 46 Absatz 1 Satz 2 StGB nicht überzeugen, der fordert, die Auswirkungen einer Strafe auf das künftige Leben des Täters zu berücksichtigen und damit die Resozialisierung neben der Schuld als den zentralen Aspekt der Strafzumessung ansieht.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)
§ 46 Absatz 2 Satz 2 StGB beinhaltet eine Zusammenfassung der Umstände, die das Gericht bei der Strafzumessung zu berücksichtigen hat.
Zu diesen Umständen zählen "die Beweggründe und Ziele des Täters" sowie "die Gesinnung, die aus der Tat spricht".
Zwar können die Gerichte im Rahmen der Strafzumessung bereits jetzt hassgeleitete Motive des Täters strafschärfend berücksichtigen. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung, durch die auch der erhöhte Unwertgehalt, der sich aus diesen Motiven für die Tat ergibt, betont wird, fehlt allerdings. Hier setzt der Entwurf an, indem er menschenverachtende Motive als besonders verwerfliche Beweggründe und Ziele des Täters hervorhebt. Als Beispiel für solche menschenverachtenden Motive nennt der Entwurf dabei die rassistischen und fremdenfeindlichen Beweggründe. Dies dient zum einen dazu, die Gerichte gerade in Hinblick auf diese Motive, die in der Praxis bei einer Vielzahl der einschlägigen Straftaten vorliegen, zu sensibilisieren und der Rechtsprechung zugleich einen Anhaltspunkt zu geben, um den Begriff des Menschenverachtenden auszufüllen.
Neben Auswirkungen auf die Strafzumessungspraxis der Gerichte ist schließlich auch zu erwarten, dass die Behörden angesichts dessen, dass das StGB entsprechende Motive nunmehr ausdrücklich als zu berücksichtigende Umstände aufführt, diesem Aspekt zukünftig bereits im Ermittlungsverfahren größere Bedeutung beimessen und etwaige Beweismittel sichern.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.