972. Sitzung des Bundesrates am 23. November 2018
Der federführende Finanzausschuss, der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Die Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern haben sich im September 2018 zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für eine nachhaltige Bewältigung der Folgen des erhöhten Flüchtlingszugangs seit dem Jahr 2015 bekannt und sich für die Jahre 2018 und 2019 auf die Weiterführung der Bundesbeteiligung an flüchtlingsbedingten Kosten von Ländern und Gemeinden verständigt. Dieser Beschluss soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf umgesetzt werden.
- b) Die Bundesbeteiligung an den flüchtlingsbedingten Kosten von Ländern und Gemeinden ist nach Auffassung des Bundesrates auch in den Jahren ab 2020 in adäquater Höhe fortzusetzen. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern haben Einigkeit darüber erzielt, dass die Fortführung der Bundesbeteiligung an den flüchtlingsbedingten Kosten von Ländern und Gemeinden für die Jahre ab 2020 auf der Grundlage bisheriger Beschlüsse im Lichte der gemachten Erfahrungen und der erwarteten Belastungen auch mit dem Ziel der Schaffung einer effizienteren und lastengerechten Regelung überprüft wird. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung vor diesem Hintergrund auf, entsprechende Gespräche mit den Ländern zu intensivieren, um eine gemeinsame Beschlussfassung noch im Jahr 2018 sicherzustellen.
- c) Der Bundesrat stellt fest, dass die rechtliche Umsetzung der Verlängerung der Bundesbeteiligung an den Integrationskosten der Länder und Kommunen für das Jahr 2019 notwendig und dringend ist. Gleichwohl weist der Bundesrat darauf hin, dass die Spitzabrechnungen für die Zeiträume 1. September 2016 bis 31. Dezember 2017 und 1. Januar 2018 bis 31. August 2018 sowie die Berechnungen für die Abschlagszahlungen anhand der Begründung des Gesetzentwurfs nicht im Einzelnen nachvollzogen werden können. Diese Kritik wurde bereits im Rahmen der Länderanhörung zum Referentenentwurf deutlich geäußert. So wird beispielsweise in der Gesetzesbegründung nicht erläutert, wie bei den Fällen, die erst im Laufe der Spitzabrechnungszeiträume in das förmliche Asylverfahren aufgenommen wurden, die Monate zwischen Registrierung und Beginn des Asylverfahrens ermittelt wurden. Weiterhin sind die der Gesetzesbegründung zugrunde gelegten Angaben zur Anzahl der ablehnenden Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge anhand der bislang veröffentlichten Zahlen nicht nachvollziehbar.
Der Bundesrat hält es für erforderlich, für zukünftige Spitzabrechnungen eine für alle Seiten nachvollziehbare Berechnungsgrundlage zu schaffen. Er bittet die Bundesregierung, die dem Gesetzentwurf zugrundeliegenden Berechnungen umfassend offenzulegen und zu erläutern. Darüber hinaus regt der Bundesrat eine frühzeitige Abstimmung zwischen Bund und Ländern über die den Spitzabrechnungen zugrunde zu legenden Daten an.
2. Zu den Kosten für Unterkunft und Heizung
Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommunen mit Artikel 5 Nummer 2 und 3 des Gesetzentwurfs auch im Jahr 2019 von den zusätzlichen Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) für anerkannte Asyl- und Schutzberechtigte entlastet werden sollen.
Da durch die vorgesehene Anhebung der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung für das Jahr 2019 keine Bundesauftragsverwaltung bei den KdU ausgelöst werden soll, sieht der Entwurf jedoch eine Änderung des vereinbarten Transferweges für das Entlastungspaket von 5 Mrd. Euro vor. Die KdU-Beteiligung des Bundes soll um 1 Mrd. Euro reduziert und der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer um 1 Mrd. Euro erhöht werden. Durch diese Änderung wird die Zielrichtung des Entlastungspaketes stark verändert. Während die Bundesbeteiligung an den KdU Kommunen (Kreisebene) mit hohen Soziallasten zugute kommt, werden durch den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer wirtschaftsstarke Gemeinden überproportional entlastet. Der Verteilungsschlüssel für den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer nach § 5a Gemeindefinanzreformgesetz beinhaltet als Verteilungskriterien das Gewerbesteueraufkommen, die hebesatzgewichteten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und die hebesatzgewichteten sozialversicherungspflichtigen Entgelte. Dieser Verteilungsschlüssel liegt einer soziallastenorientierten Verteilung fern und lässt zudem eine zielgenaue landesinterne Korrektur der Verteilungswirkung nicht zu.
- a) Der Bundesrat bittet daher um eine Änderung von Artikel 1 für das Jahr 2019. Anstelle des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer ist der Länderanteil an der Umsatzsteuer um 1 Mrd. Euro zu erhöhen. Auf diesem Wege wird eine der KdU-Beteiligung des Bundes vergleichbare Entlastung je Einwohner von der umzuschichtenden Milliarde Euro erreicht. Die Länder werden eine soziallastengerechte Verteilung auf die Kommunen gewährleisten.
- b) Da der Bund den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer in immer stärkerem Maße nutzt, um die kommunale Ebene insbesondere im Hinblick auf deren hohe Soziallasten finanziell zu unterstützen, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, den aus historischen Gründen stark wirtschaftskraftbezogenen Verteilungsschlüssel für den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer zu ändern. Ziel muss es sein, eine gemessen an den Einwohnern gleichmäßigere interkommunale Verteilung zu erreichen.
3. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat begrüßt es ausdrücklich, dass in Umsetzung des Beschlusses der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern vom 18. September 2018 mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Entlastung von Ländern und Kommunen von flüchtlingsbedingten Kosten für das Jahr 2019 fortgeführt werden soll. Die Verlängerung der vollständigen Entlastung der Kommunen von den Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) von Flüchtlingen im SGB II, soweit ein erstmaliger SGB II-Leistungsbezug nicht vor dem 1. Oktober 2015 gegeben ist, durch die Zahlung der Beteiligung des Bundes an den KdU nach § 46 Absatz 9 SGB II wird ausdrücklich begrüßt.
Die parallel zu dieser Regelung in Artikel 1 und Artikel 5 geplanten Regelungen für das Jahr 2019 zur Reduzierung der Beteiligung des Bundes an den Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 46 Absatz 7 SGB II (zur allgemeinen Entlastung von den Ausgaben für die Kosten für Unterkunft und Heizung) und eine Erhöhung der gemeindlichen Anteile an der Umsatzsteuerverteilung dient ausschließlich dazu, eine (von allen Beteiligten nicht gewollte) Bundesauftragsverwaltung bei der Gewährung von KdU nach § 22 Absatz 1 SGB II zu verhindern. Sie führt jedoch zu einer deutlichen Umverteilung der bisherigen Mittel unter den Ländern und steht dem bisherigen Ziel der Bundesbeteiligung, die Kommunen bei den originären KdU-Ausgaben zu entlasten, deutlich entgegen. Die Verteilung nach dem Umsatzsteueranteil der Gemeinden basiert auf der Wirtschaftskraft der Gemeinden. Dieser Anteil weicht zum Teil deutlich von den Belastungen durch Ausgaben für die Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II ab. In der Länderbetrachtung kommt es durch die Regelungen in Artikel 1 und 5 des vorliegenden Gesetzentwurfes zu erheblichen Finanzverschiebungen zu Lasten der Länder mit finanzschwächeren Kommunen. Diese Auswirkung war nicht Bestandteil des Beschlusses der Regierungschefinnen und Regierungschefs und ist von Länderseite nicht gewollt.
Der Bund wird aufgefordert, eine Regelung zu finden, die sicherstellt, dass jedes Land 2019 in einer Gesamtbetrachtung Mittel in der Höhe erhält, die der bisherigen Bundesbeteiligung nach § 46 Absatz 7 SGB II und der bisherigen gemeindlichen Umsatzsteueranteile entsprechen.
4. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 1 Satz 3 FAG)
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass die Kommunen in den Jahren 2019 ff. den vollständigen Betrag aus der vereinbarten Entlastung von 5 Milliarden Euro jährlich erhalten.
Begründung:
Gemäß der Prognose des Bundes wird die den Kommunen zugesagte Entlastung von bundesweit 5 Milliarden Euro jährlich durch die beabsichtigten Anpassungen von § 46 Absatz 7 Nummer 3 SGB II und § 1 Satz 3 FAG ab dem Jahr 2019 nicht mehr vollständig erreicht. Unter Zugrundelegung der Prognosen des Bundes zur Entwicklung der KdU-Ausgaben sowie der Beteiligungsquoten nach § 46 Absatz 6, 8 und 9 SGB II ergibt sich für 2019 aus der Umsetzung des Gesetzentwurfs ein Entlastungsbetrag, der etwa 126 Millionen Euro geringer ausfällt als die den Kommunen zugesagte Entlastung von bundesweit 5 Milliarden Euro jährlich.
5. Zu Artikel 5 Nummer 01 - neu - (§ 46 Absatz 5 Satz 2 SGB II)
In Artikel 5 ist der Nummer 1 folgende Nummer voranzustellen:
"01. In Absatz 5 Satz 2 wird die Zahl "49" durch die Zahl "49,9" ersetzt."
Begründung:
Gemäß Artikel 104a Absatz 3 Satz 2 GG tritt die Bundesauftragsverwaltung ein, wenn der Bund "die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt". Die in § 46 Absatz 5 Satz 2 SGB II formulierte Obergrenze von 49 Prozent schöpft den grundgesetzlichen Spielraum somit nicht vollständig aus.
6. Zu Artikel 5 Nummer 01 - neu - (§ 46 Absatz 6 Satz 2 - neu - SGB II)
In Artikel 5 ist der Nummer 1 folgende Nummer voranzustellen:
"01. Dem Absatz 6 wird folgender Satz angefügt:
"Ab dem Jahr 2019 beträgt diese Beteiligung in allen Ländern 28,3 Prozent.""
Begründung:
Der Bund beteiligt sich mit der gesetzlich (§ 46 Absatz 5 ff. SGB II) bestimmten Quote an den Kosten für Unterkunft und Heizung im Rechtskreis des SGB II. Die Quote der Bundesbeteiligung differiert von Jahr zu Jahr und ist länderspezifisch ausgestaltet:
Die "Grundquote", die zugleich den überwiegenden Umfang der Bundesbeteiligung ausmacht, ist für
1. Länder einheitlich und nur für die beiden Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz abweichend festgelegt (§ 46 Absatz 6 SGB II).
Diese Sonderquoten wurden durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Finanzausgleichsgesetzes vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I Seite 3376) mit Wirkung vom 1. Januar 2007 eingeführt. Dies erfolgte auf Wunsch des Bundesrates (BR-Drucksache 815/06(B) vom 24. November 2006).
Ausgangspunkt der Überlegungen für die Sonderquoten war die Berücksichtigung von Entlastungswirkungen infolge von Minderausgaben bei verschiedenen Leistungsgesetzen (insbesondere Entlastungen in der Sozialhilfe infolge der Migration von circa 90 Prozent der damaligen Sozialhilfeempfänger aus dem (kommunal finanzierten) Bundessozialhilfegesetz in das (durch Bund und Kommunen finanzierte) SGB II.
Eine bundesweit durchgeführte kommunale Datenerhebung kam damals zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I Seite 2954) für
1. Länder per Saldo Entlastungen brachte, während die Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz per Saldo belastet blieben. Daher wurden für diese beiden Länder Sonderquoten eingeführt. Diese Gründe liegen mittlerweile nicht mehr vor.
Die Sonderquoten sollten lediglich ein zeitlich befristetes Instrument zur Abfederung des Übergangs darstellen und kein dauerhaftes Instrument des Ausgleichs sein. Auch rechnerisch sind die Sonderquoten nicht mehr geboten.
Der in § 46 Absatz 6 SGB II geregelte Bundesbeteiligungssatz ("Grundquote") soll daher ab dem Jahr 2019 für alle Länder einheitlich ausgestaltet werden.
Dies führt in § 46 Absatz 6 SGB II zu einer einheitlichen Quote von 28,3 Prozentpunkten. Die Neuregelung ist für den Bundeshaushalt kostenneutral. Unter den Ländern kommt es zu - gewollten - Umverteilungswirkungen.
Legt man die Ausgaben für Kosten für Unterkunft und Heizung in den Ländern in den Jahren 2015 bzw. 2016 zugrunde, würde der Gesamtumfang der Umverteilung rund 80 Millionen Euro betragen. Die beiden Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz würden eine um diesen Betrag geringere Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung erhalten, der auf die 14 übrigen Länder verteilt wird.
Im Einzelnen würden sich folgende Umverteilungswirkungen ergeben:
Land | Gewinn / Verlust in Mio. EUR/Jahr (gerundet) |
Baden-Württemberg | - 35 bis 37 |
Bayern | + 6 |
Berlin | + 8 bis 9 |
Brandenburg | + 3 |
Bremen | + 1 bis 2 |
Hamburg | + 3 |
Hessen | + 6 |
Mecklenburg-Vorpommern | + 2 |
Niedersachsen | + 8 |
Nordrhein-Westfalen | + 23 bis 24 |
Rheinland-Pfalz | - 44 bis 46 |
Saarland | + 1 |
Sachsen | + 4 |
Sachsen-Anhalt | + 3 |
Schleswig-Holstein | + 3 |
Thüringen | + 2 |
Die tatsächlichen Umverteilungswirkungen hängen allerdings von der künftigen Ausgabenentwicklung bei den Kosten für Unterkunft und Heizung in den einzelnen Ländern ab.
7. Zum Fonds "Deutsche Einheit"
Auf der Grundlage der im Bundeshaushaltsplan für das Jahr 2018 veranschlagten Zinsausgaben wird der Fonds "Deutsche Einheit" voraussichtlich am 8. Dezember 2018 vollständig getilgt sein. Ab diesem Zeitpunkt entfällt damit die Verpflichtung der Länder, zur Tilgung des Fonds "Deutsche Einheit" beizutragen. Bei der Umsetzung der Zusage des Bundes, entsprechende Umsatzsteueranteile den Ländern zur Verfügung zu stellen, wird jedoch erwartet, dass auch der für das Jahr 2018 anteilig den Ländern zustehende Betrag in Höhe von voraussichtlich 140 Mio. Euro den Ländern zur Verfügung gestellt wird.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, entsprechend der Vorgehensweise bei der nachträglichen Spitzabrechnung der Bundesbeteiligung an den Integrationskosten der Länder und Kommunen auch bezüglich der Folgen der Abfinanzierung des Fonds "Deutsche Einheit" nach Kenntnis des genauen Volltilgungszeitpunktes eine nachträgliche, taggenaue Abrechnung der Kompensationsleistungen der Länder für das Jahr 2018 und eine entsprechende nachträgliche lastengerechte Zuordnung durch Änderung der Umsatzsteuerverteilung zugunsten der Länder im Jahr 2019 vorzusehen.
Begründung:
Die Bundesregierung verbindet im Gesetzentwurf fachlich unabhängige Themenkomplexe miteinander, begegnet ähnlich gelagerten Problemstellungen in der gesetzgeberischen Umsetzung jedoch unterschiedlich.
Hinsichtlich der Bundesbeteiligung an den Integrationskosten der Länder und Kommunen kann eine personenbezogene Spitzabrechnung nur für bereits abgelaufene Bezugszeiträume erfolgen. Folglich wird für die noch nicht personenscharf abrechenbaren Monate des Kalenderjahres 2018 (September bis Dezember) eine nachträgliche Spitzabrechnung angestrebt.
Auch um das Gesetzgebungsverfahren nicht zu verzögern und damit die rechtliche Umsetzung der notwendigen und dringenden Verlängerung der Bundesbeteiligung an den Integrationskosten der Länder und Kommunen noch im Jahr 2018 nicht zu gefährden, erscheint dieses Vorgehen zielführend und erforderlich.
Trotz einer ähnlich gelagerten Problemstellung im Zuge der Beteiligung der Länder an der Abfinanzierung des Fonds "Deutsche Einheit" ist eine entsprechende Anwendung dieser nachträglichen Abrechnungssystematik hier allerdings nicht geplant.
Obwohl bereits absehbar ist, dass der Volltilgungszeitpunkt nicht erst beim Eintreten der maßgeblichen Rechtsfolgen ab dem Jahr 2019, sondern mutmaßlich noch im Jahr 2018 erreicht wird, ist eine den Interessen der Länder hinreichend Rechnung tragende nachträgliche Spitzabrechnung für zu viel entrichtete Kompensationsleistungen des Jahres 2018 nicht vorgesehen.