Der Bundesrat hat in seiner 835. Sitzung am 6. Juli 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Einleitung einer umfassenden öffentlichen Debatte zum Europäischen Forschungsraum (EFR), in deren Verlauf die vorgelegten Leitgedanken und Ideen unter Berücksichtigung des im Forschungsbereich geltenden Subsidiaritätsprinzips konkretisiert und weiterentwickelt werden sollten. Der Bundesrat äußert sich hierzu im Einzelnen wie folgt:
Ein angemessener Austausch kompetenter Forscher und Forscherinnen
- 2. Der Bundesrat begrüßt nachdrücklich die von der Kommission geforderte Öffnung der Arbeitsmärkte für Forscher. Die Mobilität der Forscher soll zwischen Mitgliedstaaten, aber auch zwischen Sektoren (z.B. Wissenschaft - Wirtschaft) stattfinden und verdient eine verstärkte Förderung.
Der Bundesrat unterstreicht, dass die gegenseitige Anerkennung der in einem System oder Mitgliedstaat erworbenen Fähigkeiten über Sektoren- und Ländergrenzen hinweg für den Forschungsstandort Europa von zentraler Bedeutung ist.
- 3. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit, einen für Männer und für Frauen gleichermaßen attraktiven Arbeitsmarkt zu schaffen, um das Potenzial des EFR voll ausschöpfen zu können.
- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass dank der Übertragung der Beamtenversorgung in die Zuständigkeit der Länder in den meisten Fällen Lösungen für die Anwerbung europäischer und außereuropäischer Forscher für die regionalen Innovationsmärkte gefunden werden können. Er sieht angesichts der weiterhin bestehenden Unterschiede zwischen Sozialversicherungs- und Altersversorgungssystemen der Mitgliedstaaten nach wie vor Verbesserungsbedarf in Bezug auf die Vergleichbarkeit, Prognostizierbarkeit und Transparenz sozialer Absicherungen.
Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau
- 5. Der Bundesrat unterstützt den Ansatz, bei der Errichtung von größeren Forschungsinfrastrukturen von internationaler Bedeutung alle relevanten Kräfte in Europa zu bündeln, und sieht darin einen wesentlichen Beitrag für eine nachhaltige und langfristige Stärkung des EFR. Die European-Strategy-Forum-on-Research-Infrastructures-(ESFRI)-Roadmap liefert hierzu einen wichtigen Beitrag. Der Bundesrat gibt allerdings zu bedenken, dass auch hier der Dialog mit der Industrie zu suchen ist und die ESFRI-Roadmap keine abschließende Liste von Maßnahmen sein kann. Der Bundesrat betont, dass es neben der Schaffung europäischer Infrastrukturen von Weltniveau auch einer nachhaltigen Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen in den Regionen bedarf, um die Funktionsfähigkeit des EFR zu sichern.
Spitzenforschungseinrichtungen
- 6. Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen für die Grundlagenforschung. Er begrüßt in diesem Zusammenhang die Förderung der Grundlagenforschung durch den Europäischen Forschungsrat, die dazu führen wird, dass sich herausragende Wissenschaftler und Einrichtungen im internationalen Vergleich noch besser positionieren können. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass es einer vertieften Diskussion bedarf, wie man mit dem zusätzlichen Wettbewerb und dem daraus resultierenden Sichtbarkeitsgefälle - angesichts der hohen Überzeichnung - umgehen kann.
- 7. Der Bundesrat unterstreicht die Notwendigkeit, das EU-Forschungsbudget künftig so auszustatten, dass die von den Gutachtern als exzellent bewerteten Anträge bewilligt werden können. Die EU kann Exzellenz auf europäischer Ebene - gerade auch im Wettbewerb mit Asien und Nordamerika - nur dann voranbringen wenn dafür eine adäquate Mittelausstattung vorhanden ist.
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass künftig im Sinne der Haushaltsökonomik verstärkt darauf geachtet werden muss, neue Institutionen und Einrichtungen nicht zu Lasten bestehender Programme und Forschungsinfrastrukturen zu errichten. Grundsätzlich sollten neue Maßnahmen und Strukturen nur dann geschaffen werden, wenn damit ein erkennbarer europäischer Mehrwert einhergeht.
- 9. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Forschungsrahmenprogramm auch künftig die Antragsstellung unterschiedlich strukturierter Konsortien ermöglichen muss. Die Tatsache, dass aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm (FRP7) große Verbünde wie die Gemeinsamen Technologieinitiativen gefördert werden, darf nicht zu einer Verdrängung von Konsortien führen, die sich speziell zum Zwecke der Antragsstellung zusammenfinden.
Effektiver Wissensaustausch
- 10. Der Bundesrat begrüßt den ganzheitlichen Ansatz der Kommission zum Austausch von Wissen. Er teilt ihre Auffassung hinsichtlich der Bedeutung des umfassenden, einfachen und erschwinglichen Zugangs zu Kenntnissen aus der öffentlichen Forschung sowie hinsichtlich der Notwendigkeit des Wissenstransfers in die Wirtschaft. Nach Auffassung des Bundesrates gilt dies insbesondere für die aus öffentlichen Mitteln generierten Forschungsergebnisse, auch wenn sie anderweitig (kommerziell) publiziert werden. Er gibt zu bedenken, dass sich der Wissensaustausch nur auf veröffentlichtes Wissen beziehen kann.
- 11. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat nachdrücklich die Bestrebungen der Deutschen Ratspräsidentschaft, eine Charta für Geistige Eigentumsrechte zu etablieren. Er sieht gerade vor dem Hintergrund der immer intensiveren internationalen Zusammenarbeit die Notwendigkeit der Verbesserung von Normen und Schutzrechten zur Sicherung des geistigen Eigentums, um eine vertrauensvolle Kooperation in institutionen- und grenzübergreifenden Zusammenhängen, z.B. in Clustern und Exzellenzzentren, zu erleichtern.
- 12. Der Bundesrat weist zugleich darauf hin, dass sich das Grünbuch nur auf ausgewählte Aspekte des Erwerbs, der Verbreitung und der Nutzung von Wissen bezieht.
Die zeitgleich veröffentlichten Mitteilungen zu diesem Themenspektrum werden vom Bundesrat separat behandelt. Der Bundesrat möchte diese Beschlüsse als Teil seiner Stellungnahme zum Grünbuch betrachtet wissen - BR-Drucksache 139/07(B) , BR-Drucksache 244/07(B) , BR-Drucksache 252/07(B) .
- 13. Der Bundesrat teilt die Sichtweise der Kommission, dass den digitalen Medien entscheidende Bedeutung für eine Verbreitung von Wissen und wissenschaftlichen Informationen zukommt und unterstützt grundsätzlich die Integration und Vernetzung wissenschaftlicher Datenbestände, auch über die Grenzen des EFR hinaus, als wesentliche Voraussetzungen für die Leistungsfähigkeit der europäischen Forschung.
Optimierung von Forschungsprogrammen und -prioritäten
- 14. Der Bundesrat begrüßt den Gedanken der Abstimmung europäischer Forschungsprogramme mit dem Ziel, die Forschungs- und Innovationspotenziale in den Mitgliedstaaten besser auszuschöpfen. Der Bundesrat spricht sich jedoch gegen eine kommissionsgesteuerte Koordinierung nationaler und regionaler Programme aus. Die Kritik, es fehle auf einzelstaatlicher Ebene an einer echten europäischen Perspektive, wird als an deren Intention vorbeigehend zurückgewiesen.
Die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten muss gewahrt bleiben. Auch im Forschungsbereich wird der Rahmen für das Handeln der Kommission durch das Subsidiaritätsprinzip gesteckt.
- 15. Der Bundesrat sieht die gezielte Förderung regionaler Forschung und Forschungszusammenschlüsse als Voraussetzung für die erfolgreiche Teilnahme regionaler Akteure an Programmen auf europäischer Ebene an. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Forschungstätigkeiten mit unmittelbarem regionalen Bezug mitunter besser durch regionale als durch überregionale Forschungsprogramme abgedeckt werden können. Er weist darauf hin, dass regionale Forschungsprogramme in der Regel im regionalpolitischen Gesamtzusammenhang zu sehen sind. Bei einer eventuellen Öffnung regionaler Programme für Teilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten muss daher Kriterium bleiben, dass die regionalpolitische Zielsetzung des jeweiligen Programms nicht unterlaufen wird.
- 16. Der Bundesrat unterstreicht, dass die Schaffung eines EFR und einer auch europäisch vernetzten Forschung wesentlich dadurch befördert werden kann, dass den Regionen gute Rahmenbedingungen für Forschung gewährleistet werden.
Dies geschieht durch EU-Förderprogramme wie dem FRP7, kann aber auch durch entsprechend abgestimmte und ausgerichtete Strukturprogramme wesentlich voran gebracht werden, die Synergien zwischen Struktur- und Forschungsförderung zulassen. Dabei ist der Bundesrat grundsätzlich der Auffassung, dass Entwicklungsrückständen einzelner Regionen im Bereich der Forschung durch Maßnahmen der Strukturförderung zu begegnen ist, während im Bereich der Forschungsförderung ein qualitätsorientierter Ansatz verfolgt werden sollte.
- 17. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass gemeinsame Grundsätze für Peer-Review-Verfahren, für die Qualitätssicherung, für die gemeinsame Evaluierung sowie für die Einführung gemeinsamer Grundsätze für die Rechenschaftspflicht sich nicht bindend auf nationale und regionale Forschungsprogramme beziehen können.
- 18. Der Bundesrat betont die Bedeutung der erfolgreichen ERA-Net-Förderlinie, in der die Koordination nationaler Förderprogramme ohne weiteren bürokratischen Überbau durch die Kommission erreicht wird.
- 19. Das Grünbuch geht schwerpunktmäßig auf die naturwissenschaftliche Forschung und Entwicklung ein und stellt den angewandttechnologischen Aspekt der Forschung in den Vordergrund. Der Bundesrat weist an dieser Stelle auf die Bedeutung der Forschung in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften hin, denen gerade mit Blick auf die Entstehung der EU eine wichtige Rolle zukommt.
Die internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie
- 20. Auch der Bundesrat ist der Auffassung, dass die internationale Vernetzung von Wissenschaft und Forschung weiter gesteigert werden muss; er unterstreicht die Notwendigkeit der inner- und außereuropäischen Kooperation und des Austauschs von Wissen und Wissenschaftlern. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin dass die EU keine Regelungskompetenz für akademische Ausbildungsprogramme hat. Gleiches gilt für die Ausgestaltung der Hochschulverfassungen in den einzelnen Mitgliedstaaten.