Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg
Entschließung des Bundesrates zur grundlegenden Reform des Computerstrafrechts

Der Präsident des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg Hamburg, 28. Mai 2019

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther

Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage mit Begründung beigefügte Entschließung des Bundesrats zur grundlegenden Reform des Computerstrafrechts zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 978. Sitzung des Bundesrates am 7. Juni 2019 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Tschentscher
Erster Bürgermeister

Entschließung des Bundesrates zur grundlegenden Reform des Computerstrafrechts

Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine Reformkommission zum Computerstrafrecht einzuberufen und auf Grundlage der Empfehlungen dieser Kommission einen Gesetzentwurf vorzulegen, der durch eine systematische und grundlegende Überarbeitung des strafrechtlichen Daten- und Informationsschutzes den technischen und rechtlichen Herausforderungen der Informationsgesellschaft nachhaltig und umfassend Rechnung trägt.

Begründung:

Cyberkriminalität bedroht die Informationsgesellschaft im erheblichen Maße. Der breiten Öffentlichkeit bekannt wurden in den letzten Monaten beispielhaft die Fälle der Online-Veröffentlichung sensibler privater Daten von Politikerinnen und Politikern, Prominenten sowie Journalistinnen und Journalisten oder die erfolgreichen gemeinsamen Ermittlungen deutscher und ausländischer Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit der illegalen Handelsplattform "Wall Street Market".

Auch gezielte Cyber-Angriffe auf die IT-Infrastruktur von Unternehmen und öffentliche Stellen, die personenbezogene Daten der Bürgerinnen und Bürger speichern, belegen das Ausmaß und die Bedeutung dieses Deliktsbereichs, der den Staat, die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt vor gravierende Herausforderungen stellt.

Mit dem Anspruch, den strafrechtlichen Schutz digitaler Daten und informationstechnischer Systeme an deren gestiegene Bedeutung anzupassen, sind auf Landes- und Bundesebene mittlerweile mehrere Gesetzentwürfe vorgelegt worden, mit denen insbesondere die Computer- und Datendelikte des Strafgesetzbuchs sowie die Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden zum Teil erheblich ausgeweitet werden sollen.

Zwar wurde der praktische Bedarf für einzelne dieser geplanten Gesetzesänderungen nachvollziehbar begründet. Allerdings werden weitere nur punktuelle Gesetzesänderungen im Bereich des Computerstrafrechts unter Anknüpfung an das bestehende, nicht hinreichend systematische Regelungsgebilde dem Vorwurf einer allein reaktiven Gesetzgebung ausgesetzt sein.

Entsprechende Kritik hat es bereits in der Vergangenheit gegeben.

So hat Professor Ulrich Sieber bereits im September 2012 auf dem 69. Deutschen Juristentag im Rahmen der Kurzpräsentation seines strafrechtlichen Gutachtens "Straftaten und Strafverfolgung im Internet" ausgeführt, dass Deutschland seine Vorbildfunktion für ausländische Rechtsordnungen und internationale Vorgaben in diesem Deliktsbereich verloren habe. Es mangele allgemein an seriösen kriminologischen Studien zu den einschlägigen Phänomenen und ihren Verfolgungsproblemen. Die Gesetzgebung beschränke sich vielmehr auf kleinere Reparaturen, die eng an bisherige Gesetze angelehnt werden, welche jedoch für körperliche Gegenstände entwickelt wurden. Damit fehle eine systematische Berücksichtigung der immateriellen Charakteristika von Daten und Informationen. Das Gleiche gelte für andere dogmatische Grundlagenfragen im Informationsstrafrecht wie Globalisierung oder den Problembereich Privatisierung, Verpflichtung Privater, staatlich private Koregulierung und Geltung von Grundrechten für Private. Zudem seien die Gesetze häufig nicht ausreichend technikneutral formuliert und unnötig kompliziert.

Diese Ausführungen geben Anlass zu prüfen, ob sich hieraus eine entsprechende Reformbedürftigkeit ergibt.

Vor diesem Hintergrund wird die Arbeit der von dem Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz eingerichteten, aus Vertreterinnen und Vertretern der Landesjustizverwaltungen zusammengesetzten Arbeitsgruppe "Digitale Agenda für das Straf- und Strafprozessrecht", deren Abschlussbericht Ende 2018 der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegt wurde, begrüßt.

Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe mit Vorschlägen zu punktuellen Änderungen des Straf- und Strafprozessrechts, die in mehreren der genannten Gesetzentwürfe bereits reflektiert werden, stellen eine wichtige Grundlage für die erforderliche systematische und grundlegende Überarbeitung des strafrechtlichen Daten- und Informationsschutzes dar.

Über die Vorschläge dieser Arbeitsgruppe hinaus ist allerdings die Einberufung einer interdisziplinär besetzten Reformkommission durch die Bundesregierung zwingend erforderlich.

Eine wesentliche Aufgabe dieser Kommission sollte zunächst eine - bisher nicht erfolgte - umfassende Bestandsaufnahme des geltenden Computerstrafrechts sein.

Die Kommission sollte darüber hinaus rechtliche, technische und ethische Fragen eines neuen Computerstrafrechts grundlegend bearbeiten und dabei prüfen, welches konkrete Rechtsgut mit welcher Intensität durch das Mittel des Strafrechts geschützt werden muss.

Um die komplexen Fragen umfassend bearbeiten zu können, sollte sich die Reformkommission nicht nur aus Strafrechtlerinnen und Strafrechtlern, sondern insbesondere auch aus Expertinnen und Experten auf den Gebieten des Verfassungs-, und Zivilrechts, der Informatik, des Datenschutzes sowie der Datenethik zusammensetzen.

Die Bundesregierung wird ferner gebeten, auf Grundlage der von der Kommission vorgelegten Empfehlungen noch in der laufenden Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Reform des Computerstrafrechts zu erarbeiten und vorzulegen.