Der Bundesrat hat in seiner 938. Sitzung am 6. November 2015 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1 ( § 404 Absatz 2 ZPO)
Artikel 1 Nummer 1 ist zu streichen.
Begründung:
Die vorgesehene obligatorische Anhörung der Parteien zur Person des Sachverständigen ist abzulehnen.
In geeigneten Fällen erfolgt bereits nach geltendem Recht eine Anhörung der Parteien vor Bestellung des Sachverständigen. So wird den Parteien der Beweisbeschluss zugestellt, in welchem die vom Gericht getroffene Auswahl des Sachverständigen mitgeteilt und gleichzeitig eine Frist zur Einzahlung des Auslagenvorschusses gesetzt wird. Erst nach Zahlung des Vorschusses wird der Gutachtenauftrag erteilt. Den Parteien verbleibt in diesem Fall ausreichend Zeit, Einwände gegen den vom Gericht ausgewählten Sachverständigen vorzubringen. Erfolgt die Bestellung eines Sachverständigen aufgrund einer mündlichen Verhandlung, wird die Person des möglichen Sachverständigen häufig schon im Termin erörtert. Wenn die Auswahl eines Sachverständigen schwierig ist - wie zum Beispiel bei medizinischen Fragen - oder im selbständigen Beweisverfahren Sachverständige zu benennen sind, kommt auch im schriftlichen Verfahren eine Aufforderung an die Parteien in Betracht, geeignete Sachverständige vorzuschlagen ( § 404 Absatz 3 ZPO). In diesen Fällen schafft die Anhörung mehr Transparenz und kann die Bestellung von Sachverständigen vermeiden, die sich für die gestellte Aufgabe nicht eignen.
Demgegenüber steht zu befürchten, dass eine darüber hinausgehende obligatorische Anhörung in allen Verfahren, also auch einfacher gelagerten Verfahren und in Massenverfahren sowie in hochstreitigen Verfahren etwa des Familienrechts, ihr Ziel verfehlen und stattdessen zu weiteren Konfliktfeldern und Verzögerungen führen würde.
Eine obligatorische Anhörung vor Gutachterbestellung würde das Ziel, die Akzeptanz von Sachverständigengutachten zu erhöhen, verfehlen, weil eine ablehnende Haltung der Parteien bzw. Beteiligten nach allen Erfahrungen der gerichtlichen Praxis regelmäßig erst entsteht, wenn das Gutachten erstattet ist bzw. sich sein Inhalt tatsächlich oder vermeintlich abzeichnet. Die Ablehnung von Sachverständigen erfolgt in aller Regel nicht bereits im Vorfeld der Bestellung, sondern erst nach Erstattung des Gutachtens. Hat eine Partei vor der Bestellung eines Sachverständigen keine Einwendungen gegen dessen Person erhoben, wird sie sich voraussichtlich gleichwohl nicht gehindert sehen, dies nach Erstellung eines ihr ungünstigen Gutachtens zu tun. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass eine obligatorische Anhörung vor Ernennung des Sachverständigen die Zahl der Ablehnungen nach Gutachtenerstellung in nennenswertem Umfang verringern würde.
Indessen würde die obligatorische Anhörung in vielen unkompliziert gelagerten Fällen zu erheblichen Verzögerungen führen. In zahlreichen Fällen, beispielsweise bei Verkehrsunfallsachen, bei Streitigkeiten über eine Mietminderung oder bei einfachen und mittelschweren Bausachen, ist die Auswahl des Sachverständigen eine unproblematische Routineangelegenheit. Hier werden teilweise mit der Terminsbestimmung Zeugen geladen und ein Sachverständiger beauftragt. Bei einer Pflicht zur vorherigen Anhörung würde diese Verfahrensweise unmöglich oder die Terminierung müsste bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens hinausgeschoben werden. Die Verfahren würden sich im Schnitt deutlich verlängern.
Diese Folgen werden auch nicht dadurch vermieden, dass die Anhörung als Soll-Vorschrift ausgestaltet wird und in der Begründung des Gesetzentwurfs - zutreffend - darauf hingewiesen wird, dass unter besonderen Umständen, etwa in Eilverfahren, in Verfahren mit besonderem Beschleunigungsbedürfnis wie etwa in Kindschaftssachen nach § 155 Absatz 1 FamFG, in Teilbereichen des Insolvenzrechts oder wenn die Anhörung wegen der Vielzahl der an dem Verfahren Beteiligten einen unzumutbaren Aufwand zur Folge hätte, von der Anhörung abgesehen werden kann. Es erscheint bereits fraglich, ob eine Sollvorschrift die erforderliche Herausnahme etwa aller Kindschaftssachen hier werden Sachverständigengutachten regelmäßig überhaupt nur in hochkonflikthaften Fällen eingeholt - aus dem Anwendungsbereich der Anhörungspflicht trägt, weil dies den Regelfall und nicht lediglich Ausnahmefälle betreffen würde. Vor allem aber würde die Anhörungspflicht wie dargelegt auch in einem Großteil der zivilrechtlichen, insbesondere amtsgerichtlichen Routinefälle greifen, die keinesfalls als Ausnahmefälle angesehen werden könnten und somit von der Anhörungspflicht voll erfasst wären.
In den nicht seltenen Fällen, in denen eine Partei ein Interesse an einer Verzögerung des Verfahrens hat, ergibt sich aus der Anhörungspflicht naturgemäß eine weitere Gefahr der Verlängerung durch die Möglichkeit eines auf die Bestellung des von der Partei zuvor abgelehnten Sachverständigen gestützten Ablehnungsantrags.
Nicht zuletzt ist zu erwarten, dass eine obligatorische Anhörung auch negative Auswirkungen auf die Objektivität und Neutralität eines Sachverständigen haben kann, wenn von einer Partei Einwände gegen die Qualifikation des Sachverständigen erhoben werden, dieser vom Gericht dennoch bestimmt wird und anschließend die Einwände durch die Zuleitung der Akte zur Kenntnis des Sachverständigen gelangen. Während von einem Richter ohne weiteres verlangt werden kann, dass er nach einem abgelehnten Befangenheitsantrag weiter unparteiisch zur Sache verhandelt, wird die Wahrung der Objektivität nicht bei jedem Sachverständigen vorausgesetzt werden können. Zumindest kann in diesen Fällen Anlass zu Zweifeln an seiner Neutralität bestehen, was durch den Gesetzentwurf gerade verhindert werden soll.
2. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe a ( § 411 Absatz 1 ZPO)
Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe a ist zu streichen. Folgeänderung:
In Artikel 3 sind in dem anzufügenden § 41 EGZPO die Wörter "1 und" zu streichen.
Begründung:
Mit der im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderung von § 411 Absatz 1 ZPO-E soll erreicht werden, dass statt der derzeit im Gesetz enthaltenen Soll-Vorschrift über die Fristsetzung für die Erstattung schriftlicher Sachverständigengutachten für die Gerichte die Fristsetzung obligatorisch wird. Eine solche Gesetzänderung ist nicht erforderlich und auch nicht praxistauglich. Es ist derzeit in der Praxis der Regelfall, dass Fristen gesetzt und auch von den Gerichten entsprechend überwacht werden. Es muss den Gerichten aber weiterhin möglich bleiben, im Einzelfall von einer Fristsetzung abzusehen. Lange Bearbeitungszeiten für Gutachten hängen regelmäßig nicht mit fehlender Motivation der beauftragten Sachverständigen zusammen, sondern sind meist auf vielgestaltige andere Ursachen, z.B. fehlende Mitwirkung der Beteiligten, zurückzuführen, denen auch durch eine enge Fristsetzung des Gerichts nicht begegnet werden kann. Für das nicht sachkundige Gericht ist es teilweise auch schwer einschätzbar, welchen Zeitraum die Erstellung eines Sachverständigengutachtens in Anspruch nimmt. Eine der Hauptursachen für lange Bearbeitungszeiten ist die relativ geringe Zahl geeigneter und ausreichend qualifizierter Sachverständiger. Bei obligatorischer Fristsetzung verbunden mit der Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 5 000 Euro für den Fall der Verspätung, das dann auch im Regelfall verhängt werden soll, besteht die Befürchtung, dass die Bereitschaft qualifizierter Sachverständiger zur Erstattung von Gerichtsgutachten abnimmt und damit das Grundproblem weiter verschärft wird.
Die Folgeänderung in Artikel 3 in § 41 EGZPO-E ist redaktionell.
3. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa (§ 411 Absatz 2 Satz 1 ZPO)
In Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe b ist Doppelbuchstabe aa zu streichen.
Begründung:
Die vorgesehene grundsätzlich zwingende Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach Fristablauf ist abzulehnen.
Den Gerichten steht bereits jetzt gemäß § 411 Absatz 2 Satz 1 ZPO die Möglichkeit zur Verfügung, bei Fristversäumnis ein Ordnungsgeld festzusetzen. Davon machen sie in geeigneten Fällen schon im Interesse eines zügigen Fortgangs des Verfahrens Gebrauch. Die geltende Rechtslage ermöglicht den Gerichten mithin eine falladäquate Entscheidung. Dabei sollte es bleiben.
Eine grundsätzlich obligatorische Verhängung, von der nur in begründeten Ausnahmefällen abgesehen werden könnte, ginge an der Lebenswirklichkeit vorbei. Danach sind Verzögerungen nur in seltenen Fällen vom Sachverständigen zu vertreten. Meist sind sie darauf zurückzuführen, dass etwa eine Vielzahl von Personen angehört werden muss, sich die tatsächlichen Verhältnisse ändern oder der Begutachtung Hindernisse tatsächlicher Art im Wege stehen, die der Sachverständige nicht zu vertreten hat. Die Umwandlung der Kann-Bestimmung in eine Soll-Vorschrift würde in diesen - zahlreichen Fällen dazu führen, dass das Gericht darlegen müsste, warum kein Ordnungsgeld festgesetzt wird. Dieser Entscheidung hätten entsprechende Ermittlungen voranzugehen, sodass insgesamt das Verfahren erschwert würde. Setzt das Gericht hingegen ein Ordnungsgeld fest, sind in den oben genannten Fällen Beschwerden durch Sachverständige zu erwarten, die ebenfalls zu einer Verlängerung der Verfahren führen würden, die nicht im Interesse der Parteien oder des Gerichts läge.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Gerichte dazu neigen könnten, von vornherein längere Fristen für die Erstattung des Gutachtens zu setzen, wenn die Fristversäumnis grundsätzlich zwingend zu sanktionieren wäre. Dies liefe dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung zuwider.
Vor allem aber ist zu befürchten, dass eine obligatorische Ordnungsgeldfestsetzung die in vielen Sachbereichen bestehende Mangellage bei Sachverständigen noch verschärfen würde. Es ist zu erwarten, dass manche und gerade besonders geeignete und damit gefragte - Sachverständige unter diesen Bedingungen nicht mehr bereit wären, für das Gericht tätig zu werden. Sie würden dann Gutachtenaufträge ablehnen oder zumindest eine für das Gericht unvertretbar lange Bearbeitungsdauer ankündigen (§ 407a Absatz 1 ZPO-E).
4. Zu Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b ( § 145 Absatz 3 FamFG)
In Artikel 2 Nummer 2 Buchstabe b ist § 145 Absatz 3 wie folgt zu fassen:
(3) Der Scheidungsausspruch kann nicht im Wege der Anschließung angefochten werden, wenn die Beschwerde ausschließlich von einem oder mehreren Versorgungsträgern eingelegt wurde."
Begründung:
Das berechtigte Ziel zu verhindern, dass aufgrund des Rechtsmittels eines zunächst übersehenen Versorgungsträgers einem Ehegatten die Möglichkeit eröffnet wird, einen scheinbar rechtskräftigen Scheidungsausspruch anzufechten, wird durch die vorgesehene Formulierung nicht erreicht, wenn sich ein Ehegatte der Beschwerde des "vergessenen" Versorgungsträgers unselbständig anschließt. Diese Anschlussbeschwerde eröffnet nämlich nach derzeit herrschender Ansicht (vgl. Helms in Prütting/Helms, FamFG, 3. Auflage 2014, Rn. 9 zu § 145 FamFG) dem anderen Ehegatten die Möglichkeit, sich nun seinerseits dieser Anschlussbeschwerde erweiternd, also auch hinsichtlich des Scheidungsausspruchs, anzuschließen. Nach der beabsichtigten Gesetzesformulierung, die an die Anschließung an die Beschwerde des Versorgungsträgers anknüpft, wäre es nur dem sich zunächst anschließenden Ehegatten verwehrt, auch den Scheidungsausspruch anzufechten, nicht aber dem anderen Ehegatten.
Diese Lücke kann durch die hier vorgeschlagene Formulierung geschlossen werden, da diese nicht auf die Anschließung an die Beschwerde abstellt.
5. Zu Artikel 2 Nummer 4 ( § 163a FamFG)
In Artikel 2 Nummer 4 sind in § 163a nach dem Wort "Zeuge" die Wörter "oder als Beteiligter" einzufügen.
Begründung:
Eine wesentliche Wirkung der bisher wortgleich in § 163 Absatz 3 FamFG enthaltenen, nunmehr aus systematischen Gründen gesondert als § 163a FamFG-E zu fassenden Regelung betrifft die Beteiligtenvernehmung des Kindes nach § 30 Absatz 1 FamFG, §§ 445 ff. ZPO.
Da das Kind in Kindschaftssachen grundsätzlich gemäß § 7 Absatz 2 Nummer 1 FamFG Beteiligter ist, scheidet eine förmliche Zeugenstellung des Kindes ohnehin aus, ohne dass es dazu der Anwendung des § 163 Absatz 3 FamFG bedürfte. Intention des Gesetzgebers war es demgegenüber, ganz allgemein Belastungen des Kindes durch eine förmliche richterliche Befragung in Anwesenheit der Eltern und der sonstigen Verfahrensbeteiligten zu verhindern (vgl. BT-Drucksache 016/9733, S. 295). Entsprechend dieses Zweckes wird daher die Ansicht vertreten, in analoger Anwendung des bisher gültigen § 163 Absatz 3 FamFG sei auch eine Vernehmung des Kindes als Beteiligter im Sinne von § 30 Absatz 1 FamFG in Verbindung mit §§ 445 ff. ZPO ausgeschlossen (vgl. unter anderem Hammer in Prütting/Helms, FamFG, 3. Auflage 2014, Rn. 32 zu § 163 FamFG). Eine Aufklärung des Sachverhalts mit Hilfe des Kindes sei nur im Rahmen der behutsameren Anhörung nach § 159 FamFG zulässig.
Von einer analogiefähigen Regelungslücke könnte aber künftig nicht mehr ausgegangen werden, wenn die betreffende Norm in Kenntnis dieser Problematik inhaltlich unverändert bestehen bliebe. Es besteht somit die Gefahr, dass auf diese Weise der - sinnvollen - analogen Anwendung der Bestimmung auf die Beteiligtenvernehmung eines Kindes der Boden entzogen wird. Die Neuregelung sollte daher zum Anlass genommen werden, klarzustellen, dass auch eine Vernehmung des Kindes als Beteiligter ausgeschlossen ist.