Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, 29. Januar 2020
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, gemeinsam mit dem Land Rheinland-Pfalz dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates zur Vermeidung von Lieferengpässen von Medikamenten mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 985. Plenarsitzung am 14. Februar 2020 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier
Entschließung des Bundesrates zur Vermeidung von Lieferengpässen von Medikamenten
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem Entwurf eines Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung weitere Maßnahmen getroffen werden sollen, um Lieferengpässe von Medikamenten zu vermeiden.
- 2. Der Bundesrat bezweifelt jedoch, dass diese Maßnahmen ausreichen, um Lieferengpässe zukünftig effizient zu vermeiden. Bereits in der Vergangenheit erwiesen sich diverse Änderungen des Arzneimittelgesetzes und des Sozialgesetzbuchs V als nicht ausreichend.
- 3. Es scheint aus Sicht der Länder notwendig, die maßgeblichen Gründe für Lieferengpässe hierzulande systematisch retrospektiv auszuwerten, um geeignete Maßnahmen für die Zukunft treffen zu können.
- 4. Der Bundesrat bittet das Bundesministerium für Gesundheit, den "Jour Fixe" zum Thema Lieferengpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden, der Landesbehörden und der Fachkreise mit einer Evaluation zu beauftragen mit dem Ziel, auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse Empfehlungen zur Vermeidung von Lieferengpässen vorzuschlagen.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die Arzneimittelversorgung und -qualität in Deutschland ist im internationalen Vergleich zwar noch immer gut, gleichwohl treten seit einiger Zeit auch hierzulande vermehrt Meldungen über Lieferengpässe von Arzneimitteln auf.
Auch wenn nicht jeder Lieferengpass zu einem Versorgungsengpass führt (häufig sind alternative, gleichwertige Arzneimittel verfügbar), ist offensichtlich, dass die von der Bundesregierung bisher ergriffenen gesetzlichen Maßnahmen gegen Lieferengpässe nicht ausreichen. Die Gesundheitsministerkonferenz hat vor diesem Hintergrund das Bundesministerium für Gesundheit bereits im Jahr 2018 gebeten zu prüfen, inwieweit eine Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Änderungen oder anderer Maßnahmen besteht.
Zu den bisher ergriffenen Maßnahmen gegen Lieferengpässe gehören beispielsweise diverse gesetzliche Änderungen: Sicherstellungsauftrag der Pharmaindustrie, verpflichtende Meldung von Lieferengpässen durch die pharmazeutischen Unternehmer an Krankenhäuser, Vorratsbeschaffungsmöglichkeit für Importe durch Krankenhäuser und Verpflichtung der pharmazeutischen Industrie zur Mitteilung aller Daten zu Absatzmenge und Verordnungsvolumen auf Anfrage der Bundesoberbehörden.
Um die Transparenz zu erhöhen, haben sich die Industrieunternehmen zudem verpflichtet, Engpässe verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu melden. Auch wurde ein "Jour Fixe" beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unter Beteiligung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und von Fachkreisen eingerichtet, bei dem Maßnahmen erörtert werden, um Lieferengpässe zu vermeiden oder deren Auswirkungen abzumildern.
Um die Sicherheit bei der Versorgung mit Impfstoffen zu erhöhen, wurde ferner der Abschluss von Rabattverträgen mit Impfstoffherstellern im SGB V gestrichen. Zudem stellt das PEI bei Lieferengpässen von Impfstoffen risikogestuft mit dem RKI und der STIKO abgestimmte Informationen bereit, welche alternativen Impfstoffe verfügbar sind oder welche geänderten Impfstrategien empfohlen werden.
Bei den sonstigen Medikamenten müssen Rabattverträge neuerdings die Vielfalt der Anbieter und die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung der Versicherten berücksichtigen.
Jedoch erwiesen sich die bisher ergriffenen gesetzlichen und sonstigen Maßnahmen (abgesehen von Impfstoffen) als nicht ausreichend.
So wurden 2013 dem BfArM lediglich 42 Defekte gemeldet, 2019 waren es 357. Im Jahr 2018 gab es 268 Defekte. Die Meldungen betreffen oft auch als versorgungsrelevant eingestufte Wirkstoffe. So machten im Jahr 2018 mehr als die Hälfte der Lieferengpassmeldungen solche Präparate aus. Im Jahr 2019 betrafen gar ca. 60 Prozent der Lieferengpässe versorgungsrelevante Wirkstoffe.
Eine Task Force der US-Arzneimittelbehörde FDA hat in den letzten Monaten exemplarisch 163 Engpässe untersucht, zu denen es zwischen 2013 und 2017 gekommen ist. Als einen wesentlichen Grund wurde das Fehlen von wirtschaftlichen Anreizen für die Produktion von wenig profitablen Medikamenten identifiziert. Ursächlich für Engpässe sei zudem, dass der Markt Hersteller für ein ausgereiftes Qualitätsmanagementsystem nicht belohne. Auch logistische und regulatorische Hürden wurden als Ursache für Lieferengpässe in den USA identifiziert.
Die US-amerikanische Task Force empfiehlt u.a. wirtschaftliche Anreize, die die Hersteller zu einem verbesserten Qualitätsmanagement motivieren sollen. Ziel müssten zudem nachhaltige Verträge zwischen pharmazeutischen Unternehmern und Krankenkassen sein, die eine zuverlässige Lieferung garantieren und honorieren.
Die vorgeschlagene Evaluation durch den "Jour Fixe" soll zeigen, ob Ursachen und Empfehlungen der Task Force der FDA auf Lieferengpässe hierzulande übertragbar sind. Die Beauftragung des "Jour Fixe" trägt auch der geplanten Aufwertung des Gremiums durch das Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung (gesetzlicher Auftrag der Beobachtung und Bewertung der Versorgungslage).