Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung

A. Problem und Ziel

Bei der Aufklärung von Straftaten durch eine nichtindividualisierte Funkzellenabfrage können auch viele Unbeteiligte betroffen sein. Im Folgenden wird daher insbesondere vorgeschlagen, den unbestimmten Rechtsbegriff der "erheblichen" Straftat nach § 100g Strafprozessordnung (StPO) zu präzisieren. Die Erhebungsbefugnis für Verkehrsdaten soll auf das für die Strafverfolgung unabdingbar erforderliche Maß beschränkt und die Rechte unbeteiligter Dritter besser geschützt werden.

B. Wesentlicher Inhalt

Der Gesetzentwurf sieht vor, die in § 100g Abs. 2 Satz 2 StPO vorgesehenen Tatbestandsvoraussetzungen für Funkzellenabfragen zu konkretisieren. Das Ermittlungsinstrument setzt nach der gegenwärtigen Rechtslage (u.a.) das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung voraus. Wann von einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu sprechen ist, bedarf der Auslegung und lässt sich unter Umständen nur schwer bestimmen. Um sicherzustellen, dass künftig von vornherein nur konkrete, regelmäßig besonders gravierende Straftaten einen Anlass für Funkzellenabfragen bieten, sieht der Vorschlag vor, entsprechende Ermittlungen lediglich für die Katalogtaten des § 100a Abs. 2 StPO sowie für solche Straftaten zu ermöglichen, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht sind. Darüber hinaus soll die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Gesetz besonders hervorgehoben werden, um das Bewusstsein bei den Rechtsanwendern für die vorzunehmende Interessenabwägung zu schärfen. Soweit das Ausmaß der Betroffenheit Dritter die Maßnahme im Hinblick auf die aufzuklärende Straftat unangemessen erscheinen lässt, hat die Maßnahme zu unterbleiben. Die StPO sieht für die aus einer Funkzellenabfrage gewonnenen personenbezogenen Daten keine Sonderregelung vor, so dass aufgrund einer derartigen Maßnahme erlangte Daten ohne Einwilligung der Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren zur Aufklärung vergleichbarer Straftaten verwendet werden dürfen. Da der Einsatz dieses Ermittlungsinstruments prinzipiell eine Vielzahl unbeteiligter Personen betrifft, soll eine Sonderregelung zur Datennutzung in anderen Strafverfahren geschaffen werden. Der Entwurf schreibt daher einen Richtervorbehalt vor.

Der Gesetzentwurf führt in § 100g Abs. 4 StPO eine statistische Erfassung von Funkzellenabfragen ein. Gegenwärtig werden Funkzellenabfragen statistisch nicht gesondert erfasst.

Darüber hinaus soll die Staatsanwaltschaft nach Beendigung einer Funkzellenabfrage künftig den Datenschutzbeauftragten informieren ( § 100g Abs. 5 StPO).

Durch die Änderung von § 101 Abs. 4 StPO wird eine weitere Informationspflicht der Staatsanwaltschaft an den Datenschutzbeauftragten für die Fälle verankert, in denen die Staatsanwaltschaft von einer Benachrichtigung Betroffener von den in § 101 Abs. 1 StPO genannten Maßnahmen absehen will.

Außerdem sieht der Gesetzentwurf für Absatz 8 des § 101 StPO vor, dass jeweils nach Ablauf von spätestens drei Monaten die aktenbearbeitende Stelle zu dokumentieren hat, ob die Voraussetzungen für eine weitere Speicherung der erlangten Daten vorliegen.

C. Alternativen

Keine.

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Die Gesetzesänderung präzisiert vor allem die tatbestandlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit einer nichtindividualisierten Funkzellenabfrage. Die statistische Erfassung von Funkzellenabfragen, die Information des Datenschutzbeauftragten sowie die Dokumentation der Voraussetzungen der weiteren Speicherung der erhobenen Daten erfolgt im Rahmen des allgemeinen Verwaltungsvollzugs. Der zusätzliche Aufwand führt voraussichtlich zu geringen, kaum quantifizierbaren Mehrkosten.

E. Sonstige Kosten

Keine.

Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung

Der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen Dresden, den 5. September 2011

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

die Sächsische Staatsregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung zuzuleiten.

Ich bitte Sie, diesen Gesetzesantrag gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 886. Sitzung des Bundesrates am 23. September 2011 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Stanislaw Tillich

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266, 1269) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 100g wird wie folgt geändert:

(5) Nach Beendigung einer Maßnahme nach Absatz 2 Satz 2 ist die Stelle zu unterrichten, die für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei öffentlichen Stellen zuständig ist."

2. § 101 wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeiner Teil

I. Ausgangslage und Zielsetzung des Entwurfs

II. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Änderung der Strafprozessordnung folgt aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.

III. Kosten der öffentlichen Haushalte

Durch die Verengung des Anwendungsbereiches der Funkzellenabfrage und der Einbeziehung des Bundesdatenschutzbeauftragten und der Landesdatenschutzbeauftragten sind keine quantifizierbaren Mehraufwendungen zu erwarten.

IV. Auswirkung von gleichstellungspolitischer Bedeutung

Keine.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)

Zu Nr. 1 (§ 100g)

Zu Buchstabe a)

Die in Absatz 2 S. 2 ff. geänderte Vorschrift führt ein harmonisiertes System zur "Funkzellenabfrage" ein. Der Entwurf verfolgt bei der Gestaltung der infrage kommenden Anlassstraftaten das Ziel, den Strafverfolgungsbehörden durch die grundsätzliche Ermöglichung der Funkzellenabfrage hinreichende Mittel zur Verfolgung schwerer und schwer ermittelbarer Kriminalität zur Verfügung zu stellen. Zugleich soll aber die Funkzellenabfrage, die regelmäßig einen erheblichen Eingriff in Rechte Unbeteiligter zur Folge hat, in solchen Fällen ausgeschlossen werden, in denen sie außer Verhältnis zu dem zu schützenden Rechtsgut und dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung steht.

Auch künftig soll für die Funkdatenabfrage eine räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation genügen, wenn andernfalls die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Allerdings soll abweichend von der bisherigen Regelung nicht mehr das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung für den Einsatz der Funkzellenabfrage ausreichen. Vielmehr ist Voraussetzung, dass entweder eine in § 100a Abs. 2 StPO bezeichnete Straftat oder eine Straftat, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe zu ahnden ist, vorliegt. Dadurch wird eine normklare Regelung geschaffen, die mögliche Unsicherheiten der Praxis infolge des schwer zu bestimmenden Begriffs der Straftat von erheblicher Bedeutung beseitigt. Die für die Ermittlungsmaßnahme in Frage kommenden Straftaten werden so übersichtlicher gefasst. Die Straftaten, die Anlass zur Erhebung einer Funkzellenabfrage geben können, werden dem Anlasstatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO weitgehend angeglichen. Dies vermeidet Wertungswidersprüche und trägt Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten Rechnung. Der Entwurf streicht die Taten, die keine hinreichend schweren Straftaten für die Funkzellenabfrage darstellen oder für deren Beibehaltung kein rechtsstaatliches Bedürfnis besteht. Über den Deliktskatalog des 100a Abs. 2 StPO hinaus werden schwere Delikte erfasst, für deren Ahndung der Gesetzgeber eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten - sei es im Rahmen einer Qualifikation oder einer Strafzumessungsregel - vorsieht. Der besonders schwere Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a StGB soll beispielsweise die Anordnung einer Funkzellenabfrage ebenso ermöglichen wie eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB.

Die Funkzellenabfrage stellt ein wichtiges und unabdingbares Ermittlungsinstrument dar. Allerdings werden durch eine Funkzellenabfrage grundsätzlich unvermeidbar auch Verkehrsdaten Dritter erfasst, die weder Beschuldigte noch Nachrichtenmittler des Beschuldigten sind. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist es geboten, im Einzelfall die Abfrage zeitlich und örtlich weiter zu begrenzen oder diese ggf. zu unterlassen, wenn eine entsprechende Begrenzung unmöglich ist und das Ausmaß der Betroffenheit Dritter unangemessen erscheint. In Anbetracht einer im Jahr 2011 im Freistaat Sachsen zur Aufklärung von Delikten des schweren Landfriedensbruchs durchgeführten Funkzellenabfrage, die zu kontroversen Diskussionen geführt hat, soll der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mehr als bisher betont werden. Die Anwendung dieses Ermittlungsinstruments soll besonders begründet werden. Dem Kontrollbedürfnis und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit trägt zusätzlich die Regelung Rechnung, dass die Staatsanwaltschaft eine Entscheidung des Ermittlungsrichters bzw. des mit der Sache befassten Gerichts herbeizuführen hat, sofern die mit der Funkzellenabfrage gewonnenen Daten in anderen als dem Anlassstrafverfahren verwendet werden sollen. Der Hinweis auf § 477 Abs. 2 Satz 3 StPO stellt klar, dass die Verwendung zu präventiven Zwecken sowie zu Zwecken der Forschung ohne Einwilligung der Betroffenen lediglich unter den dort genannten Regelungen erfolgen darf.

Zu Buchstabe b)

Die statistischen Erfassungen der Verkehrsdatenerhebung weisen die Funkzellenabfragen nicht gesondert aus. Zur transparenteren Darstellung der Berichte sollen Funkzellenabfragen explizit aufgelistet werden.

Zu Buchstabe c)

Der Entwurf schreibt eine an § 98b Absatz 4 StPO angelehnte - früher nicht bestehende -Unterrichtungspflicht der zuständigen Datenschutzbehörde vor. Die Regelung unterstreicht, dass die Daten unbeteiligter Personen besonderen Schutz genießen. Die Unterrichtung ist erst geboten, nachdem die Maßnahme beendet ist. Es genügt, dass die Staatsanwaltschaft eine mit dem Aktenzeichen des relevanten Verfahrens versehene Benachrichtigung übermittelt. Eine Übersendung des Beschlusses oder des entsprechenden Rubrums ist nicht erforderlich. Die Unterrichtung dient ausschließlich der verbesserten Kontrollmöglichkeit der Ermittlungsbehörden betreffend der Art und Weise der Vollziehung der richterlichen Anordnung etwa im Hinblick auf den späteren Umgang mit den bei der Funkzellenabfrage erlangten Daten. Dem Datenschutzbeauftragten obliegt es aber nicht, die prozessuale Rechtmäßigkeit der Funkzellenabfrage im Einzelfall zu prüfen. Dies ist die Aufgabe der Gerichte.

Zu Nr. 2 (§ 101 Abs. 4)

Zu Buchstabe a)

Der Entwurf berücksichtigt, dass bei einer Funkzellenabfrage regelmäßig viele Personen in ihrem Grundrecht aus Art. 10 GG betroffen werden, dies aber im Einzelfall in einer vergleichsweise so geringen Weise, dass ein Interesse an einer Benachrichtigung oftmals nicht anzunehmen ist (vgl. hierzu BT-Drs. 016/5846, S. 59 f.). Dennoch erscheint es geboten, die grundrechtssichernde Regelung nicht nur für Funkzellenabfragen, sondern auch für die anderen in § 101 Abs. 4 StPO genannten Ermittlungsmaßnahmen zu optimieren. Hierzu soll den Staatsanwaltschaften künftig aufgegeben werden, ihre Entscheidung, der grundsätzlichen Benachrichtigungspflicht nicht zu entsprechen, zu begründen.

Nachforschungen, die den Grundrechtseingriff vertiefen würden, sind nicht geboten. Um dem rechtspolitischen Bedürfnis des sensiblen Umgangs mit erfassten Daten unbeteiligter Dritter jedoch besser als bislang gerecht zu werden, soll eine Unterrichtung des zuständigen Datenschutzbeauftragten erfolgen.

Zu Buchstabe b)

Um die jeweils aktenbearbeitende Stelle, grundsätzlich die Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls aber auch die ermittelnde Polizeidienststelle oder auch das mit der Sache befasste Gericht, stärker als bislang für etwaige Löschungsmöglichkeiten personenbezogener Daten in der Ermittlungs- bzw. Strafakte zu sensibilisieren, erscheint eine im Dreimonatsabstand erfolgende Dokumentation der Überprüfung erforderlich. Die jeweils aktenbearbeitende Stelle soll regelmäßig festhalten, ob die Voraussetzungen für die Vernichtung der Informationen gegeben sind. Der hierdurch entstehende Mehraufwand erscheint vertretbar. Es genügt, dass die jeweils aktenbearbeitende Stelle zu gegebenem Zeitpunkt für die übrigen, gegebe-