897. Sitzung des Bundesrates am 15. Juni 2012
A
Der federführende Finanzausschuss und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zu Artikel 1
- 1. Die Nachverhandlungen der Bundesregierung mit der Schweiz haben im Vergleich zum ursprünglichen Abkommen zwar partiell zu Verbesserungen geführt. Der Bundesrat hat jedoch erhebliche Zweifel, ob das dem Ratifizierungsgesetz zugrundeliegende Abkommen in der Änderungsfassung vom 5. April 2012 den Anforderungen an eine gerechte und gleichmäßige Besteuerung genügt:
- a) In der Vergangenheit unversteuerte Vermögenswerte sollen entweder pauschal im Wege einer anonymen Einmalzahlung oder individuell durch komplette Offenlegung nachversteuert werden. In beiden Fällen gelten alle deutschen Steueransprüche als erloschen, auf die Strafverfolgung wird verzichtet. Die Mechanik des Abkommens ist folglich geeignet, nicht nur die Straffreiheit, sondern - im Unterschied zu einer Selbstanzeige - auch die Anonymität von Täter und Steuerquelle zu sichern. Das wiegt umso schwerer, als die pauschale Nachversteuerung in den wenigsten Fällen zu einer effektiven Steuerlast in der Nähe der theoretischen Belastung von 41 Prozent führt. Für die Mehrzahl der Anleger ergibt sich vielmehr auch nach Anpassung des Abkommens eine steuerliche Belastung von weniger als 25 Prozent; häufig greift nur der ohnehin zu niedrige Mindeststeuersatz von 21 Prozent. Tendenziell begünstigt werden diejenigen, die nicht nur Steuern auf Kapitalerträge hinterzogen haben, sondern in nicht rechtsverjährter Zeit weiteres unversteuertes Kapital, etwa in Folge von Schwarzgeldgeschäften oder Erbschaften, angelegt haben. Der hartnäckige Steuerhinterzieher zahlt somit in vielen Fällen weniger, die niedrigen Steuersätze sind nicht geeignet, den Druck für eine freiwillige Offenlegung von Identität und Steuerquelle zu erhöhen.
- b) Im Falle der noch bis 1. Januar 2013 möglichen Kapitalverlagerung in Niedrigsteuerländer würden gegenüber deutschen Behörden nur die zehn wichtigsten Zielstaaten offengelegt. Besteuerungserhebliche Informationen wie Einzelheiten zu den Vermögenswerten und die Identität der Verschwinder sollen nicht mitgeteilt werden. Die Steuerflüchtigen können sich einer Besteuerung somit im Ergebnis unter Wahrung der Anonymität noch bis zum Inkrafttreten des geplanten Abkommens vollständig und risikolos entziehen.
- c) Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist vollkommen ungewiss, welches Steueraufkommen durch die Nachversteuerung erzielt werden könnte. Das Bundesfinanzministerium konstatiert selbst, aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre, die insgesamt das Vertrauen in die Sicherheit vor Entdeckung von Schwarzgeld in der Schweiz verringert haben dürften, sei davon auszugehen, dass eine Reihe von Anlegern ihre Kapitalanlagen bereits in vermeintlich sicherere Anlagestandorte transferiert hätten. Es beziffert das abkommensrelevante unversteuerte Anlagevolumen in der Schweiz, das der Nachversteuerung unterliegen könnte, daher insgesamt mit etwa 50 Milliarden Schweizer Franken. Unter Anwendung des nach dem geplanten Abkommen vorgesehenen Mindeststeuersatzes könne daraus ein Gesamtaufkommen in Höhe von rund 10,5 Milliarden Schweizer Franken generiert werden. Diese Schätzung beruht auf spekulativen Annahmen. Die Erfahrungen mit dem Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (StrabEG) haben indes gezeigt, dass derlei Spekulationen leicht ins Leere laufen können. Die einzig verlässlichen Einnahmen für die Haushalte von Bund und Ländern resultierten aus der sogenannten Garantiezahlung der Schweizer Banken in Höhe von 2 Milliarden Schweizer Franken.
- d) Bei künftig in der Schweiz angelegtem Kapital stellt das Abkommen zwar sicher, dass Erträge mit dem gleichen Steuersatz belegt werden wie in Deutschland. Hinterzogene Einkommen- und Umsatzsteuer bliebe aufgrund der Anonymitätszusicherung aber dauerhaft unentdeckt, insbesondere dann, wenn der Erwerb von Datenträgern mit Hinweisen auf mögliche Steuerhinterzieher ausgeschlossen und die Zahl der nachprüfbaren Verdachtsfälle begrenzt würde. Derartige Einschränkungen sind deshalb nicht hinnehmbar.
- 2. Das Abkommen vom 21. September 2011, dem mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zugestimmt werden soll, unterliegt durchgreifenden Bedenken. Es ermöglicht ungerechtfertigte (Mehrfach-)Privilegierungen der Steuerhinterzieher mit Kapitalanlagen in der Schweiz.
Artikel 8, 10 sowie Artikel 17 des Abkommens sehen einen weitreichenden Verzicht auf die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten für Täter und Beteiligte (z.B. Bankmitarbeiter) vor. Hiervon ausgenommen werden nach Artikel 17 Absatz 1 Satz 3 des Abkommens nur Fälle, in denen den nach deutschem Recht zuständigen Behörden im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens zureichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Absatz 2 StPO für eine Beteiligung an der Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit vorgelegen haben und die Beteiligten dies wussten oder bei verständiger Würdigung der Sachlage klar damit rechnen mussten. Der vorgesehene pauschale Verzicht auf Strafverfolgung begünstigt indes Steuerhinterzieher, die - anders als bei der sogenannten Selbstanzeige nach § 371 der Abgabenordnung (allgemei/steuerao_ges.htm ) - nicht in die Steuerehrlichkeit zurückkehren. Straffreiheit wird bereits durch die in dem Abkommen vorgesehene anonyme Nachversteuerung erlangt. Diese Privilegierung gegenüber sonstigen Tätern einer Steuerhinterziehung, die Straffreiheit nur unter den engeren Voraussetzungen des § 371 AO (Berichtigung oder Ergänzung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben bzw. Nachholen der unterlassenen Angaben bei der Finanzverwaltung und Nachentrichtung bereits verkürzter Steuern) erlangen können, erscheint kaum gerechtfertigt.
Gemäß Artikel 10 Absatz 1 des Abkommens gilt die freiwillige Meldung nach Artikel 9 des Abkommens ab dem Zeitpunkt der schriftlichen Ermächtigung als Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige gemäß § 371 AO bezogen auf die gemeldeten Konten oder Depots. Damit wird das durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28. April 2011 normierte Vollständigkeitsgebot für Selbstanzeigen konterkariert und entgegen § 371 AO, der die Berichtigung unrichtiger Angaben "in vollem Umfang" fordert, eine Teilselbstanzeige wieder zugelassen.
B
Im Wirtschaftsausschuss ist eine Empfehlung an den Bundesrat nicht zustande gekommen.