Niedersächsischer Ministerpräsident Hannover, 11. Oktober 2018
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zum Umgang mit dem Wolf zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 971. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 2018 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
in Vertretung des Ministerpräsidenten
Dr. Bernd Althusmann
Entschließung des Bundesrates zum Umgang mit dem Wolf
- 1. Angesichts der dynamischen Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland sollte frühzeitig ein Konzept erstellt werden, wie mit einer zukünftig größeren Population umzugehen ist. Auch die Möglichkeit von lokal bzw. regional bestandsregulierenden Maßnahmen sollte dabei erwogen werden. Die Sicherheit der Menschen ist zu gewährleisten. Tierhaltung im Freiland soll auch dort dauerhaft möglich sein, wo Prävention nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand umsetzbar ist. Daher bittet der Bundesrat die Bundesregierung um die Erstellung eines nationalen Konzepts zum Umgang mit dem Wolf auf dem Weg zum günstigen Erhaltungszustand. Dabei sind Belange der Sicherheit der Menschen ebenso wie die besonderen Belange der Tierhalterinnen und Tierhalter bei verschiedenen naturräumlichen Gegebenheiten und Haltungsformen zu berücksichtigen.
- 2. Der Artikel 16 Abs. 1e) der FFH-RL (Richtlinie 92/43/EWG
/EWG des Rates vom 21. 5. 1992; ABI. L 206 v. 22. 7. 1992, S. 7) sieht eine Ausnahme von den Verboten des Art. 12 FFH-RL vor, um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten und von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden spezifizierten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten des Anhangs IV zu erlauben.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Regelungen im BNatSchG so zu erweitern, dass der gesamte Artikel 16 Abs. 1 der FFH-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, dabei zugleich in § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz als Ausnahmevoraussetzung den "erheblichen Schaden" durch einen "ernsten Schaden" zu ersetzen, um damit - ungeachtet der (in den deutschen Fassungen der Richtlinien) unterschiedlichen Begriffswahl in Art. 9 Abs. 1 lit. a, Spiegelstr. 3 VRL ("erheblicher Schaden") und in Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL ("ernster Schaden") - zu verdeutlichen, dass die Vorschrift auf Abwendung eines Schadens abstellt, der von mehr als geringerem Umfang ist (s. EuGH, Urteil vom 08.07.1987 - Rs. C247/85 - Rdnr. 56), eine Verletzung des Eigentumsrechts durch Überschreitung der Grenze der Sozialpflichtigkeit aber nicht voraussetzt.
- 3. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Maßnahmen Frankreichs im Umgang mit dem Themenkomplex Wolf/Weidewirtschaft und die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ermitteln und zu bewerten sowie zu prüfen, wie diese Erfahrungen in Deutschland genutzt werden können und einen Umsetzungsvorschlag zu erarbeiten.
- 4. Die Sicherheit des Menschen steht an erster Stelle. Annäherungen des Wolfes an Aufenthaltsgebäude von Personen sollen vermieden werden. Darüber hinaus sind Schutzmaßnahmen wie Weidezäune für Schafe nicht überall und uneingeschränkt realisierbar. Daher fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, für Rechtssicherheit bei Freihalten dieser Bereiche von Wölfen Sorge zu tragen.
- 5. Die zentraleuropäischwestpolnische Flachlandpopulation des europäischen Grauwolfs lebt grenzüberschreitend, sodass Monitoring und Management entsprechend erfolgen sollten. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich intensiv für ein gemeinsames Wolfsmonitoring und Management mit Polen einzusetzen.
- 6. Eine Beurteilung des Erhaltungszustandes des Wolfs alle sechs Jahre (FFH-Berichtszeitraum) ist angesichts der dynamischen Populationsentwicklung nicht ausreichend. Im Sinne eines sachgerechten Wolfsmanagements fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, den Erhaltungszustand der Wolfspopulation einer jährlichen Überprüfung zu unterziehen.
- 7. Die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen stellt für die Halter von Weidetieren zusätzlich zur erhöhten Arbeitsbelastung eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Die gegenwärtigen Regelungen für staatliche Förderprogramme lassen eine Förderquote von maximal 80% der Materialkosten zu. Die wichtige umwelt- und gesellschaftspolitische Aufgabe der Weidetierhaltung im Offenland soll langfristig unterstützt werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Verhandlungen mit der EU-Kommission zur Möglichkeit der Förderung von Präventionsbzw. Herdenschutzmaßnahmen auf bis zu 100% zu führen und sich für gegebenenfalls erforderliche Änderungen der Beihilferegelungen einzusetzen. Die Förderung der Unterhaltung von Herdenschutzmaßnahmen (z.B. Arbeitskosten oder Kosten für die Haltung von Herdenschutzhunden) soll zukünftig ebenfalls möglich sein.
- 8. Die Haltung von Weidetieren im Offenland leistet als besonders tierwohlgerechte Form der Nutztierhaltung einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität. Damit diese Bewirtschaftungsform in Zukunft weiterhin erhalten bleibt, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, über ein Bundesprogramm eine Weidetierprämie bzw. Landschaftspflegetierprämie einzuführen.
- 9. Um die Erfahrungen der einzelnen Länder mit Herdenschutzmaßnahmen zentral zu sammeln und möglichst breit verfügbar zu machen, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, ein nationales Herdenschutzzentrum aufzubauen. Die Länder mit Wolfsvorkommen sind dabei einzubinden. Die Weiterentwicklung von Herdenschutzmaßnahmen sollte ebenfalls hier erfolgen und zusammen mit den Tierhalterverbänden erarbeitet werden.
- 10. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zukünftig in den jährlichen Bericht über den Wolfsbestand in Deutschland wissenschaftlich fundierte Abschätzungen über den gesamten Bestand der Wölfe aufzunehmen. Die bisher übliche reine Betrachtung der tatsächlich nachgewiesenen Tiere und Rudel, ohne Einbeziehung der Jungtiere, ist in der Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar und trägt nicht zur Akzeptanz des Wolfsmanagements bei.
Begründung:
In Deutschland wächst die Wolfspopulation. Dem strengen Schutz dieser Tierart ist genauso Rechnung zu tragen, wie den damit verbundenen Aspekten der Sicherheit für den Menschen und den Belastungen für betroffene Nutztierhalter. Damit soll erreicht werden, dass die Akzeptanz für die dauerhafte Anwesenheit des Wolfs erhalten bleibt oder geschaffen wird. Die Akzeptanz in der Bevölkerung wird als wesentlich für Erreichung und Aufrechterhaltung eines günstigen Erhaltungszustands des Wolfs erachtet. Dazu bedarf es eines handlungsfähigen Staates, der Rechtssicherheit bei Entnahmen zur Abwendung ernster wirtschaftlicher Schäden sowie bei Gefährdung von Personen schafft.
Die dynamische Populationsentwicklung und die hohe Mobilität der Wölfe macht eine bundesweite Betrachtung des Umgangs mit dem Wolf erforderlich. Insbesondere im Zusammenhang mit der Tierhaltung im Freiland entstehen mit zunehmendem Wolfsbestand zum Teil erhebliche Konflikte. Es ist erforderlich, möglichst frühzeitig übergeordnete Konzepte für einen zukünftigen Umgang mit dem Wolf zu erarbeiten und zwischen den Bundesländern und der Bundesregierung abzustimmen und umzusetzen.
Darüber hinaus könnten Erfahrungen und Lösungsansätze aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die teilweise deutlich längere Erfahrung im Umgang mit Wölfen haben, bei der Weiterentwicklung eines nationalen Wolfsmanagements hilfreich und möglicherweise übertragbar sein.
Bei der sehr angespannten wirtschaftlichen Lage vieler Weidetierhalter stellen die durch die Rahmenregelung der EU vorgeschriebenen 20% Eigenanteil der Präventionskosten eine unverhältnismäßige Belastung dar. Da die Weidetierhalter hier stellvertretend für die gesamte Gesellschaft das höchste Verlustrisiko tragen, sollten sie besser unterstützt werden. Dazu müssten die Beihilferegelungen der EU angepasst und zukünftig eine 100% Förderung durch die Länder ermöglicht werden.