A. Problem und Ziel
Der Gesetzentwurf dient der Vermeidung von Härtefällen aus humanitären Gründen, die dadurch entstehen können, dass ohne Ausnahmemöglichkeit an der Voraussetzung des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache für Familienangehörige festgehalten wird, die in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers aufgenommen werden wollen.
Das Bundesvertriebenenrecht fordert für die Aufnahme von Ehegatten oder Abkömmlingen in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers von den Ehegatten oder Abkömmlingen den Nachweis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache vor der Ausreise aus dem Aussiedlungsgebiet.
Das Erfordernis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache als strikte Voraussetzung für die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers kann in Einzelfällen hinsichtlich des Ehegatten bzw. des Abkömmlings zu unbilligen Härten führen.
In der Verwaltungspraxis und durch Eingaben hat sich nämlich gezeigt, dass es in bestimmten Fällen auch über den bereits gesetzlich geregelten Ausnahmefall der Behinderung im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch weitere Fälle gibt, in denen das Festhalten an der Voraussetzung des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache eine unbillige Härte darstellt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Ehegatte oder Abkömmling aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder in einem vergleichbaren Fall nicht in der Lage ist, die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben.
B. Lösung
Die bisherige, restriktive Ausnahmevorschrift hinsichtlich des Absehens von der Voraussetzung des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache wird um die Varianten erweitert, in denen das Festhalten an dem Erfordernis von Grundkenntnissen der deutschen Sprache eine unbillige Härte darstellt.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen
Es existieren keine Statistiken über potenziell Berechtigte in den Aussiedlungsgebieten. Deshalb können nur Schätzgrößen genannt und die Anzahl der Personen, die aufgrund der Erweiterung der Ausnahmemöglichkeit im Bundesgebiet Aufnahme finden können, und die damit zu erwartenden Kosten nicht genau beziffert werden.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Neunten Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes im Jahre 2011 unter Zugrundelegung verschiedener Indikatoren (bisher abgelehnte Einbeziehungsanträge, Petitionen mit nachträglichen Einbeziehungsersuchen, in den Aussiedlungsgebieten verbliebenen Abkömmlinge) wurde nach einer qualifizierten Schätzung mit etwa 5 000 Härtefallanträgen gerechnet. Die bisherige Prognose geht davon aus, dass etwa 2 500 Anträge die gesetzlichen Voraussetzungen des Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (Vorliegen eines Härtefalls und sonstiger gesetzlicher Voraussetzungen) erfüllen. Mit der erweiterten Ausnahmeregelung ist von einer Steigerung um bundesweit etwa 1 000 stattzugebende Anträge auszugehen.
Aufgrund der erweiterten Ausnahmevorschrift und der damit verbundenen zusätzlichen Aufnahme von Familienangehörigen der Spätaussiedler im Bundesgebiet entsteht ein erhöhter Verwaltungsaufwand beim Bundesverwaltungsamt, das für das Aufnahmeverfahren zuständig ist. Dieser Aufwand wird im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ansätze erwirtschaftet werden müssen. Auch nach Inkrafttreten der erweiterten Ausnahmevorschrift wird ein jährlicher Zuzug von etwa 4 000 Personen voraussichtlich nicht überschritten werden.
Auswirkungen auf die Haushalte der Länder und Kommunen lassen sich nicht genau ermitteln. Durch die Aufnahme von Familienangehörigen der Spätaussiedler auf der Grundlage der erweiterten Ausnahmevorschrift dürfte bei den Ländern und Kommunen ein Vollzugsaufwand entstehen, der jedoch nicht beziffert werden kann. Angesichts zurückgehender Zuzugszahlen in den vergangenen Jahren dürften die Kosten für die Aufnahme von Spätaussiedlern und ihrer Familienangehörigen auch unter Berücksichtigung der erweiterten Ausnahmevorschrift die Kosten nicht übersteigen, die von den Ländern gegenwärtig zu tragen sind.
E. Sonstige Kosten
Kosten für die Wirtschaft oder Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten. Etwaige Kosten für soziale Sicherungssysteme können nicht beziffert werden.
F. Bürokratiekosten
Es werden keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben. Für die Normadressaten entsteht Verwaltungsaufwand bei Antragstellung.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
Der Bundesrat hat in seiner 899. Sitzung am 6. Juli 2012 beschlossen, den beige fügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
§ 27 Absatz 1 Satz 4 des Bundesvertriebenengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
"Abweichend von Satz 2 wird einbezogen, wer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder wegen eines vergleichbaren Falls keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen kann."
Artikel 2
Inkrafttreten
Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeiner Teil
I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt
Der Gesetzentwurf dient der Vermeidung von Härtefällen aus humanitären Gründen, die dadurch entstehen können, dass ohne Ausnahmemöglichkeit an der Voraussetzung des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache für Familienangehörige festgehalten wird, die in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers aufgenommen werden wollen. Das strikte Festhalten an dem Erfordernis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache führt in der Verwaltungspraxis in einigen Fällen zu einer unbilligen Härte. Durch die Erweiterung der Ausnahmemöglichkeit sollen dauerhafte Familientrennungen vermieden werden.
II. Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 6 des Grundgesetzes (Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen).
III. Kosten für die öffentlichen Haushalte
Die Anzahl der Personen, die aufgrund der Erweiterung der Ausnahmemöglichkeit im Bundesgebiet Aufnahme finden kann, und die damit zu erwartenden Kosten können nicht genau beziffert werden. Es existieren keine speziellen Statistiken über potenziell Berechtigte in den Aussiedlungsgebieten. Deshalb können nur Schätzgrößen genannt werden.
In einer qualifizierten Schätzung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Neunten Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes im Jahre 2011 unter Zugrundelegung verschiedener Indikatoren (bisher abgelehnte Einbeziehungsanträge, Petitionen mit nachträglichen Einbeziehungsersuchen, in den Aussiedlungsgebieten verbliebene Abkömmlinge) wurde mit etwa 5 000 Härtefallanträgen gerechnet. Die Prognose ging dahin, dass davon etwa 2 500 Anträge die gesetzlichen Voraussetzungen (Vorliegen eines Härtefalls und sonstiger gesetzlicher Voraussetzungen) erfüllen. Nach Erweiterung der Ausnahmevorschrift hinsichtlich der geforderten Grundkenntnisse der deutschen Sprache wird sich die Zahl der stattzugebenden Anträge um bundesweit etwa 1 000 erhöhen.
Die ganz überwiegende Anzahl der Anträge dürfte verteilt über einen Zeitraum von drei Jahren beim Bundesverwaltungsamt eingehen und in diesem Zeitraum abschließend bearbeitet werden.
Aufgrund der erweiterten Ausnahmevorschrift in Bezug auf das Erfordernis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache und der damit verbundenen zusätzlichen Aufnahme von Familienangehörigen der Spätaussiedler im Bundesgebiet entsteht ein erhöhter Verwaltungsaufwand beim Bundesverwaltungsamt, das für das Aufnahmeverfahren zuständig ist. Dieser Aufwand wird im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ansätze erwirtschaftet werden müssen. Der Zuzug von Spätaussiedlern war in den vergangenen Jahren stark rückläufig (2008: 4 371; 2009: 3 378; 2010: 2 384; 2011: 2 174). Daher wird auch nach Inkrafttreten der erweiterten Ausnahmevorschrift ein jährlicher Zuzug von etwa 4 000 Spätaussiedlern und ihren Familienangehörigen voraussichtlich nicht überschritten werden.
Auswirkungen auf die Haushalte der Länder und Kommunen lassen sich nicht genau ermitteln. Durch die Aufnahme von Familienangehörigen der Spätaussiedler auf der Grundlage der erweiterten Ausnahmevorschrift hinsichtlich des Absehens von den geforderten Grundkenntnissen der deutschen Sprache dürfte bei den Ländern und Kommunen ein Vollzugsaufwand entstehen, der jedoch nicht beziffert werden kann. Angesichts zurückgehender Zuzugszahlen in den vergangenen Jahren dürften die Kosten für die Aufnahme von Spätaussiedlern und ihrer Familienangehörigen auch unter Berücksichtigung der erweiterten Ausnahmevorschrift die Kosten nicht übersteigen, die von den Ländern und Kommunen gegenwärtig zu tragen sind.
IV. Sonstige Kosten
Der Wirtschaft entstehen durch die Ausführung dieses Gesetzes keine Kosten. Für soziale Sicherungssysteme können etwaige Kosten nicht beziffert werden. Auswirkungen auf die Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.
V. Bürokratiekosten
Für die Wirtschaft werden keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
Für die Bürgerinnen und Bürger wird eine Informationspflicht neu eingeführt. Die Informationspflicht richtet sich an die Normadressaten, die für den Antrag jeweils etwa 30 Minuten benötigen. Da der Antrag in der Regel per Post gestellt wird, kommt es für die Normadressaten weder zu nennenswerten Wege- noch Wartezeiten.
Für die Verwaltung werden keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
VI. Gleichstellungspolitische Auswirkungen
Die gleichstellungspolitischen Auswirkungen wurden gemäß § 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes und § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien anhand der Arbeitshilfe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend "Gender Mainstreaming" überprüft. Soweit durch den Gesetzentwurf Rechte und Pflichten von Spätaussiedlern und ihren Angehörigen geändert werden, besteht kein Unterschied zwischen Männern und Frauen, sodass die Relevanzprüfung in Bezug auf Gleichstellungsfragen negativ ausfällt. Die Regelungen wurden, soweit möglich, entsprechend § 1 Absatz 2 Satz 1 des Bundesgleichstellungsgesetzes geschlechtergerecht formuliert.
VII. Nachhaltigkeit
Das Vorhaben entspricht der Absicht der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Im Härtefall wird eine dauerhafte Aufnahme des Ehegatten oder Abkömmlings des Spätaussiedlers im Geltungsbereich dieses Gesetzes erleichtert und ermöglicht. Auf diese Weise trägt die Regelung zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts auch für die kommenden Generationen bei.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Der neu gefasste § 27 Absatz 1 Satz 4 ermöglicht, dass in bestimmten Fällen der Ehegatte oder Abkömmling im Erstantragsverfahren bzw. nachträglich nach § 27 Absatz 3 auch dann in den Aufnahmebescheid nach Absatz 1 Satz 2 einbezogen werden kann, auch wenn der Familienangehörige (Ehegatte und/oder Abkömmling) nicht den grundsätzlich geforderten Besitz von Grundkenntnissen der deutschen Sprache aufweisen kann.
Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift zu § 27 Absatz 1 Satz 2, die für den Eintrag des Familienangehörigen in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers (Bezugsperson) unter anderem den Besitz von Grundkenntnissen der deutschen Sprache voraussetzt.
Das Erfordernis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache als strikte Voraussetzung für die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers kann in Einzelfällen hinsichtlich des Ehegatten bzw. des Abkömmlings zu unbilligen Härten führen. Für den Fall einer Behinderung im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch hat der Gesetzgeber eine Ausnahme von den geforderten Deutschkenntnissen durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes aus dem Jahre 2007 umgesetzt.
In der Verwaltungspraxis und durch Petitionen hat sich jedoch gezeigt, dass es in bestimmten Fällen auch über den bereits gesetzlich geregelten Ausnahmefall der Behinderung hinaus weitere Fälle gibt, in denen das Festhalten an der Voraussetzung des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache eine unbillige Härte darstellt. Dies ist insbesondere dann der Fall, falls der Ehegatte oder Abkömmling aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder in einem vergleichbaren Fall nicht in der Lage ist, die erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu erwerben.
Durch die Neuregelung findet eine Gleichstellung für den Ehegattennachzug von Spätaussiedlern mit dem von Ausländern statt. Die Ausnahmevoraussetzung "körperliche, geistige oder seelische Krankheit" findet sich im Aufenthaltsgesetz für den Ehegattennachzug von Ausländern (§ 30 Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes). Eine Benachteiligung von Spätaussiedlern wird hiernach ausgeglichen.
Die Aufnahme des unbestimmten Rechtsbegriffs des "vergleichbaren Falls" ermöglicht eine humanitäre Lösung für den Fall, dass das Festhalten an dem Erfordernis des Besitzes von Grundkenntnissen der deutschen Sprache für die Betroffenen (Ehegatte und/oder Abkömmling) eine unbillige Härte darstellt. Die Variante des vergleichbaren Falls kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ein vorheriger Spracherwerb der geforderten deutschen Grundkenntnisse im Aussiedlungsgebiet aufgrund des Alters oder der Gebrechlichkeit des Familienangehörigen sowie aufgrund von Lernschwäche oder Bildungsferne bei dem konkret Betroffenen nicht vorausgesetzt werden kann.
Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.