882. Sitzung des Bundesrates am 15. April 2011
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Hauptempfehlung:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absichten der Kommission, durch die Weiterentwicklung des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI) die Verwaltungszusammenarbeit im Binnenmarkt zu fördern.
Der Bundesrat begrüßt die Festlegung von Kriterien für die Ausweitung des Systems. Vorrang sollten dabei jedoch die Auswirkungen auf die das IMI nutzenden Verwaltungen im Hinblick auf deren Arbeitsaufwand und die ihnen entstehenden Kosten haben.
Im Hinblick auf die vorgesehene gegenseitige Evaluierung der Dienstleistungsrichtlinie sollte eine Ausweitung des IMI bis zum Abschluss dieser Bewertungen ausgesetzt werden.
Begründung:
Das IMI ist noch nicht flächendeckend bei allen Kommunen eingeführt. Zur Vermeidung der Kosten durch den Registrierungs- und Einarbeitungsaufwand auch in Relation zu einem möglichen Nutzen sollten die Auswirkungen der Ausweitung des Systems auf weitere Bereiche auf die Haushalte der Kommunen vorrangig berücksichtigt werden.
Nach Nummer 3.6 Buchstabe a der Mitteilung kann das IMI bis zu 100.000 Nutzer haben. Nach Nummer 1.2 der Mitteilung sind bislang nur 5.700 Behörden und 11.000 (sonstige) Nutzer registriert. Es besteht damit eine hinreichende Ressource, um noch alle Kommunen registrieren zu können. Zur Reduzierung der hauptsächlich durch den Registrierungs- und Einarbeitungsaufwand für das IMI entstehenden Kosten bestehen Bemühungen, dass die Kommunen sich im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit zusammenschließen, damit dieser Aufwand nur von wenigen Stellen erbracht wird. Eine vorrangige Berücksichtigung der entstehenden Kosten ist bei einer Ausdehnung des IMI daher erforderlich. Die Ausweitung sollte auch auf Bereiche erfolgen, die nicht von allen Gemeinden zu behandeln sind.
Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass nach der Darstellung unter Nummer 2.2 Absatz 2 Ziffer 4 und Nummer 3.4 Absatz 4 der Mitteilung diese Auswirkungen bewertet werden, allerdings würde die vorgesehene Ausdehnung auf Personenstandsdokumente dazu zwingen, dass sämtliche Gemeinden als Melde- bzw. Standesamtsbehörden sich mit dem System vertraut machen müssten. Obwohl ein nur geringer Bedarf für einen grenzüberschreitenden Austausch von Personenstandsdokumenten bei der Mehrzahl der Gemeinden erwartet werden kann, würde so eine Arbeitsbelastung entstehen, ohne dass ein hinreichender Nutzen bei allen Gemeinden ersichtlich ist.
Soweit noch nicht aufgrund der anstehenden Evaluierung der Dienstleistungsrichtlinie Klarheit darüber besteht, ob dieser Hauptanwendungsfall für das IMI bestehen bleibt, sollten Ausweitungen des Verfahrens zurückgestellt werden. Auf die Stellungnahme des Bundesrates zu Vorschlag Nummer 4 in BR-Drucksache 698/10 (PDF) wird Bezug genommen.
Hilfsempfehlung:*
* nur In bezogen auf Ziffern 2 und 3, 5 bis 9 sowie 11 und 13 EU
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, das IMI in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten weiter auszubauen, um damit die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu stärken.
- 3. Die modulare Architektur des IMI wird grundsätzlich für gut geeignet gehalten, den unterschiedlichen Ausformungen der Verwaltungszusammenarbeit in verschiedenen Regelungsbereichen des Binnenmarktes Rechnung zu tragen.
- 4. Die Auswirkungen der Ausweitung des Systems auf die Haushalte der Kommunen sollten besonders berücksichtigt werden. So würde die vorgesehene Ausdehnung auf Personenstandsdokumente dazu zwingen, dass sämtliche Gemeinden als Melde- bzw. Standesamtsbehörden sich mit dem System vertraut machen müssten. Obwohl ein nur geringer Bedarf für einen grenzüberschreitenden Austausch von Personenstandsdokumenten bei der Mehrzahl der Gemeinden erwartet werden kann, würde so eine Arbeitsbelastung entstehen, ohne dass ein hinreichender Nutzen bei allen Gemeinden ersichtlich ist.
- 5. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass die Ausweitung des IMI die vorrangige und kurzfristige Vornahme der weiterhin dringend erforderlichen Systemverbesserungen voraussetzt. Der Bundesrat erachtet es für die Funktionalität des Systems wie für die Nutzerakzeptanz unabdingbar, dass die wichtigen Fortentwicklungen, auf die sich die Kommission mit den Mitgliedstaaten verständigt hat, prioritär umgesetzt werden.
Zu nennen sind hier insbesondere die Verbesserung der Such-Funktion für zuständige Behörden sowie die rasche Wiederherstellung der automatischen Übersetzungsfunktion für Freitexteingaben.
- 6. Der Bundesrat vermisst in der Mitteilung der Kommission eine materielle Erklärung zur Datensicherheit im IMI. Der Bundesrat appelliert an die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass vor einer weiteren Ausweitung des IMI durch den Europäischen Datenschutzbeauftragten oder einen objektiven Dritten bestätigt wird, dass beim Betrieb des IMI die von der Kommission zu beachtenden datenschutzrechtlichen und datensicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt werden, die an die Verarbeitung der durch das IMI tatsächlich und potenziell verarbeiteten Daten zu stellen sind.
- 7. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung eines horizontalen Rechtsinstruments, durch das der seit langem bestehenden Forderung des Europäischen Datenschutzbeauftragten sowie der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder nach einer europäischen Rechtsgrundlage für das IMI Rechnung getragen werden soll.
- 8. Der Bundesrat unterstützt den Ansatz der Kommission, Kriterien für die weitere Ausweitung des IMI festzulegen. Wichtiger als Synergien zwischen den bestehenden Nutzergruppen zu heben ist es nach Auffassung des Bundesrates allerdings, einer Zersplitterung der Informationsaustauschsysteme entgegenzuwirken. Daher wird der Vorschlag der Kommission, die Software des IMI Interessenten zur eigenständigen Entwicklung neuer Anwendungsbereiche zur Verfügung zu stellen, für kritisch erachtet.
- 9. Auch die Überlegung der Kommission, das IMI für die Einbindung von Unternehmen oder Bürgerinnen und Bürgern zu öffnen, wird vom Bundesrat nicht unterstützt. Das IMI hat sich als Plattform für die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit bewährt. Die Philosophie geschlossener Nutzergruppen sollte nicht aufgeweicht werden, um die Sicherheit des Gesamtsystems nicht zu gefährden.
- 10. Das IMI soll weiterhin der reinen Verwaltungszusammenarbeit zwischen Behörden im Sinne der europäischen Amtshilfe dienen. Eine Ausdehnung auf Dritte sollte wenn überhaupt nur nach Erreichen der vollständigen Funktionsfähigkeit und entsprechender Evaluation erfolgen. Die Grundidee des IMI ist es, die Kommunikation zwischen den Verwaltungen in der gesamten EU zu unterstützen. Das Hinzufügen einer neuen Schnittstelle für nichtamtliche Stellen entspricht nicht diesem Ansatz, und es ist zu befürchten, dass dies auf Kosten der Einfachheit und Akzeptanz des Systems (unter Berücksichtigung der Grundprinzipien des IMI in Kapitel 2.1 und der einfachen Handhabung in Kapitel 3.4) geht. Vor diesem Hintergrund werden auch Schwierigkeiten für die Nutzung des IMI für Folgenabschätzungen, Evaluierungen und die Möglichkeit des reinen Informationsaustauschs gesehen.
- 11. Für kritisch hält der Bundesrat den Vorschlag der Kommission, das Netzwerk von Behörden in den bestehenden Nutzergruppen zu anderen Zwecken als der Verwaltungszusammenarbeit im Rahmen des jeweiligen Regelungsbereiches zu nutzen.
- 12. Notifizierungsverfahren nach der EG-Dienstleistungsrichtlinie sind Teil der Implementierung des Rechtsaktes und nicht der Amtshilfe im IMI. Die Einbeziehung von Notifizierungsverfahren in das IMI wird abgelehnt. Gerade auch die von der Kommission gewünschte Ressourceneinsparung durch Verwendung bestehender Nutzergruppen kann auf diesem Gebiet sonst nicht erreicht werden.
- 13. Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, sich hinsichtlich der Ausweitung des IMI für eine längerfristig verbindliche Zeitplanung der Kommission einzusetzen, um den Ländern ausreichend Zeit für etwa erforderlich werdende Anpassungen zu geben.
- 14. Der Bundesrat übermittelt die Stellungnahme direkt an die Kommission.