Der Bayerische Ministerpräsident München, 16. September 2019
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
gemäß dem Beschluss der Bayerischen Staatsregierung wird die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates: "Arbeitszeiten familienfreundlich und unbürokratisch gestalten - Digitalisierung im Sinn von Beschäftigten und Unternehmen nutzen" mit dem Antrag übermittelt, dass der Bundesrat diese fassen möge.
Es wird gebeten, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 GO BR auf die Tagesordnung der 980. Sitzung am 20. September 2019 zu setzen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Markus Söder
Entschließung des Bundesrates: "Arbeitszeiten familienfreundlich und unbürokratisch gestalten - Digitalisierung im Sinn von Beschäftigten und Unternehmen nutzen"
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Die Digitalisierung der Arbeitswelt schreitet immer weiter voran. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Bedürfnis, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, moderne Kommunikationstechnik bietet Freiraum für orts- und zeitunabhängiges Arbeiten. Gleichzeitig sehen sich die Unternehmen vor große Herausforderungen gestellt, um in einer globalen Wirtschaftswelt angemessen schnell und flexibel agieren zu können und konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei erfasst die Digitalisierung fast alle Lebensbereiche, sie eröffnet den Unternehmen sowie den Beschäftigten ein höheres Maß an Flexibilität. Dies erfordert ein modernes Arbeitszeitrecht, das den Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wie auch der Unternehmen gerecht wird und für beide Seiten unbürokratisch gelebt werden kann.
- 2. Ein wesentliches Element dieser Flexibilität stellen dabei die Arbeitszeit- und Ruhezeitregelungen im Arbeitszeitgesetz dar, die an die je nach Branche, Betriebsgröße und Lebenslage gewandelten Arbeitszeitbedürfnisse angepasst werden müssen. Die Bundesrepublik Deutschland sollte daher die Chancen der Digitalisierung nutzen und mehr Flexibilität im Arbeitszeitrecht ermöglichen. Dies muss aber unter sorgfältiger Abwägung der Interessen beider Seiten gerade auch mit Blick auf die Gesunderhaltung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Sicherheit erfolgen. Lösungen müssen daher stets einen zeitnahen und adäquaten Ausgleich für längere Arbeitszeiten oder verkürzte Ruhezeiten vorsehen. Dabei dienen ausgewogene Lösungen im Hinblick auf die Familienfreundlichkeit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unmittelbar auch der langfristigen Sicherung des Fachkräftebedarfes.
- 3. Die moderne Arbeitswelt erlaubt es Beschäftigten in immer mehr Branchen, ortsunabhängig zu arbeiten und so Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Starre Arbeitszeitregelungen insb. zur ununterbrochenen Ruhezeit von elf Stunden oder zur täglichen Höchstarbeitszeit widersprechen häufig dem ausdrücklichen Wunsch von Arbeitnehmerinnen/ Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Arbeit der Familie wegen für ein paar Stunden zu unterbrechen, um in den Abendstunden die letzten beruflichen Aufgaben zu erledigen und zugleich die nächste Arbeitsphase am darauffolgenden Tag wie üblich zu beginnen. Darüber hinaus wirken bislang selbst kürzeste Arbeiten während der Ruhezeit ruhezeitunterbrechend, sodass nach der Beantwortung einer E-Mail u.U. die elf Stunden Ruhezeit neu zu laufen beginnen. Diese Strukturen sind nicht mehr zeitgemäß und wenig familienfreundlich.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, unter Beachtung des Rahmens der EU-Arbeitszeitrichtlinie - auch unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - mögliche Spielräume stärker als bisher zu nutzen. Ein besonderer Fokus ist darauf zu legen, wie die bereits im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 14. März 2018 verankerte Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes für die Belange von Familien zeitnah umgesetzt werden kann, damit es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglicht wird, Familie und Beruf besser miteinander zu vereinbaren. Dabei sind ein Großteil unserer Unternehmen Klein- und Mittelbetriebe. Deshalb ist zu berücksichtigen, dass Lösungen auch für kleine und mittlere Unternehmen wie z.B. im Hotel- und Gaststättengewerbe oder stark von äußeren Umständen geprägte Unternehmen wie z.B. in der Abschleppbranche (Autobahnnotdienste), die keiner Tarifbindung unterliegen, nutzbar sein müssen. Vor allem für Betriebe im ländlichen Raum, die in der Regel ohnehin eine angespannte Personalsituation haben, ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeit von existentieller Bedeutung. Hier sind sowohl gesetzliche Regelungen selbst bzw. die Eröffnung tariflicher und kollektivrechtlicher Optionen zu prüfen, um möglichst passgenaue Arbeitszeitmodelle zu finden.
- 5. Mögliche Lösungen müssen auch berücksichtigen, dass Schutzvorschriften zielgenau dort ankommen, wo tatsächlich Schutz benötigt wird, d.h. insbesondere bei geringqualifizierten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die sich nicht "auf Augenhöhe" mit ihrem Arbeitgeber auseinandersetzen können. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf zu prüfen, inwieweit über die Forderungen der Ziffern 1 - 4 hinaus für weniger schutzbedürftige Arbeitnehmer (namentlich hochbezahlte Experten) im Rahmen des durch die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union (2003/88/EG) vorgegebenen Spielraums noch weitergehende flexiblere und familienfreundlichere Arbeitszeiten erreicht werden können.
- 6. Die EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeitdokumentation ist auf ihren gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu überprüfen und, soweit erforderlich, in einer möglichst unbürokratischen Weise umzusetzen. Es muss auch hier der Grundgedanke des Koalitionsvertrages gelten, dass "europäische Vorgaben nicht mit zusätzlichen bürokratischen Belastungen versehen" werden.